Читать книгу Schwertmeister - Jennifer Roberson - Страница 5
PROLOG
ОглавлениеSie ist keine Frau für müßige Konversation, denn sie hat wenig Geduld für oberflächliches Gerede und noch weniger für Entschuldigungen und Erklärungen. Das gilt auch für jene Themen, die von Leben und Tod handeln, von meinem oder ihrem eigenen Tod. Und dennoch suchte ich bei beiden Zuflucht: bei Entschuldigungen und bei Erklärungen. Irgendwie mußte ich es tun.
»Es war nicht mein Fehler«, erklärte ich. »Hatte ich eine Wahl? Hast du mir eine Wahl gelassen?« schnaubte ich verächtlich. »Nein, natürlich nicht, nicht du ... du läßt niemandem eine Wahl oder eine Chance und am allerwenigsten mir ... Du tötest mich einfach über den Kreis hinweg mit Blicken und forderst mich dazu heraus, dich zu ergreifen, dich zu töten, dich mit meiner Klinge zu zerstückeln, weil nur das dich zu dem Eingeständnis zwingen kann, daß du genauso ein Mensch bist wie jeder andere auch und genauso verletzlich. Genauso zerbrechlich wie jedermann, Mann oder Frau, aus Fleisch und Blut gemacht ... und du blutest, Del ... genau wie jeder andere ... genau wie ich ... blutest du.«
Sie sagte nichts. Helles Haar schimmerte im Feuerschein weiß, und blaue Augen waren nichts als dunkle Höhlen in einem schattenumwölkten Gesicht, dem Umriß und Ausdruck fehlten. Die Schönheit blieb, aber sie war verändert. Verwandelt von Anspannung, Besessenheit und Schmerz.
Hinter mir schnaubte der an einen Baum gebundene Hengst, stampfte, scharrte eine dünne Schicht Schneematsch von winterbraunem Gras. Scharrte immer wieder, schob sogar das Gras beiseite, bis dort, wo er gegraben hatte, ein richtiges Loch entstanden war.
Pferde können nicht sprechen wie Menschen. Sie sprechen, so gut sie können, mit Ohren, Zähnen und Hufen. Jetzt sagte mir der Hengst, daß er nicht fressen wolle. Daß er nicht schlafen wolle. Daß er die Nacht nicht an einen kahlen Baum gebunden verbringen wolle, von einem nordischen Wind, der nicht – ganz – vergehen würde, bis auf die Knochen ausgekühlt. Er wollte fort. Weiterlaufen. Südwärts in seine Wüstenheimat ziehen, wo es niemals kalt ist.
»Es war nicht meine Schuld«, wiederholte ich bestimmt. »Hoolies, Bascha, du und dein sturmgeborenes Schwert ... Was sollte ich deiner Meinung nach tun? Ich bin Schwerttänzer. Stell mich mit einem Schwert in der Hand in einen Kreis, und ich tanze. Gegen Bezahlung, zur Schau, für die Ehre ... für alles das, was zu benennen die Menschen sich scheuen, aus Angst, zuviel zu zeigen ... Nun, ich habe keine Angst, Del, ich weiß nur, daß du mir keine andere Wahl gelassen hast, als dich zu töten, als du mich mit deinem magiebeladenen Schwert angegriffen hast – was hast du erwartet? Ich habe getan, was ich tun mußte. Was notwendig war, für uns beide; aus keinem anderen Grund.« Ich kratzte ärgerlich an den Narben auf meiner rechten Wange: vier tief eingekerbten Klauenspuren, jetzt vom Alter weiß, die durch den Bart schnitten. »Ich habe wie die Hoolies versucht, dich zur Aufgabe zu zwingen, dich dazu zu bringen, diese dreimal verfluchte Insel zu verlassen, bevor etwas geschähe, das wir beide bedauern würden, aber du hast mir keine Wahl gelassen. Du bist völlig freiwillig in diesen Kreis getreten, Del ... Und du hast den Preis bezahlt. Du hast herausgefunden, wie gut der Sandtiger tatsächlich ist, nicht wahr?«
Keine Antwort. Natürlich nicht, sie dachte noch immer, sie sei besser. Aber ich hatte auf die überzeugendste Art bewiesen, wer von uns der Bessere war.
Die Kälte verfluchend, rückte ich den wollenen Umhang zurecht und wickelte ihn mir enger um die Schultern. Braunes, allzu lange nicht geschnittenes Haar wurde mir in die Augen und in den Mund geweht und stach mich. Auch verfing es sich wiederholt in meinem kurzgestutzten Bart, egal, wie oft ich es zurückstrich. Sogar die Kapuze half nichts, der Wind zog sie mir immer wieder und wieder vom Kopf, bis ich aufgab und sie auf den Schultern liegen ließ.
»Du und diese Metzgerklinge«, murmelte ich.
Del sagte noch immer nichts.
Erschöpft rieb ich mir über die Augenbrauen, die Augen, das Gesicht. Ich war müde, zu müde. Die Wunde in meinem Leib schmerzte unaufhörlich und erinnerte mich bei jedem Zwicken daran, daß ich Staal-Ysta weitaus eher verlassen hatte, als vernünftig gewesen war angesichts des Schwertstoßes, den ich hatte einstecken müssen. Die Wunde war erst halbwegs verheilt, aber ich verließ den Ort dennoch. In Staal-Ysta war nichts für mich geblieben. Nichts und niemand.
Tief in dem Steinhaufen züngelte eine Flamme. Rauch wirbelte auf, kräuselte sich, zerriß in der Luft. Wind trug ihn davon, trug die Nachricht meiner Anwesenheit zu den Bestien, die irgendwo nördlich von mir in der Dunkelheit lauerten. Die Hunde der Hoolies, nannte ich sie. Diese Bezeichnung paßte genausogut wie jeder andere Name.
Ich wartete darauf, daß sie reden würde, sogar darauf, daß sie mich anklagen würde, aber sie gab überhaupt keinen Laut von sich. Saß nur da und sah mich an, starrte mich an, hielt das Jivatma quer über wollbekleidete Oberschenkel. Die Klinge lag ungeschützt in der Dunkelheit, beschriftet mit Runen, die ich nicht lesen konnte – nicht lesen sollte – und die von Blut und von einer verbotenen Macht sprachen, die zu stark war, als daß jemand anderer sie hätte stimmen oder beherrschen können, mit Haut, Willen und Stimme.
Del beherrschte sie. Sie war Teil ihrer persönlichen Magie, die Fallen eines Schwertsängers.
Schwertsänger. Mehr als ein Schwerttänzer (dies war mein eigener Beruf). Etwas, das sie von mir unterschied. Das sie fremdartig machte.
Dessen Name Boreal war.
»Hoolies«, murmelte ich laut und angewidert und hob noch einmal die Lederbota, um nordischen Amnit tief in meine Kehle zu schütten. Ich schluckte ihn hinunter, Schluck für Schluck, erfreut darüber, daß er in meinem Bauch brannte und meine Sinne umnebelte. Und wartete darauf, daß sie sagen würde, Trinken hülfe auch nichts. Daß ein trinkender Mann nicht mehr sei als eine Marionette der Flasche. Wie gefährlich das Trinken für einen Schwerttänzer sei, für einen Mann, der davon lebt, sein Schwert und sein Können zu verkaufen, der seine Schärfe wegpißt, wenn er am Morgen Alkohol pißt.
Aber Del sagte nichts von alledem.
Ich wischte mir mit dem Handrücken den Amnit vom Mund. Glotzte sie über das prasselnde Feuer hinweg verschwommen an. »Nicht meine Schuld«, belehrte ich sie. »Denkst du, ich hätte dich treffen wollen?« Ich hustete, spie aus, atmete, was die nur halbwegs verheilte Wunde betraf, zu tief ein. Das ließ mich hochfahren, schwitzend, bis ich erneut Luft holen konnte, so vorsichtig, das Ein- und Ausatmen peinlich genau abmessend. »Hoolies, Bascha ...«
Aber ich brach ab, verwirrt, weil sie nicht da war.
Hinter mir grub der Hengst Löcher. Und er war, genau wie ich, allein.
Ich ließ allen Atem auf einmal ausströmen, achtete nicht auf das protestierende Ziehen in der Rippengegend. Das Ausatmen wurde von einer Reihe von Flüchen begleitet, die ich so heftig hervorstieß wie möglich, in dem Versuch, den Ansturm schwarzer Verzweiflung zu bewältigen, die weitaus schlimmer war, als ich sie bisher jemals kennengelernt hatte.
Ich ließ die Bota fallen, erhob mich und wandte dem Steinhaufen den Rücken zu. Trat zu dem Hengst, ruhelos, überprüfte das Seil und die Knoten. Er schnaubte, rieb den harten Kopf an mir, beachtete meinen Schmerzenslaut nicht, suchte genausosehr Erlösung wie ich. Die Dunkelheit malte ihn schwarz, am Tage ist er kastanienbraun, klein, kompakt, stark, in der südlichen Wüste geboren.
»Ich weiß«, sagte ich, »ich weiß. Hier ist es nicht gut für uns.« Er knabberte an einer Umhangbrosche, einem in Gold gefaßten Granat. Ich stieß seinen Kopf fort, um neugierige Zähne daran zu hindern, zu meinem Gesicht zu wandern. »Wir sollten nach Hause ziehen, alter Junge. Einfach nach Süden und nach Hause ziehen. Alles, was die Kälte und den Wind und den Schnee betrifft, vergessen. Alles, was diese Hunde betrifft, vergessen.«
Eines Tages würde er vergessen. Pferde denken nicht wie Menschen. Sie erinnern sich nicht an vieles, außer daran, was man ihnen beigebracht hat. Wieder zu Hause im Süden, in der Wüste, die Punja genannt wird, würde er sich nur an den Sand unter den Hufen und die stechende Hitze des Tages erinnern. Er würde die Kälte und den Wind und den Schnee vergessen. Er würde die Hunde vergessen. Er würde sogar Del vergessen.
Hoolies, ich wünschte, ich könnte das. Sie und den Anblick ihres Gesichts, als ich ihr die Klinge durch die Haut stieß.
Ich zitterte. Jäh wandte ich mich von dem Hengst ab und ging zu dem Steinhaufen zurück. Beugte mich hinab, nahm die Scheide und den Harnisch auf, schloß die Faust um das Heft. Das kalte Metall erwärmte sich in meiner Hand sofort, süß und verlockend: Zähneknirschend riß ich die Klinge aus der Scheide und hielt sie in den Feuerschein; die Flammen brachten den Stahl zum Erglühen. Sie liefen die Klinge hinab wie Wasser, hielten nur kurz inne, um sich in den Runen zu sammeln, die ich jetzt genausogut kannte wie meinen Namen.
Ich zitterte. Mit größter Sorgfalt trug ich das Schwert zu einem der dichten Haufen zerbrochener Flußsteine, fand einen vielversprechenden Spalt und zwängte die Klinge hinein. Prüfte ihren Sitz: gut. Dann schloß ich, in der Absicht, sie zu zerbrechen, beide Hände um das Heft. Um sie ein für allemal zu zerstören.
Samiel sang zu mir, einen kleinen persönlichen Gesang.
Er war hungrig, noch immer so hungrig, mit einem Durst, der keine Grenzen kannte. Zerbräche ich ihn, dann würde ich ihn töten. Wollte ich dieses Risiko eingehen?
Ich festigte meinen Griff um das Heft. Biß die Zähne zusammen ... schloß die Augen ...
Und zog das Schwert, mit klingendem Geräusch, sehr vorsichtig aus dem Spalt heraus.
Ich wandte mich um. Setzte mich hin. Lehnte mich geschwächt gegen die Flußsteine. Wiegte jenes tödliche Jivatma, das ich zu meinem eigenen gemacht hatte.
Ich legte meine Schläfe gegen den Knauf des seidig geriffelten Hefts. Er fühlte sich kühl und tröstlich an, als spüre er meine Qual.
»Ich werde anscheinend alt«, murmelte ich. »Alt ... und müde. Wie alt bin ich jetzt – vierunddreißig? Fünfunddreißig?« Ich streckte eine Hand aus und schloß in Gedanken nacheinander den Daumen und die Finger. »Laß mich sehen ... die Salset fanden mich, als ich einen halben Tag alt war ... behielten mich ... sechzehn Jahre bei sich? Siebzehn? Hoolies, wer kann da sicher sein?«
Ich schaute stirnrunzelnd in die Ferne. »Es ist schwierig, die Jahre zurückzuverfolgen, wenn man nicht einmal einen Namen hat.« Ich kaute an der Unterlippe und dachte nach. »Sagen wir einmal, es wären sechzehn Jahre bei den Salset gewesen. Mindestens. Sieben Jahre als Lehrling bei meinem Shodo, als ich den Umgang mit dem Schwert lernte ... und seitdem dreizehn Jahre als berufsmäßiger Schwerttänzer.« Der Schock traf mich wie ein Schwall kalten Wassers. »Ich könnte schon sechsunddreißig sein!«
Ich schaute an meinem Körper hinab, der genauso geschwächt war wie ich selbst. Unter der vielen Wolle konnte ich nichts erkennen, aber ich wußte, was da war. Lange kräftige Beine, aber auch schmerzende Knie. Sie schmerzten, wenn ich zuviel lief, schmerzten nach einem Schwerttanz. Schmerzten, wenn ich zu lange ritt, alles aufgrund dieser nordischen Kälte. Es heilte bei mir alles nicht mehr so schnell wie früher, und ich spürte die verbliebenen Schmerzen länger.
Wurde ich langsam weichlich?
Ich preßte eine steife Hand gegen den Bauch.
Nicht so, daß man es bemerkt hätte, obwohl mich die Wunde Gewicht und Kraft gekostet hatte. Und dann war da die Wunde selbst, schlimm, ja, und zwar schlimm genug, um jeden Mann für mehrere Wochen ans Bett zu fesseln, aber ich schonte mich schon seit fast einem Monat und war noch immer nur halbwegs wiederhergestellt.
Ich kratzte meine bärtige, mit Narben versehene Wange. Alt waren sie jetzt, uralt. Vier gewundene Linien, die tief in die Haut eingegraben waren. Am Anfang waren sie monatelang lebhaft purpurfarben gewesen, häßliche Erinnerungen an die Katze, die mich beinahe getötet hatte, aber ich hatte mich nicht wieder darum gekümmert. Nicht einmal dann, wenn die Leute mich angestarrt hatten. Und ganz sicher nicht, wenn Frauen sich darüber aufgeregt und sich über die Ursache Gedanken gemacht hatten. Weil die Narben die Münze gewesen waren, mit der ich mir meine Freiheit von den Salset erkauft hatte. Ich hatte einen raubenden Sandtiger erledigt, der alle Kinder getötet hatte. Seit damals kein namenloser Chula mehr. Statt dessen ein Mann, der sich zur Feier seiner Freiheit Sandtiger nannte.
Vor langer Zeit. Jetzt waren die Narben weiß. Aber die Erinnerungen waren noch immer lebendig.
So viele Jahre lang allein, bis Del in mein Leben schritt und eine Farce daraus machte.
Ich kratzte erneut an den Narben. Bärtig. Langhaarig. Ungekämmt. In Wolle anstatt in Seide gekleidet, um den nordischen Wind abzuwehren. So würde ich die Schmerzen nicht sosehr spüren.
Das Schwert, in meinen Händen, an meiner Haut erwärmt, auf unheimliche Art verlockend. Die Klinge vergoß Licht und Runen. Und auch das Versprechen der Macht. Es floß von der Spitze aufwärts und nahm dann auch das seidig geriffelte Heft ein. Berührte meine Finger, ach, so zärtlich, und verweilte an meiner Handfläche. Sanft und süß wie die Berührung einer Frau: wie Del, sogar Del, die Frau genug war, um sanft und süß zu sein, wenn ihre Stimmung dem entsprach, wohl wissend, daß es etwas anderes war als Schwäche. Eine ehrliche Frau, Delilah, im Bett und im Kreis.
Ich warf das Schwert über den Steinhaufen in die Dunkelheit. Sah das Aufblitzen von Licht, den Bogen. Hörte den dumpfen Aufprall, als es auf windüberfrorenem Gras landete.
»Ich wünsche dich zu den Hoolies«, belehrte ich das Schwert. »Ich will nichts von dir.«
Und in der düsteren Ferne weit jenseits des Schwertes bellte eine der Bestien.