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20 Die West Coast Offense

Bill Walsh erschafft eine neue Art Offensiv-Football

Die so genannte West Coast Offense zählt ohne Frage zu den bekanntesten Philosophien im American Football. Kaum eine Football-Übertragung vergeht, ohne dass das System von den Kommentatoren zumindest gestreift wird. Dabei hatte die vom legendären Bill Walsh entworfene Offense ursprünglich überhaupt nichts mit der US-amerikanischen Westküste zu tun. Tatsächlich beruht die Namensgebung des heute so allgegenwärtigen Systems auf nichts anderem als einer Verwechslung, wie Tim Layden in seinem Buch Blood, Sweat and Chalk aufzeigte: Bernie Kosar, Backup-Quarterback der Dallas Cowboys, bezeichnete die Cowboys Offense in einem Interview 1993 als West Coast Offense – allerdings spielte das Team damals etwas gänzlich anderes als das, was heute jedes Kind in den USA als West Coast Offense kennt. Dallas’ Offense hatte seine Wurzeln in den 1990ern in der Air-Coryell-Philosophie, die tatsächlich in San Diego, also an der Westküste, entwickelt worden war. Kosars Bezeichnung wurde in den Folgejahren jedoch unsauber übernommen und verbreitet.


Erfindung aus der Not heraus

Walshs West Coast Offense fand ihren Ursprung im Sommer 1969 in Cincinnati, mehr als 3000 Kilometer von der Westküste entfernt. Walsh arbeitete damals als relativ unerfahrener Assistenztrainer für die Bengals und war mit der aufregenden Aufgabe betraut worden, eine Offense rund um den hochtalentierten Rookie-Quarterback Greg Cook zu entwerfen. Das Problem: Der herausragende Athlet riss sich gleich in seinem ersten Jahr in der NFL die Rotatorenmanschette in der Schulter und startete nie wieder in einem Profispiel. Statt mit Cook musste Walsh plötzlich mit Virgil Carter, einem Quarterback, der nicht annähernd über die physischen Möglichkeiten seines Vorgängers verfügte und kaum einen Pass über 20 Yards anbringen konnte, vorliebnehmen. Aus der Not heraus entwarf der junge Trainer ein komplett neues Offensivsystem und revolutionierte den Football so beinahe von Grund auf. Wegen Carters mangelnder Armstärke setzten die Bengals als erstes Team überhaupt auf eine Offense, die vielmehr horizontal als vertikal funktionierte und den kurzen Pass dabei als ein elementares Mittel nutzte. Walsh installierte ein System, das stärker als jede Offense zuvor über Timing funktionierte. Er synchronisierte alle Routen der Receiver mit den Bewegungen des Quarterbacks und nutzte als erster Trainer überhaupt den Running Back als Passempfänger gegen den Blitz.


Walsh gewinnt dreimal den Super Bowl

Die Erfolge der West Coast Offense konnten sich zwar bereits früh sehen lassen, vollends eroberte Walsh die NFL allerdings erst in seiner Zeit als Head Coach in San Francisco – ironischerweise also doch an der Westküste. Die 49ers wählten gleich in Walshs erster Saison Joe Montana im NFL Draft aus und entwickelten sich zum besten Team ihrer Generation. Zwischen 1981 und 1988 zog Walsh mit seinem Team siebenmal in die Playoffs ein, gewann sechsmal die eigene Division und holte drei Super-Bowl-Titel.

Dass die West Coast Offense noch heute regelmäßig von Experten und Kommentatoren erwähnt wird, ist dabei kein Zufall: Wohl kaum ein Trainer konnte jemals einen derart beeindruckenden »Coaching-Stammbaum« vorweisen wie Walsh. Große Coaches wie Mike Shanahan oder Jon Gruden übernahmen Kernelemente von seinem System und gewannen selbst einen Super Bowl. Noch heute setzen zahlreiche NFL-Head-Coaches wie Gruden, Andy Reid oder Kyle Shanahan im Grundsatz auf die Ideen, die vor mehr als 50 Jahren von Walsh erdacht wurden. In Cincinnati. Nicht an der Westküste.


Bill Walsh mit Joe Montana an der Seitenlinie der San Francisco 49ers

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