Читать книгу Schnee auf Ouessant - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеKommissar Kerber war erstaunt, als sein OPJ ihm mitteilte, dass er mit seinem Kollegen, Paul Chevrier und den Kollegen von der Spurensicherung, auf die Île d´Ouessant fliegen sollte, um dort einen Mordfall aufzuklären. Die eigentlich zuständigen Kollegen in Brest, waren mit einer Mordserie beschäftigt und damit voll ausgelastet. Sodass sie keine Zeit und keine Männer für die Untersuchung eines Mordes auf Ouessant zur Verfügung stellen konnten.
Ewen Kerber hatte gerade erst seinen letzten Fall abgeschlossen, einen Mord im Park von Trévarez. Jetzt sollte er in wenigen Stunden bereits nach Ouessant fliegen, warum er?
Die Frage war unnötig, wenn nicht er, wer denn sonst. Er war der Leiter der Mordkommission von Quimper und damit der zuständige Ermittler, falls die Kollegen in Brest um Unterstützung baten.
Er musste zuerst nach Hause fahren und sich wenigstens einige Sachen einpacken. Ein Mord würde nicht in ein paar Stunden aufgeklärt werden. Ewen griff zum Telefon und wählte die Nummer seiner Frau, beim BNP Paribas.
„Carla, Ewen hier. Gut, dass ich dich erreiche.“
„Aber Ewen, ich bin doch beinahe immer zu erreichen, wenn ich im Büro bin. Was gibt es denn Wichtiges?“
„Nourilly hat mir soeben mitgeteilt, dass ich einen neuen Fall habe.“
„Oh, schon wieder ein Toter in Quimper?“
„Nein, diesmal ist der Tote nicht hier in der Cornouaille. Wir müssen“, Ewen hielt für einen kurzen Moment inne, „halte dich fest, nach Ouessant fahren.“
„Bitte, du musst nach Ouessant? Ach, mein armer Liebling, hoffentlich übersteht dein Magen diese Reise?“
„Ich muss nicht auf ein Schiff gehen, wir bekommen den Hubschrauber gestellt. Ich will dir nur sagen, dass ich ein paar Kleider zusammenpacken werde und mich dann auf den Weg mache. Wir fliegen bereits in wenigen Stunden los. Paul und Dustin werden mich begleiten. Nourilly hat uns bereits Zimmer im Hotel Le Fromveur reserviert.“
„Dann kannst du ja unseren letzten Kurzurlaub auf der Insel revue passieren lassen.“
„Nur, wenn ich Zeit dazu habe. Ich melde mich am Abend bei dir.“
Ewen verabschiedete sich und ging nach Hause. Zwei Stunden später war er wieder im Büro. Paul und Dustin warteten bereits auf ihn, gemeinsam fuhren sie zum Flughafen. Nourilly hatte ihnen noch die Kopien der ersten wenigen Ermittlungsunterlagen mitgegeben, damit sie sich in den Fall einlesen konnten.
„Das sehen wir uns auf der Insel an. Wir gehen sofort nach der Landung ins Hotel, geben unser Gepäck ab und setzen uns mit der ortsansässigen Gendarmerie in Verbindung.“
„Du kennst dich doch gut auf der Insel aus Ewen, oder etwa nicht?“
„Paul, du wirst es selbst erleben, sobald wir auf der Insel sind. Es gibt nicht viel, um sich dort auszukennen. Die Insel ist gerade einmal sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit. Wir haben damals alle Wege zu Fuß erkundet. Ich gehe davon aus, dass man uns einen Polizeiwagen, oder wenigstens ein paar Fahrräder zur Verfügung stellen wird.“
Dustin hatte das Geplänkel zwischen Paul und Ewen mit angehört.
„Kann mir einer sagen, warum ich dann auf die Insel soll? Bei so einem kleinen Flecken, da kann es doch schon fast keine neuen Spuren geben. Bestimmt ist alles bereits vollständig zertrampelt.“
„Dustin, ohne dich sind wir aufgeschmissen, das weißt du ganz genau. Und im Übrigen, das Auffinden von Fingerabdrücken, DNA und was es sonst noch alles an Spuren gibt, kann keiner besser als du, unser Spezialist.“
„War auch nur ein Spaß.“ Dustin wusste zwar, dass Ewen ihn eher auf den Arm nehmen wollte, als seine besonderen Fähigkeiten herauszustellen, er hörte diese Lobeshymne dennoch gerne.
Der Hubschrauber stand bereit, als sie am Flughafen ankamen und ihren Wagen auf dem Platz der Flughafenbehörde abstellten. Die Strecke nach Ouessant legte der Hubschrauber in knappen 40 Minuten zurück. Kein Vergleich zu den zweieinhalb Stunden, die das Schiff von Brest aus benötigt hätte.
Sie landeten auf dem eigens für Hubschrauber angelegten Landeplatz vor dem Radarturm, der die Rail d´Ouessant überwachte. Mit über 60.000 Schiffen war die Route durch den Kanal die am stärksten befahrene Passage in Europa. Gleichzeitig mussten die Schiffe auch die Fromveurströmung, die gefährlichste Europas, passieren.
Als Ewen Kerber mit seinen Kollegen aus dem Hubschrauber kletterte, kam ihnen bereits ein junger Gendarm entgegen. Der Beamte war beauftragt worden, die Messieurs les Commissaires, abzuholen und sie ins Hotel Le Fromveur zu bringen.
„Bonjour les Commissaires“, begrüßte er die ankommenden Männer.
„Jean-Paul Berthelé, mein Name. Ich soll Sie sofort ins Hotel Le Fromveur bringen. Anschließend erwartet Sie mein Vorgesetzter im Gendarmerieposten, nur wenige Meter vom Hotel entfernt. Ich werde Ihnen den Weg zeigen.“
„Bonjour Monsieur Berthelé, Ewen Kerber von der police judiciaire Quimper. Meine Kollegen, Paul Chevrier und Dustin Goarant“, begrüßte Ewen den Mann. Auch Paul und Dustin reichten ihm die Hand. Danach stiegen sie in den Polizeiwagen, der gut und gerne seine 15 Jahre auf dem Buckel hatte. Ein Blick auf den Tachometer zeigte Ewen, dass das Fahrzeug gerade einmal 50.000 Kilometer zurückgelegt hatte. Kein Wunder, dass das Fahrzeug noch nicht ersetzt worden war.
Der junge Gendarm musste wohl die erstaunten Blicke gesehen haben, die Ewen beim Anblick des Wagens und bei der Betrachtung des Tachometers gezeigt hatte.
„Wir fahren hier auf der Insel keine großen Strecken. Wenn es hoch kommt, sind es vielleicht zwölf Kilometer am Tag. Die Insel ist klein, und viele Wege sind sowieso nur mit Fahrrädern zu befahren. Da kommt nicht viel auf den Tacho.“
„Das kann ich gut verstehen“, meinte Ewen, als der Wagen sich in Bewegung setzte und die knapp 500 Meter bis zur Hauptstraße, die den Port du Stiff, der Anlegestelle der Schiffsverbindung von Brest, und Le Conquet, mit dem Hauptort Lampaul verband. An der Kreuzung hielt der Wagen kurz an, um eine Reihe von Fahrradfahrern vorbeifahren zu lassen. Dann bogen sie nach rechts ab und folgten der Straße noch ungefähr vier Kilometer.
Das Hotel Le Fromveur lag im Zentrum des kleinen Ortes, nur wenige Meter von der Kirche, dem kleinen Spar Supermarkt und einigen Andenkengeschäften entfernt.
Der Polizeiwagen hielt vor der Eingangstür und die drei Männer stiegen aus, holten ihre Gepäckstücke, die sie vor dem Einsteigen in den Kofferraum gelegt hatten, und betraten das Hotel.
„Bonjour Monsieur le commissaire“, begrüßte sie der Wirt, Tanguy Kerlann. Ein Mann um die 50, dicklich, mit einem sympathischen Lächeln.
„Bonjour Monsieur Kerlann, so schnell kann man sich wiedersehen“, meinte Ewen und reichte dem Wirt die Hand.
„Ich habe Ihnen doch beim letzten Besuch gesagt, wer einmal auf der Insel gewesen ist, der will nicht mehr weg von hier.“
Ewen musste lachen, er erinnerte sich zu gut an seine Gedanken, beim damaligen Ausspruch dieser Worte des Wirts. Damals war er davon überzeugt, dass alleine schon der Gedanke an eine erneute Durchquerung des Fromveur, einen dazu bringen konnte auf der Insel bleiben zu wollen.
„Wie geht es Ihrer Frau, Gaëlle?“, fragte Ewen den Wirt.
„Der geht es bestens, sie ist in der Küche und bereitet alles für den Abend vor. Was bringt Sie wieder auf die Insel?“
Kerlann sah Ewens Kollegen an und reichte jedem die Hand.
„Eine Straftat, Monsieur Kerlann.“
„Ach, der Tod von dem Alten, Marc Noret?“
„Ich habe mir die Akte noch nicht genau angesehen, aber es kann schon sein, dass das sein Name gewesen ist.“
„Ja, der arme Noret, er ist zwar ein ziemlicher Eigenbrötler gewesen, aber eine liebenswerte Person. Wir haben es nicht fassen können, als wir gestern von seinem Tod gehört haben. Als die Küstenwache sein Boot im Schlepptau in den Hafen gebracht hat, da haben wir gedacht, es hätte einen Zusammenstoß mit einem anderen Schiff gegeben, oder er sei einem Herzinfarkt erlegen. Er ist ein erfahrener Fischer gewesen und hat die Gewässer um Ouessant wie kein Zweiter gekannt. Genauso gut hat er von den Gefahren gewusst, die das Meer rund um die Insel birgt. Deshalb glauben wir nicht an einen Unfall. Dann gibt es das Gerücht, dass er ermordet worden ist. Nachdem Sie jetzt hier eingetroffen sind, muss wohl etwas dran sein.“
„Ja Monsieur Kerlann, da ist wohl etwas dran. Wir würden gerne unsere Zimmer beziehen, wenn es möglich ist?“
Ewen wollte sich jetzt nicht ausführlicher zu dem Fall äußern, zumal er selbst noch nicht so richtig wusste, was genau vorgefallen war.
„Natürlich ist es möglich, die Saison ist fast vorbei, da sind nicht mehr alle Zimmer besetzt. Ihre Zimmer sind schon bereit.“
Tanguy Kerlann zog eine Schublade unter seinem Empfangstisch auf und entnahm ihr drei Schlüssel. Er reichte Ewen den Schlüssel mit der Nummer 10, Paul Chevrier reichte er die 11 und Dustin die Nummer 15.
„Sie kennen sich ja schon aus, Monsieur le commissaire“, sagte Tanguy und zeigte auf die rechte Seite seiner Theke.
„Die Treppe hoch und durch den Wintergarten.“
„Danke, Monsieur Kerlann, ich kenne mich noch aus.“
Ewen ging voran. Auf der ersten Etage lagen die Zimmer 10 und 11 auf der rechten Seite. Dustin musste, um sein Zimmer zu erreichen, den kleinen Wintergarten durchqueren und eine weitere Treppe nach oben steigen. Die Herren verabredeten sich in einer viertel Stunde im Gastraum des Hotels, um sich die Akte genauer anzusehen.
Ewen legte seine Reisetasche im Zimmer ab, nahm die Akte aus der Mappe und machte sich sofort auf den Weg nach unten.
Dann sprach er den Wirt an.
„Monsieur Kerlann, Sie haben vorhin die Gerüchte erwähnt, die zurzeit im Umlauf sind. Was genau erzählen sich die Insulaner denn?“
„Nun, Monsieur le commissaire, ich kann Ihnen nicht viel sagen, mir ist nur bekannt, dass ein Schiff der surveillance maritime das Boot von Marc Noret aus der Fahrrinne gezogen hat. Es soll sich mitten in der Strömung des Fromveur befunden haben. Als die surveillance maritime das Boot per Funk kontaktiert hat, hat niemand auf dem Boot geantwortet. Die Strömung ist bereits dabei gewesen, das Fischerboot in Richtung des Kanals zu ziehen. Es wäre ganz bestimmt zu einer Kollision mit einem der großen Schiffe gekommen, wenn das Boot nicht rechtzeitig abgefangen worden wäre. Es hätte Fürchterliches passieren können. Unsere größte Angst auf Ouessant ist eine erneute Ölkatastrophe, wie die der Amoco Cadiz vor 36 Jahren. Ich bin damals noch ein kleiner Pimpf gewesen. Mein Vater hat mich mit zum Strand genommen. Ich habe beim Säubern geholfen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Öl in ein Schiff von 334 Meter Länge passt.“
Ewen wollte wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren.
„Die surveillance maritime hat das Boot von Noret herrenlos in der Strömung gefunden?“
„Ja, so erzählt man im Dorf.“
Inzwischen waren auch Ewens Kollegen heruntergekommen.
„Wir setzten uns an einen Tisch in der Bar, Monsieur Kerlann, um die Akten zu studieren. Bringen Sie uns etwas zu trinken?“
„Einen Rosé für Sie?“ Tanguy Kerlann konnte sich noch erinnern, dass Kerber immer nach einem Rosé gefragt hatte.
„Nicht in der Dienstzeit, später sehr gerne. Sie können schon eine Flasche kaltstellen. Jetzt wäre eine Tasse Kaffee genau das Richtige.“
„Für mich ebenfalls“, sagte Paul, und Dustin bestellte eine Flasche eau plate.
Ewen legte die Akte auf den Tisch, und sie sahen sich die wenigen Informationen an.
Das Protokoll der Küstenwache, die Aussage des Matrosen, der als erster auf das Boot von Noret gekommen war, schließlich noch die Bilder, die die Küstenwache auf dem Boot aufgenommen hatte.