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Kapitel 11

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Am Samstag schlief Walter glatt bis sechs Uhr durch. Nach dem Frühstück packte er ein paar Sachen zusammen, schwang sich aufs Rad und machte eine Kapitel schöne Tour in die Stromberger Berge. Als er abends zurückkam, wählte er voller Hoffnung erneut die Nummer, wurde aber wieder bitter enttäuscht. Also haute er sich vor die Glotze und ging ziemlich früh in die Koje. Morgen musste er unbedingt in die Firma, in Ruhe die Situation checken und alles für Montag vorbereiten. Vehement wehrte sich Walter gegen den Gedanken, dass der Betrieb zwei ganze Tage lang ohne ihn überlebt haben sollte. Er würde den Sonntagmorgen nutzen, um in aller Ruhe die Bautagebücher und die Lagerbestände zu überprüfen und alles für Montag vorzubereiten, damit die Teams genau so in die Woche starten konnten, als wäre er nie weg gewesen.

Auch Dierk-Helge war am Samstagmorgen früh auf. Zunächst ging er zur Autovermietung und tauschte den Daihatsu gegen einen Suzuki-Jeep. Dann suchte er die Touristeninformation auf und erstand mehrere Wanderkarten. Pünktlich zum Frühstück war er zurück im Hotel. Anke war gerade aufgestanden und setzte sich wortkarg zu ihm. Sie war halt ein Morgenmuffel und vor neun Uhr einfach nicht genießbar. Dierk-Helge wusste und akzeptierte das ohne jegliches Wenn und Aber, was ihm wiederum Ankes uneingeschränkte Zuneigung einbrachte.

Nach dem Frühstück breitete er die Karten aus, während Anke ihr Tablet startete und sich in das WLAN des Hotels einloggte. Eine Minute später hatte sie den betreffenden Küstenabschnitt bei Google-Earth angeflogen. Mit Feuereifer verglichen sie die unterschiedlichen Topografien. Schließlich bekamen sie Luftbild und Karte übereinander. Tatsächlich gab es an dem betreffenden, vornehmlich felsigen Küstenabschnitt eine einzelne Bucht mit Sandstrand, die aber nicht wirklich erschlossen schien. Lediglich einige Wanderwege waren dort eingezeichnet. Dierk-Helge hielt die Fotos vom Flyer daneben. Ja, tatsächlich, das konnte die Bucht sein. Anke schickte einige Druckbefehle an den hoteleigenen Netzwerkdrucker, dann brachen sie auf. Den Waldparkplatz erreichten sie ohne Schwierigkeiten. Anstatt der beschriebenen Schotterpiste führte jedoch eine gut geteerte Straße weiter in den Wald, der hier auffallend dicht und grün stand. Allerdings versperrte eine solide Kette die Durchfahrt. „Prohibido Pisar“ und „Propriedad Privada“ stand auf mindestens drei Schildern.

Anke und Dierk-Helge stellten den Wagen ab, checkten kurz die Info-Tafel und wählten von den drei Rundwanderwegen denjenigen, der am weitesten hinunter zum Meer führte. Anke hatte die Navigation auf ihrem Smartphone aktiviert und kontrollierte ständig ihren Standpunkt im Gelände. Nach etwa 30 Minuten Fußmarsch schwenkte der Weg bergan, um der Karte zufolge im Bogen zum Parkplatz zurückzuführen. Ein kleiner Pfad zweigte hier nach links zum Meer ab, dem sie entschlossen folgten. Sie hatten im immer dichteren Unterholz schon fast die Hoffnung aufgegeben, da trat der Pinienbewuchs plötzlich zurück und gab den Blick auf eine malerische Bucht frei. Sie war nur knapp 200 m breit und hatte einen schönen Badestrand aus feinen, runden Kieseln. Von ihrem erhöhten Beobachtungspunkt aus konnten sie die kleine Straße sehen, die zu einer Gruppe von Ferienhäusern führte. Die Anwesen, es waren eher gediegene Landhäuser als Ferienheime, lagen im Wald an der linken Flanke der Bucht. Zwei weitere dieser Anwesen waren weiter rechts zu sehen. Offensichtlich hatten es einige äußerst gut betuchte Leute verstanden, dieses Eldorado für ihr ganz persönliches Wohlergehen zu erschließen. Das Ganze war mit Bedacht, Augenmaß und Geschmack geschehen und fiel in der traumhaften Natur keineswegs negativ auf.

Im Gegensatz zu der Großbaustelle in der Mitte der Bucht, die aufdringlich nahe am Wasser lag. Hier hatte jemand eine hässliche Wunde in die Idylle geschlagen. Schotter und Beton beherrschten das Bild, Bäume und Buschwerk waren großflächig gerodet, der Waldboden von schweren Fahrzeugen aufgepflügt.

Anke zückte automatisch ihre Canon und begann, eine erste Serie zu schießen. Nach längerem Hinschauen erschloss sich den beiden das Projekt. Zehn imposante Einzelvillen und ein größeres, zentrales Objekt waren hier in unterschiedlichen Bauphasen zu erkennen. Bei drei Häusern waren lediglich die Fundamente zu erkennen, vier weitere waren offensichtlich mitten im Rohbau, der bei den restlichen drei Objekten seiner baldigen Fertigstellung entgegensah. Das spätere Haupthaus hatte bereits Dach, Fenster und Türen und schien fertig für den Innenausbau. Alle Häuser waren geschickt am Hang verteilt, jedes stand quasi für sich allein, mit freier Sicht auf das Meer. Wer immer das hier geplant hatte, verstand sein Handwerk. Anke hatte einen Blick für so was. Zwei Baukräne waren zentral aufgestellt, sodass sie vier der Objekte gleichzeitig bedienen konnten, drei große, graue Baucontainer standen daneben. ‚Arenero SL.‘ stand in großen roten Lettern darauf. „Arenero, der spanische Sandmann“, sinnierte Anke. „Also, eins ist klar“, sagte sie dann, „wenn das hier die ‚Villas Selva y Mar‘ sind, dann hat Sandmann sich ‘ne echte Sahneschnitte an Land gezogen. Ich hab zwar keine Ahnung, was er dafür auf den Tisch gelegt hat, aber diese Bucht ist das pure Gold. Ich kenne Leute, die würden für so eine Hütte ihre rechte Hand geben.“

Dierk-Helges Laune sank schlagartig. Er hatte gehofft, Sandmanns Projekt würde sich als Lachnummer entpuppen. In Wirklichkeit schien er richtig dick im Geschäft zu sein. Dann kam ihm ein Gedanke.

„Weißt du, was ich hier komisch finde?“ Anke sah ihn fragend an. „Wie kann es sein, dass es in einer Touristenhochburg wie Málaga so ein Fleckchen Erde gibt, und es ist noch nicht bis auf den letzten Zentimeter zugebaut?“

„Tja, das ist hier der springende Punkt. Du hast es doch unten selbst gelesen: Privatbesitz! Die Leute, denen das hier gehört, wollen eben nicht, dass hier gebaut wird. Die sind so reich, dass sie es sich locker leisten können, alles so schön und ursprünglich zu lassen, wie es ist. Überleg mal, was für einen unglaublichen Prestigewert es bringt, mitten in diesem Touristenmoloch ein solches Juwel zu besitzen. Am Arsch der Welt völlig normal. Aber hier? Unbezahlbar.“

„Jau. Und dann kommt ausgerechnet ein zweitklassiger Bauunternehmer aus Deutschland daher und schwatzt diesen Superbonzen ihr Herzstück ab. Im Leben nicht!“

Anke überlegte scharf. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen, dass der eine in einer Diskussion grundsätzlich die gegensätzliche Position des anderen einnahm. Man konnte sich herrlich streiten, ohne böse aufeinander zu sein.

„Du weißt ja nie, was so alles passiert bei Rockefellers. Die haben doch auch alle an der Krise zu knapsen. Vielleicht hat sich ja auch einer von denen verzockt. Da muss man in der Not mal ans Eingemachte gehen und den Familienschmuck verhökern. Vielleicht hat hier jemand die nötigen Millionen zusammengekratzt, um eine drohende Insolvenz abzuwehren?“

Anke ahnte nicht, wie nahe ihr Schuss ins Blaue an der Wirklichkeit lag.

Dierk-Helge gestand sich ein, dass er zu wenig über Wirtschaftskriminalität wusste, um sich hier ein kompetentes Urteil zu erlauben. Vor allem aber wusste er zu wenig über diese Bucht, die Eigentümer und die baurechtlichen Gegebenheiten.

„Komm, lass uns runtergehen und etwas rumschnüffeln“, sagte er und trabte los. Anke folgte auf dem Fuß. Eines von den vielen Dingen, die sie ausgesprochen gern tat, war irgendwo runtergehen und rumschnüffeln.

Nach 15 Minuten Abstieg, teils durch weglose Macchia, erreichten sie die Straße ziemlich genau dort, wo ein großer Bauzaun die Zufahrt zur Baustelle versperrte. Okay, dass hier gerade nicht gearbeitet wurde, hatten sie schon von oben gesehen. Schließlich war Samstag. Doch auch aus der Nähe betrachtet sah die Baustelle picobello aus. Gerüst, die zwei Kräne, die Container, alles neuwertig und prima in Schuss. Anke bannte alles auf ihren unerschöpflichen 64-Gigabyte-Chip. Sie hatte ihre Canon auf Serienaufnahme gestellt und haute jedes Mal eine Dreierserie raus, wenn sie auf den Auslöser drückte. Nicht, dass sie die vielen Fotos jemals benötigt hätte, aber die Kamera machte ein kräftiges Winder-Geräusch dazu, das unglaublich professionell klang.

Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Sieht alles tacco aus hier. Ich hab echt schon schlampigere Baustellen gesehen. Hier scheint richtig Zug drin zu sein. Guck mal: Überall ist das Unterholz gerodet. Sogar das Gras ist frisch gemäht um die einzelnen Objekte.“

„Wie ich das so sehe, haben wir hier zwei Bauphasen“, resümierte Dierk-Helge. „Die Fundamente und einige Grundmauern wurden offensichtlich vor dem Winter erstellt, dann war irgendwie Baupause. Vor nicht allzu langer Zeit hat der Eigentümer einen Neustart hingelegt, das Haupthaus und die ersten drei Villen vorangetrieben und nun die nächsten vier in Angriff genommen.“

„Ein Eigentümer“, korrigierte Anke.

„Hää?“

„Na ja, ich finde, es spricht alles dafür, dass hier jemand mit einem ehrgeizigen Projekt baden gegangen ist. Dann ist die Immobilie von einem anderen, kompetenteren Investor übernommen, mit neuem Schwung angegangen worden und befindet sich jetzt in voller Fahrt.“

„Arenero SL. Sandmann.“

Äußerst widerstrebend registrierte Dierk-Helge, wie mehrere Puzzleteile in seinem Hinterkopf auf ihren Platz fielen und ein Gesamtbild ergaben, das ihm überhaupt nicht gefiel. „Scheint alles zu passen“, grummelte er missmutig.

„Würde mich nicht wundern, wenn einer von den Bonzen hier aus der Bucht das Ding in den Sand gesetzt hat“, mutmaßte Anke.

Doch so schnell gab der rote Ritter nicht auf. „Komm, lass uns wenigstens noch die hinteren Häuser angucken. Bestimmt kommt man hier irgendwo von hinten an das Gelände heran.“

Das Unterholz neben dem Bauzaun erwies sich als undurchdringlich. Langsam gingen die beiden die Straße zurück, um nach einem passablen Weg Ausschau zu halten. Bald konnten sie unterhalb am Hang eines der benachbarten Anwesen sehen und dahinter ein zweites. Gewohnheitsmäßig setzte Anke die Kamera an und schoss auch hier munter drauflos, während Dierk-Helge schon mal vorausging. Seine Anwesenheit blieb nicht unbemerkt. Ein äußerst sportlich aussehender junger Mann mit Sonnenbrille trat auf die Straße und blaffte ihn auf Spanisch an. Dierk-Helge verstand kein Wort und hob bedauernd die Arme.

„Sorry, ich verstehe nur Bahnhof“, sagte er freundlich.

„Chier privado!“ schnauzte der Mann in gebrochenem Kauderwelsch. „No turistas chier!“

„Oh, tut mir Leid, wir haben uns verlaufen, beim Wandern. Parc Naturel“, erklärte Dierk-Helge und zeigte nach oben zum Wald. Der Mann wollte etwas erwidern, horchte aber dann plötzlich auf und drehte den Kopf. Er erblickte Anke, die gerade eine große Gottesanbeterin an der Trockenmauer entdeckt hatte und nun akribisch fotografierte.

„No!“, rief er laut und stürmte mit energischen Schritten auf Anke zu. „No Fotos chier!“ Anke ließ die Kamera gehorsam sinken und schenkte dem Mann ihr strahlendstes Lächeln. Sie stellte fest, dass ihr Charme an ihm abprallte wie an einer Betonwand, eine für sie völlig neue Erfahrung. Dierk-Helge kam direkt hinterhergelaufen. Der Mann schien ernsthaft auf Anke losgehen zu wollen. „He, lass bloß meine Frau in Ruhe!“

Der Roundhouse Kick kam so schnell und ansatzlos, dass er keine Chance zur Abwehr hatte. Der Mann führte ihn zudem mit einer Lässigkeit aus, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Zum Glück traf er nur Dierk-Helges Schulter, der deshalb zur Seite wegflog, ohne direkt k.o. zu gehen.

Doch auch der Mann machte eine neue Lebenserfahrung. Der Lowa Air Lady, den Anke trug, ist nur ein leichter Bergschuh und sicher nicht geeignet, schweren Schaden anzurichten. Wenn er aber mit Schwung und vor allem mit Wut getreten wird und das Standbein eines Kickboxers genau unter der Kniescheibe trifft, kann auch er jede Menge Probleme machen.

Der Kämpfer knickte mitten in seinem Kick gefährlich ein. Im selben Moment bekam er von Anke eine klingelnde Ohrfeige hereingereicht, die zwar überwiegend nur psychischen Schaden anrichtete, aber trotzdem ausreichte, dass Jean-Claude van Damme wie ein Käfer auf den Rücken fiel.

Ganz anders Dierk-Helge. Er war elegant rückwärts abgerollt und stand bereits wieder in Kampfstellung, Fäuste nach vorn .

Jean-Claude brauchte zwei Sekunden, um sein extrem verbeultes Ego wieder betriebsbereit zu machen, dann explodierte er. Wie ein Kater zog er sich zusammen und schnellte mit einer filmreifen Nackenkippe in den Stand. Sofort begann er zu tänzeln, nahm die Fäuste hoch und täuschte Schläge und Tritte an. Er wartete nur auf den passenden Moment, diesen kleinen Wichser umzuhauen, dann würde die Zicke schon kuschen. Für die Ohrfeige und den Tritt würde sie teuer bezahlen, die Schlampe.

Dierk-Helge sah Anke kurz an. Der Mann war schneller, stärker und besser trainiert als sie beide zusammen. Das hier schien wirklich gefährlich zu werden. Er wollte Anke gerade zurufen, ihm einfach die Kamera zu geben. In ihrem Gesicht las er jedoch, dass dieser Versuch zwecklos war.

Jean-Claude hatte indessen genug getänzelt. Spielerisch leicht steppte er auf Anke zu. Prompt kam ihr Typ von links brüllend vor. Noch ein Schritt, und er war in Reichweite für einen Halbkreisfußtritt rechts, seine Paradetechnik.

„Vasco!“ Die Stimme kam wie ein Peitschenknall. „Gracias, Vasco!“

Als hätte man einen Schalter umgelegt, wurde Vasco passiv, trat an den Straßenrand und legte die Hände auf den Rücken.

Ein kleiner, sehr distinguiert wirkender älterer Herr stand in der Grundstückseinfahrt. Er feuerte noch eine kleine spanische Salve auf Vasco ab, dann kam er auf Anke und Dierk-Helge zu. „Sie müssen Vasco entschuldigen“, sagte er in passablem Deutsch. „Er ist manchmal etwas, wie soll ich sagen? Übereifrig! Allerdings tut er nur seine Pflicht.“ Weiter kam er nicht. Anke war nicht in der Stimmung für artigen Smalltalk.

„Ihre scheinheiligen Sprüche können Sie sich sparen“, fauchte sie. „Ihr dämlicher Gorilla wollte mir die Kamera klauen und hätte uns beinahe zusammengeschlagen.“ Belustigt, aber auch mit einer gewissen Bewunderung sah der Herr die wutschnaubende junge Dame an. „Ich entschuldige mich noch einmal für Vasco. Und ich versichere Ihnen, Señorita, ich hätte es persönlich sehr bevorzugt, Sie unter anderen Voraussetzungen kennen zu lernen. Bedenken Sie aber bitte auf der anderen Seite: Dies ist tatsächlich Privatbesitz. Wir sind hier acht Grundbesitzer und geben jedes Jahr viel Geld aus, um die Dinge so zu bewahren, wie sie sind. Sie glauben nicht, zu was Touristen fähig sind. Dagegen ist Vasco ein Waisenknabe.“ Dierk-Helge dachte an die Zustände in seinem Hotel und musste dem Herrn insgeheim zustimmen. Aber bei Anke standen die Zeichen weiter auf Sturm.

„Versuchen Sie hier bloß nicht, den Biedermann zu geben. Natürlich müssen Sie Unsummen raushauen. Aber doch wohl Schmiergelder, um hier mitten im Naturschutzgebiet überhaupt eine Baugenehmigung zu bekommen.“

Wenn diese Kritik bei dem Herrn ankam, zeigte er es zumindest nicht. Allerdings wurde er eine Nuance kühler, als er antwortete.

„Hier sind Sie leider auf dem Holzweg, Señorita. Ich habe dieses Anwesen von meinem Vater geerbt, der es damals als Offizier von General Franco persönlich geschenkt bekam, für besondere Verdienste. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Anwesen. Die Parzellen waren längst in Privatbesitz, als das restliche Tal unter Naturschutz gestellt wurde. Im Gegenteil, wir Anlieger bringen den Löwenanteil der Kosten für das Reservat auf.“

„Ach so“, hakte Dierk-Helge ein. „Verstehe, alte Erbrechte. Und deshalb wird da hinten auch gerade ein brandneues Bauprojekt hochgezogen. Eben mal einige Hektar Wald roden, 500 Kubikmeter Beton gießen und zehn bis zwölf Bauten aus dem Boden stampfen.“

Der feine Herr schien einen Moment um Fassung zu ringen. Er hatte sich aber sofort wieder im Griff. Eine leichte Zornesröte blieb dabei trotzdem auf seiner Stirn zurück.

„Wir sind von dieser Entwicklung auch nicht begeistert. Aber letztlich gilt gleiches Recht für alle. Die bewusste Liegenschaft ist die letzte in Privatbesitz, die noch nicht bebaut wurde. Und zugleich die größte. Man muss dem Eigentümer zubilligen, das Bestmögliche aus diesem Juwel zu machen, so wie unsere Väter es mit ihren Grundstücken auch getan haben.“

„Aber glücklich sind Sie damit nicht“, stellte Anke fest.

„Nein“, bestätigte der Herr entschlossen. „Es ist schwer vorstellbar, unsere Bucht künftig mit Fremden zu teilen. Aber zumindest wird es eine sehr kleine und exklusive Anlage, die sich unserem Stil gut anpasst. Nicht jeder wird sich das leisten können. Wer weiß, vielleicht wird der eine oder andere Besuch ja auch eine Bereicherung?“ Der Herr blickte Anke augenzwinkernd an.

„Das ist durchaus möglich“, erwiderte diese zuckersüß, „sofern sich gewisse Leute hier auf die Gepflogenheiten der spanischen Gastfreundschaft zurückbesinnen!“

Diese Ohrfeige saß, der spanische Gentleman verzog das Gesicht.

„Okay!“ Dierk-Helge suchte nach einem Ausweg aus der Situation. Aus dem Augenwinkel bemerkte er verwundert, wie Anke sich äußerst undamenhaft am Hintern kratzte. Er wertete das als ein Zeichen von Anspannung und Ungeduld. „Wir gehen dann jetzt besser. Schönen Tag noch!“

„Ja, gehen Sie mit Gott!“ Der feine Herr räusperte sich. „Eine Kleinigkeit müssen wir aber noch klären. Verstehen Sie bitte: Wir Eigentümer sind auf den Schutz unserer Privatsphäre angewiesen. Es sind sehr prominente Leute darunter. Ich denke da auch an verschiedene Einbruchs- und Erpressungsversuche. Paparazzi und all das Geschmeiß. Señorita“, wandte er sich wieder an Anke, „es ist mir unendlich peinlich, aber ich muss leider darauf bestehen, dass Sie mir den Speicherchip Ihrer Kamera aushändigen.“ Anke lag die passende Antwort bereits auf der Zunge. Doch dann sah sie Vasco etwas weiter unterhalb stumm und mit verschränkten Armen mitten auf die Straße treten. Auch der Herr guckte plötzlich überhaupt nicht mehr höflich. Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, dann fummelte sie an ihrer Kamera herum, zog die SD-Karte heraus und warf sie ihm vor die Füße. Ein kleiner, eleganter Herrenschuh mit Lederbrandsohle trat darauf und bewegte die Hacke gekonnt nach links und rechts. Es klang, als wenn man eine Kakerlake zerquetscht, dann war der Chip Geschichte.

„Können wir jetzt endlich gehen?“ zischte Anke durch zusammengebissene Zähne.

„Nicht ohne meinen gut gemeinten Rat. Legen Sie sich nicht noch einmal mit Vasco an, er ist wirklich gefährlich. Sie haben ihn tief gekränkt, und ich weiß nicht, ob er momentan den nötigen Gehorsam aufbringt und die Finger von Ihnen lässt.“

Anke hakte sich bei Dierk-Helge ein und stapfte entschlossen los. Obwohl sie ganz links gingen, mussten sie sich an Vasco vorbeizwängen, der stur mitten auf dem Weg stand.

Gerade, als Dierk-Helge den entscheidenden Zentimeter Platz machte, um kontaktfrei an Vasco vorbeizukommen, fuhr dieser eine harte Schulter aus. Einfach nur so, für seine gekränkte Ehre, für sein Ego und für seinen Chef, der alles genau beobachtete. Er traf Dierk-Helge mit einem fiesen Bodycheck, doch nicht mit dem gewünschten Erfolg, denn der nahm seinerseits die Schulter leicht zurück, sodass der Stoß etwas abgefedert wurde. Dann waren sie aneinander vorbei. Dachte zumindest Vasco. Doch eine Zehntelsekunde später landete er zum zweiten Mal an diesem Tag auf dem Rücken. Diesmal allerdings mit einem Resultat, das eine längere ärztliche Behandlung erforderlich machte.

Er hatte den sträflichen Fehler gemacht, seinen Gegner zu unterschätzen und zudem auf einer Distanz anzugehen, in der er seine eigene Kampftechnik überhaupt nicht einsetzen konnte. Dierk-Helge, vom Body-Check beschleunigt, wirbelte wie von selbst in eine Rechtsdrehung, kam in den Rücken seines Gegners und nutzte den Schwung, um seinen Gegner ebenfalls kräftig in der Pirouette mitzureißen. Nicht ohne Eleganz stieg er nun aus dieser Tanzfigur aus und in eine abrupte Gegenbewegung um. Sein Oberarm, der Vasco mit voller Wucht bahnschrankenmäßig am Hals traf, brach dessen Gleichgewicht entscheidend nach hinten. Gleichzeitig wurde ihm nun noch das Standbein weggesenst, was seinen Fall rasant beschleunigte In höchster Not krallte sich seine rechte Hand in Dierk-Helges Hemd fest. Ein weiterer, folgenschwerer Fehler.

Automatisch wurde sein Arm von einem perfekten Streckhebel umschlossen, den Dierk-Helge nun nachdrücklich nach oben durchzog, während Vasco gerade auf den flachen Rücken knallte. Diese gegenläufige Dynamik übersteigt die Belastbarkeit eines menschlichen Ellbogengelenks bei weitem.

Doch damit nicht genug. Der Terrier hatte Blut geleckt, jetzt wollte er Fleisch.

Dierk-Helge ließ sich völlig hinterhältig mit dem rechten Knie auf Vascos kurze Rippen fallen, als dieser auf dem Boden aufgeschlagen war. Das trockene Geräusch klang, wie wenn ein alter Besenstiel bricht. Das reichte. Zufrieden trollte sich der Terrier in seine Hütte, rollte sich zusammen und schloss die Augen zu einem Nickerchen.

Als Dierk-Helge seine Anke beim Arm nahm und die Straße hinab führte, war er plötzlich genau so groß wie sie. Die Welt war in Ordnung, das Leben war schön.

Zurück im Hotel mussten die beiden das Erlebte erst mal verdauen. Dierk-Helge hatte schon wieder eine Scheißlaune.

„War ja klar. Alles umsonst. Der ganze Trip ein Schlag ins Wasser. Ich sage dir: Wenn wir nicht morgen wieder nach Hause müssten, würde ich mir am Montag das Gelände noch mal gründlich vornehmen. Aber wozu? Scheint ja alles koscher zu sein bei Sandmann. Klarer Fall von Denkste. Wahrscheinlich hab ich mal wieder nur die Flöhe husten hören. Hermann hat vermutlich doch recht: Ich sollte einfach mal etwas ruhiger werden, oder? - Anke? Hörst du mir überhaupt zu?“

Verwundert schaute er zu Anke hinüber, die völlig in sein Notebook vertieft war. „Na ja,“ unkte er deprimiert, „is ja auch nicht wichtig.“ Er ging mit einer Flasche Bier auf den Balkon und schmollte. Anke kam hinter ihm her und umarmte ihn sanft.

„Komm, was soll's? Wir haben doch ‘ne tolle Woche gehabt. Super Wetter, geiles Essen, warmes Wasser und sogar etwas Abenteuer. Dem Macho hast du es gründlich gezeigt.“

„Jau, Superurlaub. Nicht mal Fotos haben wir.“

„Wieso? Die habe ich doch schon längst runtergeladen. Guck mal hier!“

Anke hielt ihm das Notebook vor die Nase. Er sah Anke und sich, wie sie sich in einer dunklen, spanischen Kaschemme ein fettiges Küsschen gaben.

„Ich habe schon die schönsten ausgesucht und abgeschickt. Spätestens Mittwoch haben wir ein piekfeines Fotobuch zu Hause. Das wollte ich immer schon mal machen. Guck mal, geht ganz leicht. Du packst alle ausgesuchten Bilder in einen Ordner, lädst den bei diesem Fotodienst hoch und bestimmst nur noch grob das Format. Alles andere geht automatisch.“

Dierk-Helge war perplex. „Wo hast du denn jetzt die Fotos her?“

„Dreimal darfst du raten. Als du mit dem feinen Herrn diskutiert hast, habe ich kurz mal den Chip aus der Kamera gefischt und in meinem Slip versenkt.“

„Aber der liegt doch zertreten vor der Villa.“

„Quatsch, das war mein Reservechip. Hier aus dem Täschchen am Kameragurt.“

Fassungslos blätterte Dierk-Helge im Fotoalbum. Anke verschwand unter der Dusche. Als sie frisch geduscht und zum Anbeißen aufgebrezelt wieder aus dem Bad kam, saß Dierk-Helge immer noch über den Fotos.

„Komisch“, meinte er versonnen, „ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl, als wenn hier irgendwas nicht stimmt.“ Er flippte durch die Fotos, vor und zurück, und verfiel in tiefes Grübeln.

„Ja, ja, los jetzt“, kommandierte Anke. „Ab unter die Dusche und dann was Ordentliches angezogen. Ist schließlich unser letzter Abend. Wir gehen wieder in dieses kleine Restaurant hinten im Hafen, wo wir am Anfang schon mal waren. Ich will unbedingt noch mal diese göttliche Zarzuela Mariña haben. Und dazu den tollen Weißwein. Albariño oder wie hieß der gleich noch mal? Aber nur eine Flasche, ich habe danach noch was vor mit dir an diesem Samstagabend.“

Nur ein Schubs

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