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Die Reichweite der Soziobiologie im religiösen Leben
ОглавлениеDie Religion hat vielleicht deswegen so große Macht, weil sie viele verschiedene soziobiologische Systeme gleichzeitig aktiviert. Religion bringt nicht nur das Bindungsverhalten des Einzelnen an seinen Gott hervor, sondern auch gesellschaftliche Prozesse der Gemeinschaftsbildung mit den entsprechenden Allianzen und Koalitionen; soziale Hierarchien mit Dominanzverhalten, Unterwerfung und Statusstreben; Verwandten-Selektion mit einer Grenzziehung zwischen denjenigen, die zur eigenen Gruppe gehören, und anderen; und die Erwartung eines gerechten sozialen Austausches, zu dem reziproker Altruismus gehört. Diese soziobiologischen Systeme formen die zwischenmenschlichen und sozialen Welten des Einzelnen derart, dass sie dem Homo sapiens dazu verholfen haben, im Laufe der menschlichen Evolution als Spezies zu überleben.
Diese Denkrichtung behauptet jedoch nicht, dass die Religion selbst ein Produkt der Evolution ist. Religion könnte eher, so wie ein Einsiedlerkrebs, nicht mehr bewohnte Höhlen besetzen, die andere Lebewesen in früheren Zeiten gebaut haben. Vermutlich entstanden diese soziobiologischen Systeme ursprünglich, um das Überleben zu sichern, ohne dass sie etwas mit Religion zu tun gehabt hätten. Als sie dann jedoch einmal zur Verfügung standen, wurden sie von den psychologischen und sozialen Agendas des religiösen Lebens genutzt. In dieser Hinsicht verhält es sich mit der Religion ähnlich wie mit der Musik oder der Ehe. Die durch die biologische Evolution ausgebildeten Gehirnsysteme werden zu sozialen und psychologischen Zwecken eingesetzt, die mit den ursprünglichen Abläufen, die die Gehirnstrukturen ausgebildet haben, nichts mehr zu tun haben. Die Religion aktiviert das gesamte Spektrum der soziobiologischen Systeme, und zwar so umfassend, dass man ihr spontanes Erscheinen vorausgesagt haben könnte, wenn es nicht schon im menschlichen Leben allgegenwärtig wäre. Moralisches Denken innerhalb der Religion wird dann gefördert, wenn man darauf Acht gibt, in welchem Maße diese soziobiologischen Systeme die Form und den Inhalt religiösen Verhaltens bestimmen.