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14. Kapitel
ОглавлениеHelene hatte ihr Studium Ende 1988 praktisch abgeschlossen, lediglich die Promotion fehlte noch. Sie arbeitete an der Dissertation und bereitete sich gründlich auf eine Diskussion vor. Sie fand in der Kanzlei eine gute Hilfe durch Dr. Abelt Junior, der gern mit ihr arbeitete. Zu seinem Vater, der sich aus Altersgründen inzwischen zurückgezogen hatte, sagte er, dass Frau Wolf ein selten gutes Talent habe, sich auszudrücken, und sie würde sich mehr und mehr zu einer sehr guten Strafverteidigerin entwickeln. Vor allem hatte sie die Eigenschaft, gut zuzuhören. Dr. Abelt bemühte sich um sie nicht nur, weil er von ihren sich entwickelnden Fähigkeiten beeindruckt war, sondern auch, um sie für die Kanzlei zu gewinnen und zu halten. "Die Wolf", so sagte er seinem Vater, "ist mehr als gut."
Helene begleitete Dr. Abelt auch bei Gerichtsverfahren, und der ältere Anwalt ermunterte seine junge Kollegin mehr und mehr, auch Fragen zu stellen, mit dem Staatsanwalt zu diskutieren, oder Zeugen zu befragen und Aussagen zu hinterfragen. Helene lernte dabei viel - und es machte ihr auch Freude. Das Studium und die Arbeit bei und für Abelt waren natürlich nur möglich, weil sich Gerlinde um die Kinder kümmerte, und weil sie keine finanziellen Sorgen hatte. Ralf hatte ihr alles, was er besaß, hinterlassen. Ja, es war nicht besonders viel gewesen, denn Ralf hatte nicht allzu viel verdient. Aber immerhin waren es Guthaben im Wert von fast DM 100.000,00 gewesen. Und dann war Otto da, der die Miete und die Mietnebenkosten, der Gerlinde und die Putzfrau zahlte.
Otto kam jeden zweiten Freitag, das war weniger als sonst. Als Ralf noch gelebt hatte, war er öfter gekommen. Nun aber waren es alle 14 Tage. Er kam zum Abendessen, und er brachte auch immer etwas mit - mal war es geräucherter Lachs, mal Wein. Den Kindern brachte gelegentlich ein Kinderbuch, aber niemals Süßigkeiten, Helene hatte darum gebeten. Diese Zusammenkünfte waren für Helene so etwas wie eine Erholung, denn er konnte gut zuhören. Otto hatte auch immer etwas zu erzählen, und er beschäftige sich ein wenig mit den Kindern, für die er Onkel Otto war. Helene redete ihn mit "Otto" an, darum hatte er ausdrücklich gebeten.
Otto hatte sehr klein angefangen. Als er auf der Haft kam, hatte er mithilfe eines günstigen Kredites, für den Ralf gebürgt hatte, eine Eigentumswohnung gekauft, sie renoviert und sehr günstig wieder verkauft. Er hatte damit gut verdient, sehr gut sogar. Das wiederholte er, dieses Mal war der Nettoerlös etwas geringer. Beim dritten Mal behielt er die gekaufte Wohnung, die er nach Renovierung sehr gut vermieten konnte. Es blieb nicht bei Wohnungen. Bereits nach drei Jahren kaufte er nicht nur Wohnungen, sondern auch Häuser. Das alles war möglich, weil Ralf in der ersten Zeit bürgte, und weil sich Otto selbst die Hände schmutzig machte.
Otto war von Haus aus handwerklich nicht geübt. Aber während der Haft hatte er Hand angelegt, er hatte Zeitungen studiert, vor allem den Wohnungsmarkt, und so nach und nach war die Idee gereift, in diesen sehr unordentlichen Markt einzusteigen. Nach der Haftentlassung brauchte er fünf Jahre, dann öffnete er sein Immobilien-Maklerbüro, die er zwei weitere Jahre später in eine GmbH umwandelte. Parallel dazu kaufte er Anteile eines Immobilienfonds, den er dann übernahm, als der Fonds in eine Schieflage geriet. Innerhalb von 15 Jahren legte er den Grundstein für eine Holding gelegt, die ein Maklerbüro, zwei Fonds und eine Reihe von Anteilen an Industriebetrieben vereinigte.
Otto selbst lebte bescheiden. Glamour, Luxus und der Jet-Set bedeuteten ihm gar nichts. Jetzt wohnte er zur Miete in einem Mietshaus in Harvestehude. Er hatte den gesamten ersten Stock gemietet, in dem sich eine mittelgroße und eine sehr große Wohnung befanden. Er wohnte allein in der kleineren Wohnung, in der größeren Wohnung befand sich sein Büro mit gegenwärtig drei Mitarbeitern, mit denen er seine einzelnen Unternehmen in der Holding überwachte - und die Holding wuchs weiter, denn er fing an, nun auch Einzelhandelshäuser zu kaufen. Die Mietwohnung übrigens gehörte einem seiner Immobilienfonds. Otto hatte auch kein Auto. Gewiss, es gab einen Firmenwagen, aber privat brauchte er keinen Wagen, sagte er. Er hatte keine Probleme, zu Fuß zu laufen oder sich mit den öffentlichen Mitteln zu bewegen.