Читать книгу Das Geheimnis um die Madfield Tochter - Jennifer Lillian - Страница 9

Kapitel 4

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Noch während Amalia das köstlich riechende Essen auf dem Tisch servierte, bereute Maylin ihren Vorschlag, Alice zum Essen eingeladen zu haben. Wenn ihr Vater die Macht besäße, mit seinen Blicken anderen Menschen Hörner wachsen zu lassen, dann würde Alice nun aussehen wie ein Ziegenbock. Er machte kein Geheimnis daraus, dass ihm Alices Anwesenheit missfiel und löcherte sie mit Fragen, die sie immer wieder in Verlegenheit brachten. Doch Maylin fand, dass sich Alice erstaunlich gut schlug. Trotzdem war sie in Alarmbereitschaft, um Alice zur Seite zu stehen, wenn diese nicht weiterwusste.

„Und, Alice? Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf? Ihrer Aussprache nach zu urteilen stammen Sie nicht von hier? Eher aus dem Süden Englands, wenn ich raten müsste.“ Sein Blick durchbohrte sie. Er wusste, wenn sie seinen Fragen nicht standhielte, würde sie in diesem Anwesen auch in Zukunft nichts weiter zu suchen haben. Zudem war Maylin bewusst, dass ihr Vater mit Aussprache nicht ihren Akzent meinte, sondern vielmehr ihre Ausdrucksweise. Innerlich verkrampfte sie sich.

Alice schluckte angespannt ein Stück Braten herunter, der ihr unter anderen Umständen viel besser geschmeckt hätte. „Na, da bin ich aber froh, dass Sie nicht raten müssen. Ich komme ursprünglich aus Sethmond. Also gar nicht so weit weg von hier. Meine Adoptiveltern kommen allerdings aus South Lamington, und von dort könnte meine Aussprache herstammen.“

Warren nickte kaum merklich und schob sich eine Gabel in den Mund, ohne den Blick von Alice zu nehmen. „Adoptiveltern?“

Alice kniff einen Moment ihren Mund fest zusammen, sammelte sich kurz und erwiderte seinen wartenden Blick. „Meine leibliche Mutter lebt leider nicht mehr …“

„Das tut mir sehr leid. Verzeihen Sie bitte“, wandte Warren hastig ein. Es schien ihm sichtlich unangenehm zu sein, sich bei Alice entschuldigen zu müssen. Maylin warf ihm einen finsteren Blick zu, den er ignorierte. Alice hingegen hob abwehrend die Hand. „Ist schon okay. Es ist lange her, und ich rede nicht sehr oft darüber. Meine Mutter starb bei einem Unfall, als ich noch ganz klein war, und meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt. Also bin ich bei Adoptiveltern großgeworden. Meine Mutter betreibt einen hübschen kleinen Blumenladen, und mein Dad ist bei einer Reinigungsfirma angestellt.“

Warren schluckte kurz und griff nach seinem Weinglas. „Ich möchte Ihnen wirklich nicht zu nahetreten.“ Dann lass es bitte, betete Maylin innerlich, doch Warren sprach wie selbstverständlich weiter. „Aber Blumenladen und Angestellter … und Sie studieren an der Robertson University?“, er lehnte sich leicht zurück und ließ die unangemessene Frage im Raum stehen. Alice wusste, worauf Warren hinauswollte und rang sich ein gequältes Lächeln ab, auch wenn sie ihm wegen seiner bohrenden Fragen am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre.

„Sie fragen sich, wie ich mir die Studiengebühren für diese renommierte Universität leisten kann, richtig?“

Warren lachte überheblich auf. „Nun ja, wenn Sie mich so fragen. Die Studiengebühren sind sehr hoch, und selbst für jemanden mit einer gut gehenden Anwaltskanzlei, wie ich sie betreibe, eine Summe, die ich nicht unterschätzen würde.“

„Nett, dass Sie sich solche Gedanken um meinen Geldbeutel machen“, scherzte Alice, und noch ehe Warren etwas entgegnen konnte, sprach sie weiter. „Ich habe ein Stipendium. Natürlich weiß ich, dass ich mich anstrengen muss und es schwer werden wird, doch dank Ihrer Tochter“, Alice warf Maylin ein freundliches Lächeln zu, „bin ich für das Semester bestens gewappnet. Da ich nebenbei noch in einem Café etwas Geld dazu verdienen muss, bin ich natürlich dankbar für jede Hilfe.“

Warren nickte und bedachte Maylin mit einem vielsagenden Blick. Diese widmete sich jedoch ihrem Essen, das sie bisher kaum angerührt hatte.

Als sie endlich aufgegessen und auch das Dessert schweigend hinter sich gebracht hatten, atmete Maylin erleichtert aus. Alice hatte den bohrenden Fragen ihres Vaters standgehalten, und es war niemand zu Schaden gekommen. Jedenfalls noch nicht, denn Maylin machte sich auf eine Schimpftirade ihres Vaters gefasst, sobald sie wieder unter sich waren.

„Tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Maylin leise bei Alice, als sie gemeinsam die Hofeinfahrt entlang spazierten.

„Ach was, kein Problem! Ich kenne Männer wie deinen Vater. Sie wollen ihre Töchter nur schützen, das ist alles. Und ich weiß, wie ich auf Leute, die aus solch gehobenen Schichten kommen wie du, wirken muss. Immerhin hatte ich nicht die allerbeste Erziehung in den teuersten Schulen.“

„Das ist mir völlig egal und gibt ihm nicht das Recht, dich so auszufragen. Manchmal könnte ich ihn wirklich erwürgen“, brummte Maylin und schluckte ihren Ärger hinunter. Die Luft hatte sich deutlich abgekühlt, und sie zog ihren Strickcardigan enger um sich. „Es ist nicht nur, dass er mit dir so umgeht. Er tut das mit allen Menschen, die ihm nicht passen. Genauso macht er es mit meinem besten Freund Glen. Ich hoffe, ihr werdet euch noch einmal kennenlernen, er ist wirklich toll. Nur mein Vater mag ihn nicht, und daher können wir uns nur sehen, wenn er auf Reisen ist oder wir uns bei Glen treffen.“

Allmählich setzte die Abenddämmerung ein, und Alice warf noch einen letzten staunenden Blick auf das Anwesen hinter ihnen, dessen Fassade mittlerweile von Bodenstrahlern hell erleuchtet wurde. „Keine Sorge, ich lasse mich nicht so leicht verschrecken. Da kann dein Vater noch so viele Fragen stellen, ich habe immer eine passende Antwort. Auch wenn das nicht jedem gefällt, wie meine Mum mir immer wieder einzutrichtern versucht: Du musst aufpassen, was du sagst. Sie imitierte die Stimme ihrer Mutter und brach dabei in Gelächter aus. Maylin stimmte mit ein und war froh, dass ihr Vater Alice nicht verschreckt hatte. Noch nicht.

„Dann sehen wir uns in der Uni?“, fragte Maylin hoffnungsvoll.

„Natürlich! Immerhin brauche ich doch jemanden, der mir meine Bücher schleppen hilft“, scherzte Alice und schulterte ihre schwere Tasche. „Ich sollte mich besser auf den Weg machen. Wir sehen uns! Und vielen Dank für deine Hilfe.“

„Das habe ich gerne gemacht. Und du bist sicher, dass ich dich nicht fahren soll?“

Alice winkte ab. „Nein, kein Problem. Die Straße runter ist eine Bushaltestelle, und wenn ich mich beeile, erwische ich den Bus noch. Bis dann!“

Maylin schaute Alice noch einen Moment hinterher, ehe sie sich mit schweren Schritten zurück ins Haus schleppte, in dem ihr Vater vermutlich schon auf sie wartete. Es gab Momente, da wünschte sie sich ein anderes Leben. Ein Leben fernab von diesem protzigen Kasten und ihrem kontrollsüchtigen Vater. Und dieser Moment war jetzt, als sie das Anwesen betrat und sich durch das Schließen der Tür verriet, denn nur wenige Sekunden später stand ihr Vater mit einem Glas Brandy in der Hand in der Tür zum Wohnzimmer.

„Du hattest mir eine Zusammenfassung deiner Hausarbeit versprochen.“

Maylin seufzte und nickte fahrig. „Du bekommst sie gleich. Aber musstest du Alice so ausfragen?“

„Alice war unser Gast, und ich habe offenkundiges Interesse an ihr gezeigt. Ich finde nicht, dass daran etwas Verwerfliches ist“, erwiderte Warren mit schief geneigtem Kopf.

„Aber doch nicht, indem du sie nach ihrer finanziellen Situation ausfragst! Sie hat ein Stipendium, und der Rest geht uns nichts an.“

„Natürlich geht es mich etwas an, mit welchen Leuten meine Tochter sich abgibt.“ Warren trank einen Schluck und fixierte seine Tochter, die aufmüpfig zu werden drohte: ihre Haltung war angespannt, ihre Kiefer mahlten. Er hatte Maylin lange nicht so erlebt und war sich sicher, dass es der Einfluss dieser Alice sein musste.

„Mit wem ich mich abgebe, möchte ich mir lieber selbst aussuchen. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muss die Zusammenfassung ausdrucken.“ Mit bebenden Schultern wandte Maylin sich von ihrem Vater ab und lief mit eiligen Schritten die Treppe hinauf, ehe Warren noch etwas erwidern konnte. Sie war so wütend auf ihn, dass es ihr sogar egal war, ihn vielleicht verärgert zu haben. Sie war alt genug, um sich zu wehren, und wenn es ihr Leben halbwegs erträglicher machte, dann würde sie in Zukunft nicht mehr so streng nach seiner Pfeife tanzen.

Warren hatte sich mit Maylins Zusammenfassung in sein Büro zurückgezogen und blätterte durch die Seiten, ohne diese mit voller Aufmerksamkeit zu lesen. Irgendetwas störte ihn, und das hatte nicht nur mit der Zusammenfassung zu tun, die Maylin ohne Alices Anwesenheit sicherlich besser auf die Beine hätte stellen können. Vielmehr ging es um Alice selbst. Wie hieß sie noch gleich? Alice Sheffington? Warren hatte eine feine Antenne für Menschen, die irgendetwas verheimlichten – immerhin war er lange genug im Geschäft gewesen und konnte Menschen lesen wie ein offenes Buch. Doch bei Alice war es anders. Sie versteckte sich hinter einer Maske, da war er sich sicher. Alice, die vermeintlich neue Freundin seiner Tochter, hatte etwas zu verbergen.

Das Geheimnis um die Madfield Tochter

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