Читать книгу Schwertmeister - Jennifer Roberson - Страница 14
ACHT
ОглавлениеMan konnte sehr leicht in alte Verhaltensmuster verfallen. Del und ich waren schon lange genug zusammen, um gewisse Rhythmen in unserem alltäglichen Dasein entwickelt zu haben. Überwiegend einfache Dinge: Einer von uns entzündete und hütete das Feuer, der andere bereitete die Mahlzeit, beide kümmerten wir uns um unsere Pferde. Wir wußten, wann sie sich ausruhen mußten, wußten, wann wir Ruhe brauchten, kannten die geeignetsten Zeiten und Orte, um während der Nacht zu rasten. Vieles von dem, was wir taten, erforderte keine Worte, denn das meiste war eine Wiederholung der Dinge, die wir schon früher getan hatten.
Man konnte leicht vergessen, sich nur daran erinnern, daß wir zusammen waren. Und dann würde etwas, eine kleine Sache, anstehen und mich daran erinnern, daß wir für den Zeitraum von sechs Wochen nicht zusammengewesen waren – und ich würde mich an den Grund dafür erinnern.
Wir ritten auf Ysaa-den zu, folgten der Spur der Hunde. Sprachen wenig miteinander, weil wir nicht wußten, was wir sagen sollten. Zumindest wußte ich es nicht. Was Del dachte – oder wußte oder nicht wußte –, war, wie immer, ihre eigene Angelegenheit und mehr als persönlich, es sei denn, sie beschloß es zu teilen. Im Moment tat sie dies nicht.
Sie ritt vor mir. Dem Hengst gefiel dies nicht, aber ich bestimmte das Tempo. Ich wollte nicht, daß er sich überanstrengte. Also hielt ich ihn hinter dem fahlen Rotschimmel, und er mußte sich mit dem Platz als Zweiter begnügen. Das Problem war nur, daß er es nicht war.
Dels Rücken war kerzengerade aufgerichtet. Sie reitet ohnehin immer sehr aufrecht, aber ich wußte, daß ein wenig ihrer außerordentlich geraden Haltung mit der Wunde zu tun hatte. Egal, was sie sagte oder nicht sagte – oder wieviel Magie sie angewandt hatte, ich wußte, daß sie Schmerzen hatte. Und ich wußte, welche Anstrengung es für sie bedeutete weiterzuziehen.
Boreal unterteilte ihren Rücken in zwei Hälften, von der linken Schulter zur rechten Hüfte, wie Samiel auch meinen Rücken unterteilte. Ich schaute auf Boreal und dachte Böses. Ich dachte auch an mein eigenes Schwert. Was erwartete es von mir? Wozu würde es mich zwingen?
Und dann vergaß ich Samiel und schaute erneut auf Boreal. Bemerkte, wie ruhig sie in der Lederscheide wippte. Wie sanft die Waffe ruhte und die tödliche Klinge verbarg. Den fremdartigen, von Göttern gesegneten Stahl verbarg, der seinen eigenen Gesang sang, genau wie Delilah es tat.
Und mit kalter, plötzlicher Klarheit fragte ich mich, wieviel von Dels Besessenheit in der Klinge statt in ihrem Gehirn den Ursprung hatte.
Ich wußte über Jivatmas wenig mehr als das, was Del und Kem mir erzählt hatten. Und selbst dann hatte ich ihren Worten wenig Beachtung geschenkt. So war es, bis mir mein eigenes neugestaltetes Schwert seinen Blutdurst gezeigt hatte und ich erkannte, wie unabhängig ein Jivatma sein konnte. Was bedeutete, daß Del für ihre Handlungen möglicherweise nicht völlig verantwortlich war. Hatte sie nicht bei mehr als einer Gelegenheit um Boreals Hilfe gebeten? Um Macht?
Ich schaute auf das Heft, das so weit über ihre linke Schulter hinausragte. Hatte Del ihre eigene Persönlichkeit freiwillig den Forderungen eines magiebeladenen Schwertes unterworfen? Brauchte sie die Rache so dringend?
Sie hatte Eide geschworen. Ich selbst schwöre auch oft, aber niemals Eide. Zumindest keine bindenden, eher solche, die den Schwörenden zwingen, etwas zu tun, das er lieber nicht tun sollte. Aber Del war anders. Del nahm Versprechen und Eide und Schwüre sehr viel ernster. Das hatte sie dazu getrieben, eine Schwerttänzerin zu werden. Ein Kind aufzugeben. Das war es, was sie nach Süden getrieben hatte, allein, um nach ihrem entführten Bruder zu suchen.
Das war es, was sie dazu getrieben hatte, sich einen Schwerttänzer namens Sandtiger auszusuchen, der Leute kannte, die sie nicht kannte, und auch wußte, wo man sie fand.
Ein Mann macht sich zu vielem, abhängig von den Bedürfnissen und der Gestaltung seines Lebens. Ich, ich war ein Sklave. Und dann ein freier Mann, der Macht suchte, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ein Leben eigener Wahl, ohne Forderungen von anderen.
Nun ja, es gab Forderungen. Wenn ich von einem Tanzeer angeheuert wurde, konnte er mir befehlen. Aber nur dann, wenn seine Wünsche in ausreichendem Maße mit meiner Bereitschaft übereinstimmten. Und es gab Dinge, die ich nicht tat. Menschen zu töten, die es verdient hatten oder mir keine andere Wahl ließen, war etwas, womit ich schon vor vielen Jahren zurechtgekommen war. Lange Zeit war das Töten fast ein Vergnügen, weil es ein wenig von meinem Zorn freisetzte. Nach einiger Zeit, als ich ein wenig älter geworden war, war die Feindseligkeit nicht mehr so offensichtlich. Ich war frei. Niemand konnte mich jemals wieder zum Sklaven machen. Ich mußte nicht mehr töten.
Abgesehen davon, daß es das einzige war, worin ich gut war.
Der Schwerttanz war mein Leben. Ich hatte es frei erwählt. Ich hatte den Schwerttanz erlernt und war ein Schwerttänzer des siebten Grades geworden, was bedeutete, daß ich sehr gut war. Es machte mich zu dem, was ich war. Zu einem gefährlichen, tödlichen Mann.
Der sein Schwert an jeden vermietete, der Geld hatte.
Von Natur aus sind wir einsame Seelen. Immerhin ist es schwierig für einen Berufsmörder, ein normales Leben zu führen. Huren macht es nichts aus, mit uns zu schlafen, solange wir sie bezahlen und sie damit angeben können – und manchmal ist unser Ruhm schon Bezahlung genug –, aber anständige Frauen heiraten uns normalerweise nicht. Weil sich ein Mann, der sich und sein Schwert verdingt, um leben zu können, immer auf einer Gratwanderung befindet und weil eine Frau, die mit ihrem Mann alt werden möchte, es nicht mag, ihn jung zu verlieren.
Es gibt natürlich Ausnahmen. Schwerttänzer heiraten oder nehmen eine Frau als Eigentum ohne den Vorteil der Rituale. Aber die meisten von uns tun dies nicht. Die meisten von uns reiten allein. Die meisten von uns sterben allein, sie hinterlassen keine Frauen oder Kinder, die trauern.
Dafür gibt es einen Grund. Häusliche Verantwortung kann die Seele eines Schwerttänzers zerstören.
Und jetzt war Del da. Nicht mehr dieselbe Del. Für immer eine andere Del. Nicht wegen des Mädchens, das sie geboren hatte, obwohl mich das veranlaßte, anders über sie zu denken. Nicht weil wir in der Vergangenheit so viele Male ein Bett geteilt hatten. Sondern aufgrund ihrer Taten und meiner Taten und aufgrund der daraus erfolgenden Veränderungen.
Treue ist eine heilige Angelegenheit. Etwas, das man bewundern muß. Etwas, das man in Ehren halten muß. Es ist nichts, das zwei Menschen in unserem Beruf, in dem die Treue so oft erkauft wird, häufig erfahren. Treue in einem Kreis ist tatsächlich sehr selten, weil zu oft jemand stirbt oder seinen Stolz opfert, was eine Beziehung zerstören kann. Aber für eine Weile hatten wir sie kennengelernt. Für eine Weile hatten wir sie gelebt.
Aber wir hatten im Kreis auf Staal-Ysta beide der Tugend abgeschworen.
O Hoolies, Bascha, was ich für die alten Tage geben würde.
Aber welche alten Tage? Die mit ihr oder die ohne sie?
Ohne sie war es leichter. Denn in den Tagen mit ihr hatte ich sie beinahe getötet.
Del wandte sich einen Moment im Sattel um und schob sich das Haar hinter ein Ohr. Dadurch wurde ihr Gesicht sichtbar. Ein fein gezeichnetes Gesicht mit phantastischen Flächen, von denen zu viele offenlagen. Qual, Schwüre und Besessenheit hatten die jugendliche Haut in eine Maske spröder Schönheit verwandelt. Eine kalte, scharfkantige Schönheit, die mich an Glas denken ließ.
Glas bricht zu oft. Ich fragte mich, wann sie brechen würde.
Ich erwachte unmittelbar nach Tagesanbruch und sah nach Del. Das tat ich, wie ich bemerkt hatte, jeden Morgen, seit wir wieder zusammen waren, und es verwirrte mich. Aber dennoch tat ich es jeden Morgen. Zur Beruhigung.
Und jeden Morgen sagte ich zu mir: Ja, Del lebt. Ja, Del ist hier.
Es ist immerhin kein Traum.
Grummelnd setzte ich mich auf. Versuchte, die Muskeln zu strecken und die Gelenke knacken zu lassen, ohne sie aufzuwecken, weil kein Mann einer Frau gern verrät, daß er älter wird, daß die Jahre ihren Tribut fordern. Und dann stand ich langsam auf und ging, gleichermaßen langsam, zu dem Hengst hinüber. Ich untersuchte ihn jeden Morgen, nur um sicherzugehen. Die Krallenwunden heilten gut, aber das Fell würde weißnachwachsen. Wie ich würde auch er die Narben mit in den Tod nehmen.
Und dennoch schien er in viel besserem Zustand zu sein – oder vielleicht war es einfach so, daß die Gegenwart des Wallachs ihm wieder mehr Interesse am Leben schenkte. Was auch immer es war, er war wieder mehr er selbst. Sein altes unfreundliches Selbst.
Ich ließ meine Hand an der Schulter des Hengstes hinabgleiten, strich Winterfell aus. Es war fast Frühling, und er verlor sein Fell.
»Tiger.«
Ich schaute zurück und sah Del am Feuer stehen. Sie hatte alle ihre Decken abgelegt und sich in weißer Wolle mir zugewandt, das helle Haar aus dem Gesicht geflochten und mit weißem Band zurückgebunden. Sie nahm die Scheide und den Harnisch auf und ließ Boreal in die Dämmerung gleiten. Mit Runen versehener Stahl schimmerte. »Willst du mit mir tanzen, Sandtiger?«
Ich wandte mich von dem Hengst ab, um sie direkt anzusehen. »Du bist nicht in der Verfassung zu tanzen, Del. Noch nicht.«
»Irgendwann muß ich anfangen. Es ist schon viel zu lange her.«
Aus irgendeinem seltsamen Grund machte mich das sehr ärgerlich. »Hoolies, Frau, du bist sandkrank! Ich bezweifle, daß du eine Stellung länger als ein Augenzwinkern aushalten und kaum gegen einen Angriff bestehen könntest, den ich führen würde. Glaubst du, ich sei blind?«
»Ich glaube, daß du Angst hast.«
Etwas tief in mir wand sich. »Also das wieder.«
»Und wieder und wieder.« Sie hob das tödliche Jivatma. »Tanz mit mir, Sandtiger. Ehre das Abkommen, das wir getroffen haben.«
Stolz bewog mich, einen Schritt auf mein Schwert zu tun. Aber nur einen einzigen Schritt. Ich sah sie kopfschüttelnd an. »Dieses Mal nicht, Bascha. Ich bin älterund ein wenig weiser. Du kannst mich nicht in den Kreis locken. Nicht mehr. Ich kenne deine Kniffe zu gut.«
Die Spitze ihres Schwertes zitterte für einen Moment. Und blitzte dann auf, als sie ihren Griff verlagerte und die Klinge senkrecht nach unten stieß, tief in die Erde. »Dich locken?« fragte sie. »O nein.« Und bevor ich sie aufhalten konnte, kniete sich Del vor das Schwert. Sie setzte sich auf die Fersen und kreuzte die Hände vor der Brust. Der Zopf fiel ihr über die Schulter herab, so daß er über dem Boden baumelte. »Geehrter Kaidin«, sagte sie, »willst du etwas von deinem Können mit mir teilen?«
Ich sah die nordische Frau an, die sich vor mir verbeugte, und alles, was ich empfand, war Verärgerung. Eine tiefe und beständige Verärgerung, die so stark war, daß sie mich krank machte.
»Steh auf!« sagte ich heiser.
Aber sie beugte nur den Kopf.
»Steh auf, Delilah!«
Der volle Name ließ sie zusammenzucken, aber sie stand nicht auf.
Und so überquerte ich die Lichtung und ging zu ihr, denn ich wußte aus Erfahrung um die Kraft ihrer Entschlossenheit. Sie wußte, daß ich da war. Sie war nicht taub, und sie konnte meine Reihe gemurmelter Flüche nicht überhören. Aber sie stand nicht auf. Sie hob nicht einmal den Kopf.
Ich streckte eine starre Hand aus. Und bekam Boreal zu fassen.
»Nein ...« Einen Schrei unterdrückend, fiel Del rückwärts. Krankheit und Qual hatten ihr Kraft und Schnelligkeit geraubt. Ich hielt den Beweis in Händen.
»Ja«, sagte ich deutlich, »wir haben ein Abkommen getroffen, Bascha, und ich werde es ehren. Aber nicht jetzt. Noch nicht. Keiner von uns ist dazu bereit.« Ich schüttelte müde den Kopf. »Vielleicht liegt es nur daran, daß ich älter bin. Vielleicht liegt es daran, daß ich klüger bin. Oder vielleicht liegt es auch nur an dem blinden Stolz der Jugend, der dich dazu verleitet, dein Leben zu riskieren.« Ich rieb mit einer Hand über meine Augenbraue und schob herabgefallenes Haar zur Seite. »Hoolies, ich weiß es nicht – vielleicht ist es einfach eine Eigenart der Schwerttänzer. Ich habe früher das gleiche getan.«
Del sagte nichts. Sie kniete noch halb auf dem Boden und stützte sich mit einer Hand auf, während sie die andere auf die Rippen preßte. Ihr Gesicht war hochrot. Flecken hellen Karmesinrots vor perlweißer Haut.
Ich seufzte. Setzte Boreals Spitze auf dem Boden auf und drückte sie langsam hinab, so daß sie von allein aufrecht stand. Dann ließ ich mich schnell auf Dels Augenhöhe nieder, kniete mich vorsichtig hin und öffnete meinen schweren Gürtel.
Dels Augen weiteten sich. »Was tust du?«
»Ich will dir etwas zeigen.« Ich ließ den Gürtel fallen und zog mehrere Lagen Wolle hoch. Legte meinen Brustkorb frei. »Da«, sagte ich. »Siehst du es? Dein Werk, Del. Ein sauberer, vollkommener Schwertstoß. Und er tut weh. Er schmerzt wie die Hoolies. Und wird noch einige Zeit schmerzen, Del – vielleicht sogar für immer. Weil ich nicht mehr so jung bin, wie ich einmal war. Bei mir heilt alles langsamer. Und alles tut länger weh. Ich lerne aus meinen Fehlern, weil meine Fehler stets in der Nähe sind, um mich zu erinnern.«
Dels Gesicht war jetzt aschgrau. Sie schaute durchdringend auf die häßliche Narbe, die deutlicher sichtbar war, als sie es sonst vielleicht gewesen wäre, weil ich, seit ich in den Norden gekommen war, viel von meiner Farbe verloren hatte. Bläuliches Purpur vor Hellbraun ist keine attraktive Mischung.
»Ich habe Schmerzen, Bascha. Und ich bin müde. Ich will nur noch nach Hause ziehen, in den Süden, wo ich mich in der Sonne braten lassen und den nordischen Schnee vergessen kann. Aber das kann ich erst tun, wenn ich die Arbeit beendet habe, die zu tun ich versprochen habe. Und um diese Arbeit zu beenden, muß ich hierbleiben.«
Del schluckte hart. »Ich will nur tanzen.«
Ich zog meine Tunika herunter. »Ich werde dich nicht bitten, mir deine Wunde zu zeigen, weil ich mir gut vorstellen kann, wie sie aussieht. Ich habe es getan, Bascha ... Ich weiß, wie der Stoß war. Ich weiß, was er dir angetan hat. Wenn du jetzt in einen Kreis einträtest, würdest du den Tanz nicht überleben.«
Ich nahm mein eigenes Schwert auf, das noch immer auf dem Boden zwischen uns lag. »Ich habe dich einmal fast getötet. Ich möchte das nicht noch einmal riskieren.«
»Zuviel Zeit«, flüsterte sie.
Ich stand mit einem Grummeln auf. »Du hast alle Zeit der Welt, meine nordische Bascha. Du bist jung. Du wirst gesund werden. Du wirst deine Kraft wiedergewinnen. Du wirst wieder tanzen, Delilah. Das verspreche ich dir.«
»Wie alt bist du?« fragte sie plötzlich.
Ich schaute stirnrunzelnd auf sie hinab. »Ich dachte, das hätte ich dir bereits gesagt.«
»Nein. Du hast mir nur erzählt, daß du älter seist als ich.« Del überraschte mich mit einem Lächeln. »Das wußte ich bereits.«
»Ja, nun ... das denke ich mir.« Verwirrt kratzte ich meine Sandtigernarben. »Ich weiß nicht. Alt genug. Warum? Spielt es denn eine Rolle? Nach dieser ganzen Zeit?«
»Du bist derjenige, der das Alter zum Thema gemacht hat, Tiger. Ich wollte nur wissen, wie alt der alte Mann ist.«
»Wie alt bist du?« konterte ich, obwohl ich es genau wußte. Aber es ist eine bei Frauen verhaßte Frage.
Del zuckte mit keiner Wimper. Und sie zögerte auch nicht. »In drei weiteren Tagen werde ich einundzwanzig Jahre alt sein.«
»Hoolies«, sagte ich angewidert, »ich könnte dein Vater sein.«
Dels Gesichtsausdruck war ernst. »Er war vierzig, als er getötet wurde. Wie nahe bist du daran?«
»Zu nahe«, murmelte ich säuerlich und ging davon, um meine Blase zu beschwichtigen.