Читать книгу Lesen in Antike und frühem Christentum - Jan Heilmann - Страница 25
3.1.2 Ἀναγιγνώσκω mit zusätzlichen Präfixen
ОглавлениеDurch Präfigierung kann die Wortsemantik des Verbes spezifiziert werden: διαναγιγνώσκωδιαναγιγνώσκω (durchlesen) wird verwendet, um anzuzeigen, dass ein Text, ein BriefBrief bzw. ein BuchBuch oder Werk vollständigUmfangvollständig gelesen wird.
Vgl. Cass. DioCassius Dio. 58,10,7: καὶ τέλος διαναγνωσθείσης τῆς ἐπιστολῆςἐπιστολή πάντες …; Isokr.Isokrates or. 12,201.241, u. Diog. Laert.Diogenes Laertios 2,5,40 verwenden dieses Wort zur Beschreibung des individuellen und evaluierenden Durchlesens eines Redemanuskripts; Polyb.Polybios 3,32,1f hebt die Länge und Anzahl seines Werkes verteidigend hervor. Es sei leichter, seine 40 BücherBuchdurchzulesen (πόσῳ γὰρ ῥᾷόν ἐστι καὶ κτήσασθαι καὶ διαναγνῶναι βύβλους τετταράκοντα …), in denen Geschichte in einem Stück und komprimiert präsentiert sei, als sich die Informationen aus den verschiedensten Quellen episodischer GeschichtsschreibungGeschichtsschreibung selbständig zusammenzutragen. Bei Polyb. 21,11,3 scheint zudem die Sorgfalt beim Durchlesen hervorgehoben zu sein. Vgl. ferner Polyb. 31,14,1; Ael. var.Aelianus, Claudius hist. 14,43; Athen.Athenaios deipn. 3,60 (102b). Bei Diog. Laert. 3,1,66 hat das Verb eher die Konnotation „einsehen, konsultieren“ von spezifischen HandschriftenHandschrift/Manuskript mit kritischen Randbemerkungen.
Die Vergleichsbasis für ἐξαναγιγνώσκωἐξαναγιγνώσκω (LSJ: read through) ist vergleichsweise gering. Zwei Stellen bei PlutarchPlutarch, an denen keine spezifische Bedeutung eindeutig gesichert werden kann,1 stehen zwei Stellen ebenfalls bei Plutarch und Athenaios gegenüber, an denen es offensichtlich zur Betonung der Vollständigkeit des Lesens einer Schrift bzw. im Sinne von „ausgelesen“ gebraucht wird.2 Das Verb παραναγιγνώσκωπαραναγιγνώσκω wird allgemein dazu genutzt, den Vergleich bzw. das vergleichende/paralleleLesenvergleichend Lesen von zwei SchriftmedienLese-medium3 oder – häufig in RedenRede – das kontrastierende VorlesenRezeptionkollektiv-indirekt eines zweiten Textes4 anzuzeigen; oder es wird passend zur allgemeinen Bedeutung im Sinne von „überprüfend konsultieren“ verwendet.
So nutzt Ps.-Plut.Pseudo-Plutarch X orat. 7 (mor. 841f) das Verb im Kontext eines Gesetzes, das vorsah, (autorisierte) AbschriftenAbschrift der TragödienTragödie von AischylosAischylos, SophoklesSophokles und Euripides aufzubewahren, damit die Stadtschreiber diese konsultieren können, um eine Abweichung der Aufführung vom Original zu verhindern (… καὶ τὰς τραγῳδίας αὐτῶν ἐν κοινῷ γραψαμένους φυλάττειν καὶ τὸν τῆς πόλεως γραμματέα παραναγινώσκειν τοῖς ὑποκρινομένοις: οὐκ ἐξεῖναι γὰρ παρ᾽ αὐτὰς ὑποκρίνεσθαι).
Das v. a. von PlutarchPlutarch verwendete Verb συναναγιγνώσκωσυναναγιγνώσκω (mitlesen) kennzeichnet das gemeinsame Lesen (aus) einer Schrift.
Vgl. v. a. die aufschlussreiche Szene, die eindeutig kollektiv-direkteLektürekollektiv-direkt Rezeption belegt, bei Plut.Plutarch de Alex. fort. 1,11 (mor. 332e–333a), in der Alexander nicht-vokalisierendStimmeinsatznicht-vokalisierend einen BriefBrief seiner Mutter liest und dabei merkt, dass Hephaistos über seiner Schulter mitliest. Vgl. auch Plut. de Alex. fort. 2,7 (mor. 340a); reg. et. imp. 27,14 (mor. 180d); ferner de Amic. 11 (mor. 97a) sowie den Verweis auf die Gemeinschaftslektüre von Schriften Platons (ἐν ταῖς Πλατωνικαῖς συναναγνώσεσιν …) in symp. 7,2 (mor. 700c).5 Vgl. außerdem den Verweis auf das gemeinsame Lesen eines Werkes von Hippokrates bei Gal.Galenos Hipp.Hippolytos von Rom fract., ed. KÜHN, 18b, p. 321. PASSOW, 1668, führt noch weitere, allerdings sehr späte Belege an. Interessant ist ferner ein Fragment aus dem Werk von Johannes von Antiochia, der das PartizipPartizip im Sinne von „Mitstudenten“, d. h. Kommilitonen verwendet. Vgl. Iohan. Ant., fr. 218. Dazu passt, dass Marinus von Neapolis sich im 5. Jh. beklagt, er habe es innerhalb von zwei Jahren nicht geschafft, Aristotelesschriften gemeinsam zu lesen: Ἐν ἔτεσι γοῦν οὔτε δύο ὅλοις πάσας αὐτῷ τὰς Ἀριστοτέλους συνανέγνω πραγματείας, λογικάς, ἠθικάς, πολιτικάς, φυσικάς, καὶ τὴν ὑπὲρ ταύτας θεολογικὴν ἐπιστήμην. (Marin.Marinos von Neapolis v. Proc. 13) Dies klingt nach einer Art Philosophenkolloquium, bei dem gemeinsam Aristotelesschriften gelesen und diskutiert wurden.
Προαναγιγνώσκωπροαναγιγνώσκω bedeutet einerseits vorlesen (to read [ahead] in a loud voice),6 wird aber andererseits auch häufig im temporalen Sinne verwendet, um anzuzeigen, dass jemand zuvor/zuerst ein Schriftstück/ein Werk etc. (individuell[!]) gelesen hat.7
Ἐπαναγιγνώσκωἐπαναγιγνώσκω wird genutzt, um das Verlesen, das Lesen aus etwas zu benennen.8 Daneben kann das Verb anzeigen, dass jemand einen Text in voller Länge gelesen hat.9