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1.1. Zwei Länder, zwei Völker, zwei Staaten
ОглавлениеUm Frankreich geographisch zu bestimmen, benutzen deutsche Autoren normalerweise die lateinischen Begriffe Gallia oder Francia. Allerdings beinhaltet der Ausdruck Gallia eine gewisse Mehrdeutigkeit, denn er kann ebenso die französischen Gebiete des Reiches bezeichnen; Kaiser Karl IV. spricht jedenfalls in seiner Autobiographie niemals von Gallia, sondern immer von Francia. Im Deutschen gebraucht man klassischerweise den Namen „Frankreich“, mit unterschiedlichen orthographischen Varianten.
Um Deutschland zu beschreiben, gab es im Lateinischen drei mögliche Namen: Teuthonia, Alamannia, Germania. Alle drei Begriffe finden sich in der Tat in den französischen Quellen; wenn ihre Autoren in der Vulgärsprache schreiben, erhält der Begriff Allemagne, das pais d’Allemagne, den Vorzug. Schon seit dem Ende des 10. Jahrhunderts nahm der Begriff Alemannia in Italien tendenziell die Bedeutung von Deutschland (im heutigen Sinne) an, statt die Region der Alemannen zu bezeichnen. Daher wurden im Laufe des 12. Jahrhunderts die Alemannen zu Suevi und ihr Territorium zur Suevia. Das Land auf der anderen Seite des Rheins war schlicht und einfach zu Allemagne (Deutschland) geworden.
Die Namen der beiden Völker folgen den Namen ihrer Länder; so sind die Franzosen in den Augen deutscher Autoren im Lateinischen die Franci oder auch Francigenae, oder auch mit mehrdeutigen Begriffen die Galli oder Gallici, denn diese Begriffe konnten wiederum auch die französischsprachigen Einwohner des Reiches bezeichnen. Im Gegensatz dazu war die Bedeutung des Begriffs Francus klar. Als der Chronist Matthias von Neuenburg in der Mitte des 14. Jahrhunderts nicht umhin kann, vom König von Frankreich zu sprechen, nennt er ihn systematisch den Francus. Die Bezeichung Francigena scheint in Deutschland ebenfalls klassisch zu sein, und das schon weit vor dem 13. Jahrhundert; es handelt sich keinesfalls um eine abschätzige Bezeichnung, sondern um einen einfachen Rückgriff auf den französischen Begriff 4.
Die deutschen Autoren, die in Vulgärsprache schreiben, benutzen den Ausdruck Franzois/Franzoisaere, um die Franzosen zu bezeichnen. Man trifft ebenfalls auf den Begriff „Walhen“ als Übersetzung von Gallici, aber er kann sich auch nur auf die französischsprachigen Einwohner des Reiches beziehen.
Von den Franzosen werden die Deutschen im Lateinischen als Teutonici bezeichnet oder, was vielleicht noch geläufiger ist, als Alamanni. In der Vulgärsprache sprechen die in Frankreich verfassten Texte eher von den Almans; so nennt Philipp VI. im Juli 1344, als er die alten Privilegien der Besucher der Messen in der Champagne in der Region Brie wiederherstellt, eine Reihe von ausländischen Händlern: „Italiener, Leute von jenseits der Alpen, Florentiner, Lucceser, Mailänder, Genueser, Venezianer, Deutsche (Almans), Provenzalen und Leute aus anderen Ländern, die nicht zu unserem Königreich gehören“5; nebenbei bemerkt man die Vielzahl der Bezeichnungen für die Italiener, während die Almans eine nicht genauer unterschiedene Gruppe sind. Der Begriff tyois, eine Übersetzung von Teutonici, existiert ebenfalls, aber er ist seltener. Ein spezielles Vokabular gab es allerdings für die Kaufleute der Hanse6: Sie wurden oft als „Osterlinge“, als Leute aus dem Osten, bezeichnet. 1392 verleiht König Karl VI. Privilegien an die „mercatores de Hansia Almanie que vulgo les Ostelins nuncupantur“. Tatsächlich stammte der Begriff von den Hansekaufleuten selbst, die ihn benutzten, wenn sie über sich selbst sprachen. Dies dürfte auf eine gewisse Distanz gegenüber den anderen Deutschen hinweisen, vor allem jenen aus Süddeutschland. Diese besondere Bezeichnung für die Hansekaufleute hinderte diese jedoch nicht daran, sich als Mitglieder des Reiches zu fühlen. Während der Joyeuse Entrée, des feierlichen Einzugs Herzog Philipps des Guten in Brügge 1440, schenkten die Hansekaufleute seiner Gattin 50 wertvolle Zobelfelle, die der Reichsadler zierte; die Fenster zahlreicher Kirchen, die das Hansekontor stiftete, zeigten die Wappen des Kaisers und der Kurfürsten.
Um das Königreich Frankreich als politische Einheit zu bezeichnen, benutzte man ganz selbstverständlich den Begriff regnum Francie, bisweilen regnum Francorum. In der Vulgärsprache erlaubt der Begriff „Frankreich“, im selben Atemzug das Land und den Staat zu bezeichnen.
Die Franzosen dagegen waren ein wenig zögerlich darin, sich auf eine Bezeichnung für das deutsche politische Gesamtgebilde zu verständigen. Wenn es darum ging, die beiden Länder als politische und nicht nur als geographische Gebilde zu bezeichnen, sprach man einfach von regnum und imperium: Der 1208 geschlossene Vertrag zwischen dem Herzog von Brabant und König Philipp August sah demgemäß ein System der Schiedsgerichtsbarkeit vor, um auftretende Grenzkonflikte „inter imperium et regnum“ zu regeln7. Diese Unterscheidung zwischen (französischem) Königreich und (römisch-deutschem) Kaiserreich blieb entlang der Grenze, und sogar bis in die Ortsnamenkunde hinein, die klassische Art und Weise der Unterscheidung der beiden politischen Einheiten. Aber meistens war die Unterscheidung, zumindest in den französischen Quellen, vollständiger und eindeutig: regnum Franciae und regnum/imperium Teutonicorum oder Almanie.
In diesem Punkt hätte es eine Meinungsverschiedenheit zwischen der französischen und der deutschen Sicht geben können. Während des Investiturstreits wollte das Reformpapsttum am Ende des 11. Jahrhunderts zur Bezeichnung des Reichs den Begriff regnum Teutonicorum anstelle von regnum/imperium Romanorum durchsetzen, um zu verdeutlichen, dass es nur ein Königreich unter anderen war. Aber dieser Versuch währte nur kurz; seit dem „Wormser Konkordat“ von 1122 waren sich die deutschen Herrscher, das Papsttum und die deutschen Fürsten darin einig, dass das Römische Reich – einige Jahrzehnte später sollte man vom Heiligen Römischen Reich sprechen – die einzige politische Realität war, die es zu berücksichtigen galt; das Königreich Deutschland war in erster Linie eine geographische Tatsache8.
Die in den Augen der Deutschen „offizielle“ Bezeichnung regnum/imperium beziehungsweise rex/imperator Romanorum wurde in Frankreich zwar nicht ignoriert, aber mit Vorsicht benutzt: Die Kanzlei der Könige von Frankreich kannte den Begriff rex Romanorum beziehungsweise regnum Romanorum; ein Kanzleiformular von 1308, das die sieben Kurfürsten erwähnt, formuliert folgendermaßen: „isti prenominati eligunt regem Romanorum“. Als die Grandes Chroniques de France von der Absetzung Friedrichs II. im Jahr 1239 berichten, titulieren sie das Kapitel „comment l’empereur de Rome fu escommenié“. Aber die Bezeichnung, die diese Chroniken bevorzugen, ist dennoch die des Königs beziehungsweise Königreichs von Deutschland. Das Vertragsprojekt zwischen Heinrich VII. und Philipp IV. aus dem Jahr 1310 erwähnt am Anfang der Urkunde den Titel des Königs der Römer, aber anschließend spricht die königlich-französische Kanzlei nur noch von den roys d’Alemaigne, eine Bezeichnung, die sich streng symmetrisch zu jener der roys de France verhält9. Und Froissart spricht von Karl dem Großen als dem „bon roy Carlemainne qui fu empererés d’Alemaigne et roys de Franche“10.
Bei den französischen Autoren begegnet in der Tat der Versuch, genaue Symmetrie herzustellen bei der Bezeichnung der beiden Königreiche: Auf der einen Seite gibt es das Königreich Frankreich (regnum Francie), dessen Einwohner die Franci sind, und auf der anderen Seite das regnum/imperium Teutonicorum/Almanorum, dessen Einwohner die Teutonici oder Almani sind. Für die Deutschen wiederum zeigte sich die deutsche Eigenschaft dieses Reiches immer deutlicher. Folgerichtig nahm es Ende des 15. Jahrhunderts den Titel des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation an, blieb aber das Heilige Römische Reich.
Es existierte demzufolge ein weitgehend aus der vorangegangenen Epoche übernommenes System von Bezeichnungen, das es erlaubte, den anderen klar zu identifizieren und ihn von sich selbst zu unterscheiden, mithin zwei Länder, zwei Völker und ihre politischen Einheiten deutlich als Ganzes voneinander abzugrenzen und nicht nur als eine Ansammlung von städtischen und regionalen Eigenheiten. Diese Bezeichnungen bereiten insgesamt keine Probleme, stellen keinen Zankapfel zwischen beiden Nationen dar: Um die Menschen der anderen Nation und ihr Land zu benennen, übernimmt oder übersetzt man die Ausdrücke in Vulgärsprache, die die Bevölkerung der anderen Nation sich selbst beilegt.
Trotz allem tauchen einige Mehrdeutigkeiten auf, die nicht völlig ausgeblendet werden können. Dieses Benennungssystem erlaubt es den Franzosen weitgehend, sich das fränkische und karolingische Erbe zuzuschreiben, dessen Namen sie tragen. Der Begriff Gallia ist ein mehrdeutiger, sogar potentiell gefährlicher Begriff, denn sein antiker Sinn bezieht sich auf das von der Germania durch den Rhein getrennte Land und damit auf ein viel weiter nach Osten reichendes Gebiet als das Königreich Frankreich.
Schließlich verbirgt die Bezeichnung von Deutschland als politischer Einheit einen Konflikt, der lange unterschwellig bleibt: Handelt es sich um das regnum/ imperium Romanorum oder einfach um das regnum/imperium Teutonicorum/Almanie, das genau symmetrisch zum regnum Francie/Francorum zu verstehen ist?