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»Nun vertragt euch doch mal!«

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Eltern möchten, dass sich ihre Kinder vertragen und respektvoll und achtsam miteinander umgehen. Kaum etwas ist ihnen unangenehmer und bereitet ihnen mehr schlaflose Nächte, als wenn Geschwister – mal wortreich und lautstark, mal beißend, schlagend, stoßend – Konflikte miteinander austragen. »Nun streitet doch nicht immer!« Dieser Stoßseufzer gehört genauso zu den elterlichen Standards wie der häufig vorgetragene Wunsch: »Nun vertragt euch doch mal!« Doch Geschwisterkinder ins Leben zu begleiten – das ist kein Wunschkonzert. Das sind die »Mühen der Ebene«, die es mit Hausmitteln zu bewältigen gilt – mal besser, mal weniger gut, mal verbunden mit dem Gedanken: Bald werden sie schlafen und zur Ruhe kommen und getragen von der Hoffnung, die Udo Lindenberg in seinem Lied besingt: »Hinterm Horizont geht’s weiter!«

Ein neuer Tag, ein neuer Versuch, irgendwo findet sich schon ein (Aus-)Weg! Oder genauer: Wer mit den Geschwisterkindern den Alltag bewältigen will, der muss Umwege einkalkulieren. Umwege erweitern die Orts-, sprich Menschenkenntnis. Soll heißen: Wer danach fragt, wie er Streitigkeiten zwischen Geschwistern am besten lösen und bei Reibereien zwischen Bruder und Schwester richtig reagieren soll, der befindet sich auf dem Holzweg. Durchwurschteln ist angesagt – aber auch, sich seiner Erziehungsverantwortung trotz allem bewusst zu sein. Und obendrein nicht abzustürzen! Das ist eine Übung, die nicht jeden Tag gelingen kann.

AUS DEM FAMILIEN-LOGBUCH

Alu Kitzerow erzählt: »Neulich wollten wir essen gehen, mit den Kindern. Zu meinem Geburtstag hatten wir uns das so richtig schön vorgestellt, mit allen an einem runden Tisch. In der Mitte stapeln sich kleinere Tapas, jedes Kind isst ganz genüsslich seine Portion, und wir reden so über dies und das. Ich googelte schon nach kleineren Restaurants in unserer Gegend und fing an, mich zu freuen … Bis dann Konstantin, mein Mann, plötzlich so seltsam fragte: ›Willst du das wirklich? Kannst du dich noch an das letzte Mal erinnern?‹ Und ich stockte, nahm die Finger vom Handy und schaute auf. Das letzte Mal im Restaurant mit den Kindern – was war da noch mal? Und dann kam die Erinnerung:

Es war Sonntagmittag, und wir betraten zu fünft das Restaurant. Die Kinder waren bereits hungrig, denn wir waren schon draußen unterwegs gewesen. Gemeinsam pellten wir die Kinder aus ihren Jacken. Eines stürmte bereits davon und suchte einen kleinen Tisch am Fenster aus, natürlich am anderen Ende des Ladens. Lautstark durchquerten wir den Laden, die Kinder diskutierten nämlich über unsere Restaurantentscheidung: ›Oh Mann, ey, warum keine Burger beim großen M?‹ Die anderen Gäste guckten natürlich schon, ein Gemurmel setzte ein. In der Tasche hatte ich Minibuntstifte dabei – ich bin doch Profi!

Am Tisch erschien nach ellenlanger Wartezeit (oder waren es doch nur drei Minuten, die einem mit durchdrehenden Kindern so furchtbar lang erscheinen?) eine Kellnerin, um nach den Getränken zu fragen. Die Kinder wollten Fanta, Sprite, Fanta – nein, vielleicht doch Apfelschorle –, Fanta oder Sprite? Und es bildeten sich die ersten Schweißtropfen auf meiner Stirn. Ich bestellte mir eine Cola, vielleicht half Koffein.

Als die Getränke kamen, tauschten die Kinder Strohhalme aus, schoben Gläser hin und her, stritten sich um die Buntstifte – alles wie zu Hause. Wir lasen den beiden Kleineren die Speisekarte vor. Es gab viele großartige Kindergerichte, aber ein Kind wollte nur Pommes, eines Nudeln ohne alles und eines Reis mit Sojasauce. Natürlich führte das Restaurant nicht alle diese Beilagen, also fing das Feilschen an. ›Spätzle, das könnten doch auch Nudeln sein.‹ Oder: ›Pommes sind eigentlich nur Kartoffeln in anderer Form‹ – und so weiter. Andere Restaurantgäste versuchten bereits, ihren Tisch in unserer Nähe wegzutauschen … Wenn jemand hier in diesem Laden ›in entspannter Stille‹ essen wollte, dann hatte sich das mit dem Besuch unserer Großfamilie wohl erledigt.

Das Essen war bestellt, ein Streit um die Bierdeckel entstand, und die Kleinste versuchte erneut, die Tischdecke anzumalen. Konstantin und ich waren in einer Schleife von ›Lass das!‹, ›Nein, das nicht!‹ und ›Jetzt gibt es kein Handy!‹ gefangen.

Als schließlich jeder seinen Teller vor der Nase hatte und ich während des Gemüsezerteilens versuchte, den Moment doch noch zu genießen, stritten sich alle Kinder um das eine, nämlich das ›beste‹ Essen. Keiner erinnerte sich mehr daran, sein Gericht selbst gewählt zu haben. Alle wollten jetzt Nudeln mit Soße. Der Ton wurde lauter, die Gesten wilder, zum x-ten Mal wiederholte ich: ›Nun vertragt euch endlich und esst euer Essen!‹ und dachte nur: Warum zur Hölle habe ich eigentlich geglaubt, es sei eine tolle Idee, mit den Kindern in ein Restaurant zu gehen? Was genau ist da in mir falsch abgebogen? Meine fixe Idee von ›Wir gehen mal locker vom Hocker mit allen essen‹ ist nicht so einfach zu erfüllen.

Stimmt, ich erinnerte mich … Der letzte Versuch war noch gar nicht so lange her. Nachdem die Kinder im Restaurant noch Fangen gespielt hatten, ein Glas Sprite auf dem Boden gelandet war und ich mein Essen hastig runtergeschlungen hatte, murmelte ich im Auto einfach nur noch vor mich hin: ›Das machen wir nie wieder …‹

Anscheinend verblassen diese Erinnerungen aber schnell (schneller als die an die Geburten), und plötzlich war da dieser Wunsch, doch mal wieder essen zu gehen, so mit Sitzen in einem Restaurant und allem. ›Doch, doch, wir machen das!‹, antwortete ich Konstantin auf seine Frage, ob ich mich erinnern würde. Und dann schrieb ich der Babysitterin, ob sie nicht Zeit habe, auf die Kinder zu schauen, ich würde so gern mal wieder in entspannter Stille essen gehen …«


Geschwister - eine ganz besondere Liebe

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