Читать книгу Schwertmagier - Jennifer Roberson - Страница 14
ACHT
ОглавлениеAls wir die Oase erreichten, war alles Rufen erstorben. Wie auch alles Leben.
»Töricht«, murmelte ich verkrampft. »Törichte, einfältige, unwissende Trottel ...«
»Tiger!«
»Sie lernen niemals dazu, diese Leute ... sie laden einfach alles auf und tappen mitten in die Wüste hinein, ohne auch nur darüber nachzudenken ...«
»Tiger!« Sehr sanft, aber fest.
»... daß nur Valheil weiß, was sie erwartet! Werden sie niemals dazulernen? Werden sie niemals innehalten und nachdenken ...?«
»Tiger!« Boreal war noch immer blankgezogen, obwohl die Bedrohung längst vorbei war. »Laß es gut sein, Tiger. Was sie jetzt brauchen, ist ein Todesgesang.«
Ich verzog das Gesicht: »Du und deine Gesänge ...« Ich winkte barsch ab. »Tu, was du willst, Bascha. Wenn du dich dann besser fühlst.« Ich wandte mich um und schritt davon, stieß mein nordisches, Jivatma ruckartig in die Scheide. Ich ging dahin, bis ich schließlich anhielt und mit steifem Rückgrat dastand, den Rücken der kleinen Oase zugewandt, die Hände um die Hüften gekrampft. Ich beugte mich vor, spie angewidert Sand aus, wollte nichts anderes, als den Geschmack von Zorn und Sinnlosigkeit aus dem Mund auszuspülen. Aber nichts, was wir hatten, würde das bewirken können: weder Wasser noch Wein noch Aqivi. Überhaupt nichts würde das bewirken können.
»Törichte Narren«, murmelte ich. Und fühlte mich danach nicht besser.
Es waren nicht die Leichname. Es war nicht einmal die Tatsache, daß einer männlich und einer weiblich war und ein dritter die Überreste eines Kindes zeigte, dessen Geschlecht man jetzt nicht mehr erkennen konnte. Es war die Verschwendung. Die unglaubliche Unvernunft und Dummheit ...
Die vertraute Südlichkeit daran.
Die Erkenntnis war schmerzlich. Ich war ganz plötzlich fertig und versenkte eine Faust in meine Magengegend, denn ich wollte den Zorn und die Enttäuschung und die Hilflosigkeit ausspeien. Es stimmte, was ich gesagt hatte: Sie hatten sinnlos und dumm, unwissend und einfältig gehandelt, weil sie fälschlicherweise glaubten, die Wüste sicher durchqueren zu können. Weil sie glaubten, ihre Heimat stelle keine Bedrohung dar.
Ich wußte, daß sie töricht gewesen waren. Ich konnte sie Trottel und unwissende Narren nennen, weil ich wußte, warum es so sinnlos war: Niemand, der die Wüste durchquert, war vor irgend jemandem sicher. Das war die Natur des Südens. Wenn die Sonne einen nicht erwischt. Wenn die Punja einen nicht erwischt. Wenn der Wassermangel einen nicht erwischt. Wenn die Stämme einen nicht erwischen. Wenn habsüchtige Tanzeers einen nicht erwischen. Wenn die Sandtiger einen nicht erwischen ...
Hoolies. Der Süden. Rauh und grausam und tödlich – und Plötzlich fremdartig. Sogar für mich.
Besonders für mich: Ich begann mich zu fragen, ob ich ein wahrer Sohn des Südens war, im Geiste, wenn nicht im Fleische. Er war meine Heimat. Bekannt. Vertraut. Tröstlich in seinen Bräuchen, in den Kulturen, in der Rauheit, weil ich nur das kannte.
Aber ist es leichter, einen tödlichen Feind zu mögen, nur weil man ihn kennt? Ist es schwerer, ihn zu vernichten?
Ich hörte den Hengst hinter mir an dem gesäumten, mit Runen versehenen Becken schnauben; sein Verlangen nach Wasser war weitaus größer als die Angst vor dem Tod. Und ich hörte Del, ganz leise, ihren nordischen Gesang singen.
Mein Kiefer verhärtete sich. Ich murmelte zwischen den Zähnen hervor: »Törichte, unwissende Narren ...«
Zwei Erwachsene, allein. Und ein Säugling. Leichte Beute für Borjuni.
Ich fuhr herum. »Wenn sie nur einen Schwerttänzer angeheuert hätten ...« Aber dann verstummte ich. Del kniete im Sand, das Schwert in der Scheide, und hüllte die Überreste des Kindes sorgfältig in ihren einfachen Burnus. Sie sang, sehr sanft.
Ich dachte plötzlich an Kalle, das fünfjährige Mädchen, das Del in Staal-Ysta zurückgelassen hatte. Sie hatte das Mädchen geboren und dann aufgegeben, zu besessen von ihrer Rache, um Zeit für ein Baby zu haben. Ich hatte gelernt, daß Del ihren Verhaltensmustern nach zu allem fähig war. Darum hatte sie mich für den Zeitraum eines Jahres zum Austausch gegen die Gesellschaft ihrer Tochter angeboten. Sie hatte gewußt, daß sie nicht mehr bekommen konnte. Sie hatte gewußt, daß sie nur mich im Gegenzug anbieten konnte, und hatte entschieden, daß es den Preis wert war.
Der Preis war hoch geworden: Wir waren fast beide gestorben.
Aber Besessenheit und Zwang sprachen sie nicht von Schuld frei. Und auch nicht von einem tiefgehenden und beharrlichen Schmerz. Ich schlief mit der Frau: Ich wußte es. Wir beide bekämpften, aus verschiedenen Gründen, im Traum unsere Dämonen.
Während ich zusah, wie sie sich um den kleinen Leichnam kümmerte, fragte ich mich, ob sie auch an Kalle dachte. Sicherlich würde sie an die ihr so ähnlich geratene, blonde, blauäugige Tochter denken, wenn sie die Verbannung beendet sehen und in Zukunft mit ihr zusammenleben wollte. Mit der Tochter, die sie aufgegeben hatte. Die Tochter, die aufzugeben sie gezwungen gewesen war, um einen Drang zu befriedigen, der über das Normale hinausgegangen war.
Jetzt war Ajani tot. Und auch der Zwang, wodurch ihr – was blieb?
Del schaute zu mir hoch, den blutigen Burnus an ihrem Körper geborgen. »Könntest du ein Grab für sie ausheben, Tiger?«
Für sie. Ich fragte mich, wie Del das erkennen konnte.
Die Sinnlosigkeit erstickte mich fast. Ich wollte ihr sagen, daß dies nicht der Süden war, nicht wirklich der Süden. Daß er sich verändert hatte, seit wir in den Norden hinaufgezogen waren. Daß etwas Furchtbares geschehen war.
Aber das stimmte nicht. Es wäre eine Lüge. Der Süden hatte sich nicht verändert. Der Süden war noch immer der gleiche.
Ich starrte unverwandt auf das in Dels Armen geborgene Bündel. Wir hatten keine Schaufel. Aber an den Enden meiner Arme hingen ein Paar vollkommen gesunder, starker Hände, die nichts anderes zu tun hatten, da im Moment keine Borjuni da waren, die ich hätte umbringen können.
Sie kamen in der Dämmerung zurück. Das war nicht typisch – Borjuni schlagen im allgemeinen schnell zu und wenden sich dann anderer Beute zu –, aber wen kümmert Typisches, wenn man acht zu zwei unterlegen ist?
Del und ich hörten sie bei Einbruch der Dämmerung sofort kommen, da wir angesichts der Umstände nur sehr leicht geschlafen hatten, und wir hatten mehr als genug Zeit, unsere Klingen aus den Harnischen zu ziehen, die dicht neben uns lagen, und uns bereitzuhalten. Jetzt standen wir ihnen gegenüber, vollkommen bereit, die Rücken der Wand aus Palmbaumstämmen zugewandt, die in der Nähe des Felsenbeckens senkrecht aufragten.
»Ich dachte, du hättest gesagt, daß diese Runen Reisende beschützen«, murmelte Del. »Soviel zur Verbindlichkeit der Wüste.«
»Sie schützen gegen die Stämme, ja. Aber kaum etwas kann einen gegen Aasfresser wie die Borjuni schützen – es sei denn, man will sich auf ein Schwert verlassen.« Ich betrachtete die acht versammelten Männer, die auf stämmigen, in der Punja gezüchteten Pferden saßen. Sie waren alle typische Südbewohner: dunkelhaarig, dunkeläugig, dunkelhäutig, der aufsteigenden Sonne gemäß gekleidet, mit glitzernden Messern und Dolchen und Schwertern behangen.
»Ein Lager«, murmelte ich nachdenklich. »Es muß in der Nähe ein Lager geben ...«
Del, neben mir: »Willst du ihnen einen Besuch abstatten?«
Ich grinste. »Später vielleicht. Nachdem wir mit diesen fertig sind.«
Diese Worte in klarem, deutlichem Wüstendialekt waren für ihre Ohren bestimmt, wenn Dels Aussprache auch von einem Akzent gefärbt war. Nicht, daß es wichtig gewesen wäre: Sprachvermögen war das letzte, worüber die acht berittenen Borjuni nachdachten, während sie auf die sich so sehr von ihren Frauen unterscheidende nordische Frau hinabstarrten.
Was wirklich in Ordnung war, wenn man die gegenwärtige Lage betrachtete. Es bedeutete, sie bemerkten nicht – oder es kümmerte sie nicht –, daß sie ein Schwert in Händen hielt.
Wahrscheinlicher war, daß es sie nicht kümmerte. Man kann Boreal nur schwer übersehen.
Ich lachte tief innerlich. Ich hatte auch ein Jivatma.
»Nun?« forderte ich sie auf.
Einer der Männer regte sich. Er hatte ein dunkles, pockennarbiges Gesicht. Lange, streng zurückgestrichene Haare glänzten von zuviel Öl. Die gelockten Spitzen befleckten schmutzig grau-braun die Schultern seines staubigen, cremefarbenen Burnus. Er blickte mich herausfordernd an. »Schwerttänzer?« fragte er.
Ich änderte ganz leicht die Schrägstellung meiner Klinge, gerade genug, um das neugeborene Sonnenlicht einzufangen und ihn damit zu blenden. Eine ausreichende Antwort, dachte ich. Man spielt mit Borjuni nicht herum und kümmert sich auch nicht um Empfindlichkeiten. Man kommt direkt auf den Punkt. In diesem Falle war es mein Punkt, von Chosa Dei geschwärzt.
Der Borjuni fluchte, blinzelte, riß einen Unterarm hoch, um das Licht abzuwehren. Seine Männer murmelten hinter ihm, aber ein einziges gezischtes Wort hielt sie an ihren Plätzen. Er nahm den Arm wieder herab, legte eine Hand auf sein Messerheft, schaute an seiner pockennarbigen, knochigen Nase herab. Er sah Del nicht an. Aber das brauchte er auch nicht. Er hatte alles gesehen, was er sehen mußte, um zu wissen, wieviel er wollte.
Er nahm die andere Hand von den Zügeln fort und vollführte eine, fließende Geste umfassenden Besitzerbewußtseins: sieben berittene Männer, alle gefährlich skrupellos. Sie hatten ihren Wert bereits bewiesen, wenn man die Toten in Betracht zog, die wir begraben hatten.
Die Hand lag erneut still. Er wartete zuversichtlich.
»Ich bin nicht beeindruckt«, erklärte ich ihm.
Dunkle Augen verengten sich. Er warf Del einen schnellen Blick zu, betrachtete einen Moment lang die gezogene Klinge, schaute dann wieder zu mir. »Die Frau«, grollte er, »und Ihr kommt frei.«
Ein Handel, immerhin. Einem Borjuni sehr unähnlich. Ein Schwerttänzer zu sein, hat seine Vorteile, aber in diesem Fall war ich mir der Dinge nicht so sicher. Acht zu zwei war keine gute Voraussetzung, selbst wenn die Borjuni in ihrer Unwissenheit glaubten, acht zu eins zu kämpfen. Ich bin groß, ja, und schnell, und ich biete ein zähes Erscheinungsbild, aber ich bin nicht so groß oder schnell oder boshaft.
Dennoch war ich gewillt, die Chance zu nutzen.
Ich bot ihnen ein heiteres, die Zähne entblößendes Grinsen. »Ich komme ohnehin frei. Glaubt Ihr, Ihr könntet den Sandtiger gefangennehmen?«
Del, die nach den außergewöhnlichen Ehrencodexen von Staal-Ysta ausgebildet worden war, hielt dies zweifellos für unnötige Prahlerei, aber so wird das im Süden gehandhabt. Den Borjuni gegenüber braucht man jeden Vorteil. Wenn sie sich überhaupt Gedanken über mich und die Gefahren, mein Können auszuprobieren, machten, um so besser. Das konnte die Waage zu unseren Gunsten ausschlagen lassen.
Schwarze Augen flackerten. Der Anführer der Borjuni versuchte eine andere Annäherung. »Warum hat die Frau ein Schwert?«
»Weil sie auch ein Schwerttänzer ist.« Ich sah keinen Sinn darin zu lügen. Außerdem würde er mir nicht glauben. »Und sie hat Magie zu ihrer Verfügung«, fügte ich beiläufig hinzu. »Mächtige nordische Magie.«
Er blinzelte, blickte Del abschätzend an. Suchte zweifellos nach der Magie. Aber er würde keine sehen, nicht so offensichtlich, anders als die Magie einer allzu langbeinigen nordischen Schönheit mit einem dicken Zopf weißblonder Seide, der über eine muskulöse, in der fast ärmellosen Ledertunika freiliegende Schulter fiel. Es kam ihm nicht in den Sinn, das Schwert ernst zu nehmen, oder das, wozu es fähig war.
Andererseits, wer würde das schon tun? Boreal ist sehr gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Fast so gut wie Del.
Ein leichtes Zucken der Finger. Die sieben Männer hinter ihm begannen auszuschwärmen. Del und ich änderten sofort schweigend unsere Haltung, stellten uns Rücken an Rücken. Ich balancierte sehr genau aus, spürte die vertraute Anspannung in den Oberschenkeln und Waden, das Sich-Verfestigen des Bauches. Hinter mir summte Del. Einleitung zum Gesang. Vorspiel zum Tanz.
Der Anführer rührte sich nicht. »Sandtiger«, sagte er, als wolle er ganz sichergehen.
Es kam mir in diesem Moment, und nur in diesem Moment, in den Sinn, daß auch ein Borjuni es vielleicht für angemessen hält, den Gerüchten zu lauschen. Vielleicht war es nicht so klug gewesen, ihm meinen Namen zu nennen. Vielleicht war es regelrecht töricht gewesen, ihm die Wahrheit anzubieten, wenn man den Erzählungen Glauben schenkte. Wenn es stimmte, was Rashad gesagt hatte – und ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln –, dann war auf unsere Köpfe Gold ausgesetzt worden.
Ich fluchte sehr leise.
Dels Gesang nahm in dem Moment an Lautstärke zu, als die Borjuni angriffen.