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3. Kapitel
ОглавлениеHelene stand kurz vor dem Abitur. Lilly hatte die Schule verlassen, sie wollte kein Abitur, sie wollte keine Schule mehr, sondern sie wollte eine Schneiderlehre machen - ihre Mutter hatte zugestimmt, wie Lilly erklärte. Das war auch so etwas wie eine Trennung, denn Lilly mit wechselnden Freunden und einem Berufs- und Lebensweg, der ganz anders war, war einfach nicht mehr da. Man traf sich nicht mehr so oft, was Helene leidtat, wenngleich sie sehen konnte, dass Lilly einfach keine Zeit hatte.
Helene jedoch wollte ihr Abitur machen, obwohl sie nach Lillys Ausscheiden aus der Schule nicht gerne dorthin ging. Sie fühlte sich allein. Nun kam ihre schlanke Größe hinzu, die ihr den Spitznahmen "die Bohnenstange" eingebracht hatte. Das hatte ihr bisher nichts ausgemacht, aber nun, wo es keine Lilly mehr gab, ärgerte sie sich darüber. Die Schule wurde ihr noch unsympathischer. Aber sie wollte weitermachen, denn sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, Jura zu studieren. Warum Jura, hatten sowohl Ralf als auch Onkel Otto gefragt. Helene hatte keine sehr klare Antwort darauf, sie sagte aber, dass sie in der Tageszeitung - es war das "Hamburger Abendblatt" - die Nachrichten über Verbrechensbekämpfung und Gerichtsverfahren mit kritischem Interesse gelesen habe.
"Ich finde, dass Jura sehr interessant ist", behauptete sie, "und das möchte ich lernen."
Onkel Otto machte ihr klar, dass man zwischen dem Strafgesetzbuch, dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Handelsgesetzbuch und anderen gut zu unterscheiden habe.
"Woher weißt du das?", fragte Helene, als Otto mehr in Einzelheiten ging und meinte, dass es nicht nur auf die vielen Gesetze ankomme, sondern auch auf die Rechtssprechung. Auf Helenes Frage hatte Onkel Otto keine Antwort, er meinte nur, dass er im Laufe der Zeit recht oft mit Gesetzen zu tun gehabt hatte.
Und nur wenig später besorgte er einige Gesetzestexte und gab sie ihr. Ja, sagte sie, sie werde die Texte lesen, und das tat sie auch. Sehr zum Erstaunten von Ralf und Onkel Otto. Onkel Otto, der eigentlich nicht viel Zeit hatte, gab ihr 200,00 Mark und sagte, sie solle doch in die Buchhandlung gehen, um sich in der Literatur umzuschauen. Das tat sie auch. Das Abitur schien auf einmal Nebensache zu sein, so sehr befasste sie sich mit juristischen Texten, die sie hoch spannend fand. Ralf schüttelte staunend den Kopf. Er selbst hatte kein Abitur. Er hatte eine kaufmännische Lehre durchgemacht, und damit war er sehr zufrieden gewesen, denn als Filialleiter hatte er einen guten Posten.
Die mündlichen und schriftlichen Prüfungen zum Abitur bestand sie mit sehr guten Noten. Sie hatte, wie ihr Klassenlehrer ihr zum Abschluss bestätigte, eine klare Art, sich auszudrücken. Nein, sie war nicht die beste Schülerin, aber sie rangierte unter den ersten fünf Abiturienten, und das war ihr genug, wie sie sagte. Waren die Prüfungen schwer gewesen? Als Onkel Otto sie das fragte, winkte sie ab, und sie bestätigte, dass sie sich jetzt um einen Studienplatz kümmern werde.
"Tue das", sagte Onkel Otto, dem es gefiel, dass Helene ein Ziel vor Augen hatte, und offensichtlich dabei war, das Ziel auch zu erreichen.