Читать книгу Achtsam durch den Tag - Jan Chozen Bays - Страница 19
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Die nichtdominante Hand benutzen
DIE ÜBUNG: Benutzen Sie jeden Tag die nichtdominante Hand für einige gewöhnliche Verrichtungen, wie zum Beispiel das Zähneputzen oder das Haarekämmen, und essen Sie zumindest einen Teil jeder Mahlzeit mit der nichtdominanten Hand. Wenn Sie sich eine große Herausforderung wünschen, dann versuchen Sie, die nichtdominante Hand zum Schreiben oder zum Essen mit Essstäbchen zu benutzen.
Gedächtnisstützen
Eine Art und Weise, sich während des Tages an diese Aufgabe zu erinnern, besteht darin, sich ein Pflaster auf die dominante Hand zu kleben. Wenn es Ihnen auffällt, gehen Sie zur nichtdominanten Hand über und benutzen diese. Sie könnten auch einen kleinen Notizzettel an Ihren Badezimmerspiegel kleben, auf dem „Linke Hand“ steht (wenn Sie Rechtshänder sind). Oder Sie kleben eine aus Papier ausgeschnittene Hand auf Ihren Spiegel, Eisschrank oder Schreibtisch – an einen Platz, wo sie Ihnen auffällt.
Eine andere Methode wäre, etwas am Griff Ihrer Zahnbürste zu befestigen, das Sie daran erinnert, sich die Zähne mit der nichtdominanten Hand zu putzen.
Entdeckungen
Dieses Experiment führt immer zu Gelächter. Wir entdecken, dass die nichtdominante Hand ziemlich ungeschickt ist. Sie zu benutzen, bringt uns zu dem zurück, was Zen-Lehrer den „Anfängergeist“ nennen. Unsere dominante Hand ist vielleicht vierzig Jahre alt, aber unsere nichtdominante Hand ist viel jünger, vielleicht nur zwei oder drei. Wir müssen noch einmal lernen, wie man eine Gabel hält und wie wir sie zum Mund führen können, ohne uns selbst aufzuspießen.1 Vielleicht beginnen wir uns die Zähne ungeschickt mit der linken Hand zu putzen, und wenn wir nicht aufpassen, greift die rechte Hand zu und nimmt der linken die Zahnbürste oder Gabel weg! Sie ist wie die rechthaberische ältere Schwester, die sagt: „Gib her, du Trampel. Ich mach das für dich!“
Wenn wir auf diese Weise darum ringen, die nichtdominante Hand zu benutzen, kann das unser Mitgefühl für Menschen wecken, die ungeschickt agieren, weil sie vielleicht eine Behinderung haben, verletzt sind oder einen Gehirnschlag erlitten haben. Auf einmal sehen wir, wie viele einfache Bewegungen wir für selbstverständlich halten, die andere Menschen nicht ausführen können. Essstäbchen mit der linken Hand zu benutzen, ist eine ernüchternde Erfahrung. Will man nicht mehr als eine Stunde zum Essen brauchen und den Tisch nicht total bekleckern, muss man dabei sehr aufmerksam sein.
Vertiefung
Diese Aufgabe zeigt uns, wie stark und wie unbewusst unsere Gewohnheiten sind und wie schwierig es ist, sie zu ändern, wenn man nicht sehr aufmerksam und entschlossen ist. Außerdem hilft sie uns, den Anfängergeist in sämtliche Aktivitäten – wie etwa das Essen – hineinzutragen, in Tätigkeiten, die wir mehrmals am Tag oft nur mit partieller Aufmerksamkeit ausführen.
Die nichtdominante Hand zu benutzen zeigt uns auch, wie ungeduldig wir sind. Die Übung kann uns helfen, flexibler zu werden und herauszufinden, dass wir nie zu alt sind, um noch etwas Neues zu lernen. Üben wir oft, die nichtdominante Hand zu benutzen, dann können wir beobachten, wie unsere Geschicklichkeit mit der Zeit zunimmt. Ich übe jetzt seit mehreren Jahren, meine linke Hand zu benutzen, und vergesse inzwischen, welche Hand die „richtige“ ist. Das könnte ganz praktische Vorteile haben. Sollte ich meine dominante Hand einmal nicht mehr benutzen können, wie es einigen meiner Verwandten nach einem Schlaganfall ergangen ist, dann wäre ich nicht hilflos. Entwickeln wir eine neue Fertigkeit, dann fällt uns auf, dass noch viele andere Fähigkeiten in uns schlummern. Diese Einsicht kann unsere Zuversicht stärken, dass wir uns mit einiger Übung in vieler Hinsicht selbst wandeln können, sodass wir größere Flexibilität und Freiheit für unser Leben gewinnen. Sind wir bereit, uns Mühe zu geben, dann können wir die Fertigkeiten aktivieren, die aus unserer natürlichen inneren Weisheit entspringen, und können sie in unserem täglichen Leben anwenden.
Der Zen-Meister Suzuki Roshi sagte: „Im Geist des Anfängers gibt es viele Möglichkeiten, doch im Geist des Experten nur wenige.“ Achtsamkeit ermöglicht es uns, zu den grenzenlosen Möglichkeiten zurückzukehren, die immer aus dem großen Mutterschoß des gegenwärtigen Augenblicks hervortreten.
SCHLUSSWORTE: Entfalten Sie in allen Situationen den Anfängergeist, um neue Möglichkeiten in Ihr Leben zu bringen.
1Das hört sich für den kultivierten Europäer, der als Kind gelernt hat, mit Messer und Gabel zu essen, etwas merkwürdig an. Aber die meisten Amerikaner schneiden das, was sie auf dem Teller haben, erst einmal klein und essen dann nur mit der Gabel in der dominanten Hand, wobei die andere Hand unter dem Tisch auf dem Oberschenkel liegt. Herr Knigge rotiert bei diesem Anblick im Grabe – aber so sind nun einmal kulturelle Unterschiede. [Anm. d. Übers.]