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SOZIALVERHALTEN DURCH VORBILDER LERNEN

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Wie gesagt: Kinder machen in den ersten sechs Jahren in moralisch-sozialer Hinsicht enorme Entwicklungsschübe durch, die ihnen, aber auch den Eltern viel abverlangen. Von Kindern im ersten Lebensjahr kann man kaum bewusstes soziales Verhalten, schon gar nicht Mitgefühl mit anderen erwarten. Säuglinge sind auf sich bezogen und auf sich fixiert – und das ist gut so. Sozialität wird von den Eltern, genauer: muss von Mutter und Vater sowie anderen Bezugspersonen in dieser Zeit vorgelebt werden. Wenn das Kind geachtet und respektiert wird, wenn Eltern sensibel auf seine Bedürfnisse reagieren, wenn sie dem Kind Bindung geben und ihm das Gefühl vermitteln, dass es so angenommen wird, wie es ist, dann sind erste wichtige Schritte in Richtung einer moralisch-sozialen Entwicklung des Kindes gemacht.

»Aber ich kann es doch nicht gutheißen, wenn mein Großer, der Vierjährige, den Kleinen, den Zweijährigen, schlägt, um etwas zu bekommen oder weil er sich ärgert?«

Eine Antwort: Man kann mit dem Kind in einer ruhigen Phase danach darüber reden, wie es an das Spielzeug kommt, ohne zu schlagen: »Vielleicht fragst du das andere Kind?« Sätze wie »Du willst doch auch nicht, dass dir wehgetan wird?« sind genauso wenig hilfreich wie Aufforderungen zur Selbstjustiz: »Wehr dich!« Oder: »Hau zurück!« Aber auch Drohungen wie »Wenn du das noch mal machst, gibt es keine Gutenachtgeschichte!« bringen nichts. Das führt nur zu dem Gedanken: »Hier hat mich sowieso keiner lieb. Dann kann ich auch so weitermachen!«

Entwicklung in den ersten Jahren

In den beiden Entwicklungsphasen zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr sind drei Aspekte zu berücksichtigen:

 Die gewonnene (Bewegungs-)Freiheit macht nicht nur Mut, bedeutet nicht nur Befreiung, sondern verunsichert zugleich. Das Kind muss sich zwischen verschiedenen Dingen entscheiden und auch die Folgen einer Fehlentscheidung aushalten. Dies führt zu Frustrationen. Wut auf sich und andere kommt hoch. Die Freiräume, die ein Kind zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr erlebt, erobert oder erkämpft, lassen aber auch ein Gefühl von Verantwortung für sich und andere entstehen.

 Es gibt keine Entwicklung ohne Widersprüche. Kinder setzen die erworbenen Kompetenzen nicht nur konstruktiv und produktiv ein. Wenn sie lernen, das Wort »ich« zu sagen, ist das ein bedeutsamer Entwicklungsschritt. Das Kind beginnt damit, sich als eigenständige Person wahrzunehmen. Und dies schließt eine Haltung zu sich und zu anderen mit ein. Mit dem »Ich«-Sagen geht zunächst eine egozentrische Sichtweise einher. Zwar können schon jüngere Kinder mitfühlen und sich ansatzweise in andere hineinversetzen, aber für das konkrete Alltagshandeln hat das nicht unbedingt eine praktische Bedeutung. Die Kinder sind auf sich fixiert, ihnen gehört – im wahrsten Sinne des Wortes – die ganze Welt. Teilen kommt zunächst nicht infrage. Und wenn ein Zweijähriges einen Legostein bei einem anderen sieht, wird es diesen Stein nehmen, ohne zu fragen. Aus der Sicht des handelnden Kindes ist dies nicht unmoralisch oder unsozial. Wenn Kinder ihre ersten Mehrwortsätze sprechen können, sind die Eltern stolz darauf – doch nur, solange die Form gewahrt bleibt und keine ausdrucksstarken Beleidigungen den Kindermund verlassen.

 Jedes Kind hat sein individuelles Tempo, das genetisch bedingt, aber auch abhängig von seinem Temperament ist. Eltern können ihre Kinder bei diesem Tempo begleiten, aber sie sollten sie nicht ständig mit anderen vergleichen. Manche Kinder kommen mit zwölf Monaten ins Trotzalter, andere mit 26 Monaten. Manche Kinder durchschreiten es in zwölf Monaten, andere in zweieinhalb Jahren. Manche Kinder bieten ihren Eltern eine ganze Palette an Emotionen, andere verhalten sich eher schüchtern. Dies gilt es zu bedenken, wenn man Geschwisterkinder durch diese Phase begleitet. Und dies gilt es auch zu berücksichtigen, wenn nun zentrale Entwicklungsschritte vorgestellt werden, um das Trotzalter einzuordnen und zu verstehen.

Geschwister - eine ganz besondere Liebe

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