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Kapitel 3

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Ewen Kerber, Paul Chevrier und Dustin Goarant gingen die Protokolle gemeinsam durch. Sie hatten nun einen ersten Eindruck von den Geschehnissen an Bord des kleinen Fischerbootes. Jetzt wollten sie zur Gendarmerie von Ouessant gehen und das weitere Vorgehen dort besprechen.

Von ihrem Hotel, Le Fromveur, bis zur Gendarmerie waren es nur wenige Schritte. In dem kleinen Gendarmerieposten erwartete man die Kommissare bereits. Ewen begrüßte den jungen Jean-Paul Berthelé und stellte sich André Leriche, der die Leitung des Postens innehatte, vor.

„Monsieur Leriche, wir würden gerne mit dem Boot von Monsieur Marc Noret beginnen. Monsieur Goarant soll alle Spuren sichern und soweit wie möglich auch direkt auswerten.“

„Monsieur le commissaire, das dürfte kein Problem sein. Wir haben das Boot nicht betreten, nachdem die surveillance maritime es in den Hafen von Lampaul geschleppt hat. Ich kümmere mich darum, dass Sie mit einem Boot aufs Schiff gebracht werden.“

Ewen war nicht begeistert, mit einem Boot die Strecke zurückzulegen, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Wegen der relativ hohen Gezeitenunterschiede, musste das Fischerboot ein gutes Stück von der Mole entfernt liegen bleiben. Ansonsten wäre es auf dem Trockenen gelandet und vielleicht gekentert.

Es war kein großes Unterfangen, mit dem Ruderboot auf das Fischerboot von Noret zu gelangen. Etwas schwieriger, gestaltete sich das Umsteigen auf das deutlich größere Boot des Fischers.

Ewen war wieder einmal nicht passend ausgerüstet. Seine Gummistiefel, die er am Strand gut hätte gebrauchen können, lagen im Kofferraum seines Dienstfahrzeugs. Er trug die üblichen Lederschuhe. Genau das Richtige für die Küste!

Paul war etwas besser ausgerüstet. Er hatte sich nicht nur Gummistiefel eingepackt, sondern auch Turnschuhe und Wanderstiefel.

„Man kann ja nicht wissen, wohin man auf einer Insel gehen muss“, waren seine Worte gewesen, als er mit Dustin vor ihrem Flug gesprochen hatte. Dustin Goarant war Pauls Rat gefolgt und hatte sich ähnliches Schuhwerk mitgenommen. So war Ewen der einzige, der sich jetzt mit Lederschuhen herumquälen musste.

Auf dem Boot, begann Dustin sofort mit seinen Untersuchungen. Schon auf der Fahrt zum Fischerboot war ihm der Einschuss in der Bordwand aufgefallen. Er nahm sich diesen zuerst vor. Es war ein glatter Durchschuss. Die Kugel hatte das Holz durchschlagen, und war auf der Innenseite wieder ausgetreten.

„Seht euch das an! Ein Schuss hat die Planke durchschlagen, und ist wieder ausgetreten. Das kann keine normale Munition gewesen sein. Die Planken sind ganz schön dick.“

Dustin zeigte auf die oberste Planke und deutete mit seinen Fingern die Holzstärke an.

„Ich schätze, dass es sich um eine 7,62 mm Patrone handelt, was mich allerdings erstaunt.“

„Warum erstaunt dich das?“, fragte Ewen seinen Freund.

„Weil es sich dabei um ehemalige NATO-Munition handelt. Das könnte bedeuten, dass der Schütze ein Gewehr aus den Beständen der Armee benutzt hat.“

„Wie kommst du auf diesen Verdacht?“

„Sieh dir doch nur dieses Loch an. Das Projektil hat die Planke durchschlagen, als wäre sie aus Papier. Die früher eingesetzte 7,62 mm Patrone der NATO kann das sicher. Ihr größter Nachteil ist der enorme Rückstoß gewesen. Jedoch durchschlägt sie spielend einen mittelgroßen Stamm und penetriert dann noch den Körperschutz eines dahinterliegenden Soldaten. Körperdurchschüsse sind mit der Patrone keine Seltenheit. Soviel ich weiß, wird sie jetzt nur noch bei Maschinengewehren und von Scharfschützen verwendet. Bestimmt hast du den Film Sniper gesehen? Der Scharfschütze in dem Film hat solche Patronen benutzt.“

„Den Film kenne ich nicht, aber ich glaube dir alles, du kennst dich mit Waffen aus. Dann müsste das Projektil noch irgendwo auf dem Boot zu finden sein. Ich sehe kein weiteres Loch in den Planken auf der anderen Bootsseite.“

„Stimmt, das Projektil muss hier irgendwo liegen.“

„Hat man das Projektil gefunden, das Marc Noret getötet hat?“, Die Frage war an den Gendarmen, der sie begleitet hatte und auf Dustins Wunsch im Ruderboot geblieben war, gerichtet. Dustin wollte vermeiden, dass sich zu viele Personen am Tatort aufhielten, die eventuell die Spuren zerstören konnten.

„Nein Monsieur le commissaire, jetzt, da Sie danach fragen, fällt es mir auch auf, dass wir von keinem Projektil gelesen oder gehört haben. Der Pathologe in Brest hat in seinem Bericht nichts erwähnt.“

„Dann müssen wir nach zwei Projektilen Ausschau halten.“

Ewen richtete die Worte an Dustin und sah sich dabei schon um.

Bevor Dustin nicht alle Spuren gesichert hatte, wollte Ewen nicht mit der Suche beginnen. Dustin begann mit der Arbeit und suchte nach Fingerabdrücken, DNA oder kleinsten Faserspuren. Der übliche Vorgang. Erst danach, wenn Ewen der Meinung war, dass Dustin alles gesichert hatte, kümmerte er sich um die eigentliche Durchsuchung.

„Hast du schon etwas gefunden?“, fragte Ewen seinen Freund.

„Fingerabdrücke gibt es genügend, die sehen beinahe alle identisch aus, es kann sich um die Spuren des Toten handeln.“

Dustin arbeitete sich langsam voran. Als er in dem kleinen Führerhaus des Bootes angekommen war, war sein Vorrat an mitgebrachten Filmstreifen, die er zum Abnehmen der Fingerabdrücke brauchte, schon deutlich reduziert.

„Können wir uns auf Deck bereits umsehen, oder bist du noch nicht soweit?“, fragte Paul den Kollegen.

„Das Deck ist okay, ich sehe mich jetzt hier drinnen um“, antwortete Dustin. Dabei unterbrach er die Arbeit mit seinem Superpinsel nicht.

Dustin nahm seinen feinen Pinsel und verteilte das Kontrastpulver. Früher nutzte er hierzu einen Fehhaar- oder auch einen Marabu-Pinsel. Seit einigen Jahren kam ein Zephyr-Pinsel aus feinsten Glasfasern zum Einsatz. Die mehr als 1.000 Fiber-Bündel, mit den jeweils über 100 einzelnen Glasfasern, konnten eine ausreichende Pulvermenge aufnehmen und festhalten. Auch die Lebensdauer war beträchtlich länger, als bei den früheren Materialien. Immer wieder begeisterte ihn der große Vorteil, dass die Faserenden durch den Gebrauch zunehmend weicher wurden. Er benahm sich beinahe wie ein Kind, das sich über ein Spielzeug freute. Ewen sah Dustin manchmal zu, wie er geschickt mit dem Pinsel hantierte.

Ewen und Paul begannen mit der Untersuchung an Deck des kleinen Fischkutters. In der Mitte des Decks lagen zahlreiche Seile übereinander. Darüber lagen kleinere Netze in verschiedenen Farben. Netze von hellgrün über dunkelblau bis zu einem zarten rosa. Neben der Reling lagen drei Angeln auf dem Deck. Ewen suchte in dem Knäuel aus Stricken und Netzen nach dem Projektil. Wenn er sich die Schussbahn vor Augen führte, die das Projektil genommen haben musste, das die Planke durchschlagen hatte, dann musste es in dem Sammelsurium von Netzen und Seilen gelandet sein. Vorsichtig versuchte er, das riesige Knäuel zu entwirren und die Netze von den Seilen zu trennen. Ewen wunderte sich, wie einfach sich das gestaltete. Er hatte angenommen, dass alles nur wild durcheinander geworfen worden war. Jetzt erkannte er, dass Marc Noret mit seiner Ausrüstung sehr sorgsam umgegangen war. Was zuerst wie ein riesiges Knäuel ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit eine sehr sorgfältige Stapelung seiner Netze. Unter den Netzen lagen, ebenfalls sorgfältig und kreisförmig aufgewickelt, seine Taue. Zwischen den Netzen hatte Ewen kein Projektil gefunden, was ihn nicht weiter verwunderte, nachdem Dustin ihm von der Durchschlagskraft erzählt hatte. Er sah sich die dicken Taue an. Teilweise hatten sie den Umfang eines kräftigen Männerarmes. Hier wurde er fündig. Das Projektil hatte die ersten vier Windungen durchschlagen und steckte fast in der Mitte einer Schnecke des aufgerollten Taus.

„Dustin, ich habe das Projektil gefunden, möchtest du es selbst entfernen?“

„Komme sofort, ich bin hier gleich fertig. Ich habe hier so etwas wie ein Logbuch gefunden. Der letzte Eintrag heißt Lan Shanghai, der Name eines Schiffes.“

Ewen zuckte bei dem Namen zusammen. Der kam ihm bekannt vor. Er wollte später darüber nachdenken.

Paul hatte sich den Bug des Bootes vorgenommen, und Ausschau nach dort vorhandenen Spuren gehalten. Er hatte dort aber keine weiteren verwertbaren Spuren gefunden.

Dustin entfernte das Projektil mit einer Pinzette aus dem Tau und legte es in einen Plastikbeutel. Die genauere Untersuchung musste er in Quimper vornehmen, auf der Insel gab es keine Möglichkeit dazu.

„Wo ist der Fischer von dem Schuss getroffen worden?“, fragte Ewen den Gendarm auf dem Ruderboot.

„Ziemlich genau in der Herzgegend“, antwortete der Mann.

„Wo ist dann das zweite Projektil?“ Ewen sah sich um.

Dustin stellte sich neben Ewen und zeigte auf seiner Brust die angenommene Einschussstelle.

„Ich vermute, dass das Projektil irgendwo auf dem Grund des Meeres liegt. Das Projektil hat den Körper von Noret durchschlagen und ist dann auf der anderen Seite ins Meer gefallen.“

„Dann haben wir ja Glück, dass der erste Schuss durch die Planke gegangen ist, und sich im Tau verfangen hat. Sonst hätten wir keinerlei Spur der benutzten Waffe.“

„Das ist sicher richtig“, meinte Dustin und packte seine Utensilien zusammen.

„Ich bin hier fertig“, meinte er dann und sah seine Kollegen an.

„Wir können Schluss machen, ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas finden“, sagte Ewen zu seinen beiden Kollegen und machte sich auf den Rückweg, um das Boot wieder zu verlassen und auf das Ruderboot zu klettern. Er ließ enorme Vorsicht walten in seinen Lederschuhen. Er musste dringend ein paar andere Schuhe kaufen.

Nach wenigen Minuten hatten sie den Hafen von Lampaul wieder erreicht. Sie bedankten sich bei dem Gendarmen der sie begleitet hatte und machten sich auf den Weg ins Hotel Le Fromveur. Der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Ewens Magen begann laut und vernehmbar zu knurren. Seit dem Frühstück hatte Ewen nichts mehr gegessen.

Die wenigen Schritte vom Hafen zu ihrem Hotel waren schnell zurückgelegt. Tanguy Kerlann erwartete seine Gäste bereits.

„Wie wäre es mit einem Aperitif für die Herren?“, fragte er gutgelaunt.

„Da sagen wir aber ganz bestimmt nicht nein“, meinte Ewen.

„Ich bringe nur noch meinen Koffer nach oben, dann bin ich sofort wieder da.“ Dustin zeigte auf seinen großen Alu-Koffer, mit all seinen Utensilien für die Spurensuche.

„Einen Rosé für Monsieur le commissaire?“ Kerlann grinste und hielt die leicht angelaufene Flasche hoch.

„Ich habe es bereits bei der Ankunft gesagt, selbstverständlich ein Glas Rosé für mich.“

Paul brauchte nicht lange zu überlegen, er entschied sich ebenfalls für ein Glas von dem gut gekühlten Wein. Als Dustin in den Wirtsraum trat, rief er schon von der Tür aus, „einen Campari“ für mich.

„Mit Wasser oder Orangensaft?“, fragte Tanguy Kerlann.

„Pur, immer nur pur“, antwortete Dustin.

Sie saßen um den kleinen Tisch am Fenster. Auf der Terrasse, vor dem Fenster, standen drei Tische, die die Inselbewohner besetzt hatten. Junge Leute, die von der Arbeit auf einen Aperitif vorbeigekommen waren, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Beständig fuhren Fahrräder oder Autos am Hotel vorbei, das an der Hauptstraße des Ortes lag.

„Man könnte meinen in einer Großstadt zu sein!“ Dustin sah seine Kollegen an. Er war beeindruckt von dem regen Verkehr. Tanguy Kerlann war an ihren Tisch getreten, um den Campari zu bringen, und hatte die letzten Worte von Dustin mitbekommen.

„Davon sind wir aber noch weit entfernt. Auf der ganzen Insel gibt es nur 500 Autos.“

„Die scheinen aber ständig unterwegs zu sein“, meinte Dustin und lachte.

„Das Benzin gehört doch bestimmt zu den teuersten Produkten auf der Insel?“

„Nun ja, es ist schon deutlich teurer als auf dem Festland. Es kostet ungefähr 30 Centime mehr pro Liter, es muss eben auf die Insel gebracht werden. Aber das gleicht sich wieder aus.“

„Wieso gleicht sich das aus?“ Dustin verstand die Aussage nicht.

„Ganz einfach, wir können nicht viel fahren. Die Insel ist ja nur ganze sieben Kilometer lang. Selbst die Navettes, wie die Taxis bei uns heißen, tanken höchstens einmal in zwei Monaten.“

„Ach, Monsieur Kerlann, bevor ich es vergesse. Ich brauche dringend andere Schuhe.“ Ewen zeigte auf seine Lederschuhe. „Ich habe vergessen, mir inseltaugliche Schuhe mitzunehmen. Wo kann ich die am besten bekommen?“

„Morgen um 17 Uhr legt die Fromveur ab, mit der können Sie nach Brest fahren.“

Ewen sah Monsieur Kerlann zuerst leicht verdutzt an, dann erinnerte er sich wieder an seinen Aufenthalt mit Carla. Auf Ouessant gab es keinerlei Schuh- oder Kleidergeschäfte. Für alles mussten die Insulaner mit dem Schiff aufs Festland fahren.

„Dann werde ich wohl vorerst mit diesen Schuhen vorlieb nehmen müssen.“

„Du kannst doch morgen vielleicht mit dem Hubschrauber mitfliegen und dir ein paar Schuhe von zuhause holen. Ich muss meine ganze Sammlung an Fingerabdrücken und das Projektil ins Labor bringen, da muss der Hubschrauber sowieso herkommen. Nourilly wird zwar nicht begeistert sein, wenn wir den Hubschrauber so oft einsetzen, aber schließlich hat er uns gebeten, hier auszuhelfen.“ Dustin sah Ewen an, als wollte er ihm sagen: Das ist doch eine gute Idee, nicht wahr?

Ewen nickte, prostete seinen Kollegen zu und nahm einen Schluck des kühlen Rosé.

Nach dem gemeinsamen Aperitif gingen sie ins Restaurant. Auch hier erhielten sie einen Tisch am Fenster. Der Garçon brachte ihnen die Speisekarte und ließ ihnen Zeit für ein gründliches Studium derselben.

„Ewen, du hast doch Erfahrung mit dem Restaurant, was kannst du mir empfehlen?“ Paul sah seinen Kollegen an.

„Paul, mir hat hier alles gut geschmeckt. Ich werde mich heute für ein Menu entscheiden. Ich nehme das Enez Eusa.

Enez Eusa war der bretonische Name der Insel. Enez bedeutete Insel und Eusa Ouessant.

Die Kollegen sahen auf Ewens gewähltes Menu.

„Ewen, hier steht, dass der Preis des Menus, inclusive einer Vorspeise, bei 19 oder mit zwei bei 29 Euro liegt. Es sind nur drei Vorspeisen aufgelistet. Kann ich mir von den dreien zwei wählen?“ Dustin sah Ewen gespannt an.

„Genau so funktioniert es. Ich habe bei unserem Besuch auch gemeint, dass eine Vorspeise von der Küche bereits fest vorgesehen ist.“

„Ich schließe mich dir an. Dann kann ich Austern und Coquilles Saint-Jacques gleichzeitig bestellen?“

„Hört sich doch gut an“, pflichtete Paul Dustin bei. Ich bin auch dabei.“

Damit war es klar, alle drei bestellten das Menu Enez Eusa. Ewen blieb bei einer Vorspeise und bestellte die Coquilles Saint-Jacques à la bretonne, bei Paul und Dustin kam eine Assiette von 6 huîtres creuses dazu.

Paul und Dustin nahmen als Hauptspeise etwas Fleisch, sie entschieden sich für einen Fromveur Burger, während Ewen beim Fisch blieb und ein Filet de lieu jaune wählte. Das Dessert war ebenfalls schnell ausgesucht. Nachdem Ewen ihnen von dem Milchreis erzählt hatte, den es so nur hier auf der Insel gab, bestellten alle einen Riz au lait cuit sous les mottes de Tourbe.

Ewen hatte seinen Kollegen die Besonderheit dieses Milchreises erklärt. Ein Milchreis, der unter den nur auf Ouessant so vorkommenden Grassoden gegart wurde. Dafür benötigte man einen speziellen Ofen, den jede Familie auf Ouessant besaß.

Es brauchte keine Erwähnung, ob ihnen das Essen geschmeckt hatte, nachdem sie die Teller restlos geleert hatten.

Die Flasche Wein, die sie zum Essen bestellt hatten, war noch nicht leergetrunken, so dass die Gläser noch einmal gefüllt werden konnten. Jetzt war eine gute Gelegenheit, um den Tag revue passieren zu lassen und die ersten Ergebnisse zusammenzutragen.

„Wenn ich das richtig sehe, ist der Fischer, Marc Noret, auf dem Meer ohne ersichtlichen Grund erschossen worden. Ich habe nicht den Eindruck, dass von dem Boot etwas gestohlen worden ist. Sein Fang ist noch in den Kisten gewesen.“

„Was sehr gut zu riechen gewesen ist!“, ergänzte Dustin Ewens Ausführung.

„Stimmt“, meinte Paul. „Aber warum erschießt man einen Fischer? Der Mann ist mit einem Scharfschützengewehr erschossen worden.“

„Der Schütze hat zwei Schuss gebraucht. Vielleicht hat er beim ersten Schuss die Waffe verrissen, eventuell wegen einer abrupten Bewegung des Schiffes. Der zweite Schuss, nur wenige Sekunden nach dem ersten, ist tödlich gewesen. Noret ist keine Zeit geblieben, sich noch wegzuducken. Aber zurück zu der Frage nach dem Warum.“

„Nun, wenn nichts gestohlen worden ist, dann könnte es sein, dass der Mann etwas gesehen hat, was er nicht hätte sehen sollen.“ Paul sah die Kollegen fragend an.

„Könnte sein“, meinte Ewen, „aber was kann das gewesen sein?“

„Das herauszufinden wird eure Arbeit werden“, meinte Dustin und lehnte sich gemütlich zurück.

„Meine Arbeit habe ich schon beinahe vollständig erledigt.“

„Aber nur, wenn nichts mehr dazukommt“, ergänzte Ewen Dustins Bemerkung.

„Aber wie können wir Näheres herausfinden?“, fragte Paul.

„Was haltet ihr davon, wenn wir erst einmal überprüfen, welche Schiffe sich zum Zeitpunkt der Erschießung des Fischers in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten haben?“, meinte Dustin.

„Sehr gute Idee, aber wie sollen wir das jetzt noch feststellen?“ Ewen sah Dustin und Paul an.

„Vielleicht kann euch ein kleiner Mann aus der Spurensicherung behilflich sein. Ich kenne mich ein wenig mit der Schifffahrt aus. Also, es gibt, zur Überwachung und zur Rettung bei einem Schiffsunfall, das sogenannte AIS-System. Das ist ein automatisches Identifikations System. Fast alle Boote und Schiffe sind damit ausgerüstet. Auch das Fischerboot von Noret hat über dieses System verfügt, ich habe es gesehen, als wir auf dem Boot gewesen sind. Damit sendet jedes Boot oder Schiff ständig seine aktuelle Position, seine Reisegeschwindigkeit, seinen Zielhafen und vieles mehr an die Erfassungsstelle. Diese Daten werden gespeichert, und damit ist es dann möglich, die genaue Position zu einem gegebenen Zeitpunkt abzulesen.“

„Das hört sich gut an Dustin. Läuft das AIS im Hintergrund ständig automatisch ab?“

„Ja Ewen, sobald es eingeschaltet ist, arbeitet es.“

Das bedeutet, dass ich das System ausschalten kann, wenn ich nicht möchte, dass jemand meine Position kennt?"

„Das ist richtig, aber wer will schon darauf verzichten, dass man ihm im Bedarfsfall zu Hilfe kommen kann?“

„Wenn ich etwas verbergen möchte, dann kann ich mir das durchaus vorstellen. Trotzdem sollten wir uns die Daten besorgen. Dustin, machst du das, du kennst dich damit aus, hast du gerade gesagt.“

„Wird morgen in der Frühe als erstes gemacht.“

„Gut, aber noch einmal die Frage, um was könnte es sich handeln, das auf hoher See nicht gesehen werden darf?“

„Es könnte sich natürlich um Schmuggelgut handeln, das von einem Schiff auf ein anderes verladen worden ist.“

„Wäre eine Möglichkeit Paul, es könnte sich um Rauschgift handeln, das von einem Schiff aus dem fernen Osten über Bord geworfen worden ist, damit es von einem anderen Boot aus dem Meer gefischt werden kann. Der Logbucheintrag, den Dustin gesehen hat, hat den Namen Lan Shanghai gehabt. Vielleicht ist das Schiff darin verwickelt.“

„Rauschgift wäre ein Grund, um einen Mitwisser zu beseitigen. Auch auf dem Festland ist die Mafia nicht sehr zimperlich, wenn es darum geht, einen Augenzeugen aus dem Weg zu schaffen.“

Dustin hatte sich inzwischen schon ganz in die Rolle eines Ermittlers hineingedacht.

„Gut, wir beginnen morgen Früh mit der Ermittlung der Boote und Schiffe in der Umgebung des Fischerbootes von Noret. Danach entscheiden wir den weiteren Fortgang.“

Die drei Kollegen genossen noch ihren Rotwein und zogen sich dann auf ihre Zimmer zurück.

Ewen ließ sich den Schlüssel von Zimmer 10 geben und ging nach oben. Er wollte unbedingt noch Carla anrufen, auch wenn es bereits etwas später am Abend war.

„Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt!“, meinte Ewen, als Carla den Hörer abnahm.

„Nein, hast du nicht. Ich sehe mir gerade noch einen Bericht über Ouessant an. Du kennst doch bestimmt die Sendung - des Racines & des Ailes, die von Zeit zu Zeit auf France 3 läuft. Heute haben sie einen Bericht über die Nordküste der Bretagne gebracht, speziell von Ouessant. Sie haben einen Herrn gezeigt, der aus Algen Extrakte herstellt, die dann von diversen Firmen weiterverarbeitet werden. Daraus macht man Kosmetika und vieles mehr. Es ist sehr interessant gewesen. Als wir auf der Insel gewesen sind, haben wir nichts von dem Mann gehört.“

„Interessant, ich werde Kerlann danach fragen. Carla, ich habe in der Eile vergessen, mir vernünftige Schuhe einzupacken. Ich komme mit dem nächsten Hubschrauber zurück. Ich will mir dann ein oder zwei Paar Schuhe mitnehmen. Bist du bitte so nett, mir die Schuhe herauszustellen. Vielleicht auch die Gummistiefel.“

„Das kann ich gerne machen, aber du weißt ja auch wo sie stehen.“

„Ich muss sie immer suchen, ich weiß doch nicht wo sie stehen.“

„Gib zu Ewen, ich habe dich zu sehr verwöhnt. Du musst wieder etwas selbstständiger werden im Haushalt.“

„Das ist nicht nötig Carla, es ist alles gut so. Vermisst du mich wenigstens etwas?“

„Ach Ewen, ich bin noch nicht dazugekommen darüber nachzudenken. An manchen Abenden bist du um diese Zeit auch nicht aus dem Büro zurück.“

Ewen hätte ein deutliches und klares Ja lieber vernommen.

„Ach so, nun, dann kann ich ja auch etwas länger auf Ouessant bleiben.“

„Sei nicht beleidigt, mein Liebling. Natürlich freue ich mich, wenn du wieder hier bist.“

Damit war das Thema jetzt erst einmal beendet. Ewen legte auf und dachte noch ein wenig über den Fall nach. Dann legte er sich ins Bett und schlief sofort ein.









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