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11. Kapitel

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Otto war erschrocken über das Aussehen von Ralf. Als er sich allein mit Helene in der Küche befand, sagte er:

"Ralf muss ins Krankenhaus!"

Helene stimmte zu, sie entgegnete: "Es wird mit ihm immer schlimmer, aber er will nicht auf mich hören. Ich habe auf dich gewartet - vielleicht kannst du etwas tun." Und sie sagte noch: "Ich hatte mit seinem Hausarzt gesprochen, und als Ralf das erfuhr, war er richtig böse."

Otto ging hinüber ins Arbeitszimmer von Ralf, wo er an seinem Schreibtisch saß - was er tat, war nicht erkennbar. Otto schaute ihn eine ganze Weile an, dann begann er zu sprechen. Er drängte seinen Freund, ins Krankenhaus zu gehen, was übrigens auch der Hausarzt dringend empfohlen hatte. Der Hausarzt hatte eine Überweisung geschrieben, aber die lag unbeachtet auf Ralfs Schreibtisch.

"Und warum gehst du nicht ins Krankenhaus?", fragte Otto. Die beiden Freunde waren allein im Arbeitszimmer von Ralf, die Tür war geschlossen. Ralf zuckte nur mit den Schultern. Dann entgegnete er resigniert:

"Weißt du, ich denke mal, dass es mit mir zu Ende geht."

Otto schaute Ralf eine ganze Weile schweigend an. Ja, sein Freund mochte recht haben, aber so einfach sollte man sich nicht aufgeben.

"Das kann ja sein, aber du bist dir selbst nicht sicher." Otto schaute Ralf an. Dann fuhr er fort: "Du wirst auch nicht damit fertig, dass ein anderer die Filiale bekommen hat, die du eigentlich hattest bekommen sollen. Ich glaube, dass dich das auch bedrückt."

"Woher weißt du die Sache mit der Filiale?", fragte Ralf, aber er war nicht besonders überrascht. Er wusste inzwischen, dass Otto eine Menge von dem wusste, was in der Wirtschaft passierte, und diese Filialkette gehörte nun zu den bekannten Unternehmen.

"Ich weiß es eben, und ich habe angefangen, mir darüber auch Gedanken zu machen. Aber das hat nichts damit zu tun, dass du ins Krankenhaus gehen solltest. Dort kann man genau herausfinden, was dir fehlt, und dann kannst du entscheiden, wie du damit umgehen sollst."

Es brauchte noch einige Überredung, um Ralf tatsächlich ins Krankenhaus zu bringen. Auch Helene schloss sich Ottos Meinung an, und sie meinte, ihr Vater - Stiefvater - dürfe sie nicht allein lassen. Er werde gebraucht, und das wisse er ja auch. Sie und Otto arrangierten dann die Aufnahme im Altonaer Krankenhaus, und es war Otto, der auch ein Einzelzimmer durchsetzte. Auf Helenes Frage, ob denn die Versicherung das Einzelzimmer bezahlen würde, entgegnete Otto:

"Ich kümmere mich um die Finanzen." Und dann lachte er und fuhr fort: "Mach du dir keine Sorgen."

Sie machte sich doch Sorgen. Sie wusste nicht genau, wie viel Geld Ralf verdient hatte. Aber die Wohnung und das Leben mit ihr, mit den Kindern, mit Gerlinde und der Putzfrau - das kostete Geld, was erst einmal verdient werden musste. Ja, sie wusste, dass Onkel Otto ihrem Vater ab und an mit Geld ausgeholfen hatte. Aber woher Onkel Otto das Geld hatte, ahnte sie nicht. Immerhin wusste Helene, dass Onkel Otto in Harvesterhude wohnte. Er hatte dort, wie sie einmal von Ralf erfuhr, in einem Mietshaus eine ganze Etage mit zwei Wohnungen gemietet, in der einen Wohnung wohnte er auch, die zweite Wohnung diente als sein Büro, er hatte die große Wohnung entsprechend umgebaut. Helene war nie dort gewesen, warum auch.

Die Untersuchungen im Krankenhaus ergaben bald, dass Ralf unheilbar an Krebs erkrankt war. Schlimmer noch, der Chefarzt sprach Klartext mit Helene. Es könne sich um drei oder vier Wochen handeln, mehr aber nicht. Ob ihr Vater noch einmal nach Hause kommen könne, wollte sie wissen. Der Arzt riet davon ab. Er meinte, dass man versuchen solle, Ralf schmerzfrei zu halten. Gegen den Krebs, der weiter wuchere, könne man nichts machen, auch eine Operation würde nicht mehr helfen.

Helene rief Onkel Otto an. Ein Herr Roggers meldete sich und fragte, was er für sie tun könne. Ja, sie wolle in privater Angelegenheit mit Herrn Mundt reden.

"Sie sind Frau Wolf?", fragte Herr Roggers. Helene bestätigte das.

"Ich kann Herrn Mundt innerhalb einer Stunde eine Nachricht zukommen lassen", sagte Herr Roggers freundlich, "er wird Sie dann sicherlich anrufen oder aufsuchen."

"Ja, bitte sagen Sie ihm, es handele sich um meinen Vater, Ralf Boring."

Herr Roggers versprach, Verbindung mit Herrn Mundt aufzunehmen. Entweder werde er sie selbst anrufen, oder Herrn Mundt werde sich melden, versicherte Herr Roggers nochmals. Helene sagte noch, sie sei zu Hause und erwarte die Nachricht.

Tatsächlich dauerte es keine Viertelstunde, da meldete sich Onkel Otto. Helene sagte ihm, was sie mit dem Arzt besprochen habe, der deutlich gesagt habe, dass es mit Ralf zu Ende gehe. Onkel Otto hörte sich das ruhig an, dann versprach er, noch an diesem Abend zu kommen. Im Augenblick sei er in Verhandlungen und er könne nicht so ohne weiteres wegrennen.

Onkel Otto kam gegen acht Uhr abends. Gerlinde hatte das Haus bereits verlassen, Helene hatte Heinrich und Charlotte mit zwei Kinderliedern zu Bett gebracht. Ja, sie hatte angefangen, beiden Kindern einige der Lieder zu singen, an die sie sich erinnerte. Ihre Mutter hatte sie oft in den Schlaf gesungen, und diese Lieder hatte sie behalten. Charlotte wusste mit den Liedern, die sie sang, nichts anzufangen, sie war einfach zu klein dazu. Aber Heinrich schien nicht nur die Melodien aufzufangen, sondern auch die Texte, und er schaute seine Mutter mit großen Augen an, wobei er gelegentlich den Mund zu einem Lächeln verzog, dann aber wieder ernst wurde - und schließlich einschlief.

Helene und Onkel Otto saßen in Ralfs Arbeitszimmer. Sie wiederholte, was sie vom Arzt gehört hatte. Ja, Onkel Otto hatte befürchtet, dass sein Freund Ralf sehr schwer erkrankt sei. Was könne man tun?

"Sollte Ralf nicht nach Hause kommen?", fragte Helene, "sollte er nicht in familiärer Atmosphäre sterben anstelle im nüchternen Krankenhaus? Der Arzt sagte, er sei dagegen."

Onkel Otto schien zu überlegen. Dann sagte er nachdenklich:

"Lass mich mit dem Arzt reden - vielleicht kann man etwas tun."

"An was denkst du?", fragte Helene. "Ich hatte bereits mit dem Arzt geredet, und der war dagegen."

Onkel Otto grinste, und er entgegnete: "Was kann das Krankenhaus besser tun als wir hier zu Hause, vielleicht mit einem Pfleger oder einer Pflegerin? Hat ein Krankenhaus mehr Möglichkeiten als wir hier? In Wahrheit ist das eine Frage des Geldes - auch ein Krankenhaus will verdienen. Also reden wir mal mit den Leuten."

Onkel Otto tat das auch am nächsten Tag, und wie er am darauffolgenden Abend sagte, habe auch der Chefarzt einer Verlegung nach Hause zugestimmt, und die Verlegung werde bereits am nächsten Mittag stattfinden. Onkel Otto hatte auch einen ausgebildeten Pfleger aus dem Krankenhaus "ausgeliehen", der für die kommenden Wochen jeden Tag im Hause sein solle, und er hatte auch eine Krankenschwester für die Nächte engagiert.

"Onkel Otto, nun sag mir mal, wie das alles finanziert werden soll", forderte Helene. "Die Krankenkasse wird das alles nicht zahlen, und die Pflegekasse auch nicht."

Onkel Otto zuckte mit den Schultern, schließlich sagte er:

"Ich bin in den letzten Jahren zu etwas Geld gekommen, also mache dir keine Gedanken. Ich tue es für meinen Freund - ich glaube, er ist mein einziger Freund."

Helene schaute Onkel Otto fragend, ein wenig zweifelnd an, sodass sagte:

"Wirklich, ich tue es für einen Freund. Für mich hat er sehr viel getan, als es mir schlecht ging. Und jetzt kann ich zumindest etwas wieder zurückgeben."

Onkel Otto sagte das so ernsthaft, dass Helene nicht weiter bohren mochte.

Die Verlegung vom Krankenhaus nach Hause ging zügig vonstatten, wenngleich das mit einigen Aufregungen verbunden war. Aber Helene war froh, Ralf im Haus zu wissen. Sie arbeitete für ihre Studien in Ralfs Arbeitszimmer, daneben war dessen Schlafzimmer. Sie ließ die Türen offen, sodass sie Ralf hören konnte - und umgekehrt. Jeden Morgen und jeden Abend ging sie mit den Kindern zu Ralf. Die Kinder verstanden nicht, was mit Ralf passierte, aber Ralf sah die Kinder und für Helene war es klar, dass er die Kinder nicht nur wahrnahm, sondern dass er sich sehr freute, sie zu sehen. Onkel Otto kam fast jeden Abend, und er nahm sich für Ralph meistens eine ganze Stunde Zeit. Worüber sich die Beiden unterhielten, wusste Helene nicht, denn Otto machte immer die Tür zu.

Trotz voller Beschäftigung mit Studium, Kindern und Ralf fehlte ihr etwas. Sie war - so glaubte sie - aus dem Gleichgewicht. Wenn sie allein im Bett war, dachte sie an Bernd, und das mit einer solchen Intensität, dass sie eines Nachmittags in der Gärtnerei anrief und Bernd zu sprechen verlangte. Bernd sei nicht da, hatte es geheißen. Das wiederholte sich einen Tag später, dann gab sie es auf. Vielleicht wollte Bernd nicht gestört werden. Ein wenig trotzig sagte sie sich, dass sie Bernd nicht brauche, aber das war natürlich gelogen. Ihre Ehe mit Bernd war keine Ehe, nicht wirklich, aber was hätten sich die Eheleute zu sagen? Wäre Bernd hier, über was würden sie reden können?

Die Wolf

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