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Die ersten Erinnerungen

Ich war kein Wunschkind. Meine Mutter erzählte mir, dass ich das Ergebnis eines geplatzten Kondoms gewesen sei. Das ist Ironie des Schicksals, denn ich hatte immer das Gefühl, dass ich in dieser Familie nicht den Platz hatte, der mir zustand. Meine Mutter war Alkoholikerin, als ich unterwegs war, und so kam ich schon sehr früh mit dem Gift in Berührung. Jeder weiß, dass Alkohol nicht gerade das Wachstum und die Entwicklung eines Kindes fördert. Dass ich trotz alledem noch so geworden bin, wie ich heute bin, nenne ich Glück, denn aus mir hätte auch ein behindertes Kind werden können. Doch das Leben war zumindest am Anfang auf meiner Seite.

Dennoch habe ich die eine oder andere Störung in Form von langsamer Auffassung sowie beim logischen Denken und strukturierten Arbeiten.

Ich wurde im November 1970 morgens um 10:14 Uhr in einem Krankenhaus in Bergedorf geboren. Meine Mutter nannte mich Bonifacius Kind, da sie gern dieses Bier trank. Ich war gut genährt, als ich auf die Welt kam, was wiederum auf das Bier zurückgeführt wurde. So erzählte man es mir immer wieder aufs Neue, als wäre dies eine Glanzleistung. Wir lebten damals in Hamburg und meine Mutter hatte mich und meinen Bruder zu versorgen. Sie war zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger Hausfrau.

Meine erste Erinnerung an meine frühe Kindheit ist Nikolaus. Meine Mutter wollte mich überraschen und hob mich hoch, damit ich an meinen Weihnachtsstiefel kam, der auf einer Fensterbank stand. Warum auch immer, ich weiß es nicht mehr, begann ich zu weinen. Irgendwie hatte mir der Stiefel Angst eingejagt. Meine Mutter tröstete mich. Das kam nicht sehr oft vor. Jedenfalls kann ich mich, nach diesem Ereignis, nicht daran erinnern, jemals wieder in den Arm genommen worden zu sein. Meine Geschwister waren schon sechs bzw. zwölf Jahre älter als ich und erlebten das Familienleben logischerweise völlig anders. Ich kann mich kaum an eine Kindheit mit ihnen erinnern, sie dafür umso so mehr. Es ist merkwürdig, es sind nur einzelne Begebenheiten und ich kann sie kaum den richtigen Zeiten zuordnen.

Mein Vater liebte meine Mutter wohl sehr. Er ließ ihr vieles, was den Alkohol betraf, durchgehen, was wiederum zur Vernachlässigung von uns Kindern führte. Oft lag ich in meiner eigenen Scheiße in meinem Bett, weil meine Mutter mich vergessen hatte. Sie war mit dem Trinken beschäftigt und mein Vater zeigte selbst kein Interesse oder war arbeiten. Meine Oma und mein Opa väterlicherseits sprangen dann für meine Eltern in die Bresche und holten mich aus dem Elend heraus, wie sie mir später immer wieder stolz erzählten.

Ich kann nur vermuten, dass mein Vater arbeiten war und von alledem nicht viel mitbekam oder mitbekommen wollte.

Jedes Mal, wenn mir meine Großeltern die

>in deiner eigenen Scheiße< Geschichte erzählten, fühlte ich mich beschämt und schuldig. Dieses Gefühl wurde ich nie los in ihrer Gegenwart und leider bemerkten sie es auch nie über die Jahre.

Der Alkohol war ständiger Begleiter meiner Mutter. Aber warum trinkt man? Manchmal hat man Sorgen oder man rutscht durch zu viele Feiern in die Alkoholsucht, was beides ganz gut auf meine Mutter zutrifft. Ich wusste jedoch lange nicht, wie der Alkohol zu ihr gekommen war. Erst Scheidungsunterlagen, die ihr Einsamkeit und Vernachlässigung attestierten, erklärten mir dessen Einstieg in ihr Leben. Ich sollte vielleicht mehr Verständnis haben, denn meine Eltern wurden in den Krieg hineingeboren, jedoch kann ich keine Empathie aufbringen, wenn es um Kinder geht, die vernachlässigt werden. Es bei einem Kind zu versauen, ist eine Sache, aber bei drei Kindern, da ist ein Muster.

Sowohl meine Mutter als auch mein Vater waren durch den Krieg nicht oft in der Schule gewesen. Man könnte sie durchaus als einfach bis dumm bezeichnen, was den Umständen geschuldet war. Wenn ich bei meinen Eltern an das Gefühl von Liebe denke, kann ich mich in dieser Zeit an nichts erinnern, geschweige denn auf Erinnerungen zurückgreifen.

Rote Linie

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