Читать книгу Occido - Jana Bacher - Страница 15

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Joe war unheimlich wütend, das Team hadernd bei seinem Versuch, ihn zu beruhigen, auch, wenn dass das unerwartete Auftauchen Maria Krystofiaks am Set sie alle spürbar aus der Fassung brachte. Selbst Charms und Peter trauten ihren Augen kaum: Im dunkelgrünen Kostüm, einem dazu passenden Hut, einer teuren Sonnenbrille und jenen hochhakigen Schuhen, die sie für gewöhnlich zu tragen pflegte, hatte sie sich an den Sicherheitskontrollen vorbei argumentiert, direkt in Charms‘ und Peters gemeinsame Szene im Café del Mar, die just im Augenblick ihres Hereinschneiens abgedreht worden war.

„Was tust du hier?“, herrschte Joe sie an. „Das ist gegen die Vereinbarung! Du sollst den Drehort während unseres Arbeitsprozesses nicht aufsuchen! Himmel, bin ich der Einzige hier, der sich an die Regeln hält?“

Die Mundwinkel von Charms‘ und Peters Mutter versteiften angesichts des rüden Tonfalls, der ihr gegenüber angeschlagen wurde. Sie riss sich die Sonnenbrille vom Gesicht und präsentierte das sorgfältig geschminkte Gesicht einer Frau, deren glasige Augen ihr eigenes malerisches Werk bereits ein wenig angekratzt hatten, das sie aber immer noch erhobenen Kinns präsentierte. Seine Mutter sah deutlich älter aus seit Charms sie das zuletzt gesehen hatte. Und sie hatte geweint. Weswegen?

„Ich besuche meine Söhne, wann immer es mir beliebt, Joe“, sagte sie hoheitsvoll. „Davon wirst weder du noch ein lächerlicher Vertrag mich abhalten, gewöhn dich dran!“

„Aber – unmöglich!“ Joe war vollkommen außer sich, nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen. Der Schweiß sammelte sich in fetten Perlen auf seiner Stirn. „Maria, keine Besuche am Set! Was denkst du dir dabei?“

„Ich denke mir, dass ich gerne meine beiden Jungs sehen würde. Deswegen bin ich hier.“

Ohne weiter auf Joe einzugehen, der heillos die Arme über dem Kopf zusammenschlug, drehte sie sich zu Charms und Peter, die angesichts des unerwarteten Auftauchens ihrer Mutter wie die Zinnsoldaten vorm Café del Mar standen und gleichermaßen um eine passende Reaktion verlegen waren.

Tatsächlich war es abgesprochen gewesen, dass sie einander in den nächsten Wochen keine Besuche abstatteten, keine Telefonate führten, generell den Kontakt zueinander vorübergehend einstellten. Und doch stand ihre Mutter nun vor ihnen und ihre Lippen verzogen sich zu einem labilen Lächeln angesichts der vereisten Mienen ihrer Söhne. „Charms, Peter! Wie freue ich mich, euch zu sehen!“

Sie umarmte Charms, der die Umarmung nach Verwinden des ersten Schocks innig erwiderte, doch Peter entzog sich der liebgemeinten Geste, als hätte er sich an ihrer Mutter die Haut verätzt.

„Was machst du hier?“, fragte er und in seiner Stimme schwang pfeifende Kälte mit. Mams Lächeln geriet ins Kippen, und sie riss sich sichtbar am Riemen, um nicht zu zeigen, dass seine Zurückweisung sie verletzte.

„Ich wollte euch besuchen“, sagte sie, wobei ihre Stimme ein wenig wackelte. „Wir haben uns seit Wochen nicht mehr gesehen.“

Ein schiefes Grinsen deformierte Peters Gesicht. „Ist ja nicht so, als ob wir uns sonst wöchentlich zum Nachmittagscafé getroffen hätten.“

„Hey!“, warf Charms scharf ein. „Rede nicht so mit ihr!“

„Ja, ja.“ Peter zog eine der Zigaretten hervor, die er eben noch in ihrer Szene im Café geraucht hatte. Als er Marias Blick auf sich brennen spürte, hielt er ihr feixend die Packung hin. „Willst du eine?“

Maria hatte das Rauchen vor etwa einem Jahr, nicht ohne Rückfälle, eingestellt und dementsprechend schien es sie aus der Bahn zu werfen, dass ihr Ältester ihre abgebrochene Laufbahn nun aufgenommen hatte. Was eine gewisse Ironie nicht entbehrte, denn sie wusste sehr genau über Peters Drogeneskapaden Bescheid, und man hätte meinen können, dass nichts was er tat, sie noch hätte erschrecken können. Allerdings schien sie sich in keinem guten Allgemeinzustand zu befinden und Peters derb neckisches Verhalten machte die ganze Sache nicht besser.

Verärgert riss Charms seinem Bruder das dargebotene Zigarettenpäckchen aus der Hand. „Du bist so ein Idiot!“

Doch Peter hatte dafür nur ein dreistes Lachen übrig. „Ach übrigens, Mam – es war vollkommen überflüssig, dich gestern anzurufen und nach Charms‘ Adresse zu fragen. Ich wusste sie schon vorher, weil ich vor ein paar Wochen bei ihm war. Joe fand aber, unser Telefonat gäbe eine – wie war das? – ach, ja: schlüssige und runde Szene ab. Als ob ich dich je wegen sowas anrufen würde. So viel zum Thema real.“

Er hatte sie auf Joes Geheiß hin angerufen, um Charms‘ Adresse zu erfragen? Und nun gab er großspurig Preis, dass er vor Wochen gegen den bereits bestandenen Vertrag verstoßen hatte, um Charms zu sprechen? Lief der Trottel eigentlich noch sauber?

„Pass auf, was du sagst, Bürschchen, ich warne dich!“, bellte Joe, während Peter unbeeindruckt den aufgeatmeten Rauch seiner Zigarette auspustete und die sich auftürmende Asche am Ende der Kippe zu Boden regnen ließ.

„Okay, dein kleiner Goldjunge hat bestimmt Zeit für dich.“ Das galt Mam, die wie versteinert stand und Peter aus geröteten Augen anstarrte, als sehe sie ihn zum ersten Mal. „Ich jedenfalls muss mich auf die nächste Szene vorbereiten. Schließlich soll ja alles schlüssig und rund wirken. Man sieht sich.“

Damit hob er die Hand und schlenderte ohne ein weiteres Wort vom Schauplatz. Charms sah, wie sich einige der Kameraleute um ihn scharten, um ihn zu den Bussen zu geleiten, die sie wieder ans Set bringen würden.

Mam schlug die Hände vors Gesicht. „Mein Gott, mein Gott!“

Charms nahm sie in die Arme, während er angestrengt die Tatsache auszublenden versuchte, dass das halbe Team, inklusive Joe, immer noch um sie versammelt stand und das Szenario argusäugig beschattete. „Du kennst Peter doch, er meint das nicht so. Komm schon, lass uns woanders hingehen…“

„Vergiss es, Charms, ihr bleibt schön hier!“, keifte Joe und stellte sich ihnen mit verschränkten Armen in den Weg; eine Haltung, die seine massige Figur zusätzlich betonte. „Allein dass sie hier ist, gefährdet das Projekt. Keine privaten Unterhaltungen, ist das so schwer zu kapieren?“

Charms hob an: „Aber wenn…“

Doch Joe ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Nein, und Punktum! Maria, geh bitte, du bringst den Jungen ja ganz durchei-…“

Wimmernd verfestigte Maria ihre um Charms‘ Hals geschlungenen Arme. Für Außenstehende musste es wie ein Anfall übermütterlicher Zuneigung aussehen, eine Mutter, die gewaltsam von ihrem Kind weggerissen wurde, und bis zu einem gewissen Grad mochte das auch stimmen, weitaus weniger offensichtlich allerdings dürfte Maria Stimme am Ohr ihres Sohnes gewesen sein.

Charms, versuch zu entkommen. Nimm Peter mit und versuch zu fliehen.“

„Was erzählst du ihm da?“, rief Joe dazwischen und ehe Charms sich versah, hatte er auch schon einen Hechtsprung vorwärts getan und Maria gewaltsam Charms‘ Armen entrissen. „WAS HAT DU EBEN ZU IHM GESAGT?“

Er hielt Mam wie mit einem Schraubstock am rechten Arm umklammert, sodass sie sich ihm unmöglich entwinden konnte. In ihrem Gesicht zeichneten sich Angst, aber auch Entschlossenheit, greifbare, spürbare Entschlossenheit, deren Quelle Charms nicht ausmachen konnte. Noch nie hatte er seine Mutter so gesehen.

„Ich habe nichts gesagt“, flüsterte Mam mit stählernem Trotz, der charakteristisch stark an Peter erinnerte. „Rein gar nichts.“

Sie versuchte, Joes Hand abzuschütteln, doch der war bedeutend stärker als sie und scheinbar fest entschlossen, das in diesem Augenblick auch mit aller Macht zu demonstrieren.

„DAS WILL ICH DIR AUCH, VERDAMMT NOCH MAL, GERATEN HABEN!“

„Onkel Joe!“ Charms sprang dazwischen. „Lass sofort meine Mutter los, hör auf damit!“

Zu seiner vollkommenen Verblüffung leistete Joe seiner Aufforderung Folge und löste seine verdickten Finger von Mams Handgelenk, konnte den giftigen spöttelnden Ausdruck, der sich in sein Gesicht gefressen zu haben schien, jedoch nicht abschütteln.

„Tut mir leid, Charms“, sagte er und ein klangvoller Hohnakkord schwang in seiner Stimme mit. „Natürlich lasse ich deine Mutter los. Wenn du es sagst.“

„Du Bastard“, flüsterte Mam kaum hörbar. „Du verfluchter Bastard.“

„Du gehst jetzt wohl besser“, sagte Joe forsch, ohne Hinweis, ob er sie gehört hatte oder nicht. „Und zwar gleich, sonst hole ich den Sicherheitsdienst.“

Kurz sah Mam aus, als wollte sie etwas erwidern, ließ es dann aber sein und schloss Charms ein letztes Mal lose in die Arme, bevor Joe reagieren konnte.

„Denk daran“, wisperte sie ihm ins Ohr. „Und sag Peter, dass es mir leid tut.“

„Was…“

„Maria!“, polterte Joe, und sie drückte Charms einen eiligen Kuss auf die Wange, löste sich von ihm und wurde von zwei schwarz gekleideten Gestalten unter Charms‘ entgeisterten Blick vom Set geführt.

Seine Mutter und Joe hatten in der Vergangenheit häufig gestritten, nie jedoch war er dabei so außer sich gewesen, niemals handgreiflich geworden. Und er kannte Joe schließlich sein ganzes Leben lang. Früher, als er und Peter noch jünger gewesen waren, war er tagein tagaus zu Besuch bei ihnen gewesen. Der alte Freund seiner Mutter, mit dem sie sich gerne zu einem nachmittäglichen Kuchen zusammengesetzt und in Ruhe ihren Kaffee geschlürft hatte. Charms verstand die Welt nicht mehr.

Versuch, zu entkommen“, hatte Mam gesagt. „Nimm Peter mit und versuch, zu fliehen.“ - „Sag Peter, dass es mir leid tut.“

Dass ihr was leidtat? Er sollte versuchen zu fliehen? Wovor? Wohin?

„Reizender Auftritt, hm?“, brummte Joe und durchschnitt damit die konfuse Spirale aus Fragen, die sich zunehmend in Charms‘ Kopf verflocht. Die hohngetränkte Maske der vergangenen Minuten hatte er abgelegt. Sie hatte Charms Angst eingejagt, auch, wenn er sich schwer eingestehen konnte.

Mit der Hand fuhr Joe sich über das aufgedunsene Gesicht und machte dabei einen zusehends erschöpften Eindruck. „Sie steht neben sich. Ich sollte mal wieder nach ihr sehen. Geht ihr offenbar an die Nieren, dass Peter und du weg seid.“

„Dann lass sie doch von Zeit zu Zeit vorbeischauen, wäre das wirklich so…“

„Es ist gegen die Vereinbarung!“, blaffte Joe, mäßigte sich wieder und glättete seine kraus gezogene Stirn. „Charms, wir bringen hier dein Leben auf die Leinwand und es soll deinem Leben auch entsprechen. Szenen, die nicht gefilmt werden, beeinflussen dich und verfälschen das Endergebnis. Sieh dich nur an, wie dich ihr Besuch aufgewirbelt hat! Gönn dir jetzt besser eine kleine Pause, du warst gut in dieser Szene. Peter wartet vermutlich schon auf das Action für seine nächste. Ruh dich aus, wir sehen uns später.“

Damit ließ Joe ihn stehen und stampfte vom Schauplatz, während das Team Charms deutete aufzubrechen, um möglichst zeitig wieder ans Set zu kommen.

Occido

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