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Kapitel 7

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„Nee, ne? Das kann er ja wohl nicht gemeint haben!“ Extrem skeptisch schaute Anke auf das Etablissement, das auf der anderen Straßenseite lag, abseits vom Zentrum Málagas in einer kleinen Nebengasse. Schon die Umgebung war wenig anheimelnd. Die alten Wohn- und Geschäftshäuser hatten zumindest für deutsche Verhältnisse allesamt argen Renovierungsstau. Es bröckelte und blätterte allenthalben recht marode vor sich hin. Touristen suchte man hier allerdings vergebens, was grundsätzlich zur Hoffnung berechtigte. Was für ein Gegensatz zu der Flaniermeile, die sich nur zweihundert Meter weiter am Wasser entlangzog.

„Meinst du echt, wir sollen da rein?“

Dierk-Helge musterte die kleine, verglaste Aluminiumtür, die aus den 1960er Jahren zu stammen schien und über und über mit Aufklebern zugepappt war. Das Ding sah aus wie eine Lottobude. Oben drüber hing eine alte Leuchtreklame, die einfach und geschmacklos aus dem Wort „BAR“ bestand, wobei allerdings das Leuchtmittel vom A in der Mitte schon vor längerer Zeit seinen Geist aufgegeben hatte. Gelegentlich öffnete sich die Tür und man konnte einen Blick in die finstere Kaschemme werfen, die mit Einheimischen vollgestopft war und wo der Wein in Strömen floss. „Aber genau so hat Xavier das Restaurant doch beschrieben.“

Die beiden Freizeitdetektive hatten einen wunderbaren Tag mit Sightseeing, Baden und leider erfolgloser Suche nach Sandmanns Baustelle hinter sich und waren nun der Empfehlung ihres Hotelportiers gefolgt, den sie nach wirklich landesüblicher Küche gefragt hatten.

Anke trat entschlossen auf die Straße. „Los, wir gucken wenigstens mal rein.“ Nach kurzem Zaudern zog sie die Tür auf. Sie blickte in einen schmalen, schlauchförmigen Schankraum. Rechts auf dem spartanischen Holztresen standen große Korbflaschen, aus denen mit speziellen Schläuchen beständig Wein in Flaschen und Gläser abgezogen wurde. Vor dem Tresen standen Männer und Frauen dicht gedrängt und unterhielten sich laut und angeregt. Ein Fernseher schrebbelte links unter der Decke, der Geräuschpegel war beachtlich und die Luft zum Schneiden. Anke und Dierk-Helge guckten fünf Sekunden lang und befanden instinktiv, dass für sie beide kein Platz in dieser Trinkbude war. Von Restaurant sowieso keine Spur.

„Buenas Noches“, grüßte Anke trotzdem akzentfrei und forsch in den Raum hinein. Eine Veränderung ging vor. Wie von selbst rückten die vorderen Leute auf. Eine Frau machte eine einladende Geste, und schon waren sie drin. Anke beugte sich zu der Frau hinüber und sagte ihr etwas ins Ohr. Die nickte heftig und deutete in die unergründlichen Tiefen des Gebäudes. Dann zeigte sie auf den Tresen. Anke nickte. „Rot oder Weiß?“ brüllte sie Dierk-Helge ins Ohr. Er entschied sich für Weiß. Kurz darauf kam Anke mit einer Flasche ohne Etikett zurück, die zusehends beschlug, nickte in Richtung der hinteren Räumlichkeiten und schob sich dann hinter Dierk-Helge her, der einen Weg durch die Menge bahnte. Hinter dem langen Tresen ging es nach rechts in einen weiteren, helleren Raum mit etwa zehn Tischen. Die meisten waren voll besetzt. Ausschließlich Einheimische saßen dort und aßen. Anke entdeckte zwei freie Plätze an einem großen Tisch und fragte höflich, ob dort noch frei wäre. Gleich darauf saßen sie nebeneinander, waren von der spanischen Großfamilie aufgesaugt und in die Essgewohnheiten eingeführt worden. Anke übersetzte für Dierk-Helge. „Es gibt zwei Gerichte heute: Zarzuela und Kaninchen.“

Dierk-Helge verzog skeptisch das Gesicht, beim Essen war er im Gegensatz zu Anke schon ein bisschen heikel. „Für mich dann das Kaninchen.“

„Quatsch, stell dich nicht so an. Wir nehmen beides, ist ja wohl klar.“

Kurz darauf kam ein älterer Mann und registrierte, dass zwei neue Gäste hinzugekommen waren. Anke bestellte, und er verschwand in der Küche. Gleich darauf kam er mit zwei großen Schüsseln zurück. In der einen lagen herrlich braun geschmorte Kaninchenteile, offensichtlich ein ganzes Tier, das in handliche Einzelteile zerlegt war. Anke sah auch Leber, Herz und Nieren sowie den Kopf des Tieres, der praktischerweise bereits in zwei Hälften gespalten war. In der anderen Schüssel schwappte ein duftender, dampfender Fischeintopf. Krebsscheren und die Schalen von mindestens drei Muschelsorten schwammen darin herum. Anke strahlte über alle vier Backen. Das hier war genau ihre Kragenweite. Nun kam der Mann erneut und brachte grünen Salat, Pellkartoffeln, Aioli und einen kleinen Krug an ihren Tisch, der eine ordentliche Portion dunklen, kräftigen Bratensatz enthielt.

Anke goss Wein ein und prostete Dierk-Helge zu. Sie trank und erlebte eine weitere angenehme Überraschung. „Boah, der ist unglaublich gut. Das hätte ich bei offenem Tischwein nicht erwartet.“

„Das ist Albariño aus dem Norden“, mischte ihr Tischnachbar sich in passablem Deutsch ein. „Ist der beste Weißwein von Spanien. Der Bruder vom Wirt hat sein eigenes Weingut.“

„Also, beim Weißwein sind wir Deutschen ja ziemlich verwöhnt, aber der hier: Hammer!“

„Ja, euer Riesling ist Weltklasse. Aber der Rotwein taugt nix in Deutschland.“

Dierk-Helge knabberte vorsichtig an einem Kaninchenbein herum, fand aber offensichtlich Gefallen daran und machte sich mit Appetit darüber her. Am besten schmeckten ihm aber die Pellkartoffeln mit dem Bratensatz. „Fleisch, Kartoffeln, Soße, du bist und bleibst ein echter Bauer!“

Anke hatte schon etliche Mies- und Venusmuscheln ausgeschlürft und machte sich nun mit Feuereifer über eine fette Gamba her. Die unglaublich gute Tomatensoße spritzte, als sie den Panzer aufbrach. Hände, Unterarme und auch ihr helles Top hatten schon einige Spritzer abgekriegt, aber das störte sie nicht im Geringsten.

„Iieh, guck mal, die haben den Kopf dazugelegt!“ Leicht angewidert hob Dierk-Helge eine Schädelhälfte an den langen Nagezähnen hoch. Immerhin traute er sich, das Stück anzufassen.

„Sie müssen die Zunge probieren“, meinte ihr Tischnachbar. „Und das Gehirn wird mit dieser kleinen Gabel ausgelöst. Ist das Beste vom ganzen Tier. Außer vielleicht die Leber.“ Anke grapschte sich die Schädelhälfte und lutschte sie aus wie eine Auster.

Später, bei der zweiten Flasche Wein, erbot sich der freundliche Spanier, Fotos zu machen. Er brauchte eine Weile, bis er die Funktion der schweren Canon begriffen und Anke und Dierk-Helge passend hinter einem Berg Muschelschalen und abgenagter Kaninchenknochen drapiert hatte. Die beiden strahlten Wange an Wange in die Kamera, zwei Schnuten glänzten von Kaninchenfett und Muschelsud. Das 45er Speedlite-Blitzgerät, das gegen die Decke gerichtet war, leuchtete die kleine Kneipe problemlos aus.

Nur ein Schubs

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