Читать книгу Schwertmeister - Jennifer Roberson - Страница 11
FÜNF
ОглавлениеIch saß auf meinem Schlafplatz bei der Feuerstelle, kratzte Sandtigernarben, trank Amnit und dachte nach. Dachte nach.
Was, zu den Hoolies, geschieht jetzt?
Nun, sie wollte mit mir reiten. Für eine Weile. Um mit mir im Kreis zu tanzen, bis sie genesen genug wäre, Ajani herauszufordern. Was bedeutete, daß sie schon immer vorgehabt hatte, mich zu verlassen, wenn sie mich erst einmal gefunden hätte. Wenn sie erst einmal wieder gesund wäre.
Was bedeutete, daß sie mich benutzte.
Nun, wir benutzen uns alle gegenseitig. Auf die eine oder andere Art.
Aber Del benutzte mich.
Wieder.
Offensichtlich ohne meine eigenen Gefühle zu bedenken. Oder vielleicht hatte sie sie bedacht und glaubte, ich sei ohne sie glücklicher dran. Wenn sie erst einmal bereit wäre zu gehen.
Oder vielleicht erfand sie eine wilde Geschichte, um den wahren Grund zu verbergen, warum sie mich aufgespürt hatte, was weniger mit Ajani und mehr mit mir zu tun hatte.
Nein. Nicht Del. Sie ist nichts, wenn sie nicht zu etwas entschlossen ist.
Nichts, wenn sie nicht besessen ist.
Was bedeutete, daß Ajani noch immer das wichtigste Thema war und ich lediglich ein Mittel zu dem Zweck, sie kampffähig genug zu machen, damit sie ihn töten konnte.
Was wiederum dahin zurückverwies, daß ich benutzt wurde.
Wieder.
Ein kleiner Teil von mir meinte, es sei nicht wichtig, es sei eine ausreichende Entschädigung, Del um mich zu haben. Weil sie, natürlich, wieder mein Bett teilen würde, und das sollte genug sein, damit ein Mann gewisse Dinge übersähe.
Vielleicht wäre es früher so gewesen. Aber jetzt nicht mehr. Ich konnte nichts übersehen. Denn ein größerer Teil von mir mochte es nicht, auf ein Mittel zum Zweck reduziert zu werden. Ich verdiente Besseres.
Und ein noch größerer Teil erinnerte mich mit ausgesprochener Klarheit daran, daß Del nicht zweimal nachgedacht hatte, als sie mich den Voca auf Staal-Ysta als Köder angeboten hatte, um sich ein Jahr ihres Exils zu ersparen.
Nun, vielleicht hatte sie zweimal darüber nachgedacht. Aber sie hatte dieses Angebot dennoch recht leicht gemacht, ohne mich auch nur um Rat zu fragen.
Und das schwärte. Oh, es schwärte.
Ich saß auf meinem Schlafplatz bei der Feuerstelle, kratzte, trank und schaute. Und wartete lange auf Delilah.
Sie beschäftigte sich mit ihrem Wallach, sattelte ihn ab, rieb ihn trocken, sprach sanft auf ihn ein, machte ihn für die Nacht bereit. Verschwendete Zeit? Hinhaltetaktik? Vielleicht. Aber wahrscheinlich nicht. Del weiß, was sie tut und warum, und verbringt keine Zeit mit dem Spiel ›Was-wäre-wenn‹, sobald die Tatsachen feststehen.
Ich beobachtete sie: ein weißer Geist im Glühen des Feuers, ein weißes Gespenst vor schwarzen Bäumen, so Weiß-auf-Weiß, Delilah: Tunika, Hosen, Haar, außer dem blitzenden Silber. Beschläge auf Gürtel und Armschutz. Zwei schwere Umhangspangen, die jede wollverhüllte Schulter beschwerten.
Und das gewundene Schwertheft, überihren Rücken geschwungen.
Hoolies, was tue ich?
Hoolies, was tue ich nicht?
Ich hatte auf beides keine Antwort. Ich saß bei der Feuerstelle, trank Amnit und wartete auf Delilah.
Schließlich kam sie. Die Arme voller Gerätschaften und Bettzeug, kam sie endlich auf das Feuer zu. Auf mich zu. Und schließlich konnte ich es ihr sagen.
»Nein«, sagte ich ruhig.
Mitten im Schritt zögerte sie. Blieb ganz stehen. »Nein?« wiederholte sie offen und eindeutig verwirrt. Dachte an etwas anderes.
»Du hast mich gebeten, mit dir zu tanzen. Nun, ich kann es dir in der südlichen Sprache, in der Desertsprache, und in Nordisch sagen. Sogar in der Hochlandsprache.« Ich lächelte wenig belustigt. »Welches Nein willst du? Welches wirst du glauben?«
Ihr Gesicht war so weiß wie Eis. Nur ihre Augen waren schwarz.
Mit ausgesprochener Sorgfalt setzte ich meine Bota ab. »Dachtest du, ich sei so gut in Übung, daß ich mich hinlegen und dir den Bauch hinstrecken würde, damit du dich wieder gut fühlen könntest?«
Sie stand sehr ruhig und umklammerte die Decken.
Ich behielt einen sachlichen Tonfall bei. Vollkommen ausdruckslos, damit sie wüßte, wie das war. »Du bist mit der Erwartung gekommen, daß ich zustimmen würde. Nicht um zu fragen, nicht um zu bitten ... um es zu befehlen. ›Tanz mit mir, Sandtiger. Tritt in den Kreis‹«. Langsam schüttelte ich den Kopf. »Ich lehne die Motive nicht ab, warum du Ajanis Tod wünschst. Ich verstehe Rache genausogut oder besser als jeder andere. Aber du hast dein Recht verwirkt, von mir zu erwarten, daß ich alles tue, nur weil du darum bittest. Du hast die Bitte verwirkt.«
Del sagte lange Zeit überhaupt nichts. Das schwache Licht der Feuerstelle grub Linien in ihr Gesicht, zeigte mir aber nicht seinen Ausdruck. Überhaupt keinen Ausdruck.
Ich wartete. Der Kreis lehrt Geduld, viele Arten von Geduld. Aber noch nie hatte ich das Warten so tief empfunden. Noch niemals hatte ich sosehr gewünscht, es möge aufhören. Und ich hatte Angst, die Antwort zu kennen, zu wissen, wie es ausgehen würde.
Ihre Stimme klang sehr leise. »Willst du, daß ich gehe?«
Ja. Nein. Ich weiß es nicht.
Ich schluckte schmerzlich. »Du hattest unrecht«, belehrte ich sie.
Del umklammerte das Bettzeug.
»Unrecht«, wiederholte ich sanft. »Und bis du es einsiehst, bis du es zugeben kannst, kann ich dir, glaube ich, nicht helfen. Ich will dir nicht helfen.«
Atem entströmte ihrem Mund. Und damit ihre Antwort. Ihre Erklärung. Ihre Entschuldigung, für etwas, das keiner Entschuldigung bedurfte, weil keine Entschuldigung ausreichend sein konnte. »Es war für Kalle ...«
»Es war für dich.«
»Es war für die Familie ...«
»Es war für dich.«
Schmerzliche Verzweiflung. »Es war für die Ehre, Tiger ...«
»Es war für dich, Delilah.«
Der volle Name ließ sie zurückweichen. Die Bewegung ließ sie zusammenzucken. Ihre Abwehr zerbrach: ihre Abwehr gegen den Schmerz, gegen die Wahrheit, gegen mich. Das letztere, so dachte ich, war das, was zählte. Es könnte sie noch heilen.
»Stolz«, sagte ich, »ist mächtig. Du hast meinen Stolz sehr leichtfertig weggeworfen. Willst du dasselbe mit deinem Stolz tun?«
Ihr Gesicht war blaß vor Entsetzen. »Wieso habe ich deinen Stolz weggeworfen?«
Ich sprang auf, ungeachtet der Schmerzen eines verzerrten Leibes. Sie aus dem Sattel zu reißen, hatte von uns beiden Tribut gefordert. »Hoolies, Del, hast du es vollständig vergessen? Ich war mein halbes Leben lang ein Sklave! Kein unschuldiges, junges, nordisches Mädchen, das mit Schwertern und Messern spielt und von seiner Familie sehr geliebt wird, sondern ein menschliches Lasttier. Ein Chula. Ein Ding. Etwas ohne Namen, ohne Identität, ohne Daseinsgrund, außer dem Grund, anderen zu dienen. Außer dem Grund, andere zu bedienen ... Was glaubst du, habe ich nachts in den Hyorts mit den Frauen getan?«
Ich sah das. Entsetzen auf ihrem Gesicht, aber es zügelte mich kaum. »Glaubst du, es war immer zum Vergnügen? Glaubst du, es war immer nur so, daß ein Mann eine Frau benutzt hätte?« Ich schüttelte mir das Haar aus den Augen. »Laß es mich sagen, Delilah: Es ist nicht immer nur die Frau, die benutzt wird ... Es ist nicht immer nur die Frau, die sich schmutzig und benutzt fühlt und ohne Wert, außer dem Wert, den sie im Bett hat. Es ist nicht immer nur die Frau ...«
O Hoolies, ich hatte nicht soviel sagen wollen – oder es so grob sagen wollen. Aber ich beendete es trotzdem, denn es wollte gesagt werden. Denn es mußte gesagt werden, wenn wir jemals auch nur eine Spur unserer alten Beziehung wiederentdecken wollten, selbst der des Kreises.
Ich festigte mühsam meine Stimme. »Ich habe meine Freiheit – und meinen Namen – durch Verzweiflung und reines, zufälliges Glück errungen, Del, gar nicht zu reden von der körperlichen und seelischen Qual ... Und doch wolltest du das alles erneut wegwerfen, nur um dir selbst ein wenig Zeit zu erkaufen. Habe ich dir das bedeutet? Ein Mittel zum Zweck? Die Münze, um dir deine Tochter zu erkaufen? Ein Körper, den man verschachern kann? War ich das, Delilah?«
Sie war so angespannt, daß sie zuckte. Und dann beugte sie sich ruckartig hinab. Legte das Bettzeug und die Gerätschaften ab. Erschauerte einmal zutiefst, ergriff dann das Heft ihres Schwertes mit beiden Händen und zog es aus der Scheide.
Einen Moment lang, einen ungläubigen, schmerzlichen Moment lang dachte ich, sie wollte mich töten. Daß ich zu weit gegangen war, obwohl ich kaum weit genug gegangen war.
Der Moment verging. Del wiegte Boreal. Senkrecht und vorsichtig preßte sie die Klinge zwischen ihre Brüste.
Kurz, oh, so kurz, schloß sie die Augen, murmelte etwas und ließ sich dann langsam und schmerzerfüllt auf ein Knie nieder. Senkte dann auch das andere.
Del kniete vor mir im Schmutz. Sie beugte sich vor, legte Boreal flach auf den Boden, kreuzte die Arme über der Brust und ballte die Hände zu Fäusten. In tiefer Ehrerbietung verbeugte sie sich, wobei ihre Stirn auf der Klinge ruhte.
Sie verhielt sich einen Augenblick unbeweglicher Stille lang vollkommen ruhig und erhob sich dann wieder. Ihre Augen schimmerten im Feuerglühen schwarz, von allem leergefegt außer dem Wissen um das Bedürfnis. Um ihres genausogut wie um meines.
Mit häufigen Unterbrechungen und schwerem Schlucken sprach sie in der nordischen Sprache zu mir. Es war ein Dialekt, den ich nicht kannte, wahrscheinlich auf Staal-Ysta und durch genaue, geforderte Rituale entstanden, die dazu gedacht waren, das Mysterium des Jivatma zu steigern. Ich war niemals sehr beeindruckt von dem Aufwand an solchen Dingen, denn ich bevorzugte geradeheraus geführte, ungeschmückte Reden, aber ich versuchte nicht, sie zu unterbrechen. Offensichtlich brauchte sie das.
Schließlich hielt sie inne. Verbeugte sich erneut. Richtete sich auf, sah mich an und wiederholte alles in südlicher Sprache, so daß ich es verstehen konnte.
Ich unterbrach sie sofort entsetzt. »Das ist nicht notwendig.«
Sie wartete. Schluckte. Begann erneut.
Ich fluchte. »Ich sagte ...«
Sie erhob die Stimme und fuhr mir über den Mund.
»Hoolies, Del, glaubst du, das ist es, was ich will? Demütigung? Buße? Ich verlange nichts dergleichen, du Närrin ... Ich will lediglich, daß du verstehst, was du getan hast. Ich will lediglich, daß du erkennst ...« Aber ich brach angewidert ab, denn sie hörte nicht zu.
Schließlich fuhr sie fort. Alle Formen wurden gewahrt, alle Erfordernisse befriedigt. Sie war eine wahre Tochter von Staal-Ysta, gleichgültig, was andere sagten, unabhängig davon, daß sie ins Exil verbannt worden war. Sie vollendete das Ritual.
Sie verbeugte sich erneut über Boreal. Nahm ihr Schwert auf, erhob sich, wandte sich unbeholfen von mir ab und ging auf den Rotschimmel zu. Stolperte ein wenig. Fing sich mühsam. Ihre Anmut war verschwunden, nicht aber ihre Würde.
Sie hatte ihren Stolz über Bord geworfen. Jetzt waren wir beide gleich.