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Kapitel 7

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Didier Callac ging von einem Bienenstock zum nächsten. Verteilt auf der großen freien Fläche, zwischen dem Leuchtturm Stiff auf der einen Seite und dem Flughafen auf der anderen, hatte Madame Malgorn damals große Flächen aufgekauft und ihre Bienenstöcke dort aufgestellt. Seit ihrem Tod, vor über einem Jahr, verwaltete er das kleine aber durchaus lukrative Unternehmen. Das Erbe von Madame Malgorn hatte der Unternehmer, Vincent Dumont-Mellac aus Paris geerbt. Der Mann stellte Verpackungsmaterial für die Kosmetikindustrie her. Dumont-Mellac hatte ihm, Dieter Callac, die Verwaltung des kleinen Honigimperiums überlassen und sein Gehalt sogar noch erhöht. Er konnte von seinem Gehalt hier auf der Insel ein komfortables Leben führen. Es brauchte nicht viel, um hier gut leben zu können. Auf täglich wechselnde Kleidung, wie man sie als Manager, Anwalt oder als Angestellter einer Firma benötigte, konnte man hier gut verzichten. Sein alter Lieferwagen, der schon an die 16 Jahre alt war, aber erst 55.000 Kilometer auf dem Tachometer hatte, würde bestimmt noch weitere 16 Jahre durchhalten. Sein Haus hatte er von seinen Eltern geerbt. Es kostete ihn bis auf die zu entrichtende Steuer nicht viel. Viele Möglichkeiten sein Geld auszugeben, wenn man vom Erwerb von Nahrungsmitteln absah, gab es ebenfalls nicht auf Ouessant. So trugen viele Insulaner ihr Geld in die wenigen Bars und Restaurants der Insel, was zur Folge hatte, dass auch die Wirte ein angenehmes Leben führen konnten. Kurz gesagt, die Wirtschaft auf Ouessant lief gut. Wenn es auch nicht Geld hagelte, so tropfte es wenigstens gleichmäßig, pflegte Pierre Berthelé, ebenfalls ein Bienenzüchter und guter Bekannter von Didier Callac, zu sagen.

Seit einigen Wochen aber hatte sich das beschauliche Leben von Didier Callac verändert. Bei einem seiner seltenen Besuche auf dem Festland, war ihm eine Frau begegnet, die ihn sofort gefesselt hatte, und für die er bereit war, alles aufzugeben.

Er war, auf dem Weg vom Hafen in die Innenstadt von Brest, an der Grünfläche der Rue Pierre Brossolette entlang gegangen, als er sie auf einer Parkbank sitzen sah. Ein Buch in der Hand, mit Jeans und Pullover bekleidet, saß sie dort und genoss die letzten Sonnenstrahlen des zu Ende gehenden Sommers. Ihre dunkelbraunen, langen Haare wehten sanft im Wind, zurückgehalten von der Sonnenbrille, die lässig auf ihrem Kopf steckte.

Didier Callac war vom Anblick dieser Frau fasziniert gewesen. Wie konnte er sie ansprechen, ohne dass es plump wirkte? Er überlegte nicht lange, die ehrlichste Art und Weise war ihr einfach zu sagen, dass er nicht anders konnte und sie ansprechen musste. Mehr als eine Abfuhr konnte er nicht ernten.

„Verzeihen Sie Madame“, sprach er die Frau an.

„Ich kann nicht anders, ich muss Sie ansprechen. Ich würde Sie gerne kennenlernen oder wenigstens einmal in meinem Leben mit Ihnen eine Tasse Kaffee trinken gehen.“

Die Angesprochene hob ihren Blick, der bis jetzt noch an den Seiten des Buches gehangen hatte, und sah Didier Callac an.

Vor ihr stand ein gutaussehender Mann mit dunklen Haaren, den sie auf Ende dreißig schätzte. Wenn sie, trotz der sie blendenden Sonne richtig sah, sah er sie aus großen, braunen Augen freundlich lächelnd an.

„Bonjour Monsieur, haben Sie gerade gesagt, dass Sie eine Tasse Kaffee mit mir trinken wollen? Wie komme ich zu der Einladung? Wir kennen uns doch nicht.“

„Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich mich Ihnen auf die plumpste Art genähert habe. Aber ich habe nicht anders handeln können. Würden Sie mir die Freude bereiten, und eine Tasse Kaffee mit mir trinken gehen? Ich finde Sie einfach wunderschön.“

Die Frau legte ihr Buch zur Seite und setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase. Dann schien sie zu überlegen, ob sie das Angebot des fremden Mannes annehmen oder es klar zurückweisen sollte. Sie erhob sich von ihrem Platz, nahm die Handtasche, die neben ihr auf der Bank gestanden hatte, und sah Callac an.

„Ich wollte sowieso gerade eine Tasse Kaffee trinken gehen. Warum nicht in Begleitung?“

Didier Callac war außer sich vor Freude. Sie gingen gemeinsam in die Innenstadt. Am Anfang der Rue de Siam lagen zahlreiche Bistros und Cafés. Auf der Terrasse des Au Bureau waren etliche Tische frei. Sie setzten sich an einen Tisch in der Sonne. Didier Callac bestellte zwei Tassen Kaffee, und die Frau bat den Kellner zusätzlich um ein Glas Wasser.

„Ich habe noch nie eine so direkte, aber, ich muss zugeben, schmeichelnde Einladung zu einem Kaffee erhalten. Wie heißen Sie überhaupt?“

„Verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Didier Callac, ich komme von Ouessant. Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?“

„Fragen dürfen Sie, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die Frage beantworte.“

Didier Callac sah, dass die Frau bei der Antwort mit ihrem Ehering spielte.

So war es ihm in den vergangen Jahren immer wieder ergangen. Die schönsten Frauen schienen alle schon verheiratet zu sein. Aber diesmal wollte er sich davon nicht entmutigen lassen.

„Ich kann Sie gut verstehen, Ihr Ehemann ist eifersüchtig und wahrscheinlich ein Riese.“

Sie musste lachen.

„Weder das eine noch das andere. Mein Mann ist für vier Tage geschäftlich nach Berlin geflogen. Er hat mich mit nach Brest genommen, ich verbringe hier einige Tage bei meiner Freundin. Da auch meine Freundin berufstätig ist, können wir uns immer erst am späteren Nachmittag sehen. Was machen Sie denn?“

„Ich bin Verwalter eines Imperiums.“

„Wow, dann sind Sie ja eine ganz große Persönlichkeit?“

Jetzt war es an Didier, der lachte.

„Ich muss meine Aussage etwas ausführen, um keine allzu großen Irrtümer aufkommen zu lassen. Ich bin Verwalter eines Honigimperiums. Genauer gesagt, bin ich zuständig für ungefähr 80 Bienenstöcke. Warum ich das als Imperium bezeichne ist einfach. Auf unserer Insel Ouessant, gibt es vielleicht 120 Völker, da sind 80 schon eine ganze Menge. Sie sollen wissen, dass der Honig von Ouessant der beste der Welt ist. Er wird sogar in der Kosmetikindustrie eingesetzt.“

„Das hört sich interessant an. Kann man davon leben?“

„Wenn es meine Bienenstöcke wären, könnte ich bestimmt sehr gut davon leben, aber wie ich schon gesagt habe, ich verwalte sie nur. Mein Einkommen reicht jedoch aus, um auf Ouessant ein zufriedenes Leben zu führen. Wenn Sie, Madame, jetzt noch an meiner Seite lebten, dann wäre es auch ein sehr glückliches Leben.“

Didier bemerkte, dass die Frau bei diesen Worten leicht errötete.

„Ich heiße Armelle Dalar und komme aus Châteaulin. Mein Mann ist von Brest aus geflogen, und ich habe ihn hierher begleitet, weil es eine gute Gelegenheit gewesen ist, meine Freundin zu besuchen“, wiederholte sie die Begründung für ihren augenblicklichen Aufenthalt in der Stadt.

Der Keller brachte den Kaffee und das Wasser und kassierte sofort.

„Ich freue mich, dass Sie sich noch ein Wasser dazu bestellt haben. Das verlängert unsere gemeinsame Zeit.“

Didier Callac sah die Frau mit strahlenden Augen an. Fast hatte er den Eindruck, dass auch ihr Blick an Herzlichkeit gewann.

Sie blieben noch einige Zeit auf der Terrasse des Au Bureau sitzen. Dann spazierten sie durch die Rue de Siam, betrachteten die Auslagen diverser Boutiquen. Didier Callac erzählte beinahe ohne Unterlass von seiner Arbeit, seinem Leben und seinen unerfüllten Träumen. Didier hatte nur Augen für die Frau. Den Auslagen schenkte er keine oder nur wenig Beachtung. Die Zeit schritt voran, und die Tische der Restaurants füllten sich bereits mit den Mittagsgästen. Didier schlug vor, etwas essen zu gehen und hoffte, dass Armelle ihm die Freude bereiten und ihn begleiten würde. Ihre Zusage machte ihn überglücklich.

Nach dem Essen hatten sie sich gegenseitig das Du angeboten und es mit einem Kuss besiegelt. Auch den Nachmittag verbrachten sie gemeinsam. Als die Zeit für die Trennung gekommen schien, fragte er Armelle ob sie ihn nicht einfach für die drei Tage, die sie noch in Brest zur Verfügung hatte, auf die Insel Ouessant begleiten wollte.

„Ich würde dir sehr gerne meine Insel zeigen.“

Armelle wusste nicht, warum sie sich zu diesem Mann so hingezogen fühlte, warum sie sich danach sehnte, in seinen Armen zu liegen und von ihm geliebt zu werden. Sie war sich der Konsequenzen sehr wohl bewusst, die diese Einladung nach Ouessant mit sich bringen könnte und wahrscheinlich auch mit sich bringen würde. Ihr Leben mit dem wohlhabenden Gurvan war sicher und bot ihr genügend Möglichkeiten für ihre Freizeitgestaltung. Sie fuhr mehrmals in der Woche nach Quimper, um dort neue Kleidung zu kaufen, Kaffee zu trinken oder das Theater zu besuchen. Aber war das wirklich alles, was sie in diesem Leben wollte? Gab es nicht doch noch etwas anderes? Sie vermisste Zärtlichkeit und inniges Beisammensein, sie vermisste inhaltsvolle Gespräche und nicht nur das tägliche „Wie geht es dir, was hast du heute gemacht…“

Didier erschien die Zeit, bis Armelle sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, wie eine Ewigkeit. Ihre Gesichtszüge hatten eine Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit angenommen, und auf ihrer Stirn waren drei kleine Falten erschienen. Dann aber kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.

„Ja, ich will!“ Armelle Dalar umarmte Didier und küsste ihn leidenschaftlich. Er umschlang sie und drückte sie eng an sich, so dass er ihre Brüste an seinem Oberkörper spürte.

„Ich rufe meine Freundin an und sage ihr, dass ich zurück fahren muss.“

Didier sah auf die Uhr, sie hatten nur noch 50 Minuten Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes. Nichts von dem, was er heute in Brest erledigen wollte, war gemacht. Aber an seiner Hand hielt er die schönste Frau der Welt, und sie würde ihn nach Ouessant begleiten.

Die drei Tage auf Ouessant verbrachten Armelle und Didier in vollkommener Harmonie. War es das Neue, was Armelle so begeisterte? War es die Insel, die sie sofort in ihr Herz schloss? War es das Andere, das einfache aber erfüllende Leben der Verliebten? Sie wusste es nicht und konnte es sich auch nicht erklären. Ihre Entscheidung aber war gefallen. Sie wollte ihr restliches Leben hier auf Ouessant, an der Seite von Didier Callac verbringen. Sie wollte mit ihm zu den Bienen gehen und mit ihm die Fahrten übers Meer genießen. Ein letztes Mal würde sie nach Châteaulin zurückfahren, um ihren Mann über ihre Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Sie hoffte, dass ihre Scheidung ohne große Probleme verlaufen konnte.

Didier Callac brachte sie zur Fähre und verabschiedet sich von ihr. Der Abschied war hoffentlich nur von kurzer Dauer. In drei oder spätestens vier Wochen würde sie für immer nach Ouessant kommen, auf die Insel der Frauen, wie Didier seine Insel auch zu nennen pflegte. Es waren immer die Frauen gewesen, die die Insel bewirtschaftet, die Felder bestellt, die Tiere versorgt und, auf den Leitern stehend, die Schäden an den Dächern der Häuser nach den Winterstürmen repariert hatten. Anfang des vergangenen Jahrhunderts zählte man auf der Insel drei Frauen auf einen erwachsenen Mann. Die Männer waren entweder beim Fischen, dienten als Matrosen auf den Kriegsschiffen der französischen Marine, oder waren schlichtweg auf See gestorben. Die Frauen hatten sehen müssen, wie sie alleine das tägliche Leben meistern konnten.

Kein Wunder, dass die Frauen auf Ouessant zu sagen pflegten: Der Mann verdient das Brot, die Frau die Butter.

Didier Callac wollte seiner neuen Liebe mehr bieten, als nur sein bescheidenes Leben mit ihr zu teilen. Er wollte sich einen kleinen Nebenerwerb sichern und plante, seine eigenen Bienenstöcke aufzubauen.

Auf Ouessant war kein Platz mehr für neue Stöcke. Aber auf der kleinen, an der Nordseite von Ouessant gelegenen Île de Keller, könnte er einen Versuch starten. Die Genehmigung des Besitzers hatte er schon eingeholt. Der alte Schafstall und das daneben stehende Haus, waren von den neuen Eigentümern umgebaut worden und dienten ihnen als Ferienwohnung. Die Insel war daher die meiste Zeit des Jahres unbewohnt. Ein paar Bienenstöcke störten da nicht.

In den letzten zwei Wochen war er immer wieder mit seinem Motorboot zur Insel gefahren und hatte die ersten Bienenstöcke hinübergebracht und aufgebaut. Die ersten drei Völker produzierten bereits seinen Honig.

Am Nachmittag, nach der Arbeit an den Stöcken, die er zu bearbeiten und verwalten hatte, wollte er wieder hinüber auf die nur einen viertel Quadratkilometer große Insel fahren.

Armelle telefonierte fast täglich mit ihm und hatte ihm von dem Gespräch mit ihrem Mann berichtet. Der war nicht erfreut gewesen, als er von ihrer Absicht erfuhr, sich zu trennen. Er willigte jedoch schließlich ein, unter der Bedingung, dass sie die Scheidung erst nach einer Bedenkzeit von einem Monat einreichen würde. Bis dahin sollte sie noch in Châteaulin bleiben. Da er die meiste Zeit unterwegs war, würden sie sich gegenseitig nicht häufig begegnen. So könnte Armelle in aller Ruhe nachdenken und zu einer definitiven Lösung kommen. Im Stillen hoffte Gurvan natürlich, dass sie ihre Entscheidung revidierte.






Schnee auf Ouessant

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