Читать книгу Schwertmeister - Jennifer Roberson - Страница 10

VIER

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Ich leugnete es. Sofort. Heftig. Mit allem, was ich hatte. Ich wagte nicht, mir den Gedanken zu erlauben, daß es wahr sein könnte, denn nach zu hoch geschraubten Hoffnungen fällt man nur um so tiefer.

O Bascha. Bascha.

Ich leugnete es. Verzweifelt. Den ganzen Weg durch die Dunkelheit hindurch, wobei ich meinen Weg mit Sorgfalt wählte. Den ganzen Weg durch Geröll hindurch, rutschend und stolpernd. Durch die Schatten der über mir aufragenden Bäume.

Fast erstickt von der schmerzlichen Wahrheit: Del ist tot. Ich habe sie getötet.

Feuer erfüllte den Himmel. Solch reine, lebhafte Farben, die sich wie südliche Seide kräuselten. Boreals Werk, nicht das eines anderen: Stahl, der über den schwarzen Himmel strich, mit einer aus Magie erwachsenen Kunstfertigkeit.

Zweifel wurden fortgeweht wie Rauch und ließen mich atemlos zurück.

... Delilah lebt ...

Ich blieb stehen. Verhielt mit unsicherem Schritt. Hörte auf, mich selbst einen Narren zu schimpfen. Und stand unbeholfen da und klammerte mich fest an einen Baum. Versuchte wieder zu atmen. Versuchte zu verstehen. Versuchte einen Aufruhr von verworrenen Gefühlen zu entwirren, der sich nicht entschlüsseln ließen.

... Delilah lebt ...

Ich war in Schweiß gebadet. Ich lehnte mich gegen den Baum und schloß die Augen, zitterte, ließ die eingesaugte Luft ausströmen. Saugte sie noch lauter wieder ein. Erstickte fast. Achtete nicht auf den Knoten in meinem Bauch, das Verkrampfen meiner Eingeweide, das Zittern meiner Hände.

Versuchte zu verstehen.

Erleichterung. Schock. Überraschung. Eine überwältigende Freude. Aber auch Schuld und eine seltsame anschwellende Angst. Eine tiefe und hartnäckige Verzweiflung.

Delilah lebt.

Götter des Valhail, helft mir!

Farben strömten aus dem Himmel wie Schichten gekräuselter Seide: Rosa, Rot, Violett, Smaragdgrün, ein Hauch südlichen Gelbs, Spuren von Bernsteingold. Die Rötung glänzenden Orangerots. Der Reichtum von Blau auf Schwarz und allen Schattierungen dazwischen.

Ich rieb mir den Schweiß vom Gesicht. Bemühte mich, ruhiger zu atmen. Folgte der Helligkeit dann schweigend hinab und trat aus einer von Bäumen freigelegten hohlen Dunkelheit in Kälte, Nebel und Regenbogen, wo ein Schwert die Oberhand hatte. Fremdartiger, mit Runen versehener Stahl, nackt in Dels bloßen Händen.

Delilah lebte.

Sie stand so da, wie ich sie schon früher hatte dastehen sehen, und huldigte dem Norden oder dem Schwert selbst. Mit weitgespreizten Beinen, stocksteif, die Arme weit über den Kopf gestreckt, die Klinge über den flachen Handflächen ausbalancierend. Drei Fuß tödlichen Stahls, der in der Nacht weiß schimmerte, ein Fuß verknoteten Silbers, das sorgfältig zu einem Heft gedreht worden war. Reich verziert und doch seltsam leer, mit einer außerordentlichen Ausgewogenheit. Fest gebündelt in seiner versprochenen Macht, tödlich in seinen gehaltenen Versprechungen.

Ganz in Weiß, Delilah. Tunika, Hose, Haar. Und das starre, entstellte Gesicht, das nichts zeigte außer Verzweiflung.

Dünner Nebel perlte von der Klinge. Fließendes Wasser leckte Dels Hände, das Gesicht, die Kleidung, schäumte um ihre Knöchel, ergoß sich über den Boden. Tropfen von Feuchtigkeit glitzerten, reflektierten schwertgeborene Regenbogen. Ganz in Weiß, Delilah, unbeugsames Weiß. Ein leeres, starres Segeltuch. Hinter ihr lag die Nacht, unnachgiebig schwarz. Aber über uns angeordnet leuchteten die Farben der Welt, herbeigerufen von Stahl, mit Runen versehen.

Weiß auf Schwarz, und Licht. Ein strahlendes, blendendes Licht, das mich blinzeln ließ.

Ein Geist, dachte ich, ein Gespenst. Ein aus Schatten gemachter Geist, dem ein ausgelassener Dämon Licht geliehen hat. Nicht mehr als eine Geistererscheinung oder eine Täuschung der Phantasie. Es war nicht wirklich Del. Es konnte nicht wirklich Del sein.

Götter, laßt es Del sein ...

Ich spürte die Berührung des Windes. Er blies sanft über die Lichtung, zerriß schwertgeborenen Nebel und berührte leicht mein Gesicht. Die tastenden Finger eines blinden Mannes, die zärtliche Berührung eines Geliebten. Ein kalter Winterwind, der an einen Banshee grenzte. Mir seine Kraft zu schmecken gab. Mich seine Macht spüren ließ.

Glaube! befahl er mir einfach. Ich bin aus Boreal geboren, und nur ein Mensch befiehlt ihr. Nur ein Mensch kann ihre Macht anrufen. Um sie zu stimmen und zu beherrschen. Um mich aus Nichts zu formen, um mir zu gegebener Zeit Leben zu schenken.

Der Winter war auf der Lichtung eingezogen. Er machte meine Ohren und meine Nase empfindungslos und versteifte betagte Gelenke. Hob den Saum und die Falten meines Umhangs an und riß ihn mir vom Körper, strich mir das Haar aus dem Gesicht. Bedrohte den Bart mit Rauhreif und die Lungen mit eisigem Atem.

Del sang weiter. Einen kleinen sanften Gesang. Einen Gesang unendlicher Macht.

Sie hatte ihre Seele für diesen Gesang verkauft. Ebenso wie die Menschlichkeit.

Ich wandte ihr den Rücken zu. Ich wandte ihrer Macht den Rücken zu. Dem Winter und dem Wind und richtete meinen Blick auf den Frühling. Dachte an zukünftige Dinge, nicht an vergangene.

Trat aus ihrem Licht in die Dunkelheit. In Dinge, die ich verstand.

Dachte: Del lebt.

Was bedeutete, daß ich verärgert sein durfte.

Und das war ich, als sie letztendlich in mein Lager geritten kam. Hoolies, sechs Wochen. Und die ganze Zeit: lebendig.

Und ich dachte, sie sei tot.

Und ich dachte, ich hätte sie getötet.

All diese Tage und Nächte.

Delilah lebt.

Ich kauerte bei dem aufgeschichteten Feuer und wärmte mir die Hände über den Kohlen. Es war nicht wirklich nötig, da Dels vom Schwert herbeigerufener Winter gebannt war, aber zumindest hatte ich etwas zu tun. Ich konnte das Feuer anschauen, statt sie anzustarren.

Oh, ich schaute. Ich schaute – und schluckte schwer. Schaute in erzwungener, falscher Gleichgültigkeit wieder fort, starrte blind auf Hände, die wiederholt zu zittern versuchten, es aber nicht taten, weil ich es nicht zulassen wollte. Dazu benötigte ich aber meine ganze Kraft.

Sie ritt ein gesprenkeltes dunkles Pferd, einen Rotschimmel, dachte ich, fahl, obwohl das in der Dunkelheit schwer zu erkennen war. Einen dunkeläugigen großen Wallach, der vornehm über sturmverstreutes Geröll schritt.

Der Hengst, der sich weniger um Stolz und Erscheinung kümmerte, zog die Lippen zurück und schrie schrill. Er würde den Wallach auf seinen Platz verweisen und wissen, warum er das tat.

Mondgebleichtes weißes Haar war aus einem ebenfalls blassen Gesicht zurückgestrichen und offenbarte die scharfgeschnittenen Kanten zu stark hervortretender Knochen. Der jetzt deutlich sichtbare Kopf war makellos in seiner Schönheit, aber ich hätte es vorgezogen, wenn er mehr Fleisch auf den Knochen aufgewiesen hätte. Sie hatte zuviel an den Kreis und an seine Nachwirkungen verloren.

Das Feuer war vom Himmel verschwunden, wie Wein, der aus einem Becher verschüttet wurde. Die Klinge hing ihr schräg von links nach rechts in ihrem gewohnten Harnisch über den Rücken. Von der unteren Wölbung der reichverzierten Klinge bis zu dem sorgfältig gearbeiteten Knaufknoten erhob sich fast ein Fuß schimmernden Stahls neben ihrem Kopf.

Boreal: Jivatma. Die Blutklinge eines Schwertsängers.

Mit ihr hatte sie den Mann getötet, der ihr das Kämpfen beigebracht hatte. Mit meiner Klinge hatte ich fast sie getötet.

Delilah lebt.

Der Hengst stampfte, scharrte, schrie, bog den Hals und hob den Schweif. Ich war erleichtert, dies zu sehen, denn diese herrische Gebärde, die für seine Verhältnisse gedämpft erfolgte, war ein Zeichen dafür, daß es ihm besser ging. Vielleicht hatte ich mir umsonst Sorgen gemacht.

Um den Hengst und um Del, denn sie stand hier vor mir.

Mit der üblichen Umsicht zügelte Del ihren Wallach am Rande des kärglichen Feuerscheins. Nicht weit genug entfernt, um den Hengst zu beruhigen, aber weit genug entfernt, um ihm zu zeigen, daß der Wallach seine Herrschaft nicht bedrohte.

Oder tat sie es, um mir dasselbe zu zeigen?

Hoolies, das war vorbei. Der Kreis hatte seine Wahl getroffen.

Ganz in Weiß, Delilah: im Süden die Farbe der Trauer. Was sie im Norden bedeutete, wußte ich nicht. Eine mit einem Gürtel zusammengehaltene Tunika, bauschige Hosen. Ein schwerer Umhang, frei von allen Verzierungen, bis auf das mondgebleichte Silber der Fellschuhe, die über Kreuz um ihre Schienbeine gebunden waren, und braune Lederarmschützer, die den größten Teil der Unterarme bedeckten. Sie schimmerten durch Silberverzierungen, wie auch ihr Gürtel. Und Silberspangen hielten den Umhang. Offenes Haar fiel ihr über die Schultern.

Ich dachte: Ich kann dies nicht tun.

Und wußte doch irgendwie, daß ich es tun würde.

»Nun«, sagte ich heiter, »was bietet man einem Geist an?«

»Amnit«, sagte sie, »wenn man welchen hat.«

In ihrem Tonfall schwang nichts anderes mit als die vertraute Gelassenheit. Keine Spur von Gefühlen. Ich hoffte, daß mein Tonfall es dem ihren gleichtat.

»Oh, eine Bota oder zwei.« Ich nahm eine Bota vom Boden auf und ließ sie von meiner Hand baumeln. Der Lederbeutel verdrehte sich an seinem Riemen und drehte sich dann in einer langsamen, vorhersehbaren Spirale wieder in die andere Richtung zurück.

Sie saß schweigend im Sattel und beobachtete, wie sich die Bota drehte. In dem schwachen Licht wirkten ihre Augen schwarz. Zu schwarz in einem so weißen Gesicht.

O Hoolies, Bascha. Was sollen wir jetzt tun?

Sie beobachtete, wie sich die Bota drehte.

Und fragte sich, was sie sagen sollte.

Nein, nicht Del. Sie gestaltet Wörter genauso sorgfältig wie Waffen, gebraucht sie aber seltener.

Schließlich sah sie mich an. »Ich bin gekommen, weil ich dich brauche.«

Tief in meinem Innern zog sich etwas zusammen.

Dels Stimme klang fest. Sie gibt beim Reden wenig preis. »Niemand will mit mir tanzen.«

Natürlich. Das. Nichts sonst, was sie betrifft. Ihre Bedürfnisse unterscheiden sich von meinen.

Die Wunde schmerzte erneut. Ich setzte die Bota ab und atmete vorsichtig aus. »Oh?«

»Niemand«, wiederholte sie. Dieses Mal hörte ich eindeutig Schmerz, Qual und Kummer heraus. Bei Del immer gedämpft. Fast immer verdeckt. Oft überhaupt nicht spürbar.

Zorn regte sich. Ich unterdrückte ihn sofort und rieb mir müßig das bärtige Kinn. »Aber du denkst, ich wollte das.«

Der Wallach stampfte. Del beruhigte ihn, die Hände hielten die Zügel über dem Knauf ihres Sattels nur leicht fest. Ihre Augen blickten fest. »Du bist der Sandtiger. Südbewohner, kein Nordbewohner. Meine Schmach hat für dich keine Bedeutung.« Nur einen kleinen Moment lang hielt sie inne. »Du warst immerhin der Sieger.«

Ich antwortete zunächst nicht, ließ die Worte sich setzen. Der Sieger – war ich das? Auf eine Weise. Ich hatte den Tanz und daher meine Freiheit gewonnen. Aber gewinnen heißt oft auch verlieren; der Geschmack des Sieges war in diesem Fall entschieden bittersüß.

Ich schaute starr in die Glut des Feuers. Kohlen und Farbe flossen ineinander und erfüllten meine Augen. Ruhig sagte ich: »Ich wäre fast gestorben.«

Sanft, wenn sie es konnte: »Ich hatte einen weiteren Weg als du.«

Ich sah sie scharf an. Die Reste des Feuerscheins überlagerten ihr Gesicht und verbargen seinen Ausdruck vor mir. Und dann verblaßte er, langsam, und ich sah ihren Gesichtsausdruck. Sah die Entschlossenheit.

Ich wollte lachen. Wir diskutierten hier, wer von uns dem Tod näher gewesen war, und jeder von uns war fürdie Umstände verantwortlich, die den anderen betrafen.

Ich wollte lachen. Ich wollte weinen. Und dann vergingen beide Empfindungen. An ihre Stelle trat Zorn. »Ich habe dich fast getötet, Del. Ich trat in diesen Kreis in der Hoffnung, dich zu besiegen, dich aufzuhalten, und doch habe ich dich fast getötet.« Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt ist es anders. Nichts kann mehr dasselbe sein.«

»Eines bleibt«, entgegnete sie ruhig. »Es gibt noch immer Dinge, die ich tun muß, bevor mein Gesang beendet ist.«

»Was zum Beispiel?« fragte ich. »Ajani jagen und töten?«

»Ja«, antwortete Del einfach.

Als ich mich jäh erhob, dehnte sich die neue Haut um meine Wunde. Aber das hielt mich nicht auf. Es hielt mich überhaupt nicht auf. Ich nahm den kürzesten Weg direkt über die Feuerstelle auf ihren Wallach zu, faßte hinauf und ergriff Dels Handgelenk, bevor sie reagieren konnte.

Es ist nicht leicht, Del unbemerkt zu erwischen. Sie kennt mich gut genug, um vieles von dem vorherzusagen, was ich vorhabe, aber nicht so gut, um alles vorherzusagen. Und diesesmal hatte sie nicht mit mir gerechnet.

Ich hörte ihren erschreckten Laut, als ich sie aus dem Sattel zog. Hörte mein angestrengtes Keuchen sich mit ihrem Laut vermischen.

Es war unangenehm. Es war schmerzhaft. Sie ist groß und stark und schnell, war aber von ihrer eigenen Wunde geschwächt. Sie befreite sich in einem Gewirr aus Steigbügeln, Umhang, Harnisch und Schwert, Armen und Beinen. Ich wußte, daß es weh tat. Ich wollte, daß es weh tat. Aber wenigstens tat es uns beiden weh.

Sie landete hart. Der Wallach schnaubte und tänzelte seitwärts und ließ uns Raum, da er von weiteren Feindseligkeiten absah. Ich keuchte erneut, als meine halbverheilte Wunde protestierte. Schweiß brach wieder aus.

Hoolies, das schmerzte.

Aber ich bedauerte es nicht.

Der Knaufknoten ihres Schwertes traf mich am Kinn, aber nicht fest genug, um Schaden anzurichten. Nicht fest genug, um meinen Griff zu lockern. Nicht fest genug, mich aufzuhalten, während ich sie zu Boden warf.

Schweratmend stand ich über ihr und beugte mich ein wenig nach rechts, um die Wunde vor weiteren Schmerzen zu bewahren. »Du einfältige, sandkranke, selbstsüchtige, kleine Närrin, hast du nichts gelernt?«

Del lag ausgestreckt auf dem Rücken, das Schwert unter ihr eingeklemmt. So griff sie nach ihrem Messer.

»Oh, o Bascha ... das glaube ich nicht.« Ich schlug ihr Handgelenk mit dem Fuß herunter und lehnte mich ein wenig darauf. Genug, um es ruhig zu halten. Das Messer glitzerte im Mondlicht nur eine Handbreit vor mir. »Wie ... willst du mich töten, weil ich dich beschimpft habe? Weil ich dich eine Närrin genannt habe? Oder selbstsüchtig?« Ich lachte über ihren Gesichtsausdruck. »Du bist eine Närrin, Bascha ... ein albernes, selbstsüchtiges, sandkrankes Mädchen, das sich von Racheträumen nährt.«

Helles Haar glitt von ihrer Kehle. Ich sah zarte Haut sich bewegen, als sie schwer schluckte. Sehnen standen angespannt hervor.

»O nein«, sagte ich scharf und beugte mich hinab, um sie vom Boden hochzuzerren.

Das brachte ihre Bemühungen vollständig zum Erlahmen, denn ich war nicht gnädig. Da ich die Lehrergebnisse ihres Bruders schon früher zu spüren bekommen hatte, war ich nicht gewillt, ihr diese Gelegenheit erneut zu gewähren. Ich drehte die Hüften zur Seite und nahm den Tritt, der meiner Leistengegend zugedacht war, mit dem Schienbein auf, was zwar weh tat, aber nicht sosehr, wie es hätte sein können. Dann ergriff ich Umhang, Tunika und Harnischleder mit den Händen und riß sie vom Boden hoch. Halb zog, halb schleppte ich sie und preßte ihren Rücken gegen einen der herabgefallenen Felsen. Ich bändigte sie auf die einzige Art, die ich kannte, und zwar mit meinem ganzen Gewicht. Zwischen mir und dem Fels gefangen, konnte Del nirgendwohin ausweichen.

Kein Messer. Kein Schwert. Jetzt hatte sie nur noch Worte zur Verfügung.

»Du hast Angst«, klagte sie mich an. »Verfluch mich, wenn es dir Spaß macht ... Benenn mich mit allen Namen, die dir einfallen, wenn du dich dadurch besser fühlst. Das ändert nichts. Ich sehe es in deinem Gesicht, in deinen Augen ... Ich spüre es in deinen Händen. Du hast Todesangst, Tiger. Angst wegen mir.«

Das hatte ich nicht erwartet.

»Angst.« Weniger heftig, aber nicht weniger sicher. »Ich kenne dich, Tiger ... Du hast die letzten sechs Wochen damit verbracht, dich selbst für das zu bestrafen, was du getan hast ... Ich kenne dich, Tiger ... Du hast jeden Tag und jede Nacht der letzten sechs Wochen mit der Angst verbracht, daß ich tot sein könnte, und mit der Angst, daß ich leben könnte. Aber wenn ich tot gewesen wäre, hättest du nicht damit leben können ... damit, deine nordische Bascha getötet zu haben?« Nur einmal schüttelte sie den Kopf. »O nein, nicht du ... nicht der Sandtiger, der nicht ganz der sorglose, gefühllose Mörder ist, der er den Leuten gegenüber gern wäre. Also hast du gebetet ... Ja du, für alle Fälle ... Du hast gebetet, daß ich leben möge, damit du dich nicht hassen müßtest, und doch hattest du die ganze Zeit über Angst, daß ich leben würde. Denn wenn es so wäre und wir uns jemals wieder gegenüberstünden, müßtest du erklären, warum. Du müßtest mir sagen, warum. Du müßtest einen Weg finden, das zu rechtfertigen, was du getan hast.«

Ich nahm mein Gewicht von ihr. Wandte mich um. Trat zwei unsichere Schritte von ihr fort. Und blieb stehen.

O Hoolies, Bascha. Warum tut es immer so weh?

Ihre Stimme klang unerbittlich. »Also, Tiger ... wir stehen uns gegenüber. Jetzt ist Zeit für Erklärungen, für das Erzählen, für die Rechtfertigung ...«

Ich unterbrach sie schroff. »Bist du deswegen gekommen?«

Sie klang ein wenig atemlos, wenn auch nicht weniger bestimmt. »Ich habe dir gesagt, warum ich gekommen bin. Niemand will mit mir tanzen. Natürlich nicht in Staal-Ysta ... und ich glaube auch nirgendwo sonst. Frauen sind im Norden freier als im Süden, aber nur wenige Männer wollen gegen eine Frau tanzen, auch nicht im Übungsgang. Und ich brauche es. Dringend. Ich habe an Kraft, Geschwindigkeit und Können verloren ... Ich brauche dich zum Tanzen. Wenn ich Ajani töten soll. Ich muß stark genug sein, um es zu tun.«

Ich fuhr mit der Absicht herum, etwas zu sagen, aber ich ließ es bleiben, als ich sah, wie sie am Fels lehnte. Es war keine Farbe in ihrem Gesicht, überhaupt keine, sogar in ihren Lippen nicht. Sie preßte einen Arm über ihren Unterleib, als wollte sie ihre Eingeweide festhalten. Sie sank gegen den Fels.

O Hoolies, Bascha.

»Faß mich nicht an!« zischte sie.

Ich blieb kurz vor ihr stehen und wartete.

Sie atmete geräuschvoll ein. »Sag, daß du mit mir tanzen willst.«

Ich spreizte die Hände. »Und wenn ich es nicht tue, wirst du mir nicht erlauben, dich anzufassen – ist es das? Du wirst mir nicht erlauben, dich vom Boden aufzuheben – wo du dich gleich befinden wirst – und dich zum Feuer zu tragen, wo es Nahrung und Amnit gibt ...«

»Sag es«, sagte sie, »und wir müssen nicht herausfinden, daß du mich nicht tragen kannst, was deinen Stolz unwiderruflich verletzen würde.«

»Del, du machst dich lächerlich ...«

»Ja«, stimmte sie zu. »Aber das haben wir beide schon zuvor getan.«

»Wenn du denkst, daß ich mit dir in einen Kreis eintrete, nach allem, was beim letzten Mal geschehen ist ...«

»Sag es einfach!« schrie sie, und schließlich zerbrach etwas. Sie kreuzte beide Arme vor den Rippen und hielt sich ganz fest umfangen, stand nur noch durch Anspannung in den Beinen und pure Entschlossenheit aufrecht. »Wenn ich ihn nicht verfolge ... wenn ich Ajani nicht töte ... wenn ich meinen Schwur nicht ehre ...« Sie verzog das Gesicht, gelöstes Haar hing herab, verbarg einen großen Teil ihres Gesichts, aber nicht den rauhen Tonfall ihrer Stimme. »Ich muß, ich muß ... es bleibt mir nichts anderes übrig ... überhaupt nichts bleibt mir übrig ... keine Eltern, keine Brüder, keine Tanten und Onkel und Vettern ... nicht einmal Kalle gehört mir ... nicht einmal meine Tochter gehört mir ...« Sie sog schmerzlich und geräuschvoll den Atem ein. »Ajani ist alles, was ich habe. Sein Tod ist alles, was ich habe. Er ist alles, was von der Ehre übriggeblieben ist.«

Ich fragte mich kurz, mit wem sie sprach: mit mir oder mit sich selbst? Aber ich hielt inne und dachte an etwas anderes. »Es gilt noch mehr zu ehren als nur das.« Ich hatte vor, alles sorgfältig zu erklären, brach aber ab, um sie aufzufangen, als ihre Beine nachgaben und sie an dem Fels hinabglitt. Und entdeckte, daß sie recht hatte: Ich konnte sie nicht aufheben. Also saßen wir beide dort, verfluchten den persönlichen Schmerz und verbargen ihn hinter mühseligen, gemurmelten Flüchen und abschlägigen Antworten auf halbwegs gehauchte Fragen.

»Tanz mit mir«, bat sie. »Willst du, daß ich bettle?«

Ich knirschte es durch fest zusammengebissene Zähne. »Ich will nicht, daß du bettelst. Ich will nicht, daß du tanzt. Ich will nicht, daß du irgend etwas tust außer genesen.«

Del ballte eine Hand zur Faust und schlug sich schwach auf die Brust. »Es ist alles, was ich habe ... es ist alles, was ich bin ... wenn ich Ajani nicht töte ...«

Ich wandte mich unbeholfen zu ihr um und versuchte, wunde Haut nicht zu bewegen. »Darüber werden wir später sprechen.«

Ihre Stimme klang erschreckt. »Was tust du?«

»Ich versuche, einige deiner Kleidungsstücke zurückzuschlagen, damit ich einen Blick auf deine Wunde werfen kann.«

»Laß es«, bat sie, »laß es. Sie heilt ohne deine Hilfe. Glaubst du, sie hätten mich gehen lassen, wenn ich in Todesgefahr wäre?«

»Ja«, antwortete ich unverhohlen. »Telek und Stigand? Und der ganze Rest der Voca? Dumme Frage, Bascha ... Ich bin überrascht, daß sie dich nicht an dem Tag hinausgeworfen haben, als ich fortging.«

»Das zu tun, hätte Staal-Ysta entehrt«, sagte sie schwach. »Ich war der erwählte Meister ...«

»... der im Kreis sterben sollte, während er mit mir tanzte«, beendete ich ihren Satz. »Telek und Stigand haben dich den Sandtigern vorgeworfen, Bascha – kein beabsichtigter Scherz –, und hatten nicht die Absicht, daß du den Tanz überlebtest. Dein Tod hätte die Ehre von Staal-Ysta wiederhergestellt, und durch meinen Sieg kaufte ich das Jahr zurück, zu dem du mich verpflichtet hattest. Im Süden nennen wir das ›zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen‹ ... das ist es, was die Voca wollten. Du solltest sterben und ich Staal-Ysta verlassen. Wie es aussieht, sind wir beide fortgegangen.«

»Und Kalle blieb zurück.« Ihr Tonfall klang verbittert, während sie sich von mir abwandte, sich sehr aufrecht setzte und die Lagen zerknitterter Wolle zurechtzog, die ihre wunden Rippen verhüllten. »Also haben sie bekommen, was sie wollten. Ich habe eine Tochter verloren, die mir vielleicht nicht gehören sollte ... Aber da ist noch immer ihr Vater. Und Ajani werde ich töten.«

»Was bedeutet, daß wir wieder da sind, wo wir angefangen haben.« Ich atmete tief ein, hielt scharf die Luft an, als ich ein Stechen verspürte, und ließ sie dann langsam wieder ausströmen. »Was ich zuvor schon sagen wollte ...«

»Ich bin nicht gekommen, um deinen Rat einzuholen.« Del stieß sich unbeholfen hoch, richtete sich mit unendlicher Vorsicht auf und ging sehr langsam auf den Rotschimmel zu.

Die Plötzlichkeit dieser Abfolge verblüffte mich. »Was?«

Sie ergriff die Zügel des Wallachs, führte ihn zu einem Baum in sicherem Abstand zu dem Hengst und band ihn fest. »Ich bin nicht gekommen, um deinen Rat einzuholen. Nur um mit dir zu tanzen.«

So kühl und kurz angebunden. Wie die alte Del – ohne Zeit für die Empfindungen anderer. Ein vollständiger Kreis, dachte ich. Am Ausgangspunkt zurück.

Aber nicht ganz, Bascha. Ich bin nicht derselbe Mann. Wegen – oder trotz – dir bin ich nicht derselbe Mann.

Schwertmeister

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