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NEUN

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Del und ich ritten mehr als zwei Tage lang beständig in nordöstlicher Richtung. Wir ritten gemächlich in mehreren Etappen voran: erstens der Hengst, zweitens ich und drittens Del selbst. Keiner von uns liebt eine angeschlagene. Gesundheit. Und keiner von uns redet gern darüber – was bedeutete, daß wir angesichts unserer beträchtlichen Wunden überwiegend schwiegen.

Aber wir nahmen natürlich alles wahr. Ich nahm Del wahr, und sie nahm mich wahr. Aber wir sagten beide nichts, denn das hätte bedeutet, Unbehagen zuzugeben, wozu keiner von uns bereit war. Man könnte es Stolz, Hochmut oder Dummheit nennen. Nur der Hengst war völlig ehrlich, aber er machte kein Aufhebens davon. Er hatte Schmerzen. Und das zeigte er uns.

Ich tätschelte seinen Hals, vermied aber die verheilenden Krallennarben. »Ich weiß, alter Junge ... aber es wird besser werden, das verspreche ich dir.«

Del, die vor mir zwischen Bäumen mit kahlen Zweigen hindurchritt, wandte den Kopf und murmelte über eine Schulter hinweg: »Wie kannst du das wissen? Du weißt nicht einmal, wohin wir reiten.«

»Wir reiten nach Ysaa-den.«

»Und wenn du dort keine Antworten findest?«

Wieder das. Es war an dem Tag, an dem wir aufgebrochen waren, kurz ein Streitthema gewesen. Sie war wenig davon überzeugt, daß ich mit der Verfolgung der Hunde zu ihrem Herkunftsort die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber da alle ihre Entscheidungen von einem unersättlichen Bedürfnis nach Rache beeinflußt wurden, erwiderte ich ihr, daß ich nicht so sicher sei, ob sie überhaupt eine neutrale Meinung zu irgendeinem Thema habe. Sie hatte sich in hochmütiges Schweigen gehüllt, wie Frauen dies so oft tun, wenn der Mann sie ertappt, und das Thema nicht mehr erwähnt.

Bis jetzt.

Ich paßte meine Haltung der Bewegung des Hengstes an und versuchte eine Stellung zu finden, die das heilende Narbengewebe nicht belastete. »Del«, sagte ich geduldig, »du wußtest nicht, wo du hinreiten würdest, als du in den Süden kamst, um deinen Bruder zu finden. Ich habe nicht bemerkt, daß dich das aufgehalten hätte, denn bevor wir uns trafen, hatten wir noch nie voneinander gehört – nun, vielleicht hattest du von mir gehört –, und jetzt sind wir hier und reiten zusammen im Norden. Was alles in allem bedeutet, daß es dir nicht viel ausgemacht hat, kein Ziel zu haben. Du zogst einfach los.«

»Das war etwas anderes.« Ich nickte müde vor mich hin. Ist es nicht immer etwas anderes?

Del spähte über die Schulter zu mir zurück und biß die Zähne zusammen, als ihr das Drehen des Körpers Schmerzen bereitete. »Wie willst du feststellen, wann du am Ziel bist?«

»Ich werde es einfach wissen.«

»Tiger ...«

»Del, hör einfach auf, mich zu bearbeiten und zu hoffen, daß ich dir nachgebe. Ich habe mir meine Meinung gebildet und beabsichtige, mein Versprechen auszuführen.« Ich hielt inne. »Mit dir oder ohne dich.«

Schweigen. Del ritt weiter. Dann, sehr gedämpft: »Diese Bestien waren niemals hinter dir her.«

Es war halb Herausforderung und halb Prahlerei. Und auch die Wahrheit, denn es war schon vor Monaten ziemlich klargeworden, daß die Hunde Dels Schwert, Del oder beides wollten.

Aber das war damals. Die Dinge hatten sich geändert. »Aber jetzt sind sie hinter mir her.«

Del brachte ihren Wallach zum Stehen. Wandte sich noch abrupter im Sattel um, was ihr weh tat, sie aber nicht davon abhielt, mich anzustarren. »Was?«

»Ich sagte: ›Aber jetzt sind sie hinter mir her.‹ Warum sonst hat einer von ihnen wohl die Wachpfeife gestohlen?«

Del zuckte die Achseln. »Sie war von den Canteada gemacht. Mit Magie belegt. Verlockend genug, denke ich, denn ich glaube nicht, daß du gemeint warst.«

Der Hengst streckte sich aus, um den fahlen Leib des Wallachs anzuknabbern. Ich zog ihn zurück, strafte ihn leicht und lenkte ihn weg, in der Hoffnung, ihn für etwas anderes zu interessieren, vielleicht für einen Baum. »Sie sind schon einmal in mein Lager gekommen. Sie alle. Und sie haben versucht, mein Schwert zu stehlen.«

»Zu stehlen!«

»Zu stehlen«, bestätigte ich. »Sie hatten kein großes Interesse an mir, nur an dem Schwert.«

Del Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ich verstehe nicht.«

»Was gibt es da zu verstehen?« Ich kämpfte mit dem Hengst, der Anstalten machte, seine Zähne wieder dem Leib des Rotschimmels zu nähern. »Ursprünglich wollten sie nur dein Schwert, erinnerst du dich? Und dann meines ... nachdem ich es erst einmal getränkt hatte. Nachdem ich erst einmal die Katze getötet hatte.« Die Erinnerung zog sich in meinem Bauch zusammen. »Sogar nachdem ich erst einmal ...« Aber ich brach ab.

Dels Brauen schossen aufwärts. »Nachdem du erst einmal was?«

Die Erinnerung blühte noch vollständiger auf. Ich stand auf dem Aussichtspunkt am Seeufer und schaute hinunter auf Staal-Ysta, den Ort der Geister, wo nordische Tote in nordischer Erde begraben lagen, gewürdigt von Hügelgräbern und Steindolmen.

Ich stand auf dem Aussichtspunkt am Seeufer und schaute hinunter auf Staal-Ysta, den Ort der Schwerter, die Insel, die im Wasser trieb und von der Umarmung des Winters schwarz gefärbt war. Und ich hatte eine nackte Klinge in die Erde getrieben.

Nackt, als sie hineinglitt. Mit Runen versehen, als sie herauskam.

Ein Frösteln lief mein Rückgrat hinab. »Sie haben es gewußt, seit ich das Schwert benannt habe.«

Del wartete.

»Es muß so sein«, sann ich. »Sie waren ursprünglich eine große Gruppe, ich habe die Spur tagelang verfolgt ... Und dann hat sich die Gruppe geteilt. Einige Spuren führten weiter. Andere führten im Kreis zurück ...« Ich runzelte die Stirn. »Diese Hunde müssen es gewußt haben.«

Kurz darauf nickte sie. »Namen sind mächtig. Mit Jivatmas muß man vorsichtig sein. Auf Namen muß man gut aufpassen.« Und dann besänftigte sich ihr Gesichtsausdruck. »Aber das weißt du. Du würdest niemals jemandem den Namen deiner Blutklinge verraten.«

»Ich habe ihn dir verraten.«

Del war überrascht. »Mir verraten! Wann? Du hast mir nichts davon gesagt. Nichts, was sich auf ihren Namen bezog.«

Ich betrachtete stirnrunzelnd die Ohren des Hengstes. »Dort auf dem Aussichtspunkt, oberhalb der Insel. Nachdem ich es herausgezogen hatte. Ich sah die Runen, las den Namen – und sagte ihn dir.« Ich war ein wenig verlegen, denn ich wußte, wie dumm das klang. »Ich habe nicht erwartet, daß du es hören würdest. Ich war nicht einmal sicher, ob du noch lebtest ...« Ich brach ab. »Ich habe den Namen ... einfach gesagt. Dort auf dem Aussichtspunkt ... für dich.« Ich hielt inne, mußte es erklären. »Du hattest mir den Namen deines Schwertes genannt. Ich dachte, ich sollte dasselbe tun. Dadurch wären wir ebenbürtig.« Ich atmete heftig aus. »Das ist alles. Das ist der Grund. Dadurch wären wir ebenbürtig.«

Del sagte kein Wort.

Die Erinnerung war so deutlich. »Da war er«, sagte ich zu ihr. »Aufgeschrieben. Sein Name ... in den Runen. Genau wie du und Kem es versprochen hatten.«

»Runen«, wiederholte Del. »Runen, die du nicht lesen kannst.«

Ich öffnete den Mund. Schloß ihn wieder.

Das war mir nicht aufgefallen. Die Runen waren mir so vertraut gewesen, daß ich nicht einmal darüber nachgedacht hatte. Niemals. Ich hatte nur daraufgeschaut – und es gewußt. So wie ein Mann die Form und Beschaffenheit seines Kinns kennt, wenn er sich jeden Morgen rasiert. So wie sein Körper weiß, wie er zu einer Frau paßt, ohne daß Belehrungen nötig wären.

O Hoolies.

Unvermittelt zog ich das Schwert aus der Scheide. Wog die Klinge über meinem Sattelknauf aus und betrachtete die fremdartigen Runen.

Schaute wie gebannt. Bis meine Sicht verschwamm und die Formen ineinanderflossen. Die Formen, die ursprünglich nicht auf der Klinge gewesen waren. Nicht, als Kem sie mir gegeben hatte. Nicht, als ich sie ins Wasser getaucht und, sehr zynisch, den Segen der nordischen Götter erfleht hatte.

Nicht, als ich sie in die nordische Erde versenkt hatte, am Rande des Aussichtspunktes.

Erst nachdem ich sie herausgezogen hatte.

Del saß auf ihrem ruhigen Rotschimmel neben mir. Wie ich betrachtete auch sie die Klinge. Aber sie lächelte, wenn auch nur ein wenig. Ich schaute nur.

»Also«, sagte sie, »geht der Sandtiger wieder einmal seinen eigenen Weg. Bahnt sich seinen eigenen Weg, wie du dir auch dieses Schwert erkämpft hast.«

Mein Tonfall war schroff. »Was?«

»Erinnerst du dich daran, wie Kem dir in die Hand geschnitten und die Klinge mit Blut benetzt hat?«

Ich nickte säuerlich. Ich hatte es nicht besonders gern mit mir machen lassen.

»Das ist ein Teil der Benennungszeremonie. Normalerweise zeigen sich dann die Runen. Meine haben es getan. Alle Jivatmas tun dies.« Sie hielt inne. »Aber deines natürlich nicht.«

Ich erinnerte mich, daß Kem schon so etwas ähnliches gesagt hatte. Ich erinnerte mich auch, daß er gesagt hatte, der Glaube sei eine Notwendigkeit, und der wahre Name des Jivatma bliebe verborgen, solange ich nicht vollständig an seine Magie glaube. Das war in diesem Augenblick der Grund dafür gewesen, daß keine Runen sichtbar wurden.

Aber dort auf dem Aussichtspunkt, mit der Angst, daß Del tot sei, hatte ich daran geglaubt. Weil es das Schwert gewesen war, nicht ich, das versucht hatte, sie zu töten.

Und so hatte das Schwert in diesem. Moment des Glaubens seinen wahren Namen preisgegeben. In Runen, die ich nicht lesen konnte.

Ich sagte etwas sehr Grobes. Sehr Heftiges. Es hatte mit Dingen zu tun, die ich gern mit dem Schwert getan hätte. Die ich ihm gern angetan hätte. Dinge, die mir großen Spaß gemacht hätten, die mir große Erleichterung verschafft hätten, Dinge, die alle zukünftigen Probleme gelöst hätten, weil es dann keine Zukunft für das Schwert gegeben hätte.

»Ja«, stimmte Del zu. »Es ist schwer, die zweite Seele anzuerkennen – besonders wenn diese Seele einst eine Katze und kein Mensch war. Aber du wirst sie anerkennen.« Sie lächelte, ein wenig selbstgefällig, wie es mir schien, was genauso unnötig war, wie es unbeantwortet blieb. »Sie kennt dich jetzt. Sie hat dir gesagt, was sie sein muß. Was sie am meisten will.«

»Töten«, murmelte ich.

Del antwortete ruhig. »Ist es nicht das, was du tust? Ist es nicht das, was du bist?«

Ich betrachtete die Klinge. Die Runen blieben. Vertraute Formen. Aber nicht lesbar.

Ich schaute von dem Schwert fort auf Dels Gesicht. »Samiel«, sagte ich ihr.

Del sog erschreckt den Atem ein.

»Samiel«, wiederholte ich. »Du konntest mich beim ersten Mal nicht hören. Jetzt kannst du es. Jetzt weißt du, was es ist.«

Ich sah sie den Namen aussprechen. Ich sah sie mein Schwert betrachten. Ich sah sie an ihr eigenes denken, daran, was die ›Ehre‹ mit sich brachte.

Sie wandte ihr Pferd um und ritt los.

Bei Sonnenuntergang beobachtete Del nachdenklich, wie ich mich um den Hengst kümmerte, Händevoll Hafer an ihn verfütterte und ruhig mit ihm sprach. Ich dachte mir nichts dabei. Menschen, die allein reiten, sprechen oft mit ihren Pferden. Und sie hatte mich dies schon zuvor tun sehen, wenn auch, zugegebenerweise, nicht so intensiv. Sie hatte während des Rittes nach Norden mit ihrem einfältigen gesprenkelten Wallach gesprochen. Jetzt hatte sie den ruhigen Rotschimmel, aber ich bezweifelte, daß sie ihre Gewohnheiten ändern würde.

Sie reichte mir die Bota, als ich zu der Feuerstelle zurückkehrte und mich auf meinem Schlafplatz einrichtete, indem ich mich in Umhang und Decken wickelte. Leise sagte sie:

»Du sorgst dich sehr um ihn.«

Ich trank Amnit, schluckte ihn hinunter und zuckte die Achseln. »Er ist ein Pferd, genausogut wie jedes andere, besser als die meisten. Er wird es vielleicht schaffen.«

»Warum hast du ihm nie einen Namen gegeben?«

Ich legte die Bota beiseite. »Namen sind Zeitverschwendung.«

»Du hast dein Schwert benannt. Beide, dein südliches Schwert, Einzelhieb, und dann dein nordisches Schwert.« Aber sie sprach den Namen nicht aus. »Und du hast selbst einen Namen, ehrenhaft erworben. Nach Jahren, in denen du keinen Namen hattest.«

Ich zuckte die Achseln. »Ich bin einfach nie dazu gekommen. Es schien irgendwie albern. Irgendwie – verweichlicht.« Ich grinste über ihren Gesichtsausdruck. »Er braucht keinen Namen. Er weiß, was ich meine.«

»Oder gemahnt er dich an etwas?«

Sie stellte die Frage sehr sanft, zeigte damit nicht mehr als echte Neugier. Del ist kein Mensch, der bewußt Unfrieden heraufbeschwört, weder mit Worten noch mit Waffen. Aber es schien eine seltsame Frage zu sein.

Ich runzelte die Stirn. »Nein. Ich habe einiges, was Erinnerungen hervorruft: diese Narben und meine Halskette.« Ich zog das Lederband unter der wollenen Tunika hervor und rasselte mit den gebogenen Krallen. »Außerdem habe ich ihn erst Jahre später bekommen, lange nachdem ich freigekommen war.«

Del betrachtete ihren Wallach, der in angemessener Entfernung von dem Hengst angebunden war. »Sie haben ihn mir gegeben«, sagte sie, »damit ich schneller abreisen würde.«

Ihre Stimme klang gefaßt, aber ich habe gelernt, die Nuancen zu erkennen. Mehr als nur die Wunde war nicht verheilt und würde auch noch eine ganze Weile schmerzen.

Ich ließ meine Halskette los. »Du hast das Richtige getan.«

»Habe ich das?« Jetzt war die Verbitterung offensichtlich. »Ich habe meine Tochter im Stich gelassen, Tiger.«

Ich sah keinen Sinn darin, diplomatisch zu reagieren. »Das hast du vor fünf Jahren getan.«

Da fuhr sie herum. Sah mich wütend an. »Welches Recht hast du ...«

»Das Recht, welches du mir gegeben hast«, belehrte ich sie nüchtern, »als du mich Staal-Ysta verpflichtet hast – ohne meine Erlaubnis, erinnerst du dich? –, um dir Zeit mit Kalle zu erkaufen. Obwohl du sie fünf Jahre zuvor aufgegeben hattest.«

Ich wollte es ihr nicht vorwerfen, es war ihre Entscheidung gewesen. Aber jetzt befand sie sich so sehr in der Defensive, daß sie jede Bemerkung so interpretierte, als stelle ich ihre Beweggründe in Frage. Was bedeutete, wie schon zuvor, daß sie sie selbst in Frage stellte.

Das tut Del nicht gern.

»Ich hatte keine Wahl.« Ihr Tonfall war unversöhnlich. »Ich hatte Schwüre abgelegt. Blutschwüre. Alle Schwüre sollten geehrt werden.«

»Vielleicht«, stimmte ich geduldig zu, »und du machst deine Sache gut ... um den Preis, Kalle zu verlieren. Es war deine Entscheidung.«

Del wandte den Kopf und sah mich an. »Eine weitere Sache«, sagte sie leise, »die Ajanis Tod rechtfertigt.«

Ich glaube, es gibt keine Möglichkeit für einen Mann, die Gefühle einer Frau für ihr Kind ganz zu teilen oder zu verstehen, wir sind zu verschieden. Da ich selbst kein Vater war – zumindest, soweit ich wußte –, konnte ich mir nicht einmal vorstellen, was sie empfand. Aber ich war ein Kind ohne jegliche Familie gewesen, gefangen in Namenlosigkeit und Sklaverei und hatte mich selbst als unvollständig empfunden. Dels Tochter hatte eine Familie, wenn auch keine Blutsverwandten, und ich dachte, daß diese Beziehung den Preis rechtfertigte.

Selbst wenn die Mutter nicht so dachte.

»Es ist vorbei«, sagte ich ruhig. »Du bist von Staal-Ysta verbannt worden. Aber zumindest lebst du.«

Del starrte angestrengt in die Dunkelheit. »Ich habe Jamail verloren«, sagte sie, »als er bei den Vashni blieb. Und jetzt habe ich Kalle verloren. Jetzt habe ich niemanden mehr.«

»Du hast dich. Das sollte genug sein.«

Dels Blick war tödlich. »Du verstehst nichts.«

Ich hob die Augenbrauen. »Ist das so?«

»Ja. Du weißt nichts von den Gebräuchen der Familien im Norden. Überhaupt nichts von Familie. Und doch wertest du so schnell Dinge ab, die mir sehr wertvoll sind.«

»Nun, Del ...«

Dels Ungeduld war offenkundig. »Ich werde es dir einmal sagen. Ein letztes Mal. Ich werde es dir sagen, damit du es weißt, und dann wirst du vielleicht verstehen.«

»Ich denke ...«

»Ich denke, du solltest still sein und mir zuhören.«

Ich schloß den Mund. Manchmal muß man Frauen reden lassen.

Del atmete tief ein, um sich zu beruhigen. »Im Norden sind die Verwandtschaftskreise sehr eng. Sie sind heilig ... genauso heilig wie ein Kreis für den Schwerttänzer. Generationen leben in einem einzigen Haus, manchmal bis zu vier, wenn die Götter bei der Verteilung der Lebensspannen großzügig sind.« Sie nickte kurz. »Wenn ein Mann heiratet, kommt die Frau in sein Haus – außer wenn er keine Familie hat und dann in ihres zieht –, und so erweitert sich der Kreis. Kinder werden geboren, und der Kreis erweitert sich noch mehr. Und wenn Krankheiten auftreten und die Alten sterben, oder auch die Neugeborenen, wird der Kreis wieder kleiner, so daß wir uns gegenseitig beistehen können. So können wir Schmerz, Kummer und Qual teilen und müssen ihnen nicht allein begegnen.«

Ich wartete, sagte nichts.

»Brüder und Schwestern und Vettern, Tanten und Onkel und Großverwandte. Manchmal sind die Häuser groß. Aber immer mit Gelächter erfüllt. Immer mit Gesang erfüllt. Selbst wenn Menschen sterben, damit ihre Seele in Frieden gehen kann.«

Ich dachte zurück an die Häuser auf Staal-Ysta. Große Holzhäuser, die voll von Menschen waren. So anders als das, was ich kannte. So fremdartig in ihren Gebräuchen.

Del sprach sehr sanft. »Wenn etwas Wichtiges geschieht, hat die Verwandtschaft immer Anteil daran. Werbungen, Hochzeiten, Geburten. Und Tod. Die Gesänge werden immer gesungen.«

Sie hielt inne, schluckte, runzelte die Stirn und fuhr dann fort. »Ein Vater stimmt einen Gesang für das verlorene Kind an, und die Mutter nimmt ihn auf und dann die Brüder, die Schwestern, die Tanten, die Onkel, die Vettern, die Großverwandten ... bis das Kind für immer in den Schlaf gesungen wurde. Wenn es einen Ehemann betrifft, beginnt die Ehefrau. Bei einer Ehefrau beginnt der Ehemann und so weiter. Der Gesang wird immer gesungen, damit die gerade Verstorbenen von einem Leben jenseits der Welt erfahren. Damit sie keine Dunkelheit umgibt, sondern nur Licht. Das Licht eines Tages, das Licht eines Feuers ... das Licht eines Sterns in der Nacht oder das Schimmern eines Jivatma. Licht, Tiger, und Gesang, damit man keine Angst haben muß.« Sie atmete hastig ein. »Aber jetzt, für mich, wird es keinen Gesang geben. Es ist niemand da, der ihn für mich singen könnte.« Sie beherrschte ihre Stimme mühsam wieder. »Niemand, für den ich singen könnte, denn Jamail und Kalle sind fort.«

Das war ein Hilferuf. Nach etwas Mitgefühl. Nach etwas Verständnis. Aber ich merkte, daß mir die Worte fehlten, das Feingefühl, das notwendige Verständnis, weil ich das Bedürfnis nach Rache kennengelernt hatte. Das Bedürfnis nach Blutvergießen.

Und so brachen die ersten Worte aus mir heraus, die mir einfielen, weil es die einfachsten waren. Weil sie kein Mitgefühl erforderten – nur stilles, großes Gefühl. »Dann laß uns die Welt von diesen Hunden befreien, Bascha ... laß sie uns von Ajani befreien.«

Del blinzelte heftig. Aber ihre Stimme klang sehr fest. »Willst du mit mir tanzen, Tiger? Willst du in den Kreis eintreten?«

Ich betrachtete mein Schwert, das ruhig in seiner Scheide steckte. Ich dachte an seine Macht. Ich dachte an einen Mann namens Ajani und an die Frau, die einst Delilah genannt wurde. »Wann immer du willst.«

Lippen teilten sich. Ich wußte, was sie wollte. Sie wollte sagen: Hier, jetzt, in diesem Augenblick. Die Versuchung war unglaublich groß, aber sie widerstand ihr. Und machte sich dadurch nur um so stärker.

»Nicht jetzt«, sagte sie ruhig. »Auch nicht morgen. Vielleicht übermorgen.«

Sie wußte genausogut wie ich, daß übermorgen zu früh war. Aber wenn dieser Tag kommen würde, konnten wir es erneut verschieben.

Oder auch nicht.

Ich rollte mich vorwärts auf die Knie, zog eine meiner Satteltaschen heran, tauchte in ihre Tiefen und zog das aschgrau gesprenkelte Fell hervor. Ich schob es ihr sanft zu.

Del ergriff es. Faltete es auseinander und zeigte seine ganze Pracht. Und sah mich erklärungsheischend an.

»Dein Geburtstag«, belehrte ich sie. Dann, verlegen: »Ich kann es nicht gebrauchen.«

Dels Hände liebkosten das Fell. Der größte Teil ihres Gesichts war hinter herabhängendem Haar verborgen. »Ein schönes Fell«, sagte sie weich. »Ein Fell, wie man es für die Wiege eines Neugeborenen verwendet.«

Etwas zwickte in meinem Bauch. Ich setzte mich aufrechter hin. »Versuchst du, mir etwas mitzuteilen?«

Del runzelte die Stirn. »Nein. Nein, natürlich ...« Und dann verstand sie genau, was ich meinte. Sie strich das helle Haar zurück und sah mich offen an. »Nein, Tiger. Niemals.«

»Was meinst du mit niemals?« Und dann dachte ich daran, warum manche Frauen keine Kinder haben konnten, und bedauerte, die Frage gestellt zu haben. »Ich meine ... nein, vergiß es. Ich weiß nicht, was ich meine.«

»Doch, das weißt du.« Del lächelte, wenn auch nur schwach. »Ich meine, niemals. Nur Kalle. Ich habe es so gemacht.«

»Was meinst du damit, du hast es gemacht ...« Und, hastig: »Nein, vergiß es.«

»Eine Übereinkunft«, erklärte sie einfach. »Ich habe sie von den Göttern erbeten. So konnte ich sicher sein, daß ich meine Schwüre erfüllen würde. Kalle hatte mich bereits genug Zeit gekostet.«

Ich blinzelte. »Solche Dinge sind nicht bindend.« Ich hielt inne. »Nicht wahr?«

Del zuckte die Achseln. »Ich habe seit Kalles Geburt nicht mehr geblutet. Ob es das war oder die Antwort der Götter auf meine Bitte, kann ich nicht sagen. Nur daß du keine Angst haben mußt, daß ich dich zu etwas zwingen könnte, das du nicht willst.«

Aha. Ein weiteres Teil des Puzzle namens Delilah rückte an seinen Platz.

Nur Kalle, für immer, die ihr gar nicht mehr gehörte. Und ihr jetzt auch niemals wieder gehören konnte.

Dank mir.

Dank meinem Schwert.

O Hoolies, Bascha ... was soll aus dir werden?

Was soll aus uns werden?

Kurz darauf streckte ich die Hand aus und berührte ihren Arm. »Es tut mir leid, Bascha.«

Del sah mich mit blinden Augen an und umklammerte das vom Mond silbrige Fell. Und lächelte schließlich. »Gibst du die Wette schon verloren?«

Ich brauchte einen Moment, weil ich es schon vergessen hatte. »Nein«, gab ich säuerlich zurück, »ich gebe die Wette nicht verloren. Aber du wirst dir noch wünschen, ich hätte sie verloren gegeben.«

Sie warf mir einen schiefen Blick zu. »Ich schlafe nicht mit meinem Vater.«

Hoolies, sie wußte, wie sie verletzen konnte.

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