Читать книгу Der Schnüffel-Chip - Jay Bates - Страница 12
9.
ОглавлениеSeine Gegner hatten Okambo nun dicht umringt. Sein Mantel hatte sich geöffnet und erschien ihnen wie eine Lücke in seiner Panzerung. Dort stießen sie hinein. Mit kleinen Klappmessern aus Edelstahl, die sie plötzlich alle in den Händen hatten. Sie hatten nur eine scharfe Klinge und nur einen Zweck. Seine Geisel, die ihm vielleicht hätte etwas Schutz bieten können, hatte er beim ersten Stich vor Schreck losgelassen.
Nun folgte Stich um Stich, lautlos, fast geschäftsmäßig, wie von Akkordarbeitern am Fließband. Sie taten das, was sie tun mussten, ohne Wut, ohne Freude, einfach so. Sie bewegten sich mit pfeilschnell vorschießenden Armen wie eine gut eingespielte Basketballmannschaft, aber lautlos und ohne ein Rufen. Und Okambo war der Ball, der in diesem gespenstischen Reigen von einem Spieler zum anderen wanderte.
Okambo war in die Knie gegangen, und nun trafen die Stiche nicht nur seinen Unterleib. Er merkte es kaum noch, und irgendwann sank er vornüber. Seine modische Brille hatte er schon vorher verloren. Müdigkeit ergriff ihn und er fror plötzlich. Voller Unglauben stellte er fest, dass etwas geschehen war, was nicht hätte passieren dürfen. Er lag auf dem Boden, hilflos und unfähig, sich zu bewegen. Er spürte leichte Stiche in seinem Körper, aber sie taten nicht weh. Er dachte an seinen Mantel und daran, wie er ihn wieder von dem Matsch, in dem er lag, befreien könnte.
Die Kinder gehörten zu dem, was Kommissar Lander immer als ”Bruce-Willis-Generation” bezeichnete: kleine rohe gelangweilte Schläger, die nicht wussten, wann sie aufhören mussten und wie der Ritus ist, wenn der Gegner am Boden liegt. Wann er fertig ist, wie die Gesten der Unterwerfung aussehen, wann man aufhört. Sie fragten sich das auch nicht. Wie sollten sie? Sie hatten hier doch einfach nur ein paar Score-Punkte gesammelt. In ihren Filmen und Computerspielen stand der Gegner immer wieder auf. ”Game Over” hieß einfach nur: eine neue Runde. Man konnte ihn immer wieder zusammenschlagen und niedertreten.
Es überraschte sie auch nicht, dass es diesmal anders war. Sie achteten gar nicht darauf. Als er am Boden lag, war es ihnen zu mühsam, sich zu bücken und nach ihm zu stechen. Sie begnügten sich mit Tritten. Irgendwann verloren sie die Lust und entschwanden so plötzlich und lautlos, wie sie gekommen waren. Nicht einmal das huschende Geräusch eines aufflatternden Schwarms bösartiger schwarzer Vögel begleitete ihr Verschwinden.
Okambo blieb liegen. Er sah, wie der rote See um ihn herum ins Gigantische wuchs. Trotzdem dachte er nicht daran, dass er nun sterben würde. Er machte sich Sorgen, dass er jetzt auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen wäre, weil er nicht mehr alleine aufstehen konnte. Und er quälte sich mit dem Gedanken, dass Eddie, einer seiner wenigen und daher kostbaren Freunde, auf ihn sauer sein würde, weil er sein Auto nicht rechtzeitig würde abholen können.
Doch dann verloren sich auch diese Gedanken. Er hätte eine Ewigkeit dort liegen bleiben können, denn niemand half ihm und niemand vermisste ihn.
Nun, nicht ganz: seine Witwe und sein Sohn würden seine monatlichen Zahlungen vermissen. Sein Vermieter würde Mühe und Kosten haben, für dieses heruntergekommene Loch einen neuen Mieter zu finden. Eddie hätte ein herrenloses altes Auto auf seinem Grundstück stehen. Seine zwei Jobs würden von Arbeitssuchenden ergriffen werden wie Stücke Brot von hungrigen Kindern. Und jemand würde eine Beerdigung organisieren und bezahlen müssen. Das war alles. Nicht viel. Ein toter Single. Noch dazu schwarz.
Geist und Seele Okambo Ozambas lösten sich von seinem Körper und stiegen als kosmischer Äther empor. Dann materialisierten sich ihre feinstofflichen Anteile als lebensgroßer Engel, der in einem weich fließenden weißen Gewand über dem Körper Okambos schwebte. Er blickte nachdenklich auf sich herab. Mit seinen silbrigen schulterlangen Locken, die sein schwarzes Gesicht umrahmten, sah er aus wie der erste farbige Richter Englands in seiner hoheitlichen Perücke.
Mit einem letzten Blick nach unten begann er mit langsamen würdevollen Flügelschlägen nach oben zu entschweben. Ich armer Kerl, dachte er, da habe ich ja nun nicht viel vom Leben gehabt! Aber wenn ich an den Schlamassel denke, in den ich hineingeraten wäre, ...