Читать книгу Occido - Jana Bacher - Страница 10
Action – Der Musterschüler
Оглавление„Sie haben hier eine gute Arbeit abgeliefert, Charms Krystofiak.“
Mit einem Lächeln kommentierte Charms das Kompliment seines Dozenten, der sich hinter dem goldgravierten Hinweis auf seine Kolonne an akademischen Graden und dem gedruckten Stapel Papier versteckte, den er selbst ihm vor Wochen zum Thema Römisches Recht abgegeben hatte. Charms hatte ewig daran gesessen, immerzu nach dem Gedanken einer Lobeshymne auf seinen Fleiß und seine Kompetenz gelechzt, die er nun, da sie ihm vorgetragen wurde, betont bescheiden entgegennahm.
„Ich bin zugegebenermaßen beeindruckt“, fuhr der Dozent namens Klein fort. „Aber ich denke, Sie könnten noch ein Stück besser werden, wenn sie ein wenig an ihrer Einstellung arbeiten. Ich beziehe mich damit weniger auf den Verlauf Ihres Studiums als auf Ihre spätere Berufslaufahn als Anwalt. Das ist Ihr angestrebtes Berufsziel, wenn ich mich nicht irre?“
Charms nickte. „Darum studiere ich Jura, Professor.“
Wie wenn er eben jenes Schlagwort serviert hatte, das der in die Jahre gekommene Dozent sich erwartet hatte, breitet dieser die Arme aus und ließ sich zufrieden in seinen Stuhl zurücksinken. „Ah, sehen Sie, ich wusste es doch! Sie sind dafür gemacht, Herr Krystofiak, keine Frage, ich erkenne den Geist des Rechts, wenn er mir gegenüber sitzt. Dennoch muss ich gestehen, bin ich ein wenig in Sorge um Sie, und zwar schon seit einiger Zeit.“
Jetzt war es an Charms, sich zurückzulehnen. „In Sorge um mich?“
„Sehr wohl. Sie arbeiten hart und sehr viel. Einige würden behaupten, Sie verausgaben sich. Mit ihren Kommilitonen pflegen sie einen regen, doch vorwiegend oberflächlichen Kontakt, nicht wahr?“
Etwas Schweres, Kummervolles lag in der Art, wie der alte Mann ihn musterte, und vor dem Charms unvermittelt das Bedürfnis verspürte, sich tief in die Polsterung seiner Sitzgelegenheit zu verkriechen. Er hob das Kinn. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.“
Aus der Hymne an Charms Krystofiak war jäh, so schien es ihm, ein ausschweifendes Kritikschreiben geworden, mit dem er sich in keiner Weise auseinandersetzen wollte. Der alte Dozent sprühte ein offensiv allwissendes Lächeln über seine zweifellos unterkühlte Reaktion. Charms schielte auf das Schild, das Namen und Status seines Gegenübers preisgab.
Klein. Dr. Dr. Dr. davor. Die Ironie dieser eigenwilligen Titel-Namen-Verpaarung ließ ihn in stummem Amüsement kurz innehalten.
„Sind Sie sicher, dass sie sich über ihre Hingabe an das Studium ausreichend Schonpausen gönnen, Herr Krystofiak? Die Jugend ist eine knapp bemessene Zeit, das sollten Sie nicht vergessen. Fleiß und Ehrgeiz sind lobenswerte Tugenden, doch sie könnten Ihnen irgendwann zum Verhängnis werden. In unserer Berufslaufbahn brennen Sie auf diesem Weg möglicherweise aus, ich weiß, wovon ich spreche. Und ich würde es zutiefst bedauern, Ihr Feuer allzu früh zu Asche verfallen zu sehen, nur weil Ihnen in ihrer Jugend niemand je den Rat der Selbstfürsorge gab.“
Eine vertraute Regung in Charms sprang auf wie eine Schlange aus dem Dickicht, bereit zum Biss, bereit, Gift zu spritzen. Es war das unbeugsame Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, sich in ein anderes Licht zu rücken, das vorteilhafter auf sein Gesicht fiel. Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Sehr freundlich, dass Sie sich so viele Gedanken um mich machen. Ich versichere Ihnen, dass kein Grund zur irgendeiner Form des Bedenkens besteht. Erst gestern war ich mit Freunden aus. Es war eine lange Nacht, was vielleicht auch meinen Aufzug entschuldigt. Gibt es noch etwas, über das Sie gerne sprechen wollten, Professor?“
Der Professor mit den großen Titeln und dem kleinen Namen sah enttäuscht aus. Wieder holte die Schlange aus, doch Charms konnte sie gerade noch am Genick packen und vom Biss abhalten. Er war niemandem Rechenschaft schuldig. Er hatte eine gute Arbeit abgeliefert. Alles andere war nebensächlich.
„Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Charms“, sagte Klein bedauernd.
„Das sind Sie nicht.“
„Tun Sie mir trotzdem den Gefallen und nutzen Sie die verbliebene Ferienzeit, um sich gut für das bevorstehende Semester vorzubereiten. Und damit meine ich nicht den Lernstoff für das kommende Semester.“
„Das werde ich“, sagte Charms und erhob sich eilig. „Danke fürs Gespräch, Professor Klein.“
„Ich muss mich bedanken“, erwiderte dieser, rückte sich in seinem Stuhl zurecht und sah Charms aufmerksam an. „Nochmals eine herzliche Gratulation zu Ihrer Arbeit, Charms. Wir sehen uns im Oktober.“