Читать книгу Nur ein Schubs - Jan Bobe - Страница 8
Kapitel 4
Оглавление„Moin Manni!“ Der Tatortwagen stand noch nicht ganz still, da war Kriminalkommissar Dierk-Helge Reuter-Ritterling schon aus dem Fahrzeug und auf seinen uniformierten Kollegen zugesprungen.
„Kannst du mir einen kurzen Überblick geben?“
„Klar, sofort“, meinte Manni freundlich. „Aber lass uns erst auf Hermann warten, dann brauche ich nicht alles zweimal zu erzählen.“ Er beobachtete, wie der alte Kriminalbeamte gemütlich dem Fahrzeug entstieg, längere Zeit im Fond herumkramte und schließlich gemessenen Schrittes auf sie zukam, Spurenkoffer in der Hand und Kamera um den Hals. Er registrierte auch belustigt, dass der junge Dierk-Helge die ganze Zeit nervös auf den Fußspitzen wippte. Sein brandrotes Haar leuchtete in der Morgensonne und bildete einen unglaublichen Kontrast zu seiner nachgerade bleichen Gesichtsfarbe. Otto, Mannis Streifenpartner, redete derweil in der Werkhalle auf einen grauhaarigen Mann in gleichfarbigem Arbeitskittel ein und zeigte dabei auf einen großen Stapel beschichteter Isolierplatten. Der Mann hörte Otto zu, schüttelte dann den Kopf und verschwand im Inneren der Halle. Otto kam zu ihnen herüber geschlendert, die Hände tief in den Hosentaschen und mit offensichtlicher Stinklaune.
„Na, Otto, Deal geplatzt?“ Kriminaloberkommissar Hermann Stratkötter hatte die Situation sofort erfasst.
„Scheiß-Wichtigtuer!“, stieß der Dicke hervor und wandte sich angewidert ab, nicht ohne dem Graukittel einen giftigen Blick hinterher zu schicken.
„Okay, dann kurz zur Lage!“ Manni zückte sein Notizbuch. „Scheint alles nach einem klaren Fall von Car-Napping auszusehen, zum Nachteil des Bauunternehmers Sandmann. Die Täter sind an der Rückfront über die Mauer aufs Dach, haben eine Lichtkuppel aufgehebelt und konnten von dort auf das Hochregal im hinteren Bereich runterspringen. Der Rest war einfach. Sie haben die Tür zum Bürotrakt aufgebrochen, wozu sie ein langes Hebeleisen aus dem Betrieb verwendeten. Im Büro haben sie den Schlüsselschrank von der Wand gehebelt und geknackt. Entwendet wurden drei Fahrzeuge: zwei fast neue 12-Tonner mit Allradantrieb und Ladekran und dann der Mercedes vom Chef. Alles komplett mit Papieren und Originalschlüsseln. Tatzeitraum von Freitag, achtzehn Uhr bis heute Morgen um sechs. Melderin ist Frau Sylvia Lieblich, die Geschäftsführerin. Sandmann selbst ist noch auf Geschäftsreise in Spanien, wird aber jeden Moment zurückerwartet. Das ist auch der Grund, warum sein Mercedes hier untergestellt war. Soweit die Lage. Wie sollen wir den Schriftkram regeln? Wir schreiben wie üblich die Strafanzeige und ihr macht die Spurensuche?“ Hermann nickte zustimmend, aber Dierk-Helge hatte andere Pläne.
„Nee, wir übernehmen komplett.“ Hermann verdrehte die Augen und schickte ein ebenso inniges wie nutzloses Stoßgebet gen Himmel.
„Schreib mir ‘nen Dreizeiler zur Eintreffsituation, alles andere machen wir. Irgendwas stinkt hier.“ Tief in Gedanken versunken wendete Dierk-Helge sich ab und schritt auf den Bürotrakt zu.
Dort trafen sie auf eine Frau, die sich als „Sylvia Lieblich, Geschäftsleitung“ vorstellte. Sie war mittelgroß, mittelschlank und trug mittelblondes, mittellanges Haar. Irgendwie hätte sie insgesamt ziemlich mittelmäßig gewirkt, wären da nicht das schwarze Nadelstreifenkostüm, die schwarzen Pumps, die gestärkte weiße Bluse, die Goldbrille, der teure Schmuck und das aufwendige Make-Up gewesen. Sylvia Lieblich hatte keine Anstrengungen gescheut, sich managermäßig voll aufzubrezeln.
Ihre Haltung wirkte gerade aber weniger autoritär, denn sie kniete auf dem Boden und versuchte erfolglos, den Stahlschrank zur Seite zu schieben, der offensichtlich von der Wand gehebelt und direkt aufgebrochen worden war.
„Finger weg!“ kommandierte Dierk-Helge sofort scharf. Die Frau stand auf, musterte ihn herausfordernd und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe hier eine Firma zu leiten“, schoss sie zurück. „Der Laden muss weiterlaufen, uns geht mit jeder Minute bares Geld durch die Lappen. Dieser Einbruch wirft uns glatt zwei Tage zurück. Sämtliche Termine kippen, wir geraten vertraglich in Verzug. Das zahlt uns kein Mensch!“
„Schon klar“, schaltete Hermann sich diplomatisch ein. „Trotzdem müssen Sie nicht ausgerechnet die Sachen berühren, die auch die Täter angefasst haben. Ich nehme an, Sie brauchen als erstes Ihr Büro wieder zurück?“
Die Lieblich nickte zustimmend. Endlich jemand, der Durchblick hatte.
„Okay, dann fangen wir gleich hier an, umso schneller sind wir durch. Was ist übrigens mit dem Tresor dort?“
„Scheint alles okay zu sein.“
„Können Sie mal nachsehen, ob was fehlt?“ Hermann musterte den alten Stahlkoloss aus Vorkriegszeiten interessiert. Er besaß zwei Zahlenschlösser aus matt blinkendem Messing.
„Nein, die Kombination kennt nur Herr Sandmann.“
Aha, soviel also zum Thema Geschäftsleitung. Interessiert sah Dierk-Helge sich um. Die Fotos an den Wänden zeigten stattliche Segelyachten und Szenen vom Hochseeangeln. Der Chef war verschiedentlich selbst am Steuer und im Kampfstuhl zu sehen. Er schien exklusive Hobbys zu pflegen. Eine ganze Wand war jedoch mit Magnettafeln versehen. Drei verschiedene Bauprojekte waren dort im Grundriss, in verschiedenen Aufrissen und als aufwändige 3-D-Animation zu sehen.
„Das sind die Objekte, die Fa. Sandmann derzeit aktuell realisiert“, erklärte Sylvia Lieblich professionell. „Das ist natürlich nur ein Teil der Auftragslage. Wir hängen immer nur die aktuell im Bau befindlichen Projekte auf, damit die Mitarbeiter sich besser hineindenken können. Ein Bild sagt nun mal mehr als tausend Worte!“
„Was Sie nicht sagen“, meinte Dierk Helge abwesend. Sein Blick blieb auf einem Exposee hängen, das plakativ auf einem Regal stand. „Villas Selva y Mar“ las er.
„Das ist unser derzeitiges Investorenprojekt in Málaga“, soufflierte Sylvia Lieblich sofort. „Ein echtes Sahnestück und äußerst lukrativ. Exklusive Villen, umgeben von einem Naturreservat. Eine abgelegene Bucht an der Steilküste mit eigenem Sandstrand. Wenn Sie interessiert sind, kommen Sie gern zu uns.“
Aber Dierk-Helge war mit den Gedanken schon wieder woanders. Geistesabwesend faltete er das Exposé zusammen und steckte es ein. Dann machten Hermann und er sich an die Arbeit.
Zwanzig Minuten später waren sie drinnen fertig und sichteten das Außengelände.
„Jetzt mal ganz in Ruhe, Roter!“ Hermann Stratkötter fischte sich eine von seinen fiesen gelben Gauloises aus der Hemdtasche und setzte sie mit seinem vorsintflutlichen Flammenwerfer in Brand. Eine herbe Duftwolke aus kohlschwarzem Tabak und Benzin machte sich breit.
„Wie zum Henker kommst du darauf, dass hier irgendwas getürkt ist?“
„Liegt doch glasklar auf der Hand!“ Dierk-Helge schritt gestikulierend auf und ab. „Erstens: Das Brecheisen, mit dem sie die Feuerschutztür aufgehebelt haben, war hier aus dem Betrieb. Mit was anderem hätte man das schwere Ding auch gar nicht knacken können.“
„Klar“, konterte Hermann. „Aber das Oberlicht ist mit einem kleineren Eisen aufgebrochen worden, ebenso der Schlüsselkasten. Roter Lack, handelsübliche Baumarktware. Die haben nicht mit der Feuerschutztür gerechnet, sind mit ihrem Werkzeug gescheitert und haben sich im Objekt was Besseres gesucht. Das erleben wir bei Firmeneinbrüchen doch laufend. Kein Tresorknacker bringt ein Schweißgerät mit, wenn eines vor Ort ist.“
„Ja, aber dann der Mercedes!“ Hermann zuckte unbewusst zusammen. Die Worte ‚Ja, aber‘ aus Dierk-Helges Mund lösten inzwischen allergische Reaktionen bei ihm aus.
„Der Mercedes war nur zufällig hier. Das kann nur ein Insider gewusst haben.“
„Mensch, Dierk, denk doch mal nach! Was wird denn hier die letzten Jahre geklaut wie blöd? Baufahrzeuge halt. Lkw, Bagger, Radlader, Kräne und Gabelstapler. Gerüste nimmt man auch schon mal gern mit. Das Baugeschäft boomt im Osten, die Sachen werden da gebraucht. Jetzt baldowert jemand das Ding hier mit den beiden 12-Tonnern aus und stolpert dabei – hups – über den Mercedes. Was glaubst du, was der macht?“
Aber Dierk-Helge gab nicht auf. Lässig schlug er auf das schwere, mannshohe Rolltor, das gewöhnlich die Zufahrt zum Firmengelände versperrte. „Die Schlüssel fürs Tor waren nicht in der Firma. Die haben nur der Chef, der Hausmeister und die Poliere. Wie glaubst du haben die Einbrecher das auf und wieder zu gekriegt ohne Schlüssel und ohne sichtbaren Schaden?“ Herausforderung und Triumph blitzten in seinen Augen, als er seinen Kollegen ansah. Hermann schaute sich das Tor in Ruhe an. Es wurde elektrisch betrieben und über einen Schlüsseltaster bedient, der sauber in einen Pfosten eingelassen war. Hermann kramte in der Hosentasche und holte ein voluminöses Schlüsselbund hervor. Dann begann er, die einzelnen Schlüssel zu probieren. Schon beim zweiten gab es ein lautes Klicken. Summend sprang ein Elektromotor an und das gut geschmierte Tor schloss sich fast lautlos.
„Kuckma, wieder mal mein Garagenschlüssel. Der passt meistens.“ Hermann grinste zufrieden. „Billiger Baumarktzylinder. Jeder siebte Schlüssel passt.“
Das Rolltor war noch nicht wieder ganz offen, da fuhr ein schwarzer Audi Q7 mit quietschenden Reifen aufs Gelände. Am Hamburger Kennzeichen konnte man leicht erraten, dass es ein Leihwagen war. Ein Mann um die 50 in teurem, zerknittertem Anzug stieg aus und kam forschen Schrittes auf sie zu.
„Sandmann“, stellte er sich vor. „Bernd Sandmann. Ich bin hier der Chef. Meine Mitarbeiterin hat mich eben angerufen. Was ist denn genau passiert?“
Dierk-Helge schmollte gerade, also sprach Hermann mit ihm.
Die Bürotür ging auf. Sylvia Lieblich rauschte auf Bernd Sandmann zu und warf sich ihm schluchzend an den Hals. Hermann glotzte verwundert. Nanu, die arrogante Büroschnepfe von eben schien ja mächtig aufzutauen. Und ihr Arbeitsbereich schien ja auch erheblich tiefer zu gehen, als sie vorhin vorgegeben hatte.
Sandmann tröstete seine Mitarbeiterin. „Komm, Sylvia, ist alles halb so wild. Ich hab schon von unterwegs telefoniert. In drei Stunden stehen hier zwei Leasingfahrzeuge auf dem Hof, dann geht es weiter. Schließlich sind wir versichert.“ „Und ob“, dachte Dierk-Helge grimmig. Hermann konnte ihm erzählen was er wollte. Der war doch eh nur zu faul. Er, Dierk-Helge Reuter-Ritterling, würde seiner Nase folgen. Und wenn hier außer Hermann was faul war, dann würde er das rauskriegen. Er brauchte diesen geschniegelten Typen doch nur anzugucken, um Bescheid zu wissen. Sandmann passte einfach nicht auf den Bau. Der war Sohn von Beruf. Und die heulende Blondine war eindeutig ein Fremdkörper in diesem Betrieb mit ihren Pumps und ihren gestylten Fingernägeln. Aber da war doch eben dieser Graukittel, der Otto abserviert hatte. Das waren gewöhnlich die Leute, die wussten, was Phase war. Dierk-Helge machte sich im Hinterkopf eine Notiz, dem Mann später noch mal auf den Zahn zu fühlen.