Читать книгу Verliebt in deinen Freund - Jennifer Lillian - Страница 11
Fünf
Оглавление„Ist es sehr schlimm?“, wollte ich wissen und zog die Augenbrauen erwartungsvoll hoch.
„Ganz und gar nicht. Ehrlich. Hättest du schon viel früher machen sollen.“ Noch immer blinzelte ich wild, da es sich ungewohnt anfühlte, keine Brille zu tragen und dennoch sehen zu können.
Ich trug jetzt tatsächlich Kontaktlinsen. Bislang hatte ich mich nie an diese Dinger herangetraut, seitdem ich eine Brille tragen musste. Das war jetzt etwa zwei Jahre her.
Als ich mir eine Brille aussuchte, nahm ich gleich eines der größten Gestelle, um das meiste meines Gesichts dahinter verstecken zu können. Damals kam mir das ganz gelegen, dass meine Augen immer schlechter wurden und mittlerweile hatten sie sich einfach zu sehr an die Brille gewöhnt. Aber was ich da beim Optiker im Spiegel gesehen hatte, überraschte mich.
Wir gingen nebeneinander her. Brad bestand darauf, mich noch nach Hause zu begleiten, aus Angst, mir könnte durch die Kontaktlinsen etwas schummerig werden, da ich zum ersten Mal in meinem Leben welche trug. Ob das tatsächlich passieren konnte, wusste ich nicht.
„Ich muss mich wohl noch einmal bei dir bedanken“, meinte ich und deutete mit meinem Finger auf meine Augen, „dafür, dass du das alles geregelt hast mit der Sehstärke und so weiter. Das hat Ewigkeiten gedauert und du hast Stunden für mich geopfert.“ Ich seufzte, da ich mich nicht wohl dabei fühlte, irgendwie in seiner Schuld zu stehen. „Es ist noch ein bisschen ungewohnt, aber ohne dich hätte ich vermutlich wieder eine Riesenbrille gekauft“, gestand ich kleinlaut.
„Und du wolltest mich nicht dabeihaben.“ Pikiert schüttelte er den Kopf und stieß mich leicht in die Seite. „Stell dir mal vor, was die Frau getan hätte, wenn ich nicht dabei gewesen wäre.“
„Ach komm, so schlimm war es nun auch wieder nicht.“ Wir lachten beide über die peinliche Situation.
„Na, ich will es lieber nicht wissen“, musste er noch hinzufügen, als wir bei mir zu Hause ankamen.
Scheinbar merkte er, dass ich ein bisschen wehmütig auf unser Apartment blickte, denn er wurde ernster und legte die Stirn in Falten. „Hör mal, ich meine es wirklich ernst. Wenn du deine Freundin so vermisst und nicht alleine sein möchtest, leiste ich dir gerne Gesellschaft.“ Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und lächelte mich ziemlich selbstbewusst an. Wenn ich doch nur ein bisschen so sein könnte wie er.
„Hm, und was schlägst du vor? Ich habe doch nur Hobbys für Hundertjährige“, sagte ich provozierend und legte dabei den Kopf schief.
„Du sagtest doch, du hörst gerne Musik. Warum trinken wir nicht was zusammen und hören uns ein bisschen was an? Es gibt da so eine gute Bar in der Stadt, in der manchmal ganz coole Bands Gitarrenmusik, Unplugged … alles Mögliche spielen“, schlug er sehr euphorisch vor. Ich wippte von einem Bein auf das andere und wägte diese Option in meinem Kopf ab. Alleine würde mir nur die Decke auf den Kopf fallen, ohne Daph. Und wenn es mir zu blöd in der Bar sein sollte, könnte ich mich locker aus dem Staub machen. Himmel nochmal, sag einfach ja. Du scheinst da einen netten Jungen kennengelernt zu haben, der tatsächlich nur ein wenig Gesellschaft braucht, sagte meine innere Stimme. „Okay, gut. Ich bin dabei. Langweilen wir uns gemeinsam.“
***
Noch nie brauchte ich Daph dringender als in dem Augenblick, als ich verloren vor meinem Kleiderschrank stand. Ich war wirklich ein Nerd, denn ich hatte nur nerdige Sachen in meinem Schrank. Mir gefielen die Klamotten, aber sie waren definitiv nicht zum Ausgehen bestimmt. Was zog man überhaupt in eine Bar an? Jeans? Da es was anderes ohnehin nicht in meinem Schrank gab, fiel die Wahl nicht schwer. Nächste Frage: welches Shirt sollte ich anziehen? Leise fluchte ich, dass mein Kleiderschrank nichts Farbenfrohes enthielt.
„Komm schon, mach dich locker. Nimm einfach irgendwas“, redete ich auf mich selber ein. Zwar fühlte ich mich ohne meine Brille etwas besser, aber was brachte das, wenn der Rest nicht stimmte? Aber wen wollte ich beeindrucken? Immerhin war es nur Brad, mit dem ich was trinken gehen wollte. Ein normaler, gutaussehender Typ, der anhänglicher war als ein Dackel, aber mindestens genauso lustig wie die Filme 21 und 22 Jump Street zusammen. Vielleicht konnte ich in Brad einen Freund finden, mit dem ich wieder lockerer werden würde und lachen konnte. Vielleicht würde ich durch ihn wieder mehr zu mir selbst finden.
Kaum war Daph weg, wurde mir bewusst, wie schwer ich mich damit tat, auf eigenen Beinen zu stehen, und wie sehr ich das verlernt hatte. Wenn Brad nicht in mein Leben getreten wäre, wüsste ich nichts mit mir anzufangen. Vermutlich läge ich zusammengekauert in einer Ecke meines Zimmers, stopfte mir Schokolade, Kuchen und Eis gleichzeitig in den Mund und hasste mich und mein jämmerliches Leben.
Aber jetzt war plötzlich alles anders. Ich hatte jemanden kennengelernt und das ganz ohne Daphs Hilfe. Und das machte mich irgendwie ein bisschen stolz.
***
Die Haare saßen mehr schlecht als recht, als ich nach einem nervigen Sturmklingeln die Haustür öffnete. Brad grinste mich an und nahm den Finger von der Klingel, nachdem ich einen wütenden Blick drauf warf.
„Ernsthaft jetzt? Muss das sein? Einmal klingeln hätte auch gereicht“, erklärte ich ihm mit Nachdruck.
„Und einmal mehr in deinem Leben lachen schadet sicherlich auch nicht. Bist du so leicht auf die Palme zu bringen?“, begrüßte er mich und deutete auf die Uhr. „Können wir dann los?“
„Ja. Ich bin so weit.“ Entschieden schritt ich aus dem Haus und schloss nervös hinter mir die Tür.
Wir betraten die urige Bar, die ziemlich gut besucht war. Fast jeder Tisch war belegt von Cliquen, die sich mit Bier und anderen Getränken amüsierten und den Klängen der Band auf der Bühne lauschten. Ich trieb mich nicht oft in solchen Läden herum, sodass es anfangs ein wenig unangenehm für mich war. Meine Klamottenwahl mit Jeans, schwarzem Shirt und Sneakers passte überraschend gut hier rein. Ich blinzelte noch immer etwas zu oft, da das Tragen der Kontaktlinsen nach wie vor ungewohnt war. Wie lange hatte ich nicht mehr an einer Zigarette gezogen?
Wir verzogen uns in eine abgelegene Ecke, wo wir uns noch in einer angemesseneren Lautstärke unterhalten konnten. Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und blickte mich um. Das war nicht meine Welt. Viel zu viele trinkende Menschen, laute Musik und die düstere Atmosphäre einer Kneipe. Solche Lokale standen nicht auf meiner Liste der Locations, die ich gerne besuchte. Aber ich wollte der Kneipe eine Chance geben. Wenn ich die Zeit ohne Daph meistern wollte, dann am besten mit ein bisschen mehr Offenheit und Toleranz.
Brad beobachtete mich dabei, wie ich mich in dem Laden umsah und winkte einen Kellner an den Tisch, der uns dann kurzerhand unsere Bestellung brachte. Ein Bier für Brad, ein Wasser für mich. Brad schmunzelte beim Anblick meines Getränks.
„Und? Dir gefällt es hier ziemlich gut, oder?“, wollte er von mir wissen und beugte sich dabei über den abgeranzten Holztisch, der seine guten Tage längst hinter sich hatte.
„Hattest du nicht gesagt, dass du das sein lassen wolltest?“, herrschte ich ihn an.
„Ja, sorry, hatte ich vergessen.“ Er räusperte sich. „Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Brad nahm sein Glas und trank einen kräftigen Schluck. Der Bass im Hintergrund dröhnte laut, und die Band drehte immer mehr auf.
„Ist es denn so schlimm hier?“, fragte er und schaute, als würde er versuchen, in meinem Gesicht zu lesen.
Ich schüttelte knapp den Kopf. „Nein, ist schon okay.“ Ich nippte an meinem Wasser.
Nachdem mich Brad eindringlich gemustert hatte, sah er mich an, als würde ihm etwas Ungewöhnliches auffallen. „Du gehst niemals aus dem Haus, habe ich recht?“
Ich zuckte mit den Schultern und sah verschämt auf mein Glas. „Was soll ich sagen? Eher weniger. Meine Tage sehen eigentlich immer gleich aus. Uni, lernen, vielleicht mal mit Daph raus in die Stadt, aber dann sind das andere Läden als dieser hier.“ Ich machte mit meinem Kopf eine Bewegung, die die Kneipe einschloss. „Manchmal bekommen wir Besuch. Mal so und so.“
„Puh. Das ist hart und auch ein bisschen traurig“, gab Brad zu und verzog den Mund. „Das werden wir wohl ändern müssen. Ich kann dich ja nicht so einem langweiligen Schicksal überlassen. Da herrscht dringender Handlungsbedarf, wenn du mich fragst.“
„Ich denke nicht, Brad. Tut mir leid, aber wieso willst du mein Leben so dringend ändern? Ich meine … das hier ist vielleicht deine Welt, meine aber nicht. Warum willst du mir unbedingt … helfen oder wie du es ausdrückst: mich beschäftigen? Du könntest jetzt hier mit jemandem sitzen, der ein bisschen aufgeschlossener ist als ich und eine bessere Gesellschaft wäre. Deshalb verstehe ich das alles nicht. Ich bin dir echt dankbar für deine Ideen, aber du musst das nicht tun, und schon gar nicht aus Mitleid“, sprach ich gegen die laute Musik an.
„Ich glaube einfach nicht, dass du diejenige bist, für die du dich ausgibst“, erklärte er trocken.
Ich verzog fragend das Gesicht und fühlte mich mit einem Mal so ertappt.
„Und du kennst mich schon so gut, um das zu beurteilen?“ Ich lachte kurz auf.
„Was glaubst du, wer hinter dieser Fassade steckt?“, fragte ich und deutete mit dem Finger auf mich. „Batman? Legolas? Der Joker?“ Langsam lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme und sah ihn herausfordernd an. Meine Hände waren zwar kalt, und ich spürte, wie ich heftig zu schwitzen begann, aber es war mir doch zu wichtig, zu wissen, was Brad eigentlich von mir wollte. Zumal er mich nicht wirklich kannte, aber so tat, als wären wir schon lange miteinander befreundet. Ich versuchte die Fassade zu wahren und wartete auf seine Antwort.
„Dein Auftritt gestern in der Vorlesung reicht schon als Beispiel.“
„Und inwiefern?“ Ich legte die Stirn in Falten.
„Naja, deine Art gegenüber Professor Quentin zum Beispiel. Jedes stille Mäuschen hätte den Mund gehalten, sich nur entschuldigt und ruhig auf seinen Platz gesetzt und hätte es nicht soweit kommen lassen, aus der Vorlesung zu fliegen. Aber du, du musst das letzte Wort haben.“
„Aber daran warst doch du schuld!“, schaltete ich mich rechtfertigend ein.
„Ich habe nur ein bisschen gelacht. Du hättest nicht drauf anspringen müssen“, sprach er, als wäre er das Unschuldslamm schlechthin. „Auch der Vorfall vorhin, als dich diese Tusse angerempelt hat. Du warst plötzlich so aufbrausend und aggressiv, was einfach total untypisch ist für jemanden wie dich. Du nimmst kein Blatt vor den Mund. Riskierst, dass die Leute sich zu dir umdrehen und dich provokant anschauen. Du sagst, was du denkst. Verstehst du? Du widersprichst dir in deinem Verhalten. Wer unsichtbar sein will, verhält sich auch so. Aber du bist viel zu laut, um so ein stilles Leben zu führen.“
Angespannt öffnete ich meinen Mund, schloss ihn wieder und sah auf mein Glas.
„Ein kleines graues Mäuschen hätte sich auch nicht auf jemanden wie mich eingelassen“, fügte er noch lachend hinzu. „Auch das mit deiner Brille. Von jetzt auf gleich stellst du auf Kontaktlinsen um und gefällst dir sogar dabei. Du brauchst deine Brille gar nicht, um dich dahinter zu verstecken. Und ich merke, wie viel besser du dich ohne sie fühlst. Ich kaufe dir dieses Streber-Dasein einfach nicht ab. Hinter deiner Fassade steckt was anderes, was mich einfach so fasziniert. Ich möchte sehen, was dahintersteckt. Und wenn du es nicht von alleine zeigen willst, dann möchte ich dir zumindest dabei helfen.“ Er nahm einen Schluck Bier und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Noch immer konnte ich nicht sprechen.
„Aber Hut ab. Du spielst das sehr gut. Versteckst dich hinter deiner schlichten Kleidung, deinen streng nach hinten gebundenen Haaren und deinem schüchternen Blick, damit dich bloß niemand anspricht. Unterbrich mich bitte, wenn ich zu hart bin, denn ich will dich keinesfalls beleidigen.“
Ich hob schonend die Hand, um zu signalisieren, dass er weit über den Beleidigungsgrad hinaus war und sah kopfschüttelnd zur Seite. Meine Lippen waren angespannt aufeinandergepresst.
„Bitte, Sally. Nimm mir das nicht übel. Das ist nur eine grobe Einschätzung meinerseits. Ich meine, das ist ja auch alles nicht schlimm, verstehst du? Ich sehe das nur in dir und möchte dir einfach nur helfen, weil du mir zwischendurch immer eine lockere Art von dir zeigst. Und ich finde, die Welt hat verdient, diese Seite von dir kennenzulernen. Die andere ist langweilig. Glaub mir, davon gibt es genug. Aber die Art, die manchmal zum Vorschein kommt, die ist echt super!“
Ich mahlte mit dem Kiefer und sah auf meine Hände, die mein Glas so fest hielten, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ich sah überall hin, nur nicht in seine Augen. Er hatte ja sowas von recht.