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5. Kapitel

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Ralf wachte auf, als Helene nach Mitternacht wieder nach Hause kam. Helene sang leise vor sich hin. Ralf lächelte und er dachte, dass "unsere" Helene einen schönen Abend gehabt haben musste. Ja, das hatte sie auch verdient, sagte er sich noch, ehe er wieder einschlief. Als er wie üblich kurz nach sechs Uhr aufstand, hatte Helene das Frühstück bereits gemacht, und es war, als kenne sie keine Müdigkeit. Warum hätte sie länger schlafen sollen, sagte sie auf seine Frage hin. Sie habe heute früh eine Vorlesung, und die wolle sie nicht verpassen. Sie sagte nichts von der vergangenen Nacht, und Ralf fragte auch nicht. Wenn es nötig sei, würde sie reden, dachte er sich.

Ralf hatte nie bedauert, das Mädchen, das nicht seine Tochter war, großgezogen zu haben - gewiss, in den ersten Jahren zusammen mit seiner Frau Louise, dann mit Ottos Hilfe. Aber sie lebte bei ihm, und immer wieder stellte er freudig fest, dass sie sein Leben schöner machte, reicher. Es hatte natürlich auch Momente gegeben, da er sich über sie geärgert hatte. Vor allem hatte er sich sehr früh daran gewöhnen müssen, dass sie in vielen Dingen einen eigenen Kopf hatte. Aber unterm Strich war sie eine reine Freude. Natürlich vermisste Ralf gelegentlich eine Frau, mit der er sein Bett teilen könnte. Sehr gelegentlich besuchte er eine Freundin, mit der ihn nichts verband als ein intimes Beisammensein.

Helene war Abend für Abend außer Haus. Sie sagte, sie gehe zu ihrem Freund. Ralf fand, dass Helene eine Freude ausstrahlte, wie er es bei ihr noch nicht erlebt hatte. Ganz offensichtlich war sie glücklich - sie war es. Sie war von Bernd fasziniert. Allein die Berührung seiner leicht behaarten, goldbraunen Haut versetzte sie in Ekstase. Bernd nahm sie mit auf seine "Bude", und das war nichts als ein Raum mit einem Bett und zwei Stühlen drin. Nebenan gab es das Bad. Das sei so etwas wie eine Absteige, sagte er ihr - ihr war das recht. Sie hatte nie auch nur geahnt, dass der Geschlechtsverkehr mit Bernd einen so unglaublichen Spaß machen könnte. Dieses Erlebnis war ganz anders als das, was einst Lilly ihr erzählt hatte.

So verfallen sie der körperlichen Berührung auch war, sie verfolgte ihr Studium mit großem Ernst. Vorlesungen und Seminare nahm sie wahr, sie verpasste keine Termine, und sie arbeitete auch zu Hause - bis eben die Zeit gekommen war, zu Bernd zu gehen. Es war Onkel Otto, der Helene einmal bat, Bernd doch einmal mitzubringen und ihm vorzustellen. Otto war einige Wochen unterwegs gewesen, und als er mit Ralf wieder einmal zusammensaß - Helene war unterwegs gewesen - erfuhr er von Helenes Liebesbeziehung zu einem Gärtner. Seine Reaktion war mit der von Ralf vergleichbar, als er sagte:

"Endlich!"

Ralf musste lachen. Otto aber meinte ernsthaft:

"Ich hatte schon gedacht, dass Helene keine Neigung zu den schönen Seiten des Lebens haben würde. Hast du den Freund einmal kennengelernt?"

Am nächsten Tag, es war ein Samstag, war Otto zum Mittagessen erschienen. Helene hatte eine Gemüsesuppe - mit guten Einlagen - gekocht, und sie saßen ganz gemütlich in der geräumigen Küche und aßen ihre Suppe. Helene mochte Onkel Otto, der in Wahrheit sehr wenig sagte, und der einfach da war. Gelegentlich erzählte er amüsante Geschichten, so jetzt von dem, was er in London gesehen hatte und von dem, was in London eben anders als in Hamburg war.

Das Essen war beendet, als Otto, der beim Abräumen des Geschirrs geholfen hatte, fragte, ob man den Freund einmal kennenlernen könnte.

"Ja, warum eigentlich nicht?" entgegnete sie spontan. Dann fügte sie etwas nachdenklich hinzu:

"Er ist eigentlich kein Typ, der in der Gesellschaft einen Platz hat - ich will sagen, er ist so etwas wie ein Einzelgänger, glaube ich."

"Na ja, macht nichts. Lade ihn einmal ein, und wenn ihm das nicht recht ist, wird er ja etwas zu sagen haben", meinte Onkel Otto ganz gelassen.

"Mach ich", entgegnete Helene fröhlich. Ja, sie würde ihn einladen, aber sie bezweifelte, ob er auch kommen würde. Vermutlich nicht. Komisch, wenn sie mit ihrem Bernd zusammen war, wurde nie von der Familie gesprochen, weder von ihrer, noch von seiner Familie.

Die Wolf

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