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Geschwister

Mein Opa war ein leidenschaftlicher Schwimmbadgänger, der auch gern mich und meinen Bruder mal dahin mitnahm. Ich war fünf oder sechs Jahre alt, ich konnte noch nicht schwimmen und stand am Beckenrand. Ich schaute den Menschen und meinem Opa zu, als ich von hinten einen Stoß erhielt. Ohne dass mir klar wurde, was passiert war, landete ich im Schwimmbecken. Noch bevor ich realisieren konnte, was los war, sprang mein Bruder hinter mir her und fischte mich aus dem Becken, um sich anschließend den Schubser zur Brust zu nehmen. Ab jetzt trug ich immer meine Schwimmflügel, bevor ich in die Nähe des Wassers durfte. Trotz dieses Vorfalls liebte und liebe ich auch heute noch das Wasser und es ist mein liebstes Element. Ich verbrachte immer mal wieder einige Zeit bei meiner Oma und meinem Opa, während wir bei meinem Vater lebten. Ich war gern bei ihnen, denn auch sie schienen sich zu freuen, wenn ich kam. Beide gaben mir Stabilität und es gab kaum Veränderungen. Mein Opa war für die „Bakkschaft“, den Abwasch, zuständig und meine Oma kochte. Mein Opa war früher zur See gefahren und erzählte gern von fernen Orten, die er besucht hatte. Es wurde auf die Minute immer um zwölf Uhr gegessen. Ich weiß nicht, wie meine Oma es machte, doch um zwölf Uhr stand das Essen auf dem Tisch. Nach dem Abwasch las mein Opa noch ein wenig Zeitung auf der Couch und machte dann ein Nickerchen. Nachmittags gab es dann Kuchen oder ich bekam einen Teller mit Granny Smith Äpfeln in Zucker gewälzt und dazu etwas Schokolade. Ich liebte dieses Ritual. Ich saß in der Küche, aß meine Äpfel und hörte meinen Großeltern zu, wie sie sich unterhielten.

Beide flogen gern nach Spanien und eines Tages hieß es auch für meinen Bruder und mich: Ab in den Flieger. Ich war furchtbar aufgeregt. Ich war noch nie geflogen. Zudem hatte ich Angst, im Flugzeug auf das Klo zu gehen, hatte mir meine Mutter doch erzählt, würde ich im Flieger auf die Toilette müssen, würde mich der Sog aus dem Flugzeug saugen. Keine schöne Vorstellung für ein kleines Kind, also mied ich das Klo bis auf Weiteres. Ich war doch erleichtert, als ich im Flugzeug aufgeklärt wurde, dass dem nicht so war. Misstrauisch blieb ich trotzdem.

Mein Bruder und ich teilten uns in Spanien ein Zimmer. Ich glaube, in jenen Tagen in Spanien waren wir uns so nah, wie Brüder sich nur sein können. Der Urlaub war herrlich, wir schwammen und aßen und hatten dank unserer Großeltern eine tolle Zeit. Hätte ich gewusst, was mich die nächsten Jahre erwartet, wäre ich nie wieder in das Flugzeug zurück nach Deutschland gestiegen.

Dennoch endete der Urlaub viel zu schnell und wir traten die Heimreise an.

Das Leben bei unserer Mutter war nicht einfach, denn wir wussten nie, was der Alkohol mit ihr machte.

Mein Bruder entschied eines Tages, dass wir statt der Tapete in unserem Zimmer doch lieber Alufolie als Wandschmuck verwenden sollten und begann gleich, alles damit zu tapezieren. Es gab wirklich keine freie Stelle mehr - damals der absolute Schrei in Sachen Raumgestaltung bei Jugendlichen.

Als unsere Mutter entdeckte, was wir getan hatten, wurde sie wütend. Mein Bruder und ich bemerkten sofort, dass sie betrunken war. Noch bevor wir uns erklären konnten, lallte sie los und riss die Alufolie um uns herum wieder runter. Das war das erste Mal, dass ich meine Mutter wütend sah.

Mein Bruder und ich hatten einige schöne Momente. Es war Sommer, wir hatten kurze Hosen an und wollten raus. Er hatte die Idee, Speere zu schnitzen, um hiermit so eine Art Speerwerfen zu machen. Er schnitzte mir einen Speer und zeigte mir, wie ich damit werfen soll. Ich war hellauf begeistert und fast schon besessen von diesem Ding, also schnitzte er einen weiteren Speer für mich. Ich warf den Ersten los und mein Bruder rannte hinterher, um den Speer zurückzuholen. Ich griff jedoch gleich nach dem Zweiten, den er liegen gelassen hatte. Mit ordentlich Schwung warf ich diesen in die Richtung, wo mein Bruder sich gerade nach dem ersten Speer bückte und nicht sah, was hinter ihm passierte. Der zweite Speer flog los und landete in der Wade meines Bruders, der schreiend zu Boden fiel. Ich rannte ihm entgegen und sah nur noch, wie die Speerspitze aus der Wade kippte und wie ein Löffel bei einer Kiwi ein Stück Fleisch aus dem Bein meines Bruders herausriss. Er schrie vor Schmerzen und der „Spaß“ mit den Speeren war vorbei.

Einige Tage später sah man nur noch eine kleine Narbe. Geblieben ist über die ganzen Jahre bis heute ein Brudergefühl, wenngleich auch nicht so intensiv, wie es hätte sein können, wären wir unter anderen Bedingungen aufgewachsen.

Meine Schwester war zwölf Jahre älter als ich. Ich habe wenige Erinnerungen an sie aus einer gemeinsamen Zeit, was ich bedauere.

Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind gern ihre blonden Haare bürstete. Es gibt einige Fotos von uns beiden, die mich bis heute berühren, weil sie ihre Liebe zu mir spiegeln.

Rote Linie

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