Читать книгу Occido - Jana Bacher - Страница 12

Action – Der Auftrag

Оглавление

Der Tag hatte genauso grau und regnerisch angefangen wie der Tag zuvor, doch Samuel kümmerte das nicht. Er hatte den Sommer noch nie wirklich gemocht, immer nur den Herbst herbeigesehnt, wenn die Hitzewellen über Siggs spülten. Sommer bedeutete, sich noch mehr unter Menschen bewegen zu müssen als sonst, Schweiß, kurze Klamotten und unnötige Anstrengung im Kampf gegen die brütende Sonne. Umso besser, dass der diesjährige Sommer langsam verwelkte. Nicht mehr lange und er würde nicht viel mehr sein als eine blasse Erinnerung.

Er befand sich im Stadtpark, das öffentliche Pavillon mit Henry und Kristin einnehmend. Die wenigen Leute, die sich bei der anhaltenden Nässe nach draußen getraut hatten, eilten bei ihrem Anblick weiter: Dunkle Klamotten im Übermaß machten viele nervös, vor allem an einer Gruppe spätjugendlicher Gestalten, die sich an einem regnerischen Nachmittag mit Alkohol und Zigaretten eingedeckt hatten und dabei noch nicht einmal den Anstand besaßen, sich von den Blicken der Öffentlichkeit abzuschirmen.

„Ich wette doch bei mir“, hob plötzlich Henry an, während er einen Schluck des zusammen gepanschten Gesöffs nahm, deren Brauerin Kristin war, „dass keiner von euch beiden hier und jetzt, in dieser Sekunde, einen neuen Auftrag annehmen würde. Habe ich Recht oder habe ich Recht?“

Seine reißerische Ansprache stieß auf verhaltene Begeisterung. Aufträge bedeuteten Anstrengung und sie wurde in der Regel nicht von einem beliebigen Fux erteilt, sondern nur vom Obersten persönlich.

„Ist doch nicht unsere Sache“, sagte Kristin pampig und gestikulierte Henry, ihr das lauwarme Gemisch zu reichen. Henry kam dem stumm nach und sie nahm einen großen Schluck, gab die Flasche dann an Samuel weiter. Dieser nahm sie an sich und tat ebenfalls einen großen Schluck. „Da sind andere für verantwortlich. Wir haben uns erst kürzlich die Hände schmutzig gemacht, da kann keiner behaupten, wir hätten auf der faulen Haut gelegen!“

Ungeduldig warf Kristin das schwarze Haar zurück, als dieses ihr in ins Gesicht fiel. Es hatte dieselbe Farbe wie ihr Pulli, der in zerfetzter roter Inschrift eine ihrer Lieblingsbands über der Brust pries und unverkennbar neu war. Auch, wenn Kristin gerne so tat, als sei es nicht so: Ihre Familie war wohlhabend und auch wenn sie den modischen Schlag ihrer Tochter wohl kaum guthießen, versuchten ihre Eltern stetig, sich Kristins Gunst mit teuren Aufmerksamkeiten zu erkaufen. Samuels Neid über Umstände wie diesen war ein gefräßiges Untier, das regelmäßig aus seinem Käfig ausbrach. Er konnte sich nicht entsinnen, je eine andere Aufmerksamkeit von seinem Vater bekommen zu haben als den einen oder anderen Schlag in die Magengrube. Neben Kristin sah er in seinem verwaschenen Sweatshirt, das mehr grau als schwarz anmutete, der Jeans mit dem aufgeriebenen Hosenboden und den namenlosen Turnschuhen abgehalftert aus. Ein wenig aussagekräftiges Outfit für einen noch weniger aussagekräftigen Menschen.

„Samuel macht es!“, behauptete Henry mit einem Mal voll Euphorie. Die wahnwitzige Sucht des Blutes, die sich in den letzten Tagen in ihm ausgebildet hatte, sprang aus seinen Augen. Henry behauptete sich gerne, doch noch viel lieber fungierte er als Zuschauer und am liebsten war ihm sowieso die Rolle des Obersten, die er nun auf so plumpe Weise zu imitieren versuchte. „Nicht wahr, Sam? Schließlich warst du bei der Tussi letztens auch nicht zimperlich.“

Samuel nickte und konnte nicht verhindern, dass seine Brust vor Stolz ein wenig anschwoll.

Während sie das hochprozentige Gebräu wieder an die Lippen setzte, verdrehte Kristin die Augen, dass die brauen Iris fast zur Gänze verschwand. „Seit wann bestimmst du eigentlich, wo es langgeht, Henry? Die anderen werden gar nicht erfreut sein, wenn du ihnen in die Pläne pfuschen!“

„Im Gegenteil!“, war Henry überzeugt, entriss ihr die Flasche und leerte sie mit einem übermütigen Schluck. Kristin protestierte, doch er stieß sie zur achtlos Seite und baute sich vor Samuel auf. „Die Gemeinschaft wird Samuel belohnen dafür, dass er schneller gewesen ist als die anderen. Der Oberste wird ihm Ehre und Respekt zollen und das ist es doch, was du willst, oder, Sam?“

Dabei klopfte er ihm lachend auf die Schulter. Samuel nickte. Genau das war es, was er wollte. Mehr Chancen. Zeigen, was in ihm steckte.

„Die Sache mit dem Mädel letztens war ein Glückstreffer!“, behauptete Kristin. „Und Sam war nicht er selbst. Die haben ihm mehr Stoff gegeben als es nötig war, das hätte selbst ein Pferd um den Verstand gebracht. Heute ist er so gut wie nüchtern. Traust du dir sowas in dem Zustand zu, Sam?“

Abermals nickte Samuel, woraufhin Kristin in höhnisches Gelächter ausbrach. Einige vorbeiziehende Passanten, die sich in Richtung der verlassenen Unterführung des Weidenkanals verirrt hatten, sahen verwundert und oder empört in ihre Richtung. Kristin schleuderte ihnen etwas verbal schwer Verdaubares entgegen, woraufhin sich die meisten kopfschüttelnd abwandten.

„Du schaffst es auch immer wieder, uns mit deinem mitreißenden Enthusiasmus in deinen Bann zu ziehen, Sam!“, gluckste Henry und Kristin begleitete ihn giggelnd. „Ernsthaft: Traust du dir das zu?“

„Ja.“ Sam wusste, dass pantomimische Zeichen seinerseits jetzt wohl nicht mehr gefragt waren, sondern es Henry und Kristin nach starken Worten dürstete. Die Sucht war wieder erwacht. Die Sucht nach Blut. Die Verdammten wollten immer Blut und Samuel gehörte zu den Verdammten. Er war einer von ihnen. „Ja, ich schaffe das.“

Henry nickte zufrieden, während Kristin sich immer noch vor Lachen schüttelte und es Samuel ganz heiß im Gesicht wurde. Wie er es hasste, wenn die Leute über ihn lachten, auch, wenn man meinen sollte, er sei es inzwischen gewohnt.

„Okay“, sagte Henry, legte einen Arm um Samuels Schultern und deutete mit fahriger Geste auf die andere Seite des Weidenkanals. „Siehst du die Wohnhäuser dort auf der anderen Seite? Da sollten sich Massen von den Biestern tummeln. Ich bin erst letztens dran vorbei und hätte sie am liebsten die Reihe durch weggetreten. Also: Du weißt, was zu tun ist?“

Wieder wollte Samuel nicken, doch im letzten Moment mahnte er sich und sagte mit lauter Stimme: „Jawohl!“

Henry lächelte sein berauschtes Lächeln. „Braver Junge. Wirst sehen, im Vergleich zu der Tussi wird das ein Klacks. Eine Dehnungsübung nach dem großen Lauf sozusagen.“

„Da bin ich ja mal gespannt!“, gickste Kristin.

Samuel mied jeden Blick in ihre Richtung, um sich nicht während seines Auftrags mit ihrem dreist lachenden Gesicht im Hinterkopf herumschlagen zu müssen. Stattdessen zwang er sich zu einer möglichst geraden Haltung, den Blick nach vorne gerichtet, sein neues Ziel fokussierend, das ihm erneut zu Ehre und Wohlstand verhelfen würde. Es lag am anderen Ende des Weidenkanals. Sein nächster Weg führte dorthin.

Aktion – Der Besuch

Zwar hatte Peter sich fest vorgenommen, mit seinem Bruder zu sprechen, auf halbem Weg zu dessen Wohnung hatte der Mut ihn aber bereits mehrmals zu verlassen gedroht. Nicht etwa, weil er Angst gehabt hätte, dass Charms ihn abweisen würde, dazu war er viel zu höflich und wenig direkt. Es war die Unsicherheit darüber, was zum Teufel er seinem Bruder sagen sollte, wenn er erst einmal vor ihm stand. Wie er ihm sein Anliegen klar machen sollte. Der einzige Mensch, mit dem er jemals über die ganze Sache – über ihn - gesprochen hatte, war Daria und das auch nur, weil sie ihm zu nahe gewesen war, als dass er diesen erbärmlichen Teil seines Lebens vor ihr hätte verstecken können.

Peter legte sich hunderte Wortwahlen ein- und desselben Sachverhalts zurecht, doch keine davon erschien ihm treffend genug, um Charms den Ernst der Lage deutlich zu machen. Wie erklärte man seinem kleinen Bruder auch, dass ein wahnsinniger Soziopath einem ein gutes Jahrzehnt lang am Arsch klebt und sich ihn nun launenhaft als Druckmittel heraus gepickt hat?

Je mehr er sich mit den Unannehmlichkeiten seines bevorstehenden Seelenstriptease auseinandersetzte, desto fordernder drängte sich ihm die Frage auf, warum zur Hölle er sich Charms‘ wegen überhaupt eine solche Last aufbürdete. Was hatte er schon je für ihn getan, außer, dass er eben sein kleiner Bruder war und es damit seine Pflicht war, ihn zu beschützen? Er hat auf Daria aufgepasst, flüsterte ihm eine hämische Stimme aus der finstersten Ecke seines Hinterkopfes zu. Und zwar deutlich mehr als du es von ihm verlangt hast.

Den halben Weg zu Charms‘ Wohnung fluchte Peter leise vor sich hin und als er endlich an seinem Zielort ankam, musste er feststellen, dass Charms ausgeflogen zu sein schien. Unschlüssig wartete er einige Minuten vor verschlossener Tür, Tick und Tack, Tick Tack, bis sie sich zu einer halben Stunde ausgeweitet hatten und er wie ein versetzter Idiot im Kreis lief. In diesem wenig würdevollen Moment hatte Peter schon für sich beschlossen, dass Charms ihn sonst was konnte und sich zum Aufbruch bereit gemacht, als er treppaufwärts Stimmen näherkommen hörte und Charms mit einem Mal vor ihm stand, zwei Typen im Schlepptau, die genau nach Leuten aussahen, die Peter als Charms‘ Freunde eingeschätzt hätte: jungenhaft, überaus anständig mit glatten Gesichtern, die Peter in just diesem Augenblick musterten, als wäre er geradewegs aus der Kanalisation ins Tageslicht gerobbt, und das vor meinungsunbefleckten Stadttouristen, die im Grunde nur ein paar hübsche Fotos fürs Familienalbum wollten.

Jetzt standen sie einander gegenüber, Peter auf der einen, Charms und seine Freunde auf der anderen Seite der Treppengeländers, und alle schienen lang zu perplex, um irgendetwas zu sagen, bis Peter verlegen die Hand hob. „Hey, kleiner Bruder.“

Charms fand die Sprache nicht sofort wieder, doch als er es tat, klang seine Stimme zu Peters Erleichterung nicht unbedingt ablehnend. „Peter, das ist ja mal eine Überraschung! Was machst du hier, ich nehme nicht an, dass du zufällig…“

„Doch, doch, ich treibe mich gerne in Treppenhäusern fremder Wohngelegenheiten rum, in denen zufällig mein Bruder wohnt“, bemerkte Peter, und als irritiertes Schweigen folgte, wie wenn seine Gegenüber sich nicht sicher wären, wie ernst sie seine Worte nehmen durften, fügte er rasch hinzu: „Nein, eigentlich habe ich auf dich gewartet, Charms.“

Blöde Idee. Und dazu noch ein reichlich uneleganter Zug, aber ihm wollte partout nichts Besseres einfallen. Peter sah, wie Charms‘ Freunde sich hinter dessen Rücken halbgrinsende Blicke zuwarfen und spürte einen grimmigen Ärger in sich aufsteigen.

„Ich wollte kurz mit dir reden“, fuhr er darum fort, um diesen geleckten Gestalten das Grinsen aus den Gesichtern zu wischen. „Das heißt, wenn du Zeit hast. Sonst komm ich ein andermal wieder.“

Den Teufel würde er tun! Wenn Charms ihn jetzt wegschickte, würde er nie wieder von ihm hören, er war schließlich nicht sein Hampelmann, den er hin und her schieben konnte wie es ihm passte. Halb hätte es ihn sogar erleichtert, die Flucht in die Wege leiten zu dürfen, doch Charms schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, klar hab ich Zeit. Schön, mal wieder von dir zu hören. Kostja und Robert wollten eben ein paar Bücher von mir ausleihen. Für die Uni, du weißt ja. Aber komm ruhig rein.“

Kostja und Robert. Ja, das waren Namen, die zu Charms‘ Freunden passten. Peter musste sich am Riemen reißen, um nicht laut zu lachen, auch, wenn ihm keineswegs die herablassende Haltung entging, mit der besagter Kostja und nichtsagender Robert ihm entgegentraten. Er kannte diese Arroganz von Leuten, die sich auf dem Geld ihrer Eltern ausruhten, in ihrem Leben noch nie auch nur einen Finger hatten rühren müssen und dennoch der Meinung waren, die Welt und sämtliche Menschen darin besser verstehen zu können als diese sich selbst. Leute wie Kostja und Robert waren der Meinung, mit der Aussicht auf eine staubige Kanzlei und einen vollen Geldbeutel in ferner Zukunft auf andere spucken zu dürfen.

Im winzigen Vorraum von Charms‘ Wohnung streiften sich Kostja und Robert flüchtig die Schuhe von den Füßen und Peter hoffte, dass die beiden nicht beabsichtigten, länger zu bleiben als es dauerte, irgendwelche blöden Bücher auszuleihen. Er hatte bei Gott keine Lust, seine Zeit mit den beiden Lackaffen zu verschwenden und um ehrlich zu sein, war ihm beim neuerlichen Anblick von Charms‘ Wohngelegenheit auch sämtliche Lust vergangen, sich allzu lange mit seinem Bruder abzugeben.

Gegenwärtig hatte Peter noch eine Bude nahe des Stadtparks angemietet, die deutlich kleiner und zudem verbrauchter aussah als die seines Bruders, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie zwangsgeräumt werden würde, weil er diesen Monat die Miete zum dritten Mal in Folge nicht begleichen konnte. Charms‘ Wohnung war einladend, hell, gut aufgeteilt und obendrein offensichtlich von Mutter finanziert, denn woher sonst sollte er das nötige Kleingeld zu ihrer Finanzierung haben?

Altbekannter Groll stieg in Peter auf und zu seinem Bedauern gaben sich Charms‘ Studienfuzzis auch nicht damit zufrieden, sich mit ein paar schlummernden Schwarten unter den Armen wieder aus dem Staub zu machen. Stattdessen machten sie sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auf Charms‘ Sofa breit, während dieser in der Küche auf Wunsch zwei Cola für sie einschenkte. Peter lehnte vorsorglich sämtliches Getränkeangebot ab, während er sich notgedrungen zu ihnen gesellte.

„Du bist also Charms‘ Bruder?“, sagte Kostja oder Robert, die Peter nicht auseinanderzuhalten wusste. Als er nickte setzte wer-auch-immer-von-den-beiden-bislang-die-Klappe-gehalten-hatte beflissen hinzu: „Und was machst du so? Ich glaube nicht, dass ich dich schon mal auf der Uni gesehen habe.“

Es war nicht zu überhören, dass Peter ihm im lachhaften Fall, dass er ebenfalls die Uni besuchte, alles andere als positiv aufgefallen wäre. Er beschloss, nicht darauf einzugehen.

„Ich arbeite normalerweise als Automechaniker.“

„Normalerweise?“, echote Kostja oder Robert in einem Tonfall, der in dezu proe, die geradezuaufreizender Manier auf ein vorfreudiges Bloßstellen seines Gegenübers hin ruderte.

Peter sah sie nacheinander an. „Zurzeit suche ich nach etwas Neuem.“

„Ah“, machten die beiden im Chor und versuchten, sich verständnisvoll zu geben, doch nur ein äußerst naiver Schwachkopf würde ihnen ihre Heuchelei für bare Münze abkaufen. Sie freuten sich, dass sie ihr Ziel erreicht hatten und Peter eben das hatte laut zugeben müssen, von dem sie rasch erschnüffelt hatten, dass es sich um einen wunden Punkt handelte. Der Verlust seiner letzten Arbeitsstelle war nicht seine Schuld gewesen. Er hatte wie so oft lokalisiert, wo er ihm das Leben schwermachen konnte und sich der Aufgabe, ihn von seinem Job loszusagen, mit Freude und Tatendrang angenommen.

Charms kam mit drei vollen Gläsern in der Hand zu ihnen herüber balanciert, zwei mit Cola, eines mit Orangensaft gefüllt. Da Kostja und Robert das Sofa besetzten, nahm er wie Peter einen Stehplatz ein und mied merklich jedweden Blick in dessen Richtung. Vermutlich überlegte er, was er sagen sollte und als ihm endlich ein zündender Einfall kam, entpuppte er sich als eine Interesse vortäuschende Floskel, die Fremde einander als Rettungsring im Sturm der fehlenden Kommunikation zuwarfen.

„Nun, ansonsten alles gut bei dir, Peter? Was treibst du so?“

„Oh, mal dies, mal das“, gab Peter zurück. Ihm war die Lust auf ein Kaffeekränzchen mit seinem Bruder und seinen bekloppten Kumpels gehörig vergangen. Am liebsten hatte er laut gesagt, was er zu sagen hatte und wäre anschließend ohne ein Wort des Abschieds gegangen, aber dann würde Charms weiterhin im Dunkeln tappen, und er, Peter, sich innerhalb seiner Familie wieder einmal großartig bewährt haben, was sein Loser-Image anging. Also fing er den Rettungsring auf und gab vor, sich auch für Charms‘ Leben zu interessieren, um von den Erzählungen seines eigenen kümmerlichen Exemplars abzulenken.

„Wie läuft’s mit dem Studium?“

„Ach, gut, gut. Momentan sind Ferien, aber einer meiner Professoren hat mich gestern zu sich bestellt, um mir ein Lob für meine letzte Arbeit auszusprechen.“

Elender Streber. Peter zwang sich zu einem Lächeln, das seine Wangen verkrampfen ließ. „Na, ist doch super.“

Scheinbar war auch Charms die sehr wackelige Beschaffenheit ihrer Konversation aufgefallen und dass sie auf dem Weg, den sie jetzt eingeschlagen hatte, ob kurz oder lang in sich zusammenbrechen würde. Glücklicherweise gab es noch einen Joker, wenn jedwedes Gesprächsrepertoire ausgeschöpft war.

„Tja, was wolltest du mit mir besprechen?“

„Ähm“, machte Peter, vorsorglich zu Kostja und Robert schielend, doch Charms schien nicht zu verstehen, worauf er hinaus wollte.

„Worum geht’s?“

Himmel noch mal, war dieser hochstudierte Kerl, den sich sein Bruder schimpfte, tatsächlich so schwer von Begriff? Allmählich war er drauf und dran, Charms die Wahrheit schonungslos ins Gesicht zu knallen, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne jede Nachsicht, was Topstudent Nr. 1 und Topstudent Nr. 2 von ihm halten mochten. Doch hier ging es um ihn und wie unangenehm es werden konnte, ihn zu reizen. Es hätte Peter nicht gewundert, würde er von der Situation, die sich in eben diesem Augenblick entwickelte, über irgendeinen kranken Weg erfahren, und dann würde die ganze Sache wohl oder übel eskalieren.

Krampfhaft suchte Peter nach einem Weg, dem gegenwärtigen Moment zu entfliehen, doch schlussendlich musste er passen. „Weißt du was, so wichtig war es eigentlich gar nicht. Sorry, ich fürchte, ich muss wieder los.“

Charms rief: „Peter, was…“, doch da war er bereits aus der Wohnung gestürmt. Im Treppenhaus hatte er das Gefühl, endlich wieder Luft zu bekommen, als hätte er sich bis eben in einem abgeschlossenen Keller befunden, der schon seit Jahren nicht mehr durchlüftet worden war.

Wie in Trance hastete Peter die Stufen hinunter und hatte die Eingangstür des Gebäudes schon fast erreicht, als ihn der Ruf seines Namens innehalten ließ. Charms kam ihm hinterher gehetzt und Peter besann sich widerwillig stehen zu bleiben.

„Hey, was ist los? Was war das gerade?“

Er konnte nicht einfach abhauen, er musste Charms auf die mögliche Gefahr hinweisen, ehe er sich von dieser übertölpeln ließ. „Ich …ich hab dir was zu sagen, etwas Wichtiges. Unter vier Augen, nicht vor denen da oben.“

Er vermied es peinlichst, Charms‘ belämmerte Freunde beim Namen zu nennen. Jäh machte sich ein erschrockener Zug auf Charms‘ Gesicht breit. „Geht’s um Mam? Ist ihr etwas passiert?“

„Nein, nein“, winkte Peter rasch ab. „Es geht um etwas völlig anderes. Sei in Zukunft vorsichtig und halte Ausschau nach – merkwürdigen Gestalten.“

„Wovon redest du überhaupt?“

Peter seufzte, strich sich das Haar aus der Stirn und ließ den Blick haltsuchend durch das Treppenhaus schweifen. „Woanders, ja?“

Nachdenklich und verwirrt stimmte Charms zu. „Okay. Dann…sagen wir in fünfzehn Minuten ums Eck? Es gibt da ein Café, das heißt del Mar. Warte dort, ich sage Kostja und Robert, dass ich noch zu tun habe.“

Verkniffen nickte Peter, doch offenbar bestand Charms auf eine eindeutige Bestätigung.

„Peter?“

„Ja, geht klar. Ich warte dort.“

Occido

Подняться наверх