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Die deutsche Präsenz in Flandern
ОглавлениеDie wirtschaftliche Öffnung des baltischen Raumes, an der die deutschen Händler einen wichtigen Anteil hatten, und die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland erforderten die Öffnung neuer Märkte zur Aufnahme der aus dem baltischen Raum kommenden Produkte83. Der wirtschaftlich sehr entwickelte, aber rohstoffarme flämische Raum bot sich dazu besonders an: Man fand hier zugleich die Möglichkeit günstiger Absatzmärkte und umfangreicher Rückfracht.
Während flämische Händler seit Beginn des 12. Jahrhunderts fast überall im Reich bezeugt sind, sind niederdeutsche Händler in Flandern erst seit dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts und zunächst nur sehr sporadisch belegt. Die wenigen Nachrichten, über die wir verfügen, beweisen, dass zwischen 1220 und 1230 Händler aus Köln, Hamburg und Lübeck, der Mark Brandenburg, aus Dortmund und aus Soest ebenso wie aus Bremen und aus Stade geschäftliche Reisen in Flandern unternommen haben. Das fast gleichzeitige Auftauchen von Kölner und Lübecker Händlern in Flandern bewirkte hier keine Konflikte zwischen diesen Gruppen, wie es in England der Fall gewesen war, wo die früher angekommenen Kölner ihre Privilegien verteidigen wollten84.
Die Zahl der deutschen Händler muss so rasch angestiegen sein, dass sie seit der Mitte des 13. Jahrhunderts offenbar in der Lage waren, Privilegien und Sonderrechte geltend zu machen. Die Verhandlungen mündeten am 13. April 1253 in die Gewährung von Privilegien durch die Gräfin Margarete von Flandern, aber diese traten niemals offiziell in Kraft, denn ihre Verkündung sollte auf Gegenseitigkeit erfolgen. Dazu waren Lübeck und Hamburg den flämischen Händlern gegenüber nicht bereit. Lübeck und den anderen Hansestädten war es im Laufe des 13. Jahrhunderts gelungen, die flämischen und friesischen Händler fast völlig aus dem Baltikum zu vertreiben, und sie wollten ihnen keine Gelegenheit geben, dort wieder Fuß zu fassen.
Margarete von Flandern hatte mit „der Gesamtheit der Händler des Römischen Reiches“ verhandelt. Es gab also Mitte des 13. Jahrhunderts noch keine eigene Organisation der niederdeutschen Händler; das zeigt sich auch an der Tatsache, dass die flämischen Privilegien für die Lübecker, die Hamburger, die Gotlandfahrer und die rheinisch-westfälischen Kaufleute jeweils gesondert verkündet wurden. Dennoch gab es Ansätze eines Gefühls globaler Zugehörigkeit zur Hanse, denn alle Gruppen scheinen damit einverstanden gewesen zu sein, dass ihre Interessen von dem Lübecker Hermann Hoyer und dem Hamburger Jordan von Boizenburg vertreten wurden.
Dass Brügge sich als zentraler Punkt hansischer Präsenz durchsetzte, ist weitgehend der Öffnung des Zwin nach der sogenannten Dünkirchen-Transgression im Jahr 1134 geschuldet. Dazu kommt die Tatsache, dass die Stadt im Jahr 1200 das Recht erhielt, einen vierwöchigen Markt abzuhalten; man schickte sich an, damit die Lücke im Zyklus der flämischen Messen zu füllen, die ansonsten von Ende Februar bis Allerheiligen stattfanden. Brügge entwickelte sich bald zu einem dauerhaften Markt und vergrößerte so seine Anziehungskraft. Anfangs hatte Brügge als Zwischenstation der Hansekaufleute in Richtung der Champagne-Messen gedient; es machte sie bald, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, unnütz und übernahm die wirtschaftlichen Funktionen, die bis dahin von diesen Messen ausgeübt worden waren.
Anschließend vervielfachten sich die Belege für niederdeutsche Händler, vor allem Wenden und Sachsen, auf dem Zwin. Die Flamen selbst scheinen sich um 1300 selbst weitgehend aus dem Fernhandel zurückgezogen zu haben85; ihre Händler leisteten nur noch Vermittlungsdienste zwischen den Tuchherstellern und den Kaufleuten, die Tuche und englische Wolle kaufen und jegliche Produkte verkaufen kamen; neben den Italienern, Spaniern, Engländern und Schotten, Holländern und Franzosen waren es die Hansekaufleute, die eine führende Rolle spielten.
Ein Zeichen des Anwachsens hansischer Präsenz in Brügge ist der Nachweis einer Lübeckstraße 1282 und einer Hamburgstraße 1306. Hansische Kaufleute fanden sich außerdem zu dieser Zeit in Turnhout, Ypern und Gent. Die Unruhen Ende der 1270er Jahre brachten die provisorische Verlagerung des Hansekontors von Brügge nach Aardenburg am 29. September 1280 mit sich, aber die Brügger gaben nach und holten die Hansekaufleute zurück, indem sie ihnen Privilegien zugestanden.
Am Ende des 13. Jahrhunderts vermehrten sich im Kontext der Übernahme Flanderns durch den König von Frankreich jedoch die Klagen der deutschen Kaufleute; sie betrafen zunächst die Ansprüche des Königs von Frankreich auf das Erbe der gestorbenen Kaufleute; später sind auch Beschwerden wegen Währungsmanipulationen bezeugt. 1307 erfolgte erneut eine zeitweilige Verlegung der Niederlassung von Brügge nach Aardenburg; 1309 wurde sie in Brügge wiedererrichtet im Rahmen einer Vereinbarung, durch die die Kaufleute Versammlungsfreiheit erhielten und das Recht, sich Statuten zu geben, deren Befolgung zu überwachen und Verstöße gegen diese Statuten zu bestrafen.
Die deutschen Kaufleute in Brügge erscheinen jedoch erst seit Mitte des 14. Jahrhunderts als organisierte Körperschaft, und die Anordnung, die die Einrichtung des Brügger Kontors des gemeinen Kaufmanns „van den romeschen rike van Alemanie“ und seine Teilung in drei Drittel regelte, nämlich das Lübecker oder wendisch-sächsische, das westfälisch-preußische und das gotländisch-livländische, datiert man auf den 28. Oktober 1347. 1350 ist in Flandern zum ersten Mal der Ausdruck „dusche henze“ belegt.
Wenngleich man einen großen Handelsaufschwung zwischen Lübeck und Flandern im 14. und 15. Jahrhundert feststellen kann, gibt es in dieser Zeit keinen bekannten Fall eines Kaufmanns aus Lübeck, der das Bürgerrecht von Brügge erhalten hätte86. Dagegen erscheinen seit Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts eine Reihe von Namen in den Listen des Lübecker Rats, die einen flämischen Ursprung verraten. Wenn die Lübecker Kaufleute nicht das Bürgerrecht von Brügge erlangt haben, dann ist das darauf zurückzuführen, dass das Bürgerrecht von Lübeck verbunden mit dem Kaufmannsrecht in Brügge größere Vorteile bot. Die flämischen Händler dagegen, die, wie wir weiter oben gesehen haben, im Baltikum von den Hansestädten nicht gern gesehen waren, erreichten mit dem Bürgerrecht die Möglichkeit, ihren Osthandel ohne Schwierigkeiten zu führen.
Die hansische Präsenz in Brügge verlief, wir haben es gesehen, nicht ohne Reibungen mit den Einwohnern und den lokalen Mächten. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren die Streitereien dauerhaft. Die Hansekaufleute beklagten sich darüber, dass sie trotz ihrer Privilegien mit Steuern belegt würden und Opfer von Unregelmäßigkeiten bei der Benutzung der großen Waage seien; illegale Zwangsmaßnahmen würden gegen sie angewendet; ihre Güter würden nicht ausreichend beschützt. Seit 1351 lag der Vorschlag auf dem Tisch, das Brügger Kontor aus Flandern zu verlegen.
Schließlich erklärte eine Vereinigung von Hansekaufleuten am 20. Januar 1358 unter der Präsidentschaft von Lübeck, dass ab dem 1. Mai 1358 der gesamte deutsche Handel Flandern verlassen solle; kein Hanseschiff solle weiter fahren als bis zur Mündung der Maas; man dürfe den Flamen nichts verkaufen und nichts von ihnen kaufen, direkt oder indirekt. Auf diese Weise wäre die Versorgung Flanderns, dessen Bevölkerung zu einem guten Teil von Getreideeinfuhren aus dem Osten abhängig war, ernsthaft betroffen gewesen. Man dachte auch daran, Flandern auf die Knie zu zwingen, indem man seine wichtigsten Produkte, die Tuche, boykottierte. Die Hanseschiffe, die Kurs gen Westen nahmen, nach England, Schottland oder Norwegen, mussten sich in den Zielhäfen Zertifikate ausstellen lassen, die bescheinigten, dass sie ihre Fracht dort und nicht in Flandern be- und entladen hatten. Diese Beschlüsse wurden tatsächlich in Kraft gesetzt. Durch Vereinbarung mit Herzog Albrecht von Bayern-Holland konnte man das Hansekontor nach Dordrecht verlagern, bevor die Flamen die Zeit hatten, Vergeltungsmaßnahmen gegen die Güter der Hanse und die Hansekaufleute zu ergreifen. Sogar die Städte (zum Beispiel Groningen), die keine ausdrückliche Order erhalten hatten, den Boykott durchzuführen, entschieden sich für die Beteiligung daran. Bremen wurde aus der Hanse ausgeschlossen, bis es diejenigen Kaufleute aus der Stadt auswies, die weiter mit Flandern Handel trieben und die allerdings keine Hansemitglieder waren. Graf Ludwig von Male versuchte mit allen Mitteln zu reagieren, vor allem, indem er Privilegien an Kaufleute anderer Länder verteilte, um sie nach Flandern zu ziehen.
Speziell versuchte er, die Hanse durch die mächtige Stadt Kampen zu ersetzen, der er dieselben Privilegien wie den Hansekaufleuten versprach, wenn sie mit Flandern Handel treiben wolle. Andere deutsche Kaufleute scheinen ebenfalls geholfen zu haben, das Embargo zu umgehen. Schließlich brach der Widerstand Flanderns zusammen und nach langen Verhandlungen akzeptierte es die wichtigsten hansischen Forderungen. Die Hanse ihrerseits ließ sich am 14. Juni 1360 verschiedene Privilegien vom Grafen anerkennen, die von Brügge, Gent und Ypern bestätigt wurden. Der Graf legte auch die Steuersätze genau fest, die auf eine Reihe von Produkten erhoben werden konnten, und schützte somit die flämischen Händler vor diskriminierenden Maßnahmen, die gegen sie getroffen wurden.
Die Konflikte flammten jedoch bald wieder auf 87. Zwar waren diese Spannungen durchaus geeignet, das Interesse der Lübecker an Frankfurt als Ergänzung zu Flandern zu wecken, das heißt als mögliche Alternative für den Abfluss der osteuropäischen Produkte88, doch blieb die Rolle des Brügger Kontors entscheidend.
Als Beispiel für die Funktion, die das Kontor als Vermittler zwischen dem baltischen Raum und Frankreich erfüllte, sei ein Brief vom 7. Dezember 1398 erwähnt, in dem die deutschen Händler aus Brügge nach Reval schreiben, um sich über die Einfuhr von aus Livland stammendem Wachs zu beschweren. Sie hatten Klagen aus Brügge im Namen der Bürger und auch anderer Händler, vor allem aber Klagen des französischen Hofs und des Herzogs von Burgund erhalten89. Tuche waren immer ein wichtiges Produkt des hansischen Handels; dabei handelte es sich um Tuche aus Flandern und auch aus dem benachbarten Artois, vor allem aus Saint-Omer und Arras, deren unvermeidlichen Niedergang angesichts der Konkurrenz florentinischer, aber auch normannischer Tuche (seit 1400 verkauften die Königsberger „Normiedische Tuche“)90 die Hansekaufleute zu verzögern halfen.
In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts verließen die deutschen Händler Brügge jedoch, um nach Antwerpen zu gehen.
Die hansische Präsenz in Brügge war die sichtbarste, aber nicht die einzige – auch andere Deutsche besuchten Flandern regelmäßig, darunter viele Kaufleute aus Nürnberg91.
1304 ist erstmalig ein Nürnberger in Brügge belegt: Conrad Nornbergaert von Aelmaingen kaufte dort Tuche aus Tournai. In den 1290er Jahren erwähnt der Lübecker Kaufmann Reinekinus Mornewech unter anderen Zahlungen, die er in Flandern tätigen muss, die Bezahlung von 26 Mark, gerichtet an den Burggrafen von Nürnberg durch Vermittlung von „Hermanno Bomere (Pömer) de Nurenberch“. In Regensburg sind 1299 flämische Tuche aus Speyer und Nürnberg belegt. Das Handelsbuch der Nürnberger Firma Holzschuher von 1304 –1307 nennt als geschäftliche Hauptaktivität den Verkauf von Tuchen aus Ypern, Huy, Poperingen, Tournai, Brüssel, Gent, Brügge und Maastricht. Der reiche Heinrich Gruntherr schickte 1342 einen seiner Angestellten, ausgestattet mit 560 französischen Goldgulden, nach Tournai, um Tuche zu kaufen. Ebenfalls in Tournai hatte sich ein gewisser Seitz Groland niedergelassen. Aus Regensburg war schon Bernolt Nötzel gekommen, um Tuche in Tournai und Ypern zu kaufen. De facto gab es schon vor der Mitte des 14. Jahrhunderts einen wichtigen Handelsweg, der von Flandern nach Nürnberg und darüber hinaus führte und über die Rheinlande und die Stadt Frankfurt verlief.
Um ihre Position in Flandern zu erobern und auszubauen, scheinen die Nürnberger die Konflikte zwischen den Hansekaufleuten und ihren Gastgebern in den Niederlanden ausgenutzt zu haben92. In der Tat konnte der Graf von Flandern in dem großen Konflikt Ende der 1350er Jahre nicht nur auf die Hilfe von Kampen zählen, um das von den Hansekaufleuten beschlossene Embargo zu unterlaufen; man weiß, das die inneren Hansestädte, Braunschweig, Goslar und Hildesheim, sich beklagten, dass flämische Produkte zum Nachteil der lokalen Kaufleute, die Mitglied der Hanse waren, weiterhin in ihr Gebiet transportiert wurden. Es handelte sich offensichtlich um Kaufleute aus Nürnberg. Die Rolle, die die Nürnberger während des Embargos spielten, ist übrigens durch ein Dokument von 1358 oder 1359 belegt, in dem die Bewohner von Thorn sich bei denen von Nürnberg darüber beschweren, dass deren Mitbürger Nicolaus Ysvogel einen Konvoi von 14 Wagen mit flämischen Produkten in Umlauf gebracht hatte, mit größtem Schaden für die deutschen Kaufleute.
Als der Graf von Flandern 1360 nachgeben und die Privilegien der Hansekaufleute vergrößern musste, vergaß er nicht die gegenüber Kampen gemachten Versprechungen; und dieselben wichtigen Privilegien, die Kampen zuerkannt wurden, wurden auch Nürnberg (am 23. Januar 1362) übertragen.
Das fragmentarisch erhaltene Handelsbuch der Schürstabs von 1353, 1364 –1383 dokumentiert die wichtigen Geschäfte, die Leupold Schürstab der Ältere und andere Nürnberger mit den Tuchen aus „Dorn“ (Tournai) tätigten, indem sie sie zum Beispiel in Ofen in Ungarn weiterverkauften. Die auf Brügge bezüglichen Notizen von Ulman Stromer in seinem „Püchel“ vom Beginn des 15. Jahrhunderts zeigen dagegen, dass diesen Kaufmann vor allem die flämische und englische Wolle interessierte, die er anschließend über die Rheinstrecke oder über Lothringen in den großen Textilzentren Norditaliens weiterverkaufte. Aber seine Notizen stammen auch aus einer Zeit, als das Tuch aus Brabant dem flämischen Tuch auf den mitteleuropäischen Märkten bereits überlegen war. Im 15. Jahrhundert sind noch Kaufleute aus Nürnberg belegt, die sich in Brügge niedergelassen hatten und auf den vier Messen von Brabant Geschäfte machten.
Andere Kaufleute aus Oberdeutschland machten Geschäfte mit Brügge und Flandern; es handelt sich, zumindest seit 1394, um Städte am Bodensee, in erster Linie Konstanz93. Diese Geschäfte waren nicht immer risikolos: 1466 ließ der Genueser Ambroise Lomelin mit dem Einverständnis des spanischen Kapitäns in Nantes drei Ballen Mandeln und drei Ballen Kümmel abladen, die in Valencia auf Kosten eines Boten der Gesellschaft Humpis und der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft aufgeladen worden waren94; als sich am 1. Oktober 1474 der Admiral des französischen Königs, Guillaume de Casenove, genannt Coulon, vor der Küste von Galizien zweier neapolitanischer Galeeren bemächtigte und sie nach Honfleur brachte, fand man in diesen Galeeren außer Gütern von Kölner Kaufleuten Waren, die der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, der Gesellschaft Mötteli und dem Frankfurter Bürger Johann von Melem (Mehlem) gehörten; diese Waren waren in Brügge verladen worden und für Häfen wie Valencia, Barcelona und Genua bestimmt95.
Wie die Hansekaufleute wandten sich diese deutschen Händler bald Antwerpen zu, aber Flandern war mehr als zwei Jahrhunderte lang eine Hochburg des deutschen Handels gewesen, wenn auch erst im Jahr 1470, eventuell in Köln, eine oberdeutsch-flämische Version eines französisch-flämischen „Gesprächsbüchleins“ umgesetzt wurde, das ursprünglich um 1360 in Brügge geschrieben worden war96.