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2.

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Der Name ”Kastanienallee” war ein Relikt aus früheren Zeiten. Die Kastanien waren verschwunden, die ehemals breiten Bürgersteige zu Parkhäfen verkommen, um die sich die abendlichen Schlachten der Heimkommenden entzündeten, und die Bürgerhäuser mit ihren Vorgärten waren zum großen Teil vierstöckigen Mietskasernen gewichen. Gelegentlich roch es etwas nach Kloake, weil wegen der vielen Leerstände in diesem Viertel und der hohen Wasserpreise die Abwasserleitungen nicht mehr genügend durchgespült wurden.

Aufmerksam steuerte Carlo Diaz seinen Bus um die zahllosen Schlaglöcher herum, dessen zermarterte Stoßdämpfer keine weiteren Attacken schlechter Straßen ertragen würden. Er wurde für solche Schäden am Bus von den Verkehrsbetrieben persönlich haftbar gemacht und sogar finanziell beteiligt ?­­ das konnte ins Geld gehen und sogar seinen Personenbeförderungsschein gefährden, auf dessen rechtmäßigen Erwerb er so stolz war. Viele PBS seiner Kollegen waren ja mit ”Vitamin B” erworben oder gar im Internet gekauft worden.

Im hinteren Teil des Busses war inzwischen Lärm entstanden, der ihn ablenkte. Ein Mann mittleren Alters war mit zwei Jugendlichen, einem Jungen und einem Mädchen, offensichtlich in Streit geraten.

Carlo Diaz konnte über dem Motorengeräusch nur Teile verstehen. Wörter wie „Frechheit!”, „Reg dich ab, Alter!”, „Ich rufe die Polizei” und „Willst du’n Messer sehen?” drangen an sein Ohr. Auch das Mädchen schien kräftig mitzumischen.

Langsam schien sich der Streit zu einer Rangelei zu steigern, wie er im Rückspiegel beobachten konnte. Die Jugendlichen hatten begonnen, den Mann hin und her zu schubsen, der offensichtlich behindert war und sich nicht zur Wehr setzen konnte. Hilflos und verängstigt klammerte er sich an eine Haltestange wie ein dürres Kapuzineräffchen an seine Mutter.

Kurz entschlossen zog Carlo Diaz seinen Bus zur Seite an den Straßenrand. Das Fauchen der Druckluftbremsen, mit denen er den Bus abrupt zum Stehen brachte, passte gut zu seinem Gesichtsausdruck. Gewohnheitsmäßig zog er den Zündschlüssel ab, nahm sein Funksprechgerät aus der Halterung und schritt nach hinten, Würde und Drohung in einem.

Ruhig, aber mit klarer und lauter Stimme fragte er: „Was ist hier los?”

Der Mann, der sich aus der Nähe als recht betagt entpuppte, versuchte sofort, seine Beschwerde loszuwerden. Seine Stimme klang gepresst, als hätte die Angst vor den Angreifern noch seinen Hals umklammert. „Die haben mir ihre Limonade über die Hose gekippt!”

In der Tat konnte Carlo Diaz nun feststellen, was ihm im Rückspiegel entgangen war: Die beiden hatten Getränketüten in den Händen, aus denen Strohhalme ragten. Das machte die Sache einfach.

Ein scharfer Blick, ein strenger Ton: „Der Verzehr von Speisen und Getränken ist im Bus verboten. Werft die Sachen in den Papierkorb!”

Der schlaksige Junge, dessen Hosenboden knapp über den Kniekehlen begann, ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Auch der Blick auf die Fahrgast-Behandlungsutensilien an Diaz’ Gürtel – ausziehbare Schlagrute, Pfefferspray und Handschellen – schien ihn nicht vorsichtig zu stimmen. „Auch wenn du der Fahrer bist, du hast uns gar nicht zu sagen!”

Das Mädchen, einen Kopf kleiner, drahtig und mit einer aggressiven roten Haarfarbe, assistierte ihm: „Die Vorschriften interessieren uns nicht und ihr alten Säcke auch nicht!”

Carlo Diaz reagierte professionell. Er hob das Funksprechgerät an den Mund und tat so, als wollte er es benutzen, ließ es dann aber wieder etwas sinken und fragte: „Wollt ihr die harte Tour oder macht ihr, was ich sage?! Sonst ist eure Reise hier zu Ende.“ Er deutete auf die Überwachungskamera im vorderen Teil des Busses: „Und lächelt! Ihr seid auf Sendung!“

Der Junge grinste und zeigte seine gepiercte Zunge: „Dann hol’ doch die Bullen!“

Carlo blieb kühl. Sein kaltes Lächeln kündigte den bevorstehenden Sieg an: „Das könnte dir so passen! Vielleicht gleich noch mit ’nem Sozialarbeiter?! Nee nee, wir haben unsere eigene Security, die ist in fünf Minuten hier... und da kriegt ihr das volle Waschprogramm: Vorwäsche, Hauptgang, Schleudern. Also, was ist nun?“

Das war natürlich ein Bluff – niemand von den Fahrern würde wegen einer solchen Lappalie drei Qualifikationspunkte riskieren. Aber er wirkte.

Die beiden sahen ein, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Murrend und mit verächtlichen Blicken stopften sie ihre Getränketüten in den überfüllten Papierkorb und trollten sich auf ihre Sitze. Mit ungelenken Bewegungen und ohne ein Wort des Dankes setzte sich auch der alte Mann wieder hin.

Zufrieden stapfte Carlo Diaz wieder nach vorne, schob sein Funksprechgerät in die Halterung zurück, steckte den Zündschlüssel ins Schloss, startete den Bus und fuhr in angemessenem Tempo weiter. Die drei Minuten, die das Ganze gedauert hatte, würde er wieder aufholen, wenn die Straße besser geworden wäre.

Die Haltestelle ”Kastanie Ecke Erlen”, wie sie im Busfahrer-Jargon genannt wurde, kam gerade in Sicht. Da er kein Haltesignal aus dem Bus hatte, würde er weiterfahren, denn niemand wartete dort. Aus den Augenwinkeln sah er eine Person vor dem leeren Grundstück. Doch das war wohl kein potentieller Fahrgast, denn sie war offensichtlich mit irgendwelchen spielenden Kindern beschäftigt.

Der Schnüffel-Chip

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