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Was die Soziobiologie und die biologische Evolution nicht liefern konnten, liefert die Spiritualität

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Man könnte die Spiritualität als personenbezogenes Korrektiv für das betrachten, was die biologische Evolution und die Soziobiologie nicht leisten konnten. Persönliche Spiritualität ist die Religion für die einzelne Person. Sie bereichert das religiöse Leben um die Fähigkeit, mit Leid umzugehen, das zur Lebenserfahrung des Einzelnen gehört, und um die Fähigkeit, Traurigkeit und Niedergeschlagenheit durch Hoffnung, Sinn, Gemeinschaft und Freude zu überwinden, und Menschen dazu zu bringen, dass sie leben wollen, weil das Schmerzhafte, das das Leben mit sich bringt, erträglich gemacht werden kann. Ihr Wert ist im Leben und in den Worten von Albert Camus festgehalten, eines Mannes, der sich ausdrücklich als nicht religiös bezeichnet: „In der Tiefe des Winters erkannte ich zuletzt, dass tief in mir ein unbesiegbarer Sommer lag“ (Klempner 2006).

Das Wohlbefinden einzelner Personen hat keine besonderen Auswirkungen auf die biologische Evolution. Das Leid irgendeiner einzelnen Person bedroht nur selten, wenn überhaupt, die Spezies. Im Gegenteil, das frühe Verschwinden schwacher Individuen durch Tod oder mangelnde Reproduktionsfähigkeit konnte den Genpool eher stärken. Persönliche Spiritualität motiviert zu Mitgefühl und Sorge für die Schwachen, selbst wenn das im Sinne der Evolution nicht besonders sinnvoll zu sein scheint.

Soziobiologische Systeme entstanden dagegen, weil sie effektiv waren, wenn es darum ging, das Überleben der menschlichen Spezies als Ganzes zu fördern. Die soziobiologischen Systeme sind allesamt teleologisch, mit spezifischem Sinn und Zielen innerhalb eines sozialen Umfelds ausgestattet: einer mütterlichen Bindung, Gemeinschaftsbildung, einer sozialen Struktur mit verschiedenen Rollen, Verantwortlichkeiten und einer Führung, die sicherstellt, dass die Arbeit getan wird und Feinde ferngehalten werden. Die soziobiologischen Systeme des Menschen haben die gleichen allgemeinen Verhaltensprogramme wie die anderer Säugetiere. In dem Maße, in dem eine gut funktionierende Gruppe auch den einzelnen Individuen Vorteile zukommen lässt, können soziobiologische Systeme das Wohlbefinden und die Freude ihrer einzelnen Mitglieder steigern, aber das ist allenfalls ein Nebenprodukt, kein vorrangiges Ziel. Wie bei einer siegreichen politischen Partei oder einer Armee, die ihre Siegesbeute verteilt, hat derjenige etwas davon, der auf der Seite der Gewinner seinen Dienst versieht. Doch diese Art „Güter“ bereichert oder belebt nicht notwendigerweise auch das Dasein eines Einzelnen.

Die Verhaltensprogramme persönlicher Spiritualität weichen oft weit von den evolutionären Zielen ab, die von einer umfassenden Tauglichkeit bestimmt werden. Jedes soziobiologische System hat eine Hauptaufgabe zu erfüllen und die persönliche Spiritualität trägt zu keiner davon wirklich gut bei. Wie im nächsten Kapitel erörtert wird, ist das Mitgefühl, ein wichtiges Thema der persönlichen Spiritualität, auf einem evolutionären Fundament von Schmerzsystemen aufgebaut worden, die dazu dienten, physische Bedrohungen zu entdecken und zu meiden. In der emotionalen Ethik der Spiritualität jedoch löst das Mitgefühl Bewegungen aus, die in eine andere Richtung als die von dem physischen Schmerzsystem vorgegebene gehen und sich manchmal sogar auf die Ursache des Schmerzes zu- statt von ihr wegbewegen, wenn die Sorge um einen anderen Menschen es erfordert.

Setzt man die Spiritualität auf einen Zeitstrahl für die Geschichte der Menschheit, läuft man Gefahr, damit auszusagen, dass persönliche Spiritualität „reife“ Religion und die soziobiologische Religion „primitiv“ sei. Tatsächlich gab es in der Kultur Nordamerikas und Europas kürzlich einen Trend, scharf zwischen Religion und Spiritualität zu unterscheiden, wobei die Spiritualität als persönlich, selbstverwirklichend und kreativ betrachtet wurde, die Religion dagegen als institutionell, regelbestimmt und stumpfsinnig (Hood et al. 2009). Doch das menschliche Leben scheint weitaus komplexer zu sein als diese Unterscheidung vermuten lässt (Zinnbauer & Pargament 2005).

Persönliche Spiritualität und soziobiologische Religion mögen sich auf fundamentale Weise unterscheiden, doch die Unterschiede zeigen nur, dass sie unterschiedlichen Zwecken dienen. Außer unter pathologischen Bedingungen arbeiten persönliche Spiritualität und soziobiologische Religion harmonisch zusammen. Es gibt nur wenige Menschen wie Dag Hammarskjöld, die, abseits jeder formalen religiösen Struktur, ein Leben in tiefer persönlicher Spiritualität führen, sie sind eher außergewöhnlich (Hammarskjöld 1964).

Wie Pargament (2007) festgestellt hat, zeigen empirische Studien zur Religiosität, dass die große Mehrheit religiöser Menschen durch ihre formalen religiösen Praktiken Zugang zur Spiritualität erlangen. Die Teilnahme am Seder z.B. ist ein Ritual, das zum Kern des Judentums als organisierte religiöse Tradition gehört. Für viele ist es aber auch der Kern ihrer persönlichen Spiritualität, als eine Begegnung mit dem Heiligen, eine Quelle des Sinns und ein Zielpunkt der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Andere religiöse Traditionen bieten auf ähnliche Weise spezifische Methoden und Mittel als Wege zur Spiritualität, indem sie Glaubensüberzeugungen, spirituelle Praktiken, heilige Geschichten, Rituale und Gemeinschaften einsetzen (Griffith & Griffith 2002).

Führungsgestalten, die Spiritualität in ihre Gesellschaften gebracht haben, wie etwa der Prophet Jesaja oder der hl. Franz von Assisi, haben sich sehr geschickt in ihrem soziobiologischen religiösen Kontext bewegt, zumindest geschickt genug, um ihre Botschaft zu vermitteln. Einige, wie Mahatma Gandhi, waren politisch geschickt und nutzten ihre Kenntnisse der religiösen Soziobiologie, um die Massen zu wirkungsvollen Aktionen zu mobilisieren. Im Gegensatz dazu war Fürst Myschkin in „Der Idiot“ offensichtlich nicht in der Lage, sich in den Hierarchien, Begrenzungen und Rollenerwartungen zurechtzufinden, die für die anderen um ihn herum verbindlich waren. Die Macht seines personenbezogenen Einfühlungsvermögens und Mitgefühls ermöglichte es ihm, selbst zu denjenigen Menschen eine Verbindung aufzubauen, die ihn vertreiben wollten. Dennoch wirkte sich sein Handeln aus Mitgefühl, das für den soziobiologischen Kontext blind war, für diejenigen, denen er helfen wollte, tragisch aus und brachte den Fürsten ins Irrenhaus (Dostojewskij 1869/1976). Die Spiritualität kann im religiösen Leben eine führende Rolle übernehmen, doch sie braucht immer auch ein angemessenes Input von der soziobiologischen Seite, damit ihre Missionen verwirklicht werden können.

Wenn man sich der Auswirkungen der Soziobiologie bewusst ist, wird klar, dass es in der Religion um mehr geht als um Spiritualität, wenn Menschen Gebete sprechen, an Ritualen teilnehmen und Kirchen, Tempel und Moscheen besuchen. In der Religion geht es ganz sicher auch um Freundschaften, das Finden von Gemeinschaft, das gemeinsame Bemühen mit anderen um Werte und um das Wissen „zu wem ich gehöre“, Ziele also, die sich von denen der persönlichen Spiritualität unterscheiden.

Persönliche Spiritualität kann als eine Reformation der Religion angesehen werden, um diese an die Entwicklung eines individuellen moralischen Selbst anzupassen. Das ist eine mögliche Folge religiösen Lebens. Die persönliche Spiritualität entstand aus einer menschlichen Geschichte der religiösen Soziobiologie und beide können nicht voneinander getrennt werden, so als ob es keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gäbe. Die persönliche Spiritualität braucht oft die Struktur der organisierten Religion. Sie kann eine sprudelnde Quelle sein und sich mit der Zeit ohne jede Unterstützung durch traditionelle religiöse Überzeugungen, Praktiken oder ein Gemeindeleben verbreiten. Persönliche Spiritualität und soziobiologische Religion sind Fleisch und Knochen des religiösen Lebens und in jeder lebendigen Religion nicht voneinander zu trennen. Sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten zwischen beiden sind Schlüssel zum Verständnis dafür, wie die Religion manchmal auf so machtvolle Weise Heilung bringen und manchmal Schaden anrichten kann.

Religion hilft, Religion schadet

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