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Kilb, Koblenz, Klett: Affären um 1960
ОглавлениеAn der Wende von den 1950er- zu den 1960er-Jahren erlebte Westdeutschland eine Serie kleinerer bis mittlerer Affären. Im Visier standen Politiker, höhere Beamte und Akteure an den Grenzen zwischen Staatsverwaltung, Politik und Wirtschaft.
Der wohl heikelste Fall dieser Zeit führt ins Palais Schaumburg, direkt ins Machtzentrum der Republik. Es ging um Hans Kilb, den persönlichen Referenten von Kanzler Adenauer zwischen 1951 und 1958. Kilb war ein zuverlässiger Zuarbeiter seines Chefs, immer in Eile und Zeitnot. Kilb liebte aber auch schnelle Autos, so jedenfalls sah es die kritische Presse, allen voran Der Spiegel. Im Sommer 1958 war Kilb gerade aus Bonn nach Brüssel in die Zentrale von Euratom weggelobt worden, einer der Vorläuferorganisationen der Europäischen Union. Da wartete im heimischen Bonn die Polizei auf den Spitzenbeamten. Eine Woche mussten die Ermittler der Bonner Staatsanwaltschaft ausharren, bis sie den ehemaligen Kanzleramtsmitarbeiter Anfang September in Polizeigewahrsam nehmen konnten. Freilich war seine Karriere damit nicht beendet – der Haftbefehl hatte nur wenige Wochen bestand.42
Zunächst sah es für den Adenauer-Vertrauten nicht gut aus. Rund vier Jahre lang hatte Kilb kostenlos Limousinen der Marke mit dem Stern gefahren. Insgesamt acht verschiedene Autos hatte die Daimler-Niederlassung in Bonn ihm zur Verfügung gestellt, darunter Cabrios und ein Sportwagen 190 SL. Daimlers Bonner Cheflobbyist Friedrich Hummelsheim persönlich kümmerte sich um diese Angelegenheit. Einen Opel Rekord, gesponsert von der Knoll AG in Ludwigshafen, überließ Kilb dagegen seiner Frau. Die Bonner Staatsanwaltschaft vermutete Bestechlichkeit. Denn Kilb habe sich systematisch für die Interessen des Sindelfinger Autoherstellers eingesetzt. Die wichtigsten Vorwürfe: Kilb persönlich habe dafür gesorgt, dass Adenauer einen Mercedes als Kanzlerdienstwagen fahre. In den Beratungen zu einer gesetzlichen Regelung von Achslasten bei Lkw habe sich Kilb ebenfalls für die Interessen des Autobauers eingesetzt.
Neben diesem klassischen Vorwurf individueller Bestechlichkeit besaß die Affäre eine zweite Dimension. In den Mercedeskarossen saß Kilb nicht nur während der Freizeit, sondern er erledigte damit viele Dienstgeschäfte. Dazu gehörten Vorbereitungen von Adenauers jährlichem Sommerurlaub im norditalienischen Cadenabbia, aber auch Kundgebungen und Wahlkampfauftritte des CDU-Vorsitzenden.
Klar war also, dass die Daimler-Benz-Eskapaden in aller Öffentlichkeit stattgefunden hatten – aber hatte sie der Vorgesetzte auch genehmigt? Adenauer musste sich zweimal staatsanwaltschaftlichen Befragungen unterziehen. Dies war aus Sicht vieler Zeitgenossen ein unerhörter Vorgang. In den 1950er-Jahren billigte man höchsten Staatsvertretern noch eine gewisse Unantastbarkeit zu. Rechtlich kam der Kanzler aber nicht umhin, sich den Fragen zu stellen. Und er gab sich sybillinisch: Kilb habe nie offiziell um eine Genehmigung für die Nutzung der Wagen gebeten, doch habe Adenauer natürlich davon gewusst. Kilb habe also davon ausgehen können, dass Adenauer jederzeit eine Genehmigung erteilt hätte. Daher sei ihm kein Vorwurf zu machen. Der Kanzler sah darüber hinweg, dass eine formelle Genehmigung vermutlich an juristischen Hindernissen gescheitert wäre.
Waren die Karossen also schlicht personalisierte Dienstwagen, von deren Nutzung der Kanzleramtsbeamte nicht individuell profitierte, sondern als Repräsentant seiner Behörde – hatte also letztlich der Staat Dienstwagenkosten eingespart? Darauf lief die Verteidigungsstrategie des Angeklagten zunächst hinaus. Aber auch diese Linie konnte im anschließenden Prozess nicht durchgehalten werden. Denn es stellte sich heraus, dass Kilb viele der Reisen nicht für den Regierungschef, sondern für den CDU-Vorsitzenden und Spitzenkandidaten im Wahlkampf unternommen hatte. Nunmehr verlegte sich die Verteidigung darauf, die Wagen seien in erster Linie eine Sachspende Daimlers an den Parteipolitiker Adenauer gewesen. Adenauer bestätigte diese Version und damit gerieten die Vorwürfe der Bestechlichkeit in den Hintergrund. Am Ende ließen sich die Richter von dieser Darstellung überzeugen. Das Landgericht Bonn stellte das Verfahren gegen Kilb am 7. November 1959 mit dem Hinweis ein, es habe sich bei den Autos um Wahlkampfhilfe gehandelt. Offen blieb aus Sicht der Richter, ob ein Mitarbeiter des Kanzleramts für solche Zwecke überhaupt eingesetzt werden durfte. Hier machte sich dann doch ein juristischer Stil bemerkbar, demzufolge ein Gericht in das Arcanum der Regierungspolitik nicht allzu weit eindringen wollte. Jedenfalls war Adenauer aus der Schusslinie. Kilb selbst konnte in Brüssel weiterarbeiten und schied erst in den 1970er-Jahren mit Erreichen der Altersgrenze aus dem Dienst der EG-Kommission.
Die Affäre zog sich dennoch lange hin. Aus der Affäre Kilb entwickelte sich ein veritabler Justizskandal, der dafür sorgte, dass Kilbs Mercedesfahrten in Erinnerung blieben. Dazu muss man wissen, dass die Staatsanwaltschaft Bonn gar nicht in erster Linie gegen den Kanzleramtsreferenten ermittelt hatte. An dieser Stelle muss etwas weiter ausgeholt werden.
Ab 1957 hatte die Staatsanwaltschaft das gesamte Bonner Lobbyistennetzwerk von Daimler-Benz im Visier. Es reichte tief in die Bundesverwaltung hinein und betrieb auf Firmenkosten einen beeindruckenden Leihwagenpark. Nicht weniger als 250-mal waren Bundesbeamte und Offiziere der jungen Bundeswehr in den Genuss kostenloser Autos gekommen, allerdings nicht immer Spitzenmodelle der Sindelfinger. Regierungsrat Werner Brombach, bis November 1957 im Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags, bekam ein Volkswagen-Cabrio, zunächst geliehen und anschließend geschenkt. Brombach hätte auch einen Mercedes nutzen können, doch das erschien ihm angesichts seines bescheidenen Gehalts als zu auffällig, deshalb bat er selbst um dieses „Downgrade“. Tatsächlich ging es hier um handfeste Einflussnahme, viel konkreter als im Fall Kilb. Brombach war Assistent des Verkehrsausschusses. Seine Aufgabe bestand darin, dem Cheflobbyisten Daimlers in Bonn, Friedrich Hummelsheim, Informationen aus dem Ausschuss zu liefern. Außerdem sollte er versuchen, die Ausschussmitglieder durch Gutachten oder Stellungnahmen im Sinn Daimlers zu beeinflussen.
Neben Daimler und dem Bundestag war die Rüstungsindustrie schon seit Jahren im Visier der Ermittler, insbesondere das Fehlverhalten von Staatsdienern im Bundesamt für Beschaffung in Koblenz. Erst 1955 waren ja Adenauers Bemühungen um eine Wiederbewaffnung Deutschlands erfolgreich gewesen. Nun baute der westdeutsche Staat mit großer Eile und erheblichen Mitteln seine Streitmacht auf. Die Bundeswehr brauchte Waffen, aber auch Uniformen, Lebensmittel, Fahrzeuge und Munition. Zuständig dafür war neben dem Bonner Verteidigungsministerium das Beschaffungsamt, das in der ehemaligen preußischen Festungsstadt an Rhein und Mosel untergebracht war. Das Vergabewesen war zunächst nur rudimentär geregelt. Eine regelrechte Goldgräberstimmung herrschte bei Herstellern und Ausrüstern. Auch in den Büros des Beschaffungsamts und des Verteidigungsministeriums ging es wohl gelegentlich zu wie im Wilden Westen.
So wurde der Koblenzer Amtsrat Wilhelm Thiede vom Inhaber einer Textilfirma mehrfach eingeladen und beschenkt – er erhielt eine Kaffeemaschine, eine Lederhandtasche für seine Frau und nicht weniger als 22 Anzüge. Diese, wie er im Prozess behauptete, persönliche Freundschaft vergalt er mit vertraulichen Informationen über technische Anforderungen an die Uniformen. Andere Mitarbeiter erhielten offenbar Wein, Pelze, Kühlschränke, Anzüge, Kredite und Urlaubsreisen. In diesen Gaben spiegelt sich wie nebenbei die Konsumkultur der aufblühenden Wohlstandsgesellschaft – noch galten solche Produkte als durchaus exquisit, wenig später waren sie größeren Bevölkerungsschichten zugänglich. Im Herbst 1957 standen jedenfalls über 40 Mitarbeiter der Wehrverwaltung unter Verdacht, 52 Firmen waren im Fokus der Ermittler und 112 förmliche Ermittlungsverfahren wegen passiver und aktiver Bestechung waren anhängig.43
Der größte Fisch, den die Bonner Ermittler an der Angel hatten, war vermutlich Oberst Burkhard Freiherr Löffelholz von Colberg, seines Zeichens Leiter des Referats „Militärische Forderungen an das Material des Heeres“ im Bonner Verteidigungsministerium. Löffelholz von Colberg war schon vor der offiziellen Gründung der Bundeswehr für das militärische Beschaffungswesen zuständig gewesen. Er hatte bereits ab 1953 im sogenannten Amt Blank in gleicher Funktion gearbeitet, einer Bundesdienststelle, die mehr oder weniger offiziell die Wiederbewaffnung des westdeutschen Staates vorbereitet hatte. Ab 1953 knüpfte Löffelholz lukrative Bande in die Wirtschaft. Sein wohl wichtigster Kontakt führte über die Bonner Niederlassung direkt in die Vorstandsetage der Daimler-Benz AG: Löffelholz sprach mehrfach mit Fritz Könecke44, dem Vorstandsvorsitzenden. Auch mit anderen Vorständen und Spitzenmanagern traf er sich offenbar regelmäßig zu Abendessen – dabei „mangelte es nie an all den Dingen, von Austern bis Sekt, die das Leben in der Bundesrepublik heute lebenswert machen“, wie Der Spiegel spöttelte.45
Löffelholz spielte offenbar in einer anderen Liga als Thiede. 1956 begab er sich auf eine später in der Presse süffisant ausgebreitete Urlaubsreise. Zu diesem Zweck erhielt er kostenlos einen Mercedes 180 D. Der Oberst fuhr mit Familie durch westdeutsche Lande und sprach bei allerlei Firmen vor, die das Verteidigungsministerium belieferten. In immer gleicher Manier habe er zunächst um eine Werksführung gebeten und sich anschließend samt Frau und Tochter zur Übernachtung ins Hotel einladen lassen. So angeblich geschehen bei Magirus in Ulm, Heckler & Koch in Oberndorf, Webasto in Stockdorf und MAN in Nürnberg, um nur einige zu nennen. Später soll der Oberst auch eine Liebesbeziehung seiner Tochter mit einem Daimler-Vorstand gefördert haben.
Der anspruchsvolle Löffelholz lohnte sich offenbar für seine Unterstützer. Die Bonner Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Papiere aus der Daimler-Konzernzentrale, in denen Löffelholz fast wie ein Mitarbeiter geführt wurde. Konkret warfen die Strafverfolger dem Offizier vor, die Rechtsauffassung im Verteidigungsministerium zum Schaden der Bundesrepublik manipuliert zu haben. Es ging dabei um die Frage, ob das Ministerium verpflichtet war, beteiligten Firmen die Entwicklungskosten für ein Wehrprojekt zu erstatten. In Zusammenarbeit mit einem Brigadegeneral sowie einem Daimler-Vorstandsmitglied habe Löffelholz dafür gesorgt, dass dem Minister ein internes Gutachten ganz im Sinn der Industrie vorgelegt wurde.46 Der Fall war anscheinend klar und das Bonner Landgericht verurteilte den längst suspendierten Oberst im Sommer 1959 zu drei Monaten Haft wegen Bestechlichkeit in einem schweren Fall.
Ende der 1950er-Jahre hatte die Hauptstadtjustiz mit den Verbindungen zwischen Spitzenbeamten und Wirtschaft also alle Hände voll zu tun. Viel Lob erhielt die Justiz in dieser Zeit für ihre Unabhängigkeit. Dafür sorgten nicht zuletzt eine aktive Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende einer Strafkammer am Bonner Landgericht namens Helmut Quirini. Quirini hatte im Fall Löffelholz das Urteil gesprochen und wurde vom Spiegel als Held gefeiert. Er schaffte es in dieser Rolle 1959 sogar auf die Titelseite des Hamburger Nachrichtenmagazins, eingerahmt von einem ausführlichen Bericht über sein Leben, über die im Russlandfeldzug erfrorenen Füße und seine rheinisch-launige Verhandlungsführung, bei der der Vorsitzende gelegentlich auch Tünnes-und-Schäl-Witze zum Besten gab. Kurz: Quirini war bei einigen Journalisten sehr beliebt, allerdings nicht bei allen. Die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kritisierte den Stil des Juristen scharf.47 Und bald folgte auf den Skandal ein Skandal zweiter Ordnung. Der Umgang der Justiz mit den Bestechungsfällen selbst wurde zum Thema.
Den ersten Schritt machte im Sommer 1958 der nordrhein-westfälische Innenminister Hubert Biernat von der SPD. Zu diesem Zeitpunkt war über die vielen staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen nichts öffentlich bekannt. Biernat aber führte Wahlkampf und die SPD musste um die Macht in Düsseldorf fürchten. Der Justizminister plauderte also aus dem Nähkästchen und machte die Ermittlungen im Umkreis des Verteidigungsministeriums öffentlich. Sie sollten beweisen, dass der politische Gegner, der in Bonn regierte, systematisch mit der Industrie mauschelte. In einer Pressekonferenz beklagte Biernat die von der Regierung angeblich geduldete „Verwilderung“ bei Bonner Spitzenbeamten.48 Freilich brachte diese Kampagne politisch nicht viel ein. Die SPD verlor die Wahlen an Rhein und Ruhr. Ab Juli 1958 regierte Ministerpräsident Franz Meyers von der CDU. Damit drehte sich auch der justizpolitische Wind in Sachen Bonner Beamtenbestechung.
Zurück ins Jahr 1959: Mittlerweile waren Prozesse gegen Kilb, Hummelshausen, Brombach und sogar Daimler-Chef Könecke angelaufen. Mit einem Mal änderte das Bonner Landgericht ohne erkennbaren Grund seine Geschäftsordnung. Eine der Folgen: Wichtige Verfahren, darunter das gegen Kilb, fielen jetzt nicht mehr in die Zuständigkeit von Richter Quirini. Die nunmehr zuständige Kammer schätzte den Fall offenbar völlig anders ein und verfügte die Einstellung des Verfahrens gegen Kilb. Ein Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags untersuchte 1962 diese Vorgänge. Der Ausschuss fand belastbare Hinweise, denen zufolge der Bonner Landgerichtsdirektor Becker Ende 1959 sowohl mit Landesjustizminister Otto Flehinghaus als auch mit Ministerpräsident Meyers persönlich über die anhängigen Verfahren beraten hatte. Weitere Dokumente legten nahe, Becker habe auch versucht, die Bonner Staatsanwaltschaft in ihrer Arbeit zu beeinflussen. Er habe darum gebeten, keinen Widerspruch gegen den Einstellungsbeschluss im Fall Kilb einzulegen. Mit anderen Worten: Es stand der Verdacht politisch motivierter Manipulation der Gerichtsbarkeit im Raum, um Druck von der Bundesregierung zu nehmen. In diesem Sinn berichtete Der Spiegel und auch die wenigen Darstellungen des Falles Kilb in der geschichtswissenschaftlichen Literatur haben eine ähnliche Sichtweise übernommen.
Gleichwohl lagen die Dinge vermutlich komplizierter. Es gab durchaus sachliche Gründe, die heiklen Verfahren einer neuen Kammer zuzuweisen. Denn die Urteile Quirinis waren juristisch alles andere als unumstritten. In der Revision eines älteren Urteils gegen die CDU-Außenpolitiker Walter Hallstein und Herbert Blankenhorn vor dem Bundesgerichtshof erhielt Quirini nämlich die denkbar schlechteste Note für die Qualität seiner Prozessführung. Statt vier Monaten Gefängnis für Blankenhorn und eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen für Hallstein wegen übler Nachrede erkannte der Bundesgerichtshof in beiden Fällen auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld.49 Ähnlich erging es in den Bestechungsfällen, die hier vorgestellt wurden. Nach mehreren Revisionszyklen blieb von dem Löffelholz-Urteil am Ende wenig übrig: Anstelle von 13 Fällen passiver Bestechung blieb ein einziger, anstelle der Freiheitsstrafe eine Geldstrafe von 1.000 D-Mark, wie das Landgericht Wuppertal 1964 feststellte. Anschließend wechselte der Offizier an die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.50 Auch die anderen Verfahren gingen ähnlich aus. Entweder wurden die Betroffenen wie Daimler-Chef Könecke freigesprochen oder aber zu vergleichsweise milden Geldstrafen verurteilt wie im Fall von Brombach und Hummelsheim. Auch hier kam es zu mehreren Revisionen mit stufenweisen Abmilderungen der ursprünglichen Urteile.51 Strafrechtlich war den Vorgängen also nur bedingt beizukommen.
Etwa zur gleichen Zeit bewegten weitere Fälle von Vorteilsnahme die Gemüter. Dabei geriet erstmals das politische Führungspersonal ins Zwielicht. Der prominenteste Politiker war der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier. Er kaufte im Jahr 1956 dem Land jene Amtsvilla ab, in der er bis dato als Regierungschef zur Miete gewohnt hatte, ein stattliches Anwesen am Moselufer in Koblenz. Vor dem Verkauf schätzte die Oberfinanzdirektion den Wert des Gebäudes, allerdings äußerst niedrig. Als 1958 klar wurde, dass das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in der Sache recherchierte, wurde eine Wertberichtigung vorgenommen, die beim Doppelten des Kaufpreises lag.
Gefahren für „das Ansehen und die Autorität des demokratischen Staates“ durch „persönliche Verunglimpfungen“ sah die Mainzer CDU-Fraktion, als die SPD einen Untersuchungsausschuss forderte. Freilich konterte diese mit dem Verlangen nach „Klarstellung“ sowie Offenlegung aller Unterlagen über den Hauskauf. Man verlangte also Information und Transparenz.52 Gleichwohl: Dauerhaft schadete der Skandal Altmeier nicht. Die CDU gewann auch 1959 die Landtagswahlen mit absoluter Mehrheit. Sein Amt verlor Altmeier erst zehn Jahre später gegen den drängelnden jungen Helmut Kohl.
Politisch weniger glimpflich kam Wilhelm Nowack davon, ab 1951 FDPFinanzminister im Kabinett Altmeier. Nowack wurde sein Verhalten als Aufsichtsratsvorsitzender einer mehrheitlich landeseigenen Firma zum Verhängnis. Er musste im Herbst 1958 von seinen politischen Ämtern zurücktreten. Das Land Rheinland-Pfalz war zu drei Vierteln Eigentümer der Schnellpressenfabrik Frankenthal Albert und Cie. AG, eines florierenden Unternehmens, das hochwertige Druckmaschinen herstellte. Als Vertreter des Landes saßen Regierungsdirektor Hans Brenner und Nowack im Aufsichtsrat, Nowack als dessen Vorsitzender. 1954 verkaufte ein privater Anteilseigner ein größeres Aktienpaket. Diese Aktien erwarb das Unternehmen zum Marktpreis zurück, verkaufte sie zwei Tage später etwa 40 Prozent unter Wert an Brenner und Nowack. Nowack investierte 1954 15.000 D-Mark in Aktien, deren Nennwert das Unternehmen später auf 27.000 D-Mark anhob. 1958 verkaufte Nowack das Aktienpaket schließlich für 75.000 D-Mark. Diese Vorgänge waren der Landesregierung bekannt. Ministerpräsident Altmeier drängte seinen Minister wohl schon recht früh, seine Aktien abzugeben. Es geschah aber wenig, bis im Sommer 1958 Der Spiegel die Angelegenheit aufgriff.
Es folgten parlamentarische Anfragen und ein Untersuchungsausschuss im Mainzer Landtag. Der Ausschuss fand heraus, dass Nowack neben dem Aktiengeschäft verschiedene Geschenke von der Firma erhalten hatte, darunter einen Perserteppich, eine Armbanduhr und ein Radio, obwohl der Minister genau das zuvor bestritten hatte. Auch der Sohn des Ministers hatte profitiert: Als Praktikant im Unternehmen waren ihm überhöhte Tagegelder für Auslandsreisen gewährt worden. Im Abschlussbericht kamen die Parlamentarier zu der Überzeugung, Nowack habe nicht im strengen Sinn rechtswidrig gehandelt. Gleichwohl seien Interessenkollisionen festzustellen und der Minister habe persönliche Vorteile genommen, was der Ausschuss „nicht für zweckmäßig“ hielt.53 Die Affäre hatte ein Nachspiel. Der Bundesrechnungshof beschäftigte sich mit den Aufsichtsratsposten von Ministern. Besonders eifrig waren dabei offenbar die Regierungsmitglieder in Baden-Württemberg: Acht Stuttgarter Kabinettsmitglieder bekleideten 1959 in 20 Unternehmen insgesamt 28 Aufsichtsratsmandate. Darunter waren auch viele Firmen, an denen das Land nicht als Eigentümer beteiligt war.54
Ein dritter Fall sorgte 1960 für Aufsehen, als der parteilose Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett ins Visier der Justiz geriet. Klett hatte 1955 zu seinem 50. Geburtstag von lokalen Unternehmen wertvolle Geschenke erhalten. Darunter waren ein Perserteppich von Daimler, ein Fernsehgerät von Bosch, eine Krawattennadel vom Verein der Stuttgarter Brauereien und ein Gemälde von der Brauerei Dinkelacker. Freilich kam es trotz Antrags der Staatsanwaltschaft nicht zur Hauptverhandlung wegen Bestechlichkeit, was die Bild-Zeitung kritisierte, während Der Spiegel erstaunlicherweise weitgehend neutral die Rechtslage erläuterte.55