Читать книгу Achtsam durch den Tag - Jan Chozen Bays - Страница 23
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Beim Essen nur essen
DIE ÜBUNG: Tun Sie in dieser Woche während des Essens oder Trinkens nichts anderes. Setzen Sie sich hin und nehmen Sie sich die Zeit, das zu genießen, was Sie zu sich nehmen. Öffnen Sie beim Essen oder Trinken alle Sinne. Betrachten Sie die Farben, Formen und Oberflächenbeschaffenheiten. Achten Sie auf die Gerüche und auf die Geschmäcker in Ihrem Mund. Hören Sie auf das Geräusch des Essens und Trinkens.
Gedächtnisstützen
Legen Sie auf den Tisch, an dem Sie Ihre Mahlzeiten zu sich nehmen, einen Zettel mit dem Hinweis: „Nur essen!“ Hängen Sie eine solche Notiz auch überall dort auf, wo Sie zwischendurch etwas essen.
Heften Sie solche Notizen auch an Objekte, die Sie oft ablenken, während Sie essen. Kleben Sie zum Beispiel an Ihren Fernsehbildschirm oder Ihren Computer das rot durchgestrichene Wort „Essen“, um sich daran zu erinnern, nicht zu essen, während Sie diese Geräte benutzen.
Entdeckungen
Diese Aufgabe ist für viele Menschen nicht leicht. Wenn Sie gerade viel zu tun haben und unterwegs gern einen Schluck aus Ihrem Kaffeebecher nehmen würden, dann müssen Sie innehalten, sich einen Sitzplatz suchen und das Getränk genießen. Wenn Sie am Computer arbeiten, dann müssen Sie beide Hände von der Tastatur nehmen und die Augen vom Bildschirm abwenden, um Ihren Kaffee zu genießen.
Das Essen ist zu einem Bestandteil unserer heutigen Gewohnheit des ständigen Multitasking geworden. Bei dieser Übung entdecken wir erneut, wie viele andere Dinge wir tun, während wir essen. Wir essen, während wir gehen, während wir Auto fahren, im Kino oder beim Fernsehen, während wir am Computer arbeiten, Videospiele spielen oder Musik hören.
Haben wir diese offensichtlichen Aktivitäten erst einmal ausgeschaltet, dann kommen wir zu einem unterschwelligeren Aspekt der Unaufmerksamkeit – zum Reden während des Essens. Unsere Eltern haben vielleicht geschimpft, wenn wir mit vollem Mund gesprochen haben, aber wie sich zeigt, essen und reden wir immer noch gleichzeitig. Bei dieser Übung lernen wir, zwischen dem Essen und dem Reden abzuwechseln. Mit anderen Worten: Wenn Sie reden wollen, hören Sie auf zu essen. Tun Sie nicht beides gleichzeitig.
Es ist so üblich, beim Essen soziale Kontakte zu pflegen, dass Sie sich vielleicht seltsam vorkommen, wenn Sie allein in einem Restaurant essen, ohne dabei zu reden oder sich anderweitig abzulenken. Möglicherweise stellen Sie sich vor, dass die anderen Menschen denken: „Die Arme, sie hat keine Freunde.“ Sie nehmen ein Buch in die Hand oder öffnen Ihren Computer, um zu zeigen, dass Sie produktiv sind und keine Zeit „damit verschwenden“, nur zu essen. Ein Problem dieser Art des unbewussten Essens ist, dass Sie schnell mehr als genug essen, was sich dann auf Ihrer Taille niederschlägt.
In Japan und in Teilen Europas gilt es als unmanierlich, im Gehen zu essen und zu trinken. Das Einzige, was man in Japan im Stehen oder Gehen zu sich nehmen darf, ist ein Eis, weil es schmelzen könnte. Dort starren die Leute den barbarischen Ausländer an, der sich Fast Food kauft und kauend die Straße entlanggeht. Selbst Fast Food nimmt man dort mit nach Hause, richtet es appetitlich an und serviert es an einem Tisch. Bei den Mahlzeiten schaltet man einen Gang zurück und genießt wirklich das Essen, das Trinken und die Gesellschaft.
Vertiefung
Warum fühlen wir uns verpflichtet, mehrere Dinge zugleich zu tun und keine Zeit damit zu verschwenden, dass wir „nur“ essen? Es sieht so aus, als machten wir unser Selbstwertgefühl davon abhängig, wie viele Dinge wir an einem Tag produzieren und wie viele Punkte wir von unserer langen Aufgabenliste abhaken können. Essen und Trinken sind Aktivitäten, mit denen wir weder Geld noch einen Partner noch einen Nobelpreis bekommen können. Deshalb beginnen wir zu glauben, sie hätten keinen Wert. Auf Workshops zum achtsamen Essen sagen viele Menschen: „Na ja, ich bringe es einfach hinter mich, sodass ich mit meiner Arbeit weitermachen kann.“ Was wäre, wenn die wichtigste Arbeit, die wir jeden Tag erledigen können, darin bestünde, wirklich präsent zu sein – und sei es nur für 30 Minuten? Was, wenn das wichtigste Geschenk, das wir der Welt machen können, nicht aus irgendeinem Produkt oder einem Gegenwert bestünde, sondern aus unserer Gegenwart?
Wenn wir nicht aufmerksam sind, ist es, als gäbe es das Essen gar nicht. Wir können unseren Teller leeren und uns trotzdem noch unzufrieden fühlen. Dann essen wir weiter und hören erst auf, wenn wir übervoll sind und uns nicht mehr wohlfühlen. Essen wir mit achtsamer Aufmerksamkeit, dann wird sogar die Erfahrung eines einzigen Happens zu etwas sehr Befriedigendem und Reichhaltigem. Dann können wir essen, bis wir uns innerlich befriedigt fühlen, statt immer weiter zu essen, bis wir „voll“ sind.
Der Zen-Mönch Thich Nhat Hanh schreibt:
Es gibt Menschen, die essen eine Orange, ohne sie wirklich zu essen. Sie essen vielmehr ihre Sorgen, ihre Ängste und ihren Zorn, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Sie sind nicht wirklich mit vereintem Körper und Geist präsent. Sie brauchen etwas Übung, sich einfach nur [an ihrem Essen] zu freuen. Es wurde vom gesamten Kosmos nur für unsere Ernährung zur Verfügung gestellt … das ist ein Wunder.
SCHLUSSWORTE: Wenn Sie essen, essen Sie einfach nur. Wenn Sie trinken, trinken Sie einfach nur. Achtsamkeit ist die beste Würze – für Ihr Essen und für Ihr gesamtes Leben. Freuen Sie sich an jedem Bissen, an jedem Augenblick!