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8. Kapitel
ОглавлениеOnkel Otto war wieder unterwegs, wo, das sagte er nicht. Er deutete an, er habe in New York zu tun, es sei eine "dumme" Sache, die er zu regeln habe, und er reise höchst ungern. Und so war er nicht da, als Helene zu Hause Ralf sagte, dass Bernd keine Eheschließung wolle.
"Nun, das macht nichts", sagte Helene tapfer, "dann wächst das Kind eben mit meinem Namen auf." Sehr nachdenklich sagte sie: "Vielleicht ist es ganz gut so, ich weiß es nicht. Ich kann Bernd ohnehin nicht halten, und er wäre wohl auch kein guter Vater - nicht im traditionellen Sinn."
Als runde zehn Tage später Otto davon erfuhr, fragte er Helene direkt:
"Wie wichtig ist dir eine Ehe?"
"Aber Onkel Otto, diese Frage hat sich erübrigt", entgegnete Helene ein wenig ungeduldig.
"Das ist keine Antwort auf meine Frage. Wie wichtig ist dir die Ehe?" Onkel Otto war es ernst, wie Helene verwundert feststellte. Er war bislang immer so etwas wie der freundliche Onkel gewesen. Der Eindruck schien sich zu ändern.
"Natürlich, mir ist die Ehe wichtig, aber ich kann ihm ja nicht sagen, du musst mich heiraten. Er würde lachen. Er muss es auch wollen."
Onkel Otto tat etwas, was er bislang noch nie getan hatte. Bereis am nächsten späten Nachmittag suchte er die Gärtnerei auf, sah, wie Bernd eine Kundin bediente. Er wartete geduldig, dann ging er auf Bernd zu und fragte, ohne ihn zu begrüßen:
"Hast du ein paar Minuten für mich Zeit? Ich will mit dir reden."
Bernd hatte Zeit, wenngleich er keine große Lust hatte, sich mit dem Onkel seiner Helene zu unterhalten. Er vermutete mit Recht, dass der Onkel mit ihm über die Ehe mit Helene reden wollte. Er wollte keine Komplikationen, vor allem wollte er sein bisheriges Leben nicht ändern. Genau das würde er auch dem Onkel von Helene sagen.
Otto und Bernd gingen auf den Hof der Gärtnerei. In einer windgeschützten Ecke standen sich die unterschiedlichen Männer gegenüber. Der schöne, große Bernd in Jeans und T-Shirt auf der einen Seite, der schlanke, ebenfalls sehr große, mittelalterliche Otto im grauen Anzug mit dem Gesicht eines Raubvogels auf der anderen Seite. Otto brauchte keine vielen Worte. Aus seiner Brusttasche holte er einen Umschlag heraus und hielt ihn Bernd praktisch vor die Nase.
"In diesem Umschlag sind DM 10.000,00 bar." Otto steckte den Umschlag wieder ein. Leise fuhr er fort: "Sobald du vor dem Standesamt deine Unterschrift geleistet hast, gehört der Umschlag dir." Otto machte eine Pause, dann fuhr er fort:
"Du brauchst nicht mit Helene zu wohnen, sie und das Kind bleiben bei dem Stiefvater, bei Ralf. Du kannst dein bisheriges Leben fortführen, und du gehst auch sonst keine Verpflichtungen ein. Aber du gehst zum Standesamt und unterschreibst."
Bernd schaute Onkel Otto erst ganz verdutzt, dann lächelnd an. Er entgegnete fast freundlich:
"Weshalb denkst du, du könntest mich kaufen? Ich bin nicht käuflich."
Onkel Otto nickte. Auch er lächelte.
"Das freut mich zu hören. Ich bin es auch nicht gewohnt, Leute zu kaufen. Dass ich es jetzt versucht habe, zeigt dir hoffentlich, wie wichtig mir das Wohl von Helene ist. Ich will dir auch sagen, weshalb es Helene wichtig ist, einen Trauschein zu haben." Onkel Otto erzählte, dass Helenes Geburtsschein zeige: Vater unbekannt. Er fuhr fort: "Wenn sie ein Kind von dir bekommt, so soll das Kind einen Namen haben, einen Geburtsschein, auf dem unter Vater wie auch unter Mutter der Name Wolf steht. Das klingt in der heutigen Zeit verrückt, aber ich verstehe Helene."
"Es ist ihr wirklich so wichtig?", fragte Bernd nach einer Weile ein wenig verwundert.
"Ja, so ist es", erklärte Otto. "Und ich wiederhole: Helene bleibt bei uns wohnen, ebenso das Kind, und wir helfen ihr, das Kind auch großzuziehen. Aber es soll einen Namen haben - das sind Helenes Gedanken. Sie will dich nicht drängen, und sie hat keine Ahnung, dass ich jetzt mit dir rede. Auch ihr Stiefvater weiß von nichts. Und dabei soll es auch bleiben."
Bernd nickte mehrfach, immer noch verwundert. Schließlich sagte er:
"Wenn ich heirate, wird ein Teil meiner Freiheit, meines Lebens, verloren gehen."
Otto schüttelte den Kopf. "Nein", betonte er, "du wirst nichts verlieren." Und nach einer Pause sagte er weiter: "Mein Angebot steht. Deine Unterschrift, und du hast das Geld. Erst wollte ich dich einfach kaufen. Jetzt aber habe ich meine Meinung über dich geändert. Nein, du bist nicht käuflich, aber ein Hochzeitsgeschenk würdest du doch nicht ablehnen."
Bernd lachte laut auf und schlug Otto auf die Schulter. Dann nickte er. Ja, es war ein Deal. Dann sagte Bernd noch: "Ich will dir sagen, was ich mit dem Geld tun werde. Ich werde mir eine kleine Werkstatt für meine Holzschnitzereien zulegen und vor allem Geräte kaufen."
Otto sagte ernsthaft: "Tu das, und mir gefällt, dass du daran denkst."
Helene ahnte nichts von der Vereinbarung. Sie freute sich ganz einfach, als Bernd ihr sagte, dass er sie heiraten wolle, und dass die Ehe noch vor der Geburt des Kindes stattfinden solle. Etwas ungehalten erklärte er, dass sich an seinem bisherigen Leben nichts ändern werde. Und dann nahm er sie in seine Arme, und sie wusste, dass sie ihm immer noch verfallen war. In seiner Gegenwart war sie nicht frei, nicht zielbewusst, sondern sie gehörte ihm. Aber sie wusste doch, dass sie ihr eigenes Leben führen müsse, dass sie sich etwas Freiraum bewahren müsse, um nicht "unterzugehen" - nun, der Gedanke war vielleicht zu dramatisch ausgedrückt, aber so ähnlich empfand sie es.
Die Hochzeit fand genau vier Wochen vor der Geburt von Heinrich Wolf statt. Zur Hochzeit gab es nichts, was feierlich gewesen wäre. Es gab das Brautpaar und die Trauzeugen, sie kamen im Standesamt zusammen und gingen anschließend wieder auseinander. Bernd hatte als Trauzeugen eine Kollegin mitgebracht, für Helene war es ihr Stiefvater, begleitet von Onkel Otto, der Bernd den Umschlag mit dem Geld heimlich zusteckte. Bernd nahm den Umschlag entgegen, und er verabschiedete sich von Helene mit einem sehr flüchtigen Kuss.
Helene war nicht enttäuscht. Irgendwie verstand sie, dass Bernd die Trauung nicht gewollt hatte, und dass ihn irgendetwas dazu gezwungen hatte. Dennoch war sie froh, jetzt Helene Wolf zu sein, und ihr Kind sollte auch Wolf heißen. In der Geburtsurkunde sollte nicht "Vater unbekannt" stehen, wie bei ihr selbst.
"Und was machen wir jetzt?", fragte Ralf nach dem Nachhauseweg.
Otto lud Ralf und Helene zu einem Essen ein, dann allerdings müsse er sich seiner Arbeit widmen. Und Helene sagte, sie habe noch an einer Seminararbeit zu arbeiten, und sie sei froh, dass sie dafür die Zeit habe.
Eine kirchliche Trauung hatte es nicht gegeben. Es wurde darüber gar nicht gesprochen. Helene wusste nicht einmal, welcher Konfession Bernd angehörte. Vielleicht war er aus der Kirche ausgetreten, wie Ralf. Das würde zu ihm passen, sinnierte Helene flüchtig.