Читать книгу Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - Страница 29

1.2.3.2 Inhalt

Оглавление

Die Ausführungen zu den diakonischen Konturen im Neuen Testament werden von Überlegungen von Bettina Rost zum sozialen Handeln im lukanischen Doppelwerk eröffnet.1 Sie rekurriert dabei besonders auf die Thematik von ArmutArmut und ReichtumReichtum im Horizont der kommenden GottesherrschaftGottesherrschaft. Sie zeigt, dass als ethische Mitte bei Lukas die Spenden- und Almosenforderung gesehen werden könne.2 Insofern lasse sich sagen, dass Lukas an wohlhabenden Gemeindegliedern interessiert sei, zu denen er ein seelsorgerliches Verhältnis aufzubauen sucht, um sie für seine Argumentation zu gewinnen: „Er ist an ihrer ethischen Umkehr zu den Bedürftigen hin interessiert.“3 Ziel sei es, „eine alternative Lebensweise zu wagen im Dienst der wirtschaftlich Benachteiligten. Dazu gehöre die Bereitschaft zu aktiver WohltätigkeitWohltätigkeit über das gewohnte Maß hinaus, sodass die Gegensätze, die faktisch zwischen Arm und Reich bestehen, verringert werden können.“4 Die MotivationMotivation zu diesem Handeln werde in Lk 6,35f.Lk 6,35f. deutlich: BarmherzigkeitBarmherzigkeit werde möglich, weil Gott barmherzig sei. Der BarmherzigkeitBarmherzigkeit sei so eine eschatologisch-soteriologische Dimension inhärent: „Lukas fordert auf zu SolidaritätSolidarität und VerantwortungVerantwortung für den Mitmenschen, denn nur mit dem Mitmenschen gemeinsam findet der Mensch zum Heil.“5 Damit werde anhand der Ausführungen deutlich, dass „Diakonie“ auch im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit verstanden werden könne, die die Grundlage für das weitere sozial-karitative Handeln darstelle. Abgeschlossen werden Rosts Ausführungen durch Anmerkungen zur Aktualität der Armutsproblematik.

Den umfangreichsten Aufsatz des Sammelbandes bietet Dirk Jonas mit Überlegungen zum Verständnis der „Diakonie“ bei den Evangelisten Markus und Lukas.6 Wie schon bei dem Beitrag von Bettina Rost handelt es sich bei den Ausführungen Jonas’ um Überlegungen, die im Rahmen einer diakoniewissenschaftlichen Abschlussarbeit bzw. Diplomarbeit angestellt wurden. Ziel seiner Ausführungen sei es, Begründungszusammenhänge diakonischen Handelns in neutestamentlicher Perspektive darzustellen, um damit einen umfassenden biblischen Einblick in die Thematik zu bieten. Es erscheint s. E. sachgemäß, von einer Betrachtung des διακον-Wortfeldes ausgehend die biblischen Vorstellungen vorzutragen. Anhand einer Exegese von Mk 10,35–45Mk 10,35–45 mit Bezug auf biblische und außerbiblische Bezüge arbeitet Jonas den markinischen DienstbegriffDienstbegriff heraus, der im Anschluss an Mk 10,45Mk 10,45 von der ganzen Existenz Christi her zu verstehen und als Befreiungstat Christi inhaltlich zu füllen sei.7 Dementsprechend sei die „Befreiung des Menschen als VersöhnungVersöhnung mit Gott und Findung der eigenen IdentitätIdentität […] als Zeichen der in die Gegenwart hineinwirkende basileia Gottes zu verstehen. Mit ihr manifestiere sich der Herrschaftswechsel, der sich in der Existenz Jesu als einer, der dient und bedient werden will, vollzieht.“8 „Diakonie“ in der NachfolgeNachfolge Jesu sei als Befreiung zu verstehen „und zwar in Bezug auf die eigene Person, im Verhältnis zum Mitmenschen und im Verhältnis zu dem, was man besitzt.“9 Der qualitative Unterschied zwischen dem Dienen Jesu und dem Dienen der Menschen sei in dem „LösegeldLösegeld“ zu finden, das diese Befreiungstätigkeit nach Mk 10,45 erst ermögliche. Auf ähnlicher Linie erfolge die Argumentation und Begründung im lukanischen Doppelwerk, in dem das gesamte Wirken Jesu als „Diakonie“ bzw. Dienst verstanden werde, wobei Jesus als Diener wiederkommen werde (vgl. Lk 12,37Lk 12,37). In der Zeit zwischen dem Wirken des irdischen Jesus und dem des Wiederkommenden vollziehe sich der Dienst des Menschen in der NachfolgeNachfolge Jesu und vor dem Horizont des kommenden GottesreichesReich Gottes.10 Dieser Dienst sei als Auslegung des Doppelgebots der LiebeLiebe zu verstehen, wird durch die BarmherzigkeitBarmherzigkeit Gottes motiviert (vgl. Lk 6,36Lk 6,36) und geschehe im GlaubenGlaube. „Das heißt, der Dienst des Menschen erhält seinen Sinn nicht von dem her, was der Mensch tut, sondern vom SelbstverständnisSelbstverständnis des Menschen als Glaubender und zum GlaubenGlaube Gerufener.“11 Für die Charakterisierung der ApostelApostel und des PaulusPaulus in der Apostelgeschichte sei es wichtig festzuhalten, dass ihr Dienst bzw. ihre „Diakonie“ „das Zeugnis vom irdischen Jesus und das Zeugnis vom auferstandenen Jesus“12 darstelle. Somit würden die ApostelApostel die Kontinuität zwischen der Erdenzeit Jesu und der Zeit nach seiner Himmelfahrt gewährleisten. Für Paulus sei anzunehmen, dass sein Dienst in MissionMission, Predigt, Gemeindeaufbau und auch karitativen Tätigkeiten bestand.13 Für die „Diakonie“ der ApostelApostel biete Lk 9,1ff.Lk 9,1ff. eine inhaltliche Konkretion und Füllung, darüber hinaus gehöre nach der Apostelgeschichte die Organisation des Gemeindelebens zu ihrer „Diakonie“. Summarisch sei mithin festzuhalten, dass „auch der Dienst der Menschen, die heute in der Erwartung der Wiederkunft Jesu als Glaubende und zum GlaubenGlaube Gerufene leben, nach lukanischem Verständnis – jedenfalls der Sache nach – zum Zeugnis vor der Welt vom Dienst des gekommenen und wiederkommenden Herrn [werde].“14 Der signifikanteste Unterschied in den BegründungszusammenhängenBegründungszusammenhang bei Markus und Lukas sei in Bezug auf den Tod Jesu zu sehen, dem bei Markus durch das LösegeldlogionLösegeld eine Bedeutung für den DiakoniebegriffDiakoniebegriff zukomme, der dann als Ausdruck von LebenshingabeLebenshingabe zu verstehen sei. Demgegenüber sei im lukanischen Doppelwerk eine pragmatischere Begründung zu finden: „Jesu ganzes Leben und Sterben ist der Dienst, der das Verlorene sucht und rettet, und gilt als bleibendes Kennzeichen, denn er wird als Diener wiederkommen.“15 Für das Matthäusevangelium sei im Anschluss an die WeltgerichtsredeWeltgerichtsrede (Mt 25,31–46Mt 25,31–46) festzuhalten, dass es die „Diakonie“ als ein spezifisches Hilfehandeln zeichne, das sich in praktischen Vollzügen realisiere. „Diese Diakonie wird durch die Wirklichkeit von Leid und Tod geradezu herausgefordert. (Lebens-)Grenzen bedeuten nicht das Ende christlicher Diakonie, sondern markieren gerade auch ihren Anfang und Startpunkt.“16

Auf die Ausführungen von Jonas folgen Überlegungen von Hans-Jürgen Benedict zum DiakoniebegriffDiakoniebegriff, wie er von John N. Collins dargestellt wurde.17 Da Benedicts Auseinandersetzung mit Collins bereits skizziert wurde, sei hier nur der Vollständigkeit halber auf diesen Beitrag verwiesen.18 Auch der den Ausführungen Benedicts nachfolgende Beitrag von Stefan Dietzel setzt sich mit den Überlegungen von Collins auseinander.19 Dietzel zeichnet dabei die Genese der Überlegungen Collins’ nach, indem er sich mit den Ausführungen von Brandt und Beyer auseinandersetzt, auf die sich auch Collins kritisch bezieht. Er kommt zu dem Schluss, dass ein unspezifischer Gebrauch der διακον-Gruppe im Sinne von „dienen“ unstrittig und aus neutestamentlicher Sicht zu bestätigen sei.20 Demgegenüber sei ein spezifischer Gebrauch bzw. eine spezifische Deutung der Wortgruppe schwerer zu erheben – dies würde bereits in der Auseinandersetzung Collins’ mit Brandt und Beyer deutlich werden. Dietzel differenziert zwischen einem soteriologischen Gebrauch innerhalb der Synoptiker sowie einem eher ekklesiologischen Gebrauch innerhalb der Briefliteratur sowie der Apostelgeschichte.21 Dabei seien wechselseitige Beziehungen und Beeinflussungen nicht auszuschließen. Für die gegenwärtige Forschung sei darüber hinaus auch die Bedeutungsentwicklung nachzuvollziehen, die ihrerseits kritisch zu reflektieren sei. Im Anschluss an Ausführungen von Roloff und Georgi differenziert Dietzel entsprechend zwischen „dem Traditionskomplex diakonein in der synoptischen Tradition [mit Bezug auf die Mahltradition, JQ] und diakonos in den Paulinen [ohne Bezug zur Mahltradition, JQ],“22 die sich im Laufe ihrer Entwicklung wohl wechselseitig beeinflusst haben dürften: „Es kann nicht ausgeblieben sein, dass mit den Tradenten verschiedenen Traditionen aufeinander trafen, sich gegenseitig befruchteten oder sich voneinander absetzten.“23 Darum sei eine differenzierte Wahrnehmung der διακον-Gruppe innerhalb ihrer Verwendungszusammenhänge angeraten.

Ähnlich kritisch gegenüber Collins äußert sich Ismo Dunderberg unter dem Titel: „VermittlungVermittlung statt karitativer Tätigkeit? Überlegungen zu John N. Collins’ Interpretation von diakonia“24. Seine Ausführungen lassen eine grundsätzliche Zurückhaltung gegenüber der Innovationskraft der Überlegungen Collins in Bezug und Abgrenzung zur älteren Wissenschaft erkennen. Dunderbergs Darstellungen sind von dem Gedanken getragen, dass ein Text offen für mehr als eine bestimmte Definition sei und sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten für den DiakoniebegriffDiakoniebegriff ergeben würden – eine Absoluterklärung einer bestimmten Deutungsmöglichkeit sei also nicht möglich.25 Einleuchtend erscheint Dunderberg hingegen die Erkenntnis, dass die Aufwartung bei Tisch nicht die Grundbedeutung von διακονέιν, sondern nur einen Aspekt, darstelle und auch nicht unbedingt auf „niedrige“ Tätigkeiten verweise. Der DiakonosDiakonos müsse mithin keine untergeordnete bzw. niedriggestellte Person darstellen. Letztlich weist er darauf hin, dass Collins RechtRecht zu geben sei, wenn er festhält, das „diakonein in griechischen Texten für sich nicht auf WohltätigkeitWohltätigkeit und niedrige Aufgaben hindeutet; diese Bedeutungen sind jeweils kontextgebunden.“26 „Diakonie“, verstanden als FürsorgeFürsorge, sei als Teilaspekt dessen anzusehen, was der Begriff in klassischen und biblischen Texten ausdrückt.27

Ein Beitrag von Dierk Starnitzke beschließt die Zeichnung der diakonischen Konturen im Neuen Testament mit Ausführungen zu Begriff und AmtAmt des „DiakonsDiakon“.28 Dabei werden sowohl die 27 Belege für διάκονοςδιάκονος im Neuen Testament untersucht als auch Bezüge zum nachneutestamentlichen Gebrauch des Begriffs hergestellt. Auch Starnitzke setzt sich in seinen Überlegungen mit den Untersuchungen von Collins auseinander. Ähnlich wie Dietzel kommt Starnitzke zu einem differenzierten zweigeteilten Befund: Innerhalb der Evangelien sei eine Wiedergabe des griechischen διάκονοςδιάκονος mit „Diener“ treffend, während der Gedanke der „Vermittlerschaft“, wie ihn Collins verwendet, an dieser Stelle als weniger tragfähig erscheine.29 Demgegenüber könne der Gedanke des „Dazwischengehens“, wie er bei Collins zu finden sei, in den Paulusbriefen plausibel gemacht werden: „Es geht hier nicht primär um eine existenzielle Haltung, sondern um die Beschreibung einer bestimmten Funktion im frühen Christentum. DiakonosDiakonos meint hier konkrete Personen, die sich erstens zwischen verschiedenen Orten hin und her bewegen und zwischen christlichen Gemeindegliedern oder Gemeinden vermitteln und die dabei zweitens den GlaubenGlaube stärken und das Evangelium verkünden.“30 Dadurch sei zwischen den Evangelien und der Briefliteratur eine Bedeutungsverschiebung festzustellen: Neben den Dienstaspekt, wie ihn die Evangelien nahelegen, treten ferner die Aspekte der KommunikationKommunikation, VerkündigungVerkündigung und Seelsorge sowie der Aspekt der Reisetätigkeiten der „VermittlerVermittler“.31 Gegenüber Dunderberg hält Starnitzke kritisch fest, dass es innerhalb des Neuen Testaments und der Apostolischen Väter nur wenige Anhaltspunkte für ein karitatives Engagement der DiakoneDiakon gäbe.32 In dieser Hinsicht stimme er mit Collins überein, der den Einfluss der Inneren MissionMission des 19. Jahrhunderts auf die gängige Begriffsbestimmung von Beyer deutlich gemacht hätte.

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

Подняться наверх