Читать книгу Schwertmagier - Jennifer Roberson - Страница 8

ZWEI

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In der Morgensonne stiegen Del und ich an der scharfen Biegung einer schmalen, stauberstickten Straße ab. Sie eilte in eine Richtung, führte ihren gescheckten Wallach hinter sich her, ich eilte mit dem Hengst in die andere Richtung, bis wir erkannten, was geschehen war, uns beide wieder umwandten und gleichzeitig sprachen. Der eine warf dem anderen vor, die falsche Richtung gewählt zu haben.

Ich deutete in meine Richtung. Sie deutete in ihre.

Ich deutete ein wenig bestimmter. »Das Wirtshaus ist da vorn.«

»Vorräte gibt es in dieser Richtung.«

»Bascha, wir haben keine Zeit zu streiten ...«

»Wir haben keine Zeit, überhaupt etwas anderes zu tun, als unsere Vorräte aufzustocken und wieder fortzureiten.«

»Etwas zu trinken zu besorgen, bedeutet, die Vorräte aufzustocken.«

»Für einige Leute vielleicht.« Schluß. Sie dachte offensichtlich, daß das reichte. Del ist sehr gut darin, viel mit wenigen Worten zu sagen. Das ist eine weibliche Kunst, denke ich: Frauen können mit dem Tonfall ihrer Stimme mehr erreichen als ein Mann mit dem Messer.

Natürlich könnten einige Menschen ins Feld führen, daß die Zunge einer Frau schärfer ist.

»Oder«, fuhr ich fort und überging damit das, was sie unzweifelhaft als vernünftig ansehen würde, »wir könnten uns in einem der Wirtshäuser verkriechen. Uns ein Zimmer nehmen.« Was ich für vernünftig hielt. Wir hätten viele Vorräte und ein Dach überm Kopf.

Eine Hand ruhte auf einer vom Burnus verhüllten Hüfte. Ein hervorstehender Ellbogen durchschnitt die Luft, sogar in der Stille beredt. »Und was tun, Tiger? Darauf warten, daß sie uns finden?«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Vielleicht glauben sie, daß wir weitergeritten sind.«

»Oder sie erkennen, daß wir Vorräte und Ruhe brauchen, und durchsuchen alle Zimmer. Jedes einzelne.« Sie hielt inne. »Andererseits denke ich, daß solcher Aufwand gar nicht notwendig wäre. Glaubst du, daß es auch nur eine lebende Seele in Harquhal gibt, die uns nicht an sie verkaufen würde?«

Vielleicht eine oder zwei. Vielleicht drei oder vier.

Aber es war nur eine nötig.

Wir sahen einander an, und keiner gab auch nur einen Zentimeter nach. Der Schecke sabberte an Dels linker Schulter. Mit angewidert verzogenem Gesicht schüttelte sie den grünlichen Grasschleim ab. In der Zwischenzeit grub der Hengst ein Loch und wirbelte dadurch körnigen südlichen Staub auf, der sich zwischen meine in Sandalen steckenden Zehen schlich.

Was mich an ein Bad denken ließ. Ich bin meist so sauber wie möglich, obwohl das in der Wüste schwer zu bewerkstelligen ist. Die Sonne bringt einen zum Schwitzen. Staub bleibt am Schweiß kleben. Sehr bald ist man schmutzüberzogen.

Ich hatte seit Tagen kein Bad mehr gehabt. In diesen letzten Tagen hatte ich wirklich geschwitzt, mich betrunken und geblutet, ganz zu schweigen von der Staubkruste. Ich brauchte dringend ein Bad. Und wenn wir ein Zimmer hätten, könnte ich tatsächlich ein Bad nehmen.

Aber ...

»Wie viele, glaubst du?« fragte ich schließlich und ließ den Streit gänzlich unbeachtet.

Sie zuckte die Achseln, umging ihn ebenfalls, stellte, genau wie ich, andere Überlegungen an. »Wir haben den Jhihadi getötet – zumindest den Mann, den sie für den Jhihadi gehalten haben. Es ist jetzt alles zunichte gemacht – die Prophezeiung, das Orakel, die Versprechen, daß sich etwas ändern wird. Viele werden nicht kommen, aber die Eiferer werden nicht aufgeben.«

»Es sei denn, dein Bruder konnte ihnen ein wenig Vernunft beibringen. Sie überzeugen, daß Ajani absolut nicht ihr Mann war.« Und daß statt dessen ich es war. Würden sie es glauben? Ich bezweifelte es. Für jedermann im Süden – nun, zumindest für die Menschen, die mich kannten, und das waren wirklich nicht alle Südbewohner (wenn ich das mal so sagen darf) – war ich der Sandtiger. Ein Schwerttänzer. Kein Messias. Niemand, der irgendwie Sand in Gras verwandeln konnte.

Del hob veranschaulichend einen Finger, in der Absicht, wie ich wußte, mich in meine Schranken zu verweisen, indem sie mir logische Fehler nachwies. Sie wiegte sich gern in dem Glauben, daß sie das könne. Sie wiegte sich gern in dem Glauben, daß sie sie benennen könne. »Wenn mein Bruder sprechen kann. Du sagst, er kann. Du sagst, er hätte es getan ...«

»Das hat er auch. Ich habe ihn gehört. Und ich war nicht der einzige. Wenn du nicht damit beschäftigt gewesen wärst, gegen Ajani zu tanzen, hättest du es auch nicht verpaßt.«

»Es war kein Tanz«, konterte sie sofort. (Verlaß dich darauf, daß eine Frau mitten in der Diskussion das Thema wechselt.) »Beim Tanz geht es um Ehre Dies war eine Hinrichtung.«

»Nun ja ...« Das war es gewesen, aber darüber wollte ich im Moment, unter den gegebenen Umständen, nicht streiten. »Sieh mal, ich weiß nicht, war diese religiösen Narren tun werden, und du auch nicht. Sie könnten noch immer in Iskandar sein ...«

»Und woher kam dann der ganze Staub, den wir zuvor gesehen haben?«

Manchmal trifft sie den Nagel auf den Kopf.

Ich seufzte. »Kauf du die Vorräte, Bascha. Ich werde uns ein wenig Wein besorgen.«

»Und Wasser.«

»Ja. Wasser.«

Und auch Aqivi. Aber das sagte ich ihr nicht.

Schließlich kam sie nachsehen. Ich hatte gewußt, daß sie das tun würde, weil Frauen das immer tun. Sie lassen dich ewig warten, wenn du irgendwo hingehen möchtest, aber wenn sie gehen möchten, lassen sie dir nicht einmal einen Moment Zeit. Ich hatte kaum meinen Aqivi getrunken.

Meinen zweiten Becher immerhin, aber das würde ich Del nicht sagen.

Das Wirtshaus war düster, denn Wirtshäusern in Grenzstädten – in jeder Wüstenstadt, was das betrifft – fehlt es immer an Licht, außer dem, was die Sonne liefert. Hier im Süden reicht ein wenig Sonne lange Zeit aus, so daß es fast keine Fenster gibt, und wenn, dann üblicherweise nur in die östlichen Wände eingelassen, weil die Morgenstrahlen der Sonne am kältesten sind. Was bedeutet, daß der veränderte Einfallswinkel der Sonne am Mittag einen großen Teil des Lichts wegnimmt, das sonst durch ein Fenster fallen und den Raum beleuchten würde. Am späten Nachmittag wird es dann allmählich regelrecht düster. Aber zumindest ist es nicht so heiß.

Del schob den Türvorhang beiseite, der den Staub abhalten sollte, und betrat das Wirtshaus. Ein schneller, abschätzender Blick durch den Raum: klein, schmutzig, verwahrlost. Ein kaum noch atmender Körper lag auf dem schmutzigen Boden, in einer Ecke nahe der Tür ausgebreitet, in Huvaträumen verloren. Ein zweiter, etwas lebendiger wirkender Körper kauerte auf einem Stuhl bei einem der Fenster an der Ostseite. Als Del eintrat, murmelte er etwas und setzte sich auf. Ich hatte mich daran gewöhnt. Ich fragte mich, ob Del sich auch daran gewöhnt hatte.

Nur diesen vergänglichen Augenblick lang sah ich sie so wie die anderen. Wie ich es zu Anfang, als ich mich für sie interessiert hatte, so häufig getan hatte. Sie war – und ist – aufregend: groß, langbeinig, anmutig, ungewöhnlich schön. Nicht nur weiblich, sondern eine Vollblutfrau, in der ganzen vielschichtigen Bedeutung dieses Wortes. Sogar nur in einen weißen Burnus gehüllt, wirkte ihr Körper großartig. Das makellose Gesicht war jedoch noch besser.

Etwas flackerte tief in meinen Eingeweiden auf. Etwas, das mehr war als Verlangen: das Wissen und das Erstaunen darüber, daß sie mit mir aus freiem Willen teilte, wovon andere Männer vielleicht träumten.

Einen kurzen, heftigen Moment lang. Ich hob zum Tribut meinen Becher. »Möge dir die Sonne auf den Kopf scheinen.«

Del sah mich mißtrauisch an. »Bist du schon betrunken?«

Ich grinste einfältig, noch immer seltsam berührt von dem Moment. »Ein Schluck, nur ein Schluck ...« Ich leerte meinen Becher.

Blaue Augen verengten sich unter nach unten gebogenen, zweifelnden Brauen. »Wie viele hast du gehabt?«

Der Augenblick war vorbei. Die Wirklichkeit drängte sich herein. Ich seufzte. »Nur so viele, wie der sehr kurze Moment der Freiheit zeitlich zugelassen hat, während du Vorräte eingekauft hast.« Ich begutachtete das Innere des Bechers, aber der Aqivi war alle.

»So wie du Wein schluckst, hättest du in der Zeit eine ganze Flasche haben können.« Sie betrachtete stirnrunzelnd die zahlreichen, verdächtigen Botas über meinen beiden Schultern. »Kannst du reiten?«

Ich rückte die Botabänder zurecht. »Ich wurde auf dem Pferderücken geboren.«

»Dann tut mir deine Mutter leid.« Del zuckte mit einer Schulter und streckte die Hand nach dem Türvorhang aus. »Kommst du?«

»Bin schon unterwegs.« Ich schritt schnell an ihr vorbei und hielt nur gerade lang genug inne, um ihren ausgestreckten Arm mit fünf schwappenden Botas zu beehren.

Del, die vor sich hinmurmelte, während sie versuchte, die Riemen zu entwirren, folgte mir hinaus. »Ich trage deinen widerlich schmeckenden Aqivi nicht.«

»Ich habe den Aqivi. Du hast das Wasser.«

Sie schaute zu mir, während ich auf den Hengst kletterte. »Gerechte Aufteilung. Ich habe mehr Botas als du.«

»Zusätzliches Wasser«, bestätigte ich. »Ich dachte, daß du dir vielleicht irgendwann einmal das Gesicht waschen möchtest.«

Ich wandte den Hengst um, während sie aufstieg, und grinste vor mich hin, als sie verstohlen über ihr Gesicht rieb. Sie ist keine eitle Frau, obwohl die Götter sie dreifach gesegnet haben, aber ich habe noch niemals eine Frau gekannt, die nicht auf das, was meine Worte beinhalteten, hereingefallen wäre.

Wir alle lieben unsere kleinliche Rache.

Reiten. Wieder das gleiche. Aber dieses Mal ging es meinem Kopf besser. Dieses Mal konnte ich geradeaus sehen. Den Hund zurückzubeißen bewirkt für die Seele Wunder.

Del parierte ihr Pferd neben mir durch, als wir Harquhal hinter uns ließen und den direktesten Weg nahmen. »Also«, sagte sie, »wohin?«

Ich stieß eine Ferse in die Schulter des Hengstes, als er versuchte, den Schecken zu verbeißen. »Laß es gut sein, Flohsack ... Nun, da wir bereits in südlicher Richtung reiten, dachte ich, es sei sozusagen entschieden.«

»Wir haben letzte Nacht darüber gesprochen. Es war noch nichts entschieden.«

Ich erinnerte mich vage an unsere Unterhaltung: An Bruchstücke davon. An etwas, was damit zu tun gehabt hatte, jemanden zu finden.

Die Erkenntnis versetzte mir einen Stich in den Magen. »Shaka Obre«, platzte ich heraus.

Del löste eine Haarsträhne von ihrer Unterlippe. »Und ich sage noch einmal, es wird schwierig. Wenn nicht unmöglich.«

Ich regte mich im Sattel. Mein Nacken kribbelte: Die Haare standen aufrecht. Sogar meine Unterarme kribbelten. »Hoolies, Bascha, jetzt hast du alles wieder aufgewühlt.«

Sie schlug die neugierige Nase des Hengstes beiseite, die ihrem linken Knie zu nah gekommen war. »Einer von uns mußte es tun.«

Ich bewegte meine Schultern, versuchte, das kribbelnde Gefühl abzuschütteln. Ich hatte mich den ganzen Morgen damit abgemüht, meine Kopfschmerzen und das Unbehagen in meinem Magen loszuwerden. Obwohl beides noch nicht vollständig beseitigt war, war es doch erheblich besser geworden – wodurch ich Gelegenheit hatte, über etwas anderes nachzudenken. Etwas regelrecht Verwirrendes und Beunruhigendes.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte ich.

»Es war deine Idee, Shaka Obre zu suchen.«

»Genau das war es: eine Idee. Nicht jeder führt Ideen auch aus.«

Del nickte weise. »Also ziehen wir nur weiter? Wir suchen nicht?«

»Das würde die Dinge vielleicht vereinfachen. Ich kenne eine Menge Orte im Süden. Wir könnten einen Platz finden und uns dort verkriechen, bis alle Aufregung vorbei ist.«

»Del nickte erneut. »Das ist eine Möglichkeit. Wenn man ihm genug Zeit läßt, vergeht sogar ein heiliger Krieg.«

Ich hielt nicht viel von dem Tonfall ihrer Stimme, die mir zu arglos klang. »Warte.« Ich tauchte die Hand in meinen Burnus und holte meine Geldbörse hervor. Jahre der Erfahrung hatten mich gelehrt, ihren Inhalt nach dem Gewicht zu beurteilen. »Wieviel Geld hast du?«

Del machte sich nicht einmal die Mühe nachzusehen. »Ein paar Kupfermünzen, nicht mehr. Ich habe das meiste für die Vorräte ausgegeben.«

Ich zog den Burnus wieder zurecht und aus den Harnischriemen heraus. »Nun, wir müssen einfach hier und da einige Tänze organisieren. Das füllt die Geldbeutel ein wenig. Und dann suchen wir uns ein Versteck.« Ich seufzte. »Ein Versteck kostet immer etwas.«

Helle Brauen wurden angehoben. »Du meinst, wir sollten Schwerttänze annehmen, um Geld zu verdienen?«

Ich runzelte die Stirn. »So verdienen wir nun mal unser Geld.«

»Aber nur, wenn die Leute bereit sind zu bezahlen, um den Kampf zu sehen, oder uns aus einem anderen Grund zum Tanzen verdingen wollen. Warum sollten sie uns jetzt fürs Tanzen bezahlen, in der Hoffnung, eine geringfügige Wette zu gewinnen, wenn sie uns doch nur gefangennehmen müssen? Sicherlich übersteigt der auf unsere Köpfe ausgesetzte Preis jeglichen Gewinn bei einem Tanz.«

»Ich bin nicht so sicher, daß ein Preis auf unsere Köpfe ausgesetzt worden ist ...« Der Hengst stolperte über einen Stein. »Heb die Füße hoch, Schlappohr, bevor du auf die Nase fällst.«

»Wir – ich – habe den Jhihadi getötet. Was glaubst du?«

Ich beugte mich im Sattel vor und spie Sand aus. »Was ich glaube? Ich glaube, sie werden sich wie die Hunde der Hoolies aufführen und uns erbarmungslos verfolgen. Ich glaube nicht unbedingt, daß ein Preis auf unsere Köpfe ausgesetzt worden ist ... ich glaube, daß sie uns töten wollen, um der Sache willen und weil wir ihre Träume gestohlen haben.«

»Und solche Leute werden dafür bezahlen, uns zu finden. Selbst ein Gerücht darüber, welche Richtung wir eingeschlagen haben, wird ihnen eine oder zwei Kupfermünzen einbringen.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Ich seufzte und kratzte an stoppeligen Narben. »In Ordnung. Ich stimme zu, daß es vielleicht das beste ist, wenn wir uns nicht um Tänze bemühen. Aber es gibt andere Beschäftigungen ... Wir könnten uns einer Karawane verdingen. Heiliger Krieg oder nicht, es wird bestimmt Karawanen geben, die versuchen, die Punja durch borjunigeplagte Gebiete zu durchqueren. Sie werden uns brauchen.«

»Auch das ist eine Möglichkeit«, stimmte sie mir zu. »Aber ein heiliger Krieg bringt den Handel zum Erliegen, und daher gibt es eine Zeitlang vielleicht nicht mehr so viele Karawanen wie vorher. Und wenn du ein Karawanenführer wärst, würdest du dann die beiden Menschen anheuern, die den Messias getötet haben?«

»Er brauchte ja nicht zu erfahren, wer wir sind.«

Del betrachtete mich eindringlich. Ihr Gesichtsausdruck war ausgesprochen sanft, was bedeutete, daß ich in Schwierigkeiten war. »Wie viele andere südliche Schwerttänzer gibt es, die einen Kopf größer sind als andere Männer, mindestens um zwei Schattierungen heller, ohne so blaß wie ein Nordbewohner zu sein, die Sandtigernarben im Gesicht haben – ganz zu schweigen von den grünen Augen – und die ein nordisches Jivatma tragen?«

Ich runzelte die Stirn. »Wahrscheinlich genauso viele wie sechs Fuß große, blonde, blauäugige, großmäulige nordische Baschas, die ebenfalls ein Schwert tragen. Und noch dazu ein magisches.«

Dels Stimme klang heiter. »Der Preis, den ein Panjandrum bezahlen muß.«

»Ja, nun ...« Ich dirigierte den Hengst stur nach Süden, wollte, daß er seine weiche, langschrittige Gangart wiederentdeckte. »Wir müssen etwas tun. Wir haben fast kein Geld mehr. Unterwegs zu sein, kostet Geld.«

»Es gibt noch eine Möglichkeit.«

»So?«

»Wir könnten stehlen.«

Ich starrte sie entsetzt an. »Stehlen?«

Dels nordischer Akzent und ihre Wortwahl färben ihre ganze Sprache, aber es gelang ihr eine recht ordentliche Nachahmung meiner gedehnten südlichen Sprechweise. »Dein ganzes ungeheuer ehrenhaftes Leben lang hast du niemals dieses Wort gehört?«

Ich hielt es für unter meiner Würde zu antworten. »Aber du. Du schlägst Diebstahl vor? Ich meine, widerspricht das nicht dem Ehrenkodex von Staal-Ysta oder so? Du redest immer davon, wie nachdrücklich ihr Nordbewohner euch um Ehre bemüht.« Ich betrachtete sie forschend. »Hast du jemals in deinem ganzen nordischen Leben etwas gestohlen?«

»Hast du es getan?«

»Ich habe dich zuerst gefragt. Und überhaupt, ich bin kein Nordbewohner. Das zählt nicht.«

»Es zählt. Von dir würde ich es erwarten ... du hast selbst immer wieder gesagt, daß du alles tun würdest, um überleben zu können.«

»Ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit hilft bei meiner Art Arbeit.«

»Da meine Art Arbeit und deine dieselbe ist, unabhängig vom Geschlecht, scheint es nur logisch anzunehmen, daß ich den Begriff ›Stehlen‹ verstehe.«

»Verstehen und tun sind zwei verschiedene Dinge«, erinnerte ich sie. »Hast du jemals etwas gestohlen? Du persönlich? Du, die nordische Schwerttänzerin, Gebieterin eines Jivatma? Gewöhnt an all die traditionellen und bindenden Ehrenkodexe von Staal-Ysta?«

Jetzt runzelte Del die Stirn. Aber ihre ist hübscher. »Warum kannst du dir nicht vorstellen, daß ich vielleicht schon einmal etwas gestohlen habe? Habe ich nicht Menschen getötet? Hast du nicht gesehen, daß ich Menschen getötet habe?«

»Nur jene, die dich töten wollten. Es besteht ein kleiner Unterschied zwischen Selbstverteidigung und Stehlen, Bascha.« Ich grinste. »Und dieses ›Vielleichtschon-einmal-gestohlen-Gerede ist wohl kaum ernst zu nehmen.«

Del seufzte. »Nein, ich persönlich habe niemals etwas gestohlen. Aber das bedeutet nicht, daß ich es nicht kann. Bevor Ajani meine Familie umgebracht hat, habe ich auch niemals getötet. Und jetzt ist es mein Geschäft.«

Ein beunruhigendes Frösteln schlich sich mein Rückgrat entlang. »Es ist nicht dein Geschäft, Bascha. Du hast getötet, ja ... aber es ist nicht dein Geschäft. Du bist eine Schwerttänzerin. Wir töten nicht alle. Wenn einige von uns es tun, dann weil sie es müssen. Wenn unser Leben in Gefahr ist.«

Ihre Kinnlinie war fest angespannt. »Während der letzten sieben Jahre meines Lebens habe ich kaum etwas anderes getan als zu töten.«

»Ajani ist tot«, belehrte ich sie. »Dieser Teil deines Lebens ist vorüber.«

»Tatsächlich?« Ihre Stimme klang grimmig.

»Natürlich. Die Blutschuld ist bezahlt. Was mußt du noch tun?«

»Leben«, stieß sie hervor. »Ich bin fast dreiundzwanzig Jahre alt. Wie viele Jahre bleiben mir noch? Weitere zwanzig? Dreißig? Vielleicht sogar vierzig ...«

»Eventuell«, stimmte ich in dem Versuch zu, die Stimmung aufzuheitern.

»Und was soll ich mit vierzig weiteren Jahren anfangen?«

Ein Mann meines Alters – sechsunddreißig? siebenunddreißig? – hätte liebend gern noch vierzig Jahre vor sich. Del schaffte es, diese Zeitspanne anrüchig klingen zu lassen. Das konnte ich nicht akzeptieren.

»Hoolies, Bascha – lebe sie! Was willst du sonst tun?«

»Ich bin ein Schwerttänzer«, sagte sie fest. »Ich habe mich für einen bestimmten Zweck dazu herangebildet. Aber jetzt sagst du, dieser Zweck sei nicht mehr gegeben, weil Ajani tot ist.«

»Del, im Namen Valhails ...«

Natürlich ließ sie mich nicht ausreden. »Denk nach, Tiger. Du sagst, dieser Teil meines Lebens sei vorüber. Der Teil des Tötens, der Teil, in dem ich meine Menschlichkeit der Besessenheit untergeordnet habe.« In ihren Augen glitzerte etwas auf: Verärgerung und Enttäuschung. »Wenn das stimmt, was bleibt mir dann noch? Was bleibt einer Frau dann noch?«

»Nicht das schon wieder ...«

»Soll ich mich in den Harem eines Tanzeers zurückziehen? Sicherlich würde ich einen hübschen Preis erzielen. Ich bin aus dem Norden verbannt worden ... Sollte ich deshalb einen südlichen Farmer oder einen südlichen Karawanenführer oder einen südlichen Wirtshausbesitzer heiraten?« Sie hob belehrend einen Finger. »Erinnere dich, ich bin jetzt unfruchtbar. Ich kann niemals wieder Kinder bekommen, die den Namen weiterführen können.« Die Hand sank ruckartig herab. »Welchen Nutzen habe ich dann noch?«

Ich grinste verzerrt; ein wenig belustigt und sehr selbstbewußt, weil die Antwort so leicht war. Die Antwort war zu leicht. Del hatte mich gelehrt, die Antwort zu erkennen. Nichtsdestoweniger war sie richtig. »In deinem Fall würden vielleicht einige Männer – viele Männer! – sagen, daß Kinder nicht notwendig sind, um das Interesse aufrechtzuerhalten.«

Del errötete. Dann knirschte sie mit den Zähnen. »Ich bin jetzt schön, schön genug, um ›das Interesse aufrechtzuerhalten‹, aber welchen Nutzen werde ich haben, wenn die Schönheit ganz vergangen ist? Was mache ich dann, Tiger? Was bleibt mir dann noch?«

»Nun, ich hatte eigentlich nicht daran gedacht, daß du fortgehen und einen südlichen Farmer heiraten würdest ...«

»Soll ich ein Wirtshausmädchen werden? Du scheinst sie zu mögen.«

»Also, Del ...«

»Oder soll ich versuchen, die Aufmerksamkeit des Tanzeers von Julah auf mich zu ziehen?«

»Der Tanzeer von Julah ist eine Frau.«

Sie warf mir einen Blick zu. »Du weißt, was ich meine.«

»Der Tanzeer von Julah würde uns auch gern töten, erinnerst du dich? Besonders dich. Du hast ihren Vater getötet.«

»Töten«, sagte Del heftig. »Das ist es, was ich am besten kann.«

»Aber du magst es nicht? Dann ändere es«, erklärte ich. »Du hältst mir seit mindestens – wie lange, seit fast zwei Jahren? – Vorträge darüber, wie eine Frau kämpfen muß, um ihren Weg in einer Männerwelt zu machen. Du hast gekämpft, und du hast gesiegt. Aber wenn du von mir erwartest, dir deine Antworten zu geben, dann wertest du damit das ab, was du erreicht hast. Du bist zu dem geworden, was du für einen bestimmten Zweck sein mußtest. Dieser Zweck ist nicht mehr gegeben. Also finde einen anderen.«

Del beobachtete mich. Ich konnte nicht sagen, was sie dachte. Sie ist, sogar für mich, schwer zu ergründen. Aber sie hatte die brennende Inbrunst ihrer Verärgerung schon vor einer Weile verloren. Ihr Tonfall war jetzt weitaus weniger schneidend. »So wie du einen Lebenszweck gefunden hast?«

Ich zuckte die Achseln. »Ich habe keinen Lebenszweck. Ich bin einfach.«

Schließlich lächelte Del. Die letzten Spuren der Anspannung wichen aus ihrem Gesicht. »Der Sandtiger«, murmelte sie. »O ja, das ist mehr als genug. Ein echtes Panjandrum.«

»Da wir gerade davon sprechen«, sagte ich, »wir haben noch immer keine Entscheidung getroffen.«

»Worüber?«

»Wohin wir reiten.«

»Nach Süden.«

»Das habe ich verstanden. Aber wohin im Süden?«

Sie runzelte ratlos die Stirn. »Woher, zu den Hoolies, soll ich das wissen?«

Was ziemlich genau das zusammenfaßte, was auch ich empfand.

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