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FIBAG und Starfighter: die angezweifelte Ehre des Franz Josef Strauß
ОглавлениеKein Buch über Skandale in der Bonner Republik kommt ohne ein Kapitel über Franz Josef Strauß aus. Das gilt anscheinend erst recht für eine Korruptionsgeschichte. Neben der Spiegel-Affäre klebten zwei rüstungspolitische Vorgänge wie Pech am Namen des wohl einflussreichsten CSU-Politikers seiner Zeit: FIBAG und Starfighter. Keine Frage, Strauß polarisierte und polemisierte. Strauß galt als barock, weil er seinen Politikstil mit Patronage und Klientelismus, mit Männerfreundschaften in der Wirtschaft und Geschäften auf Gegenseitigkeit geradezu öffentlich ausstellte. Doch korruptionsgeschichtlich geben die Fälle weniger her, als man erwarten könnte. Der erste Höhepunkt in Strauß’ politischer Karriere war seine Berufung zum Verteidigungsminister im Jahr 1956, ein Amt, das er Ende 1962 im Zuge der Spiegel-Affäre aufgeben musste. Aber seine rüstungspolitischen Weichenstellungen verfolgten ihn über diese Amtszeit hinaus, bis weit in die 1970er-Jahre.
Da war zunächst einmal die FIBAG-Affäre, die Strauß in der ersten Jahreshälfte 1961 ereilte und rund ein Jahr andauerte.77 Sie löste eine veritable Koalitionskrise aus. Eine große Anzahl von FDP-Abgeordneten im Bundestag verweigerte im Juni 1962 zunächst ihre Zustimmung zum Abschlussbericht des FIBAG-Untersuchungsausschusses. Sie waren der Ansicht, der Verteidigungsminister habe eine Dienstpflichtverletzung begangen, eine Bewertung, die die Union unter keinen Umständen im Abschlussbericht sehen wollte. Erst nach der Sommerpause stimmten die Liberalen dem Bericht zu.
Zu den Hintergründen: Die USA, NATO-Partner und Siegermacht, benötigten für ihre Soldaten Unterkünfte in der Bundesrepublik. Konkret ging es an der Wende zu den 1960er-Jahren um den Bau von 500 neuen Wohnungen für die US-Army im Wert von rund 300 Millionen D-Mark. Strittig war, welche Regierung für die Kosten aufkommen sollte – und fraglich war, wer die Bauten errichten könne.
Das Verteidigungsministerium verfolgte zwei naheliegende Ziele: möglichst geringe Ausgaben für die Bundesregierung und möglichst große Beteiligung deutscher Baufirmen. In dieser Situation trat eine Art Projekteschmied an den Verteidigungsminister heran. Es handelte sich um den Münchener Architekten Lothar Schloß, freilich ein Architekt zweifelhafter Qualität. Es stellte sich nämlich später heraus, dass er gar keine abgeschlossene Architektenausbildung besaß, obwohl er in München bereits mehrere Bauprojekte realisiert hatte.
Stattdessen besaß Schloß hervorragende Verbindungen, nämlich zu Johannes Kapfinger, seines Zeichens Presseverleger in Passau. Kapfinger gehörte zu den Vordenkern der CSU und hatte das Ohr des Verteidigungsministers. Über Kapfinger erhielt Lothar Schloß im Dezember 1959 einen Termin bei Strauß. Dabei schlug Schloß dem Minister ein Geschäft im großen Stil vor: Eine private Baugesellschaft unter seiner Leitung solle die Wohnungen errichten und mithilfe der Bundesregierung sollten deutsche und amerikanische Kapitalgeber gefunden werden. Wenig später legte Schloß dem Verteidigungsministerium ein Konzept vor. Außerdem ersuchte er den Minister um zwei Empfehlungsschreiben, damit er in den USA auf Investorensuche gehen und von der Army Aufträge entgegennehmen könne. Daraufhin verfasste Strauß im Juni 1960 zwei Briefe. Darunter war ein allgemein gehaltenes Empfehlungsschreiben, das Schloß ausgehändigt wurde. Ein zweiter Brief des Ministers war direkt an den amerikanischen Verteidigungsminister gerichtet. Vor allem dieses zweite Schreiben erwies sich später als Stein des Anstoßes. Denn entgegen den Gepflogenheiten hatte Strauß den Brief weder mit anderen Bundesministerien noch mit seinen eigenen Fachabteilungen abgestimmt.
Unterdessen gründete Schloß gemeinsam mit dem Bauingenieur Karl Willy Braun und mit Kapfinger eine Aktiengesellschaft, die die Aufträge abwickeln sollte. Die Gesellschaft trug den sinnigen Namen Finanzbau Aktiengesellschaft, kurz FIBAG. Ungewöhnlich genug, dass sich hieran ein Presseverleger beteiligte. Noch ungewöhnlicher war, dass Kapfinger keine eigenen Kapitaleinlagen beisteuerte. Vielmehr war vorgesehen, dass er nach der Gründung kostenlos ein Aktienpaket im Wert von 125.000 DMark erhalten sollte, und zwar offenbar als Provision für seine Vermittlungsarbeit gegenüber der Politik. Allerdings stockten die Geschäfte. Interne Ministeriumsprüfungen fielen ungünstig aus, rund ein Jahr später forderte das Verteidigungsministerium das Empfehlungsschreiben zurück, das Schloß ausgehändigt worden war. Kurz: Das Geschäft platzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Der Spiegel schon über die FIBAG und deren Protektion durch Strauß berichtet.78
Was nun passierte, ist nicht ganz geklärt worden. Die wahrscheinlichste Variante der Geschichte lautet so: Schloß und Braun wollten sich rächen oder wichtig machen. Jedenfalls erhob Braun gegenüber Journalisten des Spiegels schwere Vorwürfe gegenüber Kapfinger und Strauß. Kompagnon Kapfinger habe seinen Geschäftspartnern vor einiger Zeit eröffnet, Strauß verlange die Hälfte der Provision für sich selbst. Diese Aussage bestätigte Schloß. Kapfinger hingegen bestritt alles, ebenso wie Strauß. Doch der in seiner Form ungewöhnliche Brief an US-Verteidigungsminister Thomas Gates lieferte ein peinliches Indiz, Strauß habe sich über Gebühr für die FIBAG eingesetzt.
Der Vorwurf persönlicher Bereicherung im Amt war natürlich schwerwiegend, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Affären Nowack und Altmeier. Gleichwohl kommentierte selbst Der Spiegel anfangs äußerst vorsichtig. Augstein unterstrich zunächst, die Aussagen seien fragwürdig, forderte aber den Minister auf, gegen Kapfinger vorzugehen.
Die Affäre entwickelte sich in mehreren Strängen. Kanzler Adenauer, der in Strauß einen politischen Konkurrenten um die Kanzlerschaft sah, ließ die Umstände intern prüfen. Seine Revisoren kamen bald zu dem Ergebnis, dass der nicht abgestimmte Brief an Gates das einzige nachweisbare Problem war. Die Verdachtsmomente und der publizistische Rummel waren dennoch groß genug, um den Bundestag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu veranlassen. Das Parlament begrenzte den Untersuchungsauftrag auf die Frage, ob Strauß Architekt Schloß ohne ausreichende Prüfung beauftragen wollte, sprich: ob er ihm persönlich eine Gefälligkeit erwiesen habe. Im Ergebnis wurde Strauß im zweiten Anlauf entlastet. Schon bei Einsetzung des Ausschusses hatte die Opposition erkennen lassen, auch sie werfe Strauß keine Bestechlichkeit vor. Der Vorwurf der Amtspflichtverletzung bezog sich deshalb nur auf den Verdacht, Strauß habe eine Person oder ein Unternehmen ungerechtfertigt bevorzugt.79 Machtpolitisch ist der Unterschied nicht so gewaltig – hätte man dem Minister Amtsmissbrauch nachweisen können, wäre sein Rücktritt unausweichlich gewesen. Die Debatten im Parlament zeigen, dass es auch hierum ging.80
In der öffentlichen Debatte köchelte die Sache dennoch weiter, mit Ausläufern bis zu Beginn der 1970er-Jahre. Grund dafür waren gerichtliche Auseinandersetzungen – zum einen zwischen Strauß und Braun bzw. Schloß, zum anderen zwischen Strauß und dem Spiegel. Strauß warf seinen Prozessgegnern Falschaussage und üble Nachrede vor, das schloss auch die Spiegel-Berichterstattung mit ein.
Zwischen Strauß und Spiegel entspann sich eine lange Fehde. Der Verteidigungsminister glaubte im Herbst 1962, den Spiegel mit dem Vorwurf des militärischen Geheimnisverrats mundtot machen zu können. Redaktionsdurchsuchungen und Festnahmen waren die Folge, unter anderem kam Spiegel-Chef Rudolf Augstein in Haft. Jedoch stellten sich die westdeutschen Medien geschlossen hinter ihre Kollegen. Zu allem Überfluss ließen sich die Vorwürfe nicht halten und der Minister belog in dieser Angelegenheit die Öffentlichkeit – Strauß musste Ende 1962 seinen Hut nehmen.
In den folgenden Jahren berichtete Der Spiegel systematisch über Strauß. Unter anderem ging es dabei auch um die charakterliche Eignung des Politikers, wobei die FIBAG-Affäre regelmäßig als Argument auftauchte. Auf derartige Berichte reagierte Strauß Mitte der 1960er-Jahre mit einer weiteren Klage. In einem Zivilgerichtsprozess verlangte Strauß von Augstein Schadenersatz, da dieser ihn der Korruption beschuldigt hatte. Das Gericht gab der Klage statt. Dem ehemaligen Minister sei keine Bestechlichkeit nachgewiesen worden. Dagegen argumentierte Augstein, der Korruptionsvorwurf dürfe nicht juristisch verstanden werden. Er sei ein Werturteil, eine moralische Bewertung der Amtsführung von Strauß. Auch wenn sich das Gericht dem nicht anschloss, teilten andere Blätter wie Die Zeit Augsteins Sicht und trugen so mit dazu bei, den Korruptionsbegriff langsam auszuweiten.81
Der Effekt der FIBAG-Affäre lag hauptsächlich in dem diffusen Eindruck, Strauß halte es nicht mit der Gesetzestreue und sei unseriös. Die Düsseldorfer Zeitung Der Mittag formulierte schon zu Beginn der Affäre eine Ansicht, die bis heute den Blick auf die bayerische Politik prägt: „In Bayern ist das ‚Spezitum‘ etwas anderes als hierzulande die Freundschaft“, nämlich eine Mischung aus Politik, Geschäft und persönlicher Vernetzung.82 Einige Wochen später warf das Hamburger Echo Strauß vor, sich mit dubiosen Freunden und Geschäftspartnern zu umgeben.83 Obwohl konservative Zeitungen die Kampagne des Spiegels scharf kritisierten, war das Bild des halbseidenen Strippenziehers aus München fortan fest etabliert. Solche Beurteilungen der bayerischen Landespolitik kamen Anfang der 1990er-Jahre in der sogenannten Amigo-Affäre wieder auf den Tisch und Max Streibl, Nachfolger von Strauß als Ministerpräsident in München, stürzte über zu enge Vermischungen von Freundschaft, Wirtschaft und Politik.
Der zweite große Korruptionsskandal um Franz Josef Strauß hatte vermutlich noch weniger Substanz.84 Dennoch ist er von großer Bedeutung, denn damit touchierte die bundesrepublikanische Korruptionsgeschichte erstmals eine internationale Ebene, die ab den 1990er-Jahren so wichtig werden sollte. Stärker noch als bei der FIBAG war die Geschichte um den Starfighter eine nicht enden wollende Abfolge von Problemen, Skandälchen und Aufregern. Sie nahm ihren Ausgang wiederum in der Amtszeit des Verteidigungsministers Strauß 1958, erreichte ihren Höhepunkt aber erst knapp zwei Jahrzehnte später im Wahlkampf zur Bundestagswahl 1976.
Der Starfighter war ein Kampfflugzeug des amerikanischen Herstellers Lockheed Aircraft Corporation mit der offiziellen Bezeichnung F 104. 1958 bestellte die Bundesrepublik 300 dieser Flugzeuge im Wert von rund 1,5 Milliarden D-Mark. Die Luftwaffe brauchte dringend ein modernes Kampfflugzeug. Da traf es sich anscheinend gut, dass mehrere Partner in der NATO sich für die Maschine entschieden. Gleiche Waffensysteme können schließlich besser koordiniert werden. Auch einige Testpiloten der Bundesluftwaffe sprachen sich für das Flugzeug aus. Die F 104 überzeugte sie im direkten Vergleich mit dem französischen Konkurrenzangebot, der Mirage. Franz Josef Strauß setzte sich persönlich für das Geschäft ein, obwohl die Opposition skeptisch war. Namentlich der aufstrebende Verteidigungspolitiker Helmut Schmidt kritisierte die ungünstige Vertragsgestaltung. Aus Sicht der Regierung war diese aber klug ausgehandelt – neben direktem Kauf in den USA sollte ein Teil der Maschinen als Lizenzprodukt in der Bundesrepublik montiert werden. So sollte auch die deutsche Flugzeugindustrie von dem Waffengeschäft profitieren. Doch der Deal hatte einen Haken. So, wie Lockheed die Maschinen anbot, waren sie für die Bundesluftwaffe nicht zu gebrauchen. Schon zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses stand fest: Die Flugzeuge müssten allesamt mit zusätzlicher Technik nachgerüstet werden. Das technologische Spitzenprodukt war eben doch nicht ohne Defizite.
Mit der Nachrüstung handelten sich die deutschen Streitkräfte zwei massive Probleme ein. Zum einen stiegen die Kosten ins Astronomische. Zum anderen, und das war politisch noch viel gravierender, veränderten die zusätzlichen elektronischen Bauteile die Gewichtsverteilung im Flugzeug. Damit verlor der superschnelle Kraftprotz an Flugstabilität. Die technischen Fehlerquellen addierten sich mit einer überhasteten Indienststellung. Den Piloten blieb wenig Zeit, sich einzufliegen und die gesammelten Erfahrungen an die Industrie weiterzugeben. Möglicherweise hätte man sie für Optimierungen bei der Nachrüstung nutzen können. So kam es, dass der Starfighter zu einem Sicherheitsrisiko und zum sprichwörtlichen Pannenflugzug wurde. Bereits 1961 stiegen die ersten Starfighter der Bundeswehr in den Himmel. Und noch während die FIBAG-Debatte lief, stürzte das erste Flugzeug ab. Ende Juni 1962 debattierte der Bundestag über die Starfighter-Entscheidung – es sollten noch viele Debatten folgen. Das Flugzeug wurde zur Todesfalle seiner Piloten, und das mitten im Frieden. Bis 1966 gab es 47 Starfighter-Abstürze mit 26 Todesopfern, bis 1976 stiegen die Zahlen auf 177 Abstürze mit 80 Toten.85
Neben dem Entsetzen über die Todeszahlen, der Sorge über die Kampfkraft der Armee direkt am Eisernen Vorhang und den Zweifeln angesichts immer weiter steigender Beschaffungs- und Ausrüstungskosten wurde in der Öffentlichkeit auch die naheliegende Frage gestellt, ob dieses offensichtlich ungünstige Geschäft mit rechten Dingen zustande gekommen sei. Jedenfalls beschäftigte sich die Presse regelmäßig mit dem Dauerthema Starfighter, schon weil die Todesmeldungen dazu immer wieder Anlass gaben. Am 20. Januar 1965 bezeichnete der SPD-Abgeordnete Karl Wienand im Bundestag die Beschaffung als „Verschwendung“. Zu diesem Zeitpunkt führten die Kritiker die Fehlentscheidung noch auf Strauß’ Hoffnung zurück, den Starfighter später atomar aufrüsten zu können, was mit den Modellen der Konkurrenz nicht möglich gewesen wäre.86 Da die Bundesrepublik feierlich auf eigene Atomwaffen verzichtet hatte, war dieser Vorwurf skandalös genug.
Bestechungsvorwürfe tauchten ab Mitte der 1970er-Jahre auf. Die Vorwürfe kamen aus den USA. Sie standen in Zusammenhang mit Ermittlungen, die als „Business Watergate“ bekannt geworden sind. Die Watergate-Affäre bezog sich nämlich nicht nur darauf, dass Präsident Nixon 1972 die Wahlkampfzentrale seines Mitbewerbers um das Präsidentenamt hatte abhören wollen. Zusätzlich kamen vielfache Amtsmissbräuche der Regierung und ein dichtes Geflecht von Politik und Wirtschaft ans Licht. Ein wichtiger Teilaspekt waren massive Zahlungen amerikanischer Unternehmen an Politiker und Parteien im Ausland. Lockheed als großer Rüstungsexporteur geriet damals ins Visier der Ermittler. Der Flugzeugbauer hatte in vielen Ländern Politiker und Parteien mit Spenden und Schmiergeld unterstützt, darunter kurioserweise auch Kommunisten. Zudem war das Unternehmen 1971 mit öffentlichen Geldern vor dem Bankrott gerettet worden.
Vor einem Ausschuss des amerikanischen Senats platzte Ende 1975 eine auch für die Bundesrepublik relevante Bombe.87 Der ehemalige Repräsentant Lockheeds in Bonn, Ernest F. Hauser, machte seine Aussage. Er behauptete, die CSU habe im Vorfeld der Starfighter-Bestellung einen zweistelligen Millionenbetrag erhalten, Minister Strauß sei also gekauft worden. Hauser belegte seine Aussagen mit eigenen Tagebucheintragungen und Briefen. Außerdem fügte er noch eine veritable Räuberpistole an: Als ein Beamter davon Wind bekam und drohte, die Opposition zu informieren, habe Strauß ihn entführen und mit einer Maschine von Lockheed in die USA verbringen lassen. Pikanterweise hatte es tatsächlich einst persönliche Verbindungen zwischen Hauser und Strauß gegeben. Beide lernten sich 1945 kennen, als Hauser Besatzungsoffizier in Bayern und Strauß Vizelandrat des Kreises Schongau gewesen war. Später war Strauß Trauzeuge und Taufpate in der Familie Hauser. 1961 soll Strauß bei Lockheed darum gebeten haben, Hauser als Cheflobbyisten nach Deutschland zu schicken. Lag hier also ein weiterer Fall bayerischer Spezlwirtschaft vor? Der Anschein sprach zunächst dafür.
Nun war der Kronzeuge trotz dieser Details aber wenig glaubwürdig – was selbst Der Spiegel von Beginn an einräumte. Denn Hauser war von Lockheed entlassen worden und wegen Untreue und Urkundenfälschung vorbestraft. Strauß selbst gab in einem Interview mit der Zeitung Die Welt später an, er habe Hauser Anfang der 1960er-Jahre 5.000 D-Mark geliehen. Den größten Teil der Summe habe Hauser nie zurückgezahlt, einen kleineren Teil habe dieser aber auf ein Konto der CSU zurück überwiesen.88 Bald wurde klar, dass Hausers Aussagen aus der Luft gegriffen waren. Die von ihm vorgelegten Briefe über Provisionszahlungen stellten sich als Fälschung heraus. Eine von der sozialliberalen Bundesregierung eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe kam dann auch zu dem Ergebnis, die Vorwürfe gegen Strauß seien gegenstandslos.
Rund zwei Jahre später tauchte ein weiterer Verdacht auf. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 14. Januar 1978 das Protokoll eines Mitschnitts von einem Telefonat zwischen Strauß und Wilfried Scharnagl, einem engen Vertrauten und damaligen Chefredakteur der CSU-Parteizeitung Bayernkurier. Der Inhalt nährte aufs Neue den Eindruck, Lockheed habe CSU-Politikern Bestechungsgelder gezahlt. Auch dieses Dokument erwies sich jedoch als teilweise Fälschung. Möglicherweise war sie von der ostdeutschen Staatssicherheit lanciert worden.89 Aufs Neue setzte der Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein. Die Untersuchungen zu Lockheed ergaben zwar, dass die Firma sehr intensiven Lobbyismus betrieben hatte. Doch der Ausschuss kam Anfang 1980 wiederum zu dem Ergebnis, die Bestechungsvorwürfe seien unbegründet.90
Wie bereits angedeutet, wurde kaum ein expliziter Korruptionsvorwurf gegen Strauß laut. Allerdings spielte die wahlkämpfende SPD im Sommer 1976 mit Andeutungen über Verbindungen zwischen Strauß und Lockheed. Es gab also nur indirekt eine Korruptionsdebatte – freilich konnte sich der Eindruck verstärken, in Politik und Wirtschaft gehe es nicht mit rechten Dingen zu. Der Spiegel berichtete immer wieder über die Vorwürfe, ohne sich ihnen anzuschließen. Bemerkenswert ist aber auch der Aufruf des Hamburger Blattes vom September 1976, die Wahlkämpfer sollten auf Korruptionsvorwürfe verzichten. „Das Risiko der Kampagne: Der Wähler hält alle für suspekt und bleibt zu Hause.“91 Solche Mahnungen sollten spätestens in den 1990er-Jahren extrem rar werden – und konsequent war die Veröffentlichungspolitik des Nachrichtenmagazins nicht, wenn es Strauß gleichzeitig als „Der Pate“ porträtierte.
Dennoch: Blickt man auf den Verlauf der Lockheed-Enthüllungen in anderen Ländern, erschien die Bundesrepublik äußerst sauber. In Europa wurden die Niederlande am stärksten von der Affäre geschüttelt. Prinz Bernhard der Niederlande, Ehemann von Königin Juliana, hatte tatsächlich kriminelle Schmiergeldzahlungen von Lockheed genommen. Als ehemaliger Oberkommandierender am Ende des Zweiten Weltkriegs und aktueller Generalinspekteur der Streitkräfte hatte sein Wort großes Gewicht. Bernhard beging den Fehler, von Lockheed in einem Brief sein Schmiergeld einzufordern und damit das entscheidende Beweismittel selbst zu liefern. Die niederländische Regierung stand kurz davor, ein Strafverfahren gegen den Prinzen einzuleiten. Die Königin drohte daraufhin mit Rücktritt – eine veritable Staatskrise stand im Raum. Gelöst wurde das Problem durch einen Kotau des Prinzen. Im Gegenzug für ein öffentliches Schuldeingeständnis und den Rückzug aus militärischen und anderen Funktionen blieb dem Gemahl der Königin ein Verfahren erspart.92 Weitere Politiker in Italien, Japan, Südafrika, Schweden und Mexiko konnten der Bestechlichkeit überführt werden. Dagegen nimmt sich die bundesdeutsche Episode des Lockheed-Skandals eher bescheiden aus. Allerdings hatte Lockheed in den USA wichtige gesetzgeberische Konsequenzen. Der Foreign Corrupt Practices Act von 1977 war eine direkte Reaktion auf Business Watergate. Er sollte ab den 1990er-Jahren weltweit Einfluss auf die Korruptionsdebatte erhalten.