Читать книгу Das Geheimnis um die Madfield Tochter - Jennifer Lillian - Страница 7

Kapitel 2

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In der Bibliothek war es an diesem Vormittag sehr ruhig. Draußen war es zwar kühl, doch die ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen hatten die meisten Studierenden nach draußen gelockt. Maylin nutzte diese Ruhe, um sich voll und ganz auf ihre Hausarbeit zu konzentrieren. Damit sie direkt loslegen konnte, hatte sie sich schon mit passender Literatur ausgestattet. Ein dampfender Becher mit schwarzem Tee stand neben ihr auf dem Tisch. Sie hatte sich gerade in die Arbeit gestürzt, als sie neben sich laute Schritte und ein Poltern hörte. Maylin blickte von ihren Unterlagen auf und beobachtete eine junge Frau, die ungefähr in ihrem Alter – vielleicht zwei Jahre älter ‒ war. Ähnlich wie Maylin hatte sie lange braune Haare. Nur trug sie diese nicht wie die meisten hier ordentlich geflochten oder gekämmt, sondern nachlässig zu einem Knoten gesteckt, aus dem sich ein paar Haare gelöst hatten. Nicht, dass sie dadurch ungepflegt aussah. Vielmehr wirkte sie wie ein angenehmer Kontrast zu den anderen Mädchen hier und auffallend schön. Gerade sammelte sie vom Boden eines ihrer Bücher auf, die sie aufgestapelt auf ihren Armen balancierte. Umständlich türmte sie das Buch wieder auf ihren Stapel und seufzte laut. Maylin konnte den Blick kaum von der jungen Frau abwenden. Sie hatte etwas an sich, das Maylin dazu verleitete, ihr unbedingt helfen zu müssen. Nicht nur ihre verzweifelte und hilflose Art, sondern auch ihre Kleidung weckte Maylins Aufmerksamkeit. Da sie selbst aus gutem Hause kam und ihr Vater ihr immer wieder einprägte, wie wichtig es sei, sich gut nach außen hin zu präsentieren, erkannte sie den Unterschied zwischen Designerkleidung und der Ware aus günstigen Modeketten sofort. Eine locker sitzende Leinenhose, die ihre besten Tage schon gesehen hatte, und ein graues ausgewaschenes T-Shirt. Wie gerne hätte sie die Kleidung mit ihr getauscht. Zwischen all den Studenten hier an der Robertson University war es nur eine Frage der Zeit, ehe sich die Mitstudierenden nach ihr umdrehten.

Als die junge Frau es gerade geschafft hatte, die Bücher weiterzutragen, stieß sie mit einem Fuß gegen einen Abstelltisch und verlor gleich alle Bücher auf einmal. Es schepperte laut, und ein paar Studierende blickten genervt auf. Missmutig aufstöhnend schob sie sich ihre gelösten Haarsträhnen hinter die Ohren, ehe sie sich bückte und verzweifelt versuchte, die Bücher aufzuheben. Mit einem mitfühlenden Lächeln im Gesicht erhob sich Maylin und ging mit schnellen Schritten auf die junge Frau zu. Sie hockte sich neben sie und begann ebenfalls die Bücher einzusammeln.

„Dein erster Tag hier in der Bibliothek?“, fragte Maylin höflich. Überrascht blickte die Unbekannte auf und nickte unbehaglich. „Kann man so sagen. Ich wollte mir nur ein paar Bücher ausleihen, aber so richtig will das nicht funktionieren. Herrje, haben die hier noch nichts von Digitalisierung oder e-Learning gehört?“ Sie hatte eine warme, sanfte Stimme, die zu ihrem freundlich wirkenden Wesen passte.

Maylin lachte auf. „Ich fürchte, da bist du hier an der falschen Universität gelandet, denn diese ist im zwanzigsten Jahrhundert stecken geblieben.“

Die junge Frau nickte wissend. „Das habe ich auch schon gemerkt. Ich meine, sieh dir nur mal die alten Möbel an. Meine Oma hat da einen besseren Geschmack.“

Maylin verkniff sich ein Lachen. „Nicht nur die alten Möbel. Auch die Dunkelheit kann einem hier drin manchmal echt zu schaffen machen“, flüsterte Maylin, um den neugierigen Studierenden um sie herum keinen weiteren Anlass zum Tuscheln zu geben.

„Du solltest dir am Eingang einen Korb nehmen, in den du die Bücher legen kannst. Sie sind zum Tragen viel zu schwer. Wer leiht sich denn auch so viele Bücher zum Staatsorganisationsrecht aus?“ Maylin lachte leise.

Die junge Frau errötete und schaute wieder auf die Bücher. Achselzuckend überblickte sie die einzelnen Titel. „Ich hatte wohl Angst, was zu verpassen. Außerdem muss ich an den blöden Körben vorbeigelaufen sein.“

„Erstes Semester“, schlussfolgerte Maylin.

Die junge Frau nickte.

„Dann sollten diese drei Bücher allemal reichen. Die Lektüre habe ich schon hinter mir. Ich stecke mittlerweile im vierten Semester“, erklärte Maylin und reichte ihr den wesentlich kleineren Stapel.

Dankbar lächelte sie. „Das ist nett von dir. Dann bringe ich die anderen weg.“

„Die kannst du hier ablegen.“ Maylin deutete auf den Abstelltisch, gegen den die junge Frau vor wenigen Minuten gestoßen war. Sie legte die übrigen Bücher beiseite und schaute sie fragend an. „Wie heißt du?“

Maylin wusste nicht wieso, aber irgendwie wollte sie mehr über die Frau mit den rehbraunen Augen erfahren. Ihr schönes Gesicht, ihre Haare und ihre komplette Erscheinung hatten etwas so Herzliches und gleichzeitig Zerbrechliches an sich, dass Maylin sie unbedingt beschützen wollte.

„Alice.“

„Ich bin Maylin. Aber die meisten nennen mich May.“

„Freut mich, dich kennenzulernen, May“, sagte Alice leise und schaute sich schweigend um. Dabei presste sie ihre Lippen zu einem angespannten Lächeln zusammen. Da Maylin bereits ahnte, dass Alice nicht wusste, wo sie sich am besten hinsetzen konnte, um in Ruhe zu lernen, deutete sie auf ihren Tisch, auf dem noch ihre Unterlagen ausgebreitet waren. „Du kannst dich gerne zu mir setzen, und wenn du möchtest, dann erkläre ich dir ein paar Sachen, falls du etwas wissen musst zum Thema Staatsorganisationsrecht, und vielleicht hören dann die anderen Idioten auf, uns anzustarren.“

„Ich würde liebend gern auf die blöden Blicke der anderen verzichten“, murmelte Alice verlegen, grinste aber kurz darauf. „Das wäre sehr nett von dir. Ich hänge etwas nach, weil ich die letzten beiden Tage gefehlt habe und arbeiten musste, um meine Miete für meine Schuhschachtel von Wohnung zu bezahlen. Jetzt hinke ich komplett hinterher.“

Wieder lächelte Maylin. Alice war definitiv anders als die anderen Studierenden, von denen sie täglich umgeben war. Ihre Kleidung, ihre Ausdrucksweise und vor allem ihre laute Stimme in dem Raum, wo Stille das wichtigste Gebot war.

„Ich schlage vor, wir suchen uns besser einen gemütlicheren Platz, wo wir uns unterhalten können. Wir könnten nebenan in die Cafeteria gehen. Die machen einen sehr guten Tee, und die Scones sind auch nicht schlecht. Und gewöhn dich daran, hier in der Bibliothek stehen blöde Blicke der anderen an der Tagesordnung.“ Maylin packte ihre Sachen zusammen und hängte sich ihre Umhängetasche über die Schulter.

„Da bin ich ja beruhigt“, erwiderte Alice mit einem sarkastischen Unterton, was Maylin erneut ein Lächeln entlockte. Gemeinsam verließen sie die Bibliothek. Maylin strich sich ihre braunen Haare hinter die Schultern, als sie nach draußen traten. Sie schaute Alice von der Seite an. Noch nie hatte sie das Gefühl gehabt, jemanden getroffen zu haben, dem man alle Geheimnisse der Welt anvertrauen könnte. Außer Glen natürlich. Alices Ausstrahlung war es, die Maylin ein gutes Gefühl vermittelte. So ein Gefühl, das man hatte, wenn man sich einer Sache sehr sicher war. Und Maylin war sich sicher. Sie wusste, dass Alice interessant war und mehr hinter ihr steckte als eine verunsicherte junge Frau.

Das Geheimnis um die Madfield Tochter

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