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Was ist Korruption?

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Bleibt noch zu klären, was Korruption eigentlich ist. Es geht in diesem Buch, wie schon beschrieben, nicht um bestimmte Praktiken der Begünstigung, Bestechung oder Vorteilsnahme, sondern es geht um Debatten und Bewertungen. Diese Debatten fransen leicht aus, das gehört zu ihren Besonderheiten. Nur in den wenigsten Fällen beschränkte sich die Diskussion auf eine gekaufte Stimme oder eine gegen Geld oder Geschenke getroffene politische Entscheidung. Dazu gehörte meist der Verdacht ungerechtfertigter Vorteile für Amtsinhaber oder Abgeordnete, das Problem der Vermischung von Partei- und Staatsinteressen, Fragen der Parteienfinanzierung, das Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Spätestens seit den 1990er-Jahren scheint jede Art von Einkommen der Politiker, seien es die offiziellen Diäten oder Einnahmen aus Nebentätigkeiten, im Geruch der Vorteilsnahme zu stehen. Sogar das Streben nach Absicherung einer parteiinternen Machtposition konnte als Form von Korruption ausgelegt werden (siehe Seite 320). Auch wenn dies ein Extremfall war: Politische Korruptionsdebatten mündeten oft in sehr allgemeine Auseinandersetzungen über Moral und Anstand, über Vorteile für Politiker und Nachteile für das Gemeinwohl.

Warum das so war, lässt sich teilweise auch mit der Wortbedeutung von Korruption erklären.4 Nach der klassischen Definition ist Korruption der Missbrauch eines öffentlichen Amtes zum privaten Nutzen. Neuere Wortbestimmungen wie etwa die von Transparency International sind etwas weiter gefasst: Hiernach ist Korruption der Missbrauch übertragener Macht zum privaten Nutzen.5 Entscheidend ist in allen Definitionen der Gegensatz zwischen dem Privaten auf der einen Seite und dem öffentlichen Nutzen oder dem Gemeinwohl auf der anderen. Korruption ist stets ein Missbrauch, bei dem die Gemeinschaft geschädigt wird, während Amtsinhaber oder andere Akteure im nichtöffentlichen Bereich daraus einen Vorteil ziehen. So verstanden, geht es bei Korruption immer um Nachteile für die Allgemeinheit und damit um Gefahren für den Staatszweck. Stets steht auch die Frage im Raum, welchen Entscheidungsspielraum und welche Vorteile Amtsinhaber und Politiker aus ihrer Stellung als Beauftragte des Volkes ziehen dürfen.

Diesen Konflikt gibt es nur, weil zwischen dem Persönlichen und dem Privaten einerseits und dem Öffentlichen auf der anderen Seite eine Grenze gezogen wird. Wir werden noch sehen, dass diese Grenzziehung oft nicht einfach ist. Fast alle Korruptionsaffären drehen sich auch um die Frage, wo das Private beginnt und das Dienstliche endet. Eine klare, ein für alle Male gültige Lösung dieses Problems gibt es nicht, vielmehr unendlichen Stoff für entsprechende Klärungsprozesse. Tatsächlich lebt die Korruptionsdebatte von einem bemerkenswerten Konflikt: Einerseits wird suggeriert, es gebe eine glasklare, sozusagen ewig gültige Trennung der zwei Sphären. Andererseits kann niemand angeben, wo genau diese verläuft.

Das machen ein paar einfache Beispiele deutlich. Ist der Bundeskanzler als Regierungschef oder als Parteichef unterwegs, wenn er sich zu einer Veranstaltung fahren lässt, auf der er seine Politik erläutert? Ist die Unterbrechung eines privaten Urlaubs für dienstliche Zwecke nun privat oder dienstlich veranlasst? Übernimmt der Staat die Kosten für die Anreise zu einem Diensttermin oder muss das die Amtsinhaberin übernehmen? Und wenn der Staat zahlt: Ist es der Urlaub, der die Amtsführung ungebührlich verteuert? Oder sind es die Amtspflichten, die das Privatleben in Mitleidenschaft ziehen? Ist das gemeinsame Essen eines Politikers mit persönlichen Freunden und anderen Entscheidungsträgern amtlich oder privat veranlasst? Wenn ein Politiker einen Menschen zunächst als Lobbyisten kennenlernt, sich aber im Lauf der Zeit mit ihm anfreundet und ihn an familiären Entscheidungen teilhaben lässt: Wo verläuft die Grenze? Vor allem zeitlich: Bis wann handelt es sich um eine dienstliche Beziehung, ab wann ist es eine private?

Solche Fragen waren in den Skandalen um Konrad Adenauer, Rita Süssmuth, Ulla Schmidt und Christian Wulff mitentscheidend. Es liegt auf der Hand, dass es darauf kaum befriedigende Antworten geben kann. Das ist ein Grund für die nie versiegende Korruptionsquelle in politischen Debatten. Man kann es auch so formulieren: Da die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen nie fixiert sind, da jede Amtsinhaberin und jeder Amtsinhaber immer auch ein privates Leben haben, sind alle Politiker vom Vorwurf der Korruption bedroht. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil wir mit Blick auf die ‚Normalbevölkerung‘ in den letzten zehn Jahren eine Diskussion mit ganz anderer Stoßrichtung geführt haben. Angesichts der Omnipräsenz des Internets, freiwilliger Preisgabe intimster Informationen auf den Plattformen sozialer Medien, angesichts auch von ständiger Erreichbarkeit und Homeofficetätigkeiten beklagen vielen Kommentatoren den Verlust der Privatheit, das Ende jeglicher Grenze zwischen öffentlicher und intimer Sphäre. Vor diesem Hintergrund scheint die öffentlich gepflegte Obsession der Korruption wie ein Anachronismus, wie ein Kampf gegen Geister der Vergangenheit. Vielleicht verbirgt sich hinter der grassierenden Kritik an persönlicher Bereicherung im politischen Amt auch der Phantomschmerz einer schon lange verloren gegangenen Intimität.

Eine ganz ähnliche Beobachtung betrifft übrigens auch das Konzept der Transparenz. Transparenz verspricht den Durchblick in der Politik. Transparenz lässt erwarten, dass möglichst viele möglichst komplizierte Vorgänge verstehen. Dabei ist Transparenz als politischer Wert noch recht jung. Als Hoffnung und Erwartung ist Transparenz also Bewohnerin einer Welt, die von den meisten Zeitgenossen als immer komplexer, als immer schwieriger zu durchschauen angesehen wird. Je undurchsichtiger die Welt, desto ausgeprägter die Hoffnungen, ja die Forderungen nach Transparenz. Dass dies zu Frustrationen führen muss, liegt auf der Hand.

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