Читать книгу Occido - Jana Bacher - Страница 9

Cut

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„Na, alles klar?“

Joe klopfte Peter auf die Schulter, vielleicht etwas zu kräftig, denn er wäre beinahe seiner Pranke in die Knie gegangen. Er hatte grundsätzlich nicht vorgehabt, wieder zu koksen, aber der Anruf soeben, auf den ihn niemand vorbereitet hatte, der mit keinem Wort in seinem Script gestanden hatte –Theodors verhasste Stimme, auf magenverdrehende Weise hohnlachend und gleichzeitig bedrohlich –, jener Anruf war der Todesstoß seiner Vernunft gewesen, die sich standhaft gegen den Gebrauch der verdammten Drogen stemmte. Nun rotierte etwas sagenhaft Lebendiges in seiner Bauchgegend und in seinem Schädel, und er hatte das Gefühl, sich bewegen zu müssen, um die durch seine Adern pumpende Lebensenergie irgendwie ausschöpfen zu können, weil er andernfalls implodieren würde.

„Ist okay“, gab er Joe zur Antwort, und seine eigene Stimme erschien ihm endlos weit weg, als befände sein leiblicher Körper sich am Ende einer Höhle und rief mit hallender Stimme nach ihm. „Ist nur ungewohnt…“

Joes Stimme kratzte ebenso hämisch an seinem Gehör wie Theodors Stimme vor wenigen Minuten. „Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass das dein erstes Mal war?“

Auf der Suche nach Joes Blick schlug er mehrmals daneben, schüttelte verwirrt den Kopf, ehe ihm einleuchtete, was Joe mit seiner Frage aus ihm heraus zu kitzeln versuchte.

„Dass ich Koks nehme? Nein.“ Er musste plötzlich laut loslachen, bekam sich gar nicht mehr ein, wobei ihm Joes missbilligender Blick nicht entging.

„So benimmst du dich aber. Reiß dich gefälligst zusammen!“

Damit wollte er wegtreten, doch Peters Lachen versiegte, als ihm einschoss, was soeben geschehen war, kurz bevor er von sich selbst abgedriftete war. Er wusste, weshalb sich sein Kopf so dermaßen aufgeblasen anfühlte. Es war nicht nur wegen des Kokses. Es war Zorn im Gespann mit seiner alten Freundin, der Furcht, auf die das weiße Pulver nieder geregnet war wie Asche und die sich nun winkend wieder an die Oberfläche seiner Empfindungen kämpften.

„Joe!“, rief er ihm mit vibrierender Stimme hinterher und sprang auf die Füße, wobei er leicht ins Wanken geriet. „Hey, Joe! Er hat Charms nicht wirklich getroffen, oder? Das war nur im Film, stimmt‘s?“

Prompt fuhr Joe herum, kam mit großen Schritten zurück. Peter wusste nur zu gut, wie Joe aussah, wenn er wütend war. Die Kameras waren aus. Das Wohnzimmer ringsum schien zu verschwimmen, als seine fleischigen Züge sich kristallklar vor Peters Gesicht abzeichneten. „So, nur im Film. Glaubst du?“

Es musste so sein. Himmel, es konnte nicht anders sein! Kopfschüttelnd trat Peter vor der geröteten Kampfvisage zurück.

„Er soll Charms da raushalten, okay? Er soll ihn in Ruhe lassen.“ Diese Stelle markierte den Punkt, an dem er wohl besser den Kopf einziehen und abhauen sollte, doch irgendetwas ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben. Das Verlangen nach Gewissheit, dass dieser dämliche Film nicht soweit gehen würde, Charms mit seinen Dreck zu bewerfen. Joes verhärtete, bullige Miene sprach eine andere Sprache.

„Wir handeln hier nach eurem Drehbuch“, knurrte er Peter an. „Dir hätte klar gewesen sein sollen, dass sich eine Konfrontation zwischen Charms und Theodor auf lange Sicht nicht vermeiden lässt! Es ist Teil eurer Geschichte und es bringt eine gute Storyline. Es wäre hirnlos, sie auszusparen!“

Seine Worte trafen Peter wie ein Schlag. Die letzte Hoffnung, dass er, Theo, gelogen hatte, wie schon so oft, lag zerschlagen am Boden. Er hatte Charms getroffen und er hatte sich mit ihm unterhalten, wahrlich, außerhalb jeder Fiktion. Realität, kein Film.

Charms. Nach so vielen Jahren würde er ihm die Wahrheit brennend heiß servieren müssen.

„Er ist gefährlich…“, hob Peter hilflos an, als Joe ihn grob am Kragen packte und zu sich herabzog, mit geweitetem, zornrotem Blick in ihn bohrte. Die Filmcrew war mit dem Abbau des Equipments in dem zerrütteten Wohnzimmer beschäftigt, in dem ihre Szene gespielt hatte, und schenkte Peter und Joe keine Beachtung.

„Hast du ein Problem? Ob du ein Problem hast, hab ich dich gefragt!“, brüllte Joe. Seit Jahren bereits überragte Peter ihn um gut einen halben Kopf, doch das änderte nichts an dem angsterstarrten Etwas, das seit jeher über ihn herfiel, sowie er zu Joes Beute auserkoren wurde. Und tatsächlich schien er für diese Kür geradezu prädestiniert zu sein, denn Joe – Onkel Joe, wie Peters Mutter stets korrigiert hatte – hatte Peter nie gemocht wie er etwa Charms mochte. Charms war immer sein Liebling gewesen, Peter bestenfalls sein Lieblingsspielball. Mit dem Unterschied, dass er früher angstgebeutelt zu ihm hochgesehen hatte und jetzt zu Eis gefroren hinabblickte, wie jemand, dem beim Anblick einer fetten Ratte das nackte Grausen befiel.

Als Peter keine Antwort gab, stieß Joe ihn mit einem ekelerfüllten Laut von sich, sodass er rücklings auf dem Sofa landete, auf dem er heute halb lädiert erwacht war.

„Damit eines klar ist!“, wetterte Joe, der breitbeinig und stinkwütend vor ihm thronte. „Wenn ich möchte, dass Charms Theo trifft, dann trifft er ihn auch! Ich bin hier der Regisseur und ich bestimmte, wo es langgeht! Oder glaubst du, mich interessiert’s, wenn du hier rumheulst, dass dein Bruder vor dem bösen schwarzen Mann beschützt werden muss? Tut es nicht, Peter, schreib dir das hinter die Ohren! Und jetzt geh mir aus dem Blickfeld und verdammt noch mal nicht auf die Nerven, sonst lass ich mir das nächste Mal was Besseres einfallen, damit du die Füße stillhältst!“

Innerlich war Peter drauf und dran, auf Joe loszugehen und ihm das Gesicht zu zertrümmern, doch sein gelähmter Geist erlaubte es ihm lediglich, dessen Abmarschieren mit hasserfülltem Blick zu begleiten.

Irgendwann packte jemand Peter unter den Armen und zog ihn wieder auf die Beine, doch er realisierte kein zugehöriges Gesicht, keine Stimme, obwohl er entfernt wahrnahm, dass jemand auf ihn einredete. Peter passierte ihn wortlos und ließ zu, dass das Team ihn bald darauf mit einem verschwommenen Gefühl im Kopf zurück ans Set karrte, wo er sich in seinem Wohnwagen verbarrikadierte und stundenlang ins Blaue glotzte, immer noch fassungslos über den Verlauf, den dieses seltsame Projekt nahm, für das er verpflichtete worden war, ohne je tatsächlich gefragt worden zu sein.

Occido

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