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Korruption in der Bonner Republik 1949 bis 1990

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Es hätte allen Grund gegeben, die alte Bundesrepublik von Beginn an mit dem üblen Geruch der Korruption zu verbinden. Die überraschende Entscheidung des ersten Bundestags für die verschlafene Provinzstadt Bonn als Regierungssitz war gekauft. Die „Bonner Republik“ trug und trägt diesen Namen nur, weil sich einige Abgeordnete der Bayernpartei ihre Stimmabgabe in letzter Minute gegen klingende Münze abhandeln ließen. Monatelang hatte Frankfurt als sichere Favoritin gegolten, immerhin die Stadt des Paulskirchenparlaments und der Ort der ältesten Demokratietradition im westdeutschen Teilstaat. Am Main plante man bereits den Einzug der Bundesbehörden und begann vorsorglich mit dem Bau eines Parlamentsgebäudes – als aus dem Regierungssitz nichts wurde, zog der Hessische Rundfunk in das Gebäude ein. Im Unterschied zu manch anderem Korruptionsfall waren die Hintergründe der Hauptstadtentscheidung früh bekannt. Schon 1950, im Jahr nach dem Vorfall, berichtete das noch junge Nachrichtenmagazin Der Spiegel über die Vorwürfe. Alsbald richtete der Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein, um die Angelegenheit aufzuklären. Es wurde also hingeschaut und es gab viele Gelegenheiten, über Korruption in der jungen Republik zu debattieren.

Gleichwohl geschah das Überraschende: Das Image der Käuflichkeit blieb weder am Bundestag noch an der Bonner Republik kleben. Überraschend ist das deshalb, weil noch in der Weimarer Republik viel unbedeutendere Verfehlungen Anlass zu Generalattacken auf den Parlamentarismus gegeben hatten. Und die Bonner Republik bot Stoff genug – nach der Hauptstadtaffäre kamen zahlreiche Fälle von Bestechlichkeit oder Begünstigung in Parlament und Regierung hinzu. Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre gerieten hohe Beamte des Verteidigungsministeriums in den Verdacht, sich bei der Auftragsvergabe bereichert zu haben. Ähnliche Vorwürfe kosteten einem engen Mitarbeiter von Bundeskanzler Konrad Adenauer 1958 das Amt. Der CSU-Politiker und einstige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß musste sich über fast dreißig Jahre immer wieder gegen Begünstigungs- und Bereicherungsvorwürfe zur Wehr setzen.

Der spektakulärste und politisch folgenreichste Bestechungsfall ereignete sich im April 1972, in einer Situation knappster Mehrheitsverhältnisse. Nun ging es nicht mehr um den Regierungssitz, sondern um den Fortbestand der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und um nichts weniger als die Zukunft der Entspannungspolitik mit dem Ostblock. Nach zahlreichen Fraktions- und Parteiwechseln hatte die Regierung Brandt ihre Mehrheit im Parlament eingebüßt. Die Union witterte ihre Chance auf Rückeroberung der Macht und stellte im Bundestag den Antrag auf Abwahl des Bundeskanzlers. Sie scheiterte völlig unerwartet. Auch hier war Stimmenkauf im Spiel, auch in diesem Fall gab es schon sehr früh entsprechende Gerüchte und einen Untersuchungsausschuss. Wiederum blieb die Republik am Ende aber weitgehend frei vom Image der Korruption. Das änderte sich erst in den 1980er-Jahren angesichts der Flick-Spendenaffäre. Auch unter Historikern sind diese Fälle eher wenig bekannt – in den Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Bonner Republik kommen sie nur am Rand vor, wenn sie überhaupt erwähnt werden. Das alles ist erklärungsbedürftig: Warum machten die Korruptionsvorwürfe keinen nachhaltigeren Eindruck? Warum vergifteten sie nicht das politische Klima der Republik? Diesen Fragen widmet sich der erste Abschnitt dieses Buches.

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