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Gegenmaßnahmen: Antikorruptionsreferat und Bestechungsparagrafen
ОглавлениеDie Beschaffungsaffären bei der Bundeswehr blieben nicht folgenlos. Bereits 1957 forderte der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages die Veröffentlichung einer Liste der „Lobbyisten“ mit Zugang zum Verteidigungsministerium – also so etwas wie ein Lobbyregister avant la lettre. Dieser Bitte um Transparenz kam das Ministerium auf der Hardthöhe allerdings nicht nach.93 Man setzte stattdessen auf interne Maßnahmen. Wenig später führte der neue Verteidigungsminister Franz Josef Strauß eine finanzwirksame Regel gegen Beschaffungskorruption ein. Sollten sich Mauscheleien zwischen einer Firma und Beamten herausstellen, so würden die Firmen im Rahmen einer Konventionalstrafe zehn Prozent des Lieferpreises an das Ministerium entrichten. Allerdings wurde die Regel wenig später drastisch entschärft: Hatte die Firma ihre Angestellten darüber informiert, dass Geschenke rechtswidrig waren, beschränkte sich die Strafe auf die Hälfte der Jahresbezüge des bestechenden Mitarbeiters.94
Die wohl wichtigste Maßnahme der Hardthöhe war die Einsetzung einer besonderen Revisionsstelle im September 1957, eine sogenannte Untersuchungskommission unter Regierungsrat Karl Helmut Schnell. Zwei Jahre später wurde die Kommission in ein ordentliches Referat umgewandelt. Dieses wertete die Ministeriumsleitung 1965 noch weiter auf: Es wurde aus der üblichen Abteilungsstruktur herausgelöst und wie eine Stabsstelle beim Stellvertreter des Staatssekretärs geführt. Die korrekte Bezeichnung lautete ab 1964 „Ermittlungen in Sonderfällen, Verhalten im Verkehr mit der Wirtschaft“. In der Öffentlichkeit war aber meist nur vom Antikorruptionsreferat die Rede. Der Arbeitsbereich wuchs über die Jahre deutlich – 1959 hatte das Referat fünf Planstellen, 1969 waren es elf. Ab 1964 hatte das Referat auch die Aufsicht über ein Dezernat des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), also des Militärgeheimdienstes der Bundesrepublik.
Das Antikorruptionsreferat hatte zwei Aufgaben. Zum einen stellte es allgemeine Leitlinien zum Umgang von Bundeswehrangehörigen mit Unternehmensvertretern auf. Zum anderen sollten die Mitarbeiter konkreten Verdachtsmomenten über Bestechung und Betrug nachgehen. Das Referat hatte zwar keine staatsanwaltlichen Befugnisse, doch konnte es interne Ermittlungen durchführen und Akten einsehen. Erhärtete sich ein Verdacht, so sollte das Referat die Staatsanwaltschaft informieren und unterstützen sowie dienstrechtliche Maßnahmen einleiten. Auf den Tischen des Antikorruptionsreferats landeten zwischen 100 und 200 Fälle pro Jahr, 1966 sogar rund 500.95
Man kann diese Organisationseinheit durchaus als frühe Form einer Compliance-Abteilung ansehen, wie sie ab der Jahrtausendwende in vielen Unternehmen entstanden. Allerdings hatte das Antikorruptionsreferat eine Reihe von Besonderheiten. Am Anfang stand nämlich Adenauers Bitte aus dem Jahr 1957, das Verteidigungsministerium möge Unterlagen bereithalten, um im Fall von Enthüllungen in der Presse schnell reagieren zu können. Diese hatten offenbar während der Skandale um das Koblenzer Beschaffungsamt gefehlt. So war also eine von Adenauer beklagte PR-Panne der eigentliche Anlass für die Einrichtung des Referats.96
Bemerkenswert ist außerdem die personelle Kontinuität. Leiter dieses Arbeitsbereichs war bis 1969 Karl Helmut Schnell. Er durchlief die klassische Laufbahn vom Regierungsrat bis zum Ministerialrat und der Status seiner Arbeitseinheit wurde gewissermaßen parallel dazu nach oben angepasst, bis hin zum eigenständigen Referat. Man gewinnt den Eindruck, die jeweiligen Minister wollten Schnell um jeden Preis in seiner Funktion belassen. Seine Position und seine disziplinarischen Befugnisse nutzte er offensichtlich zum Aufbau einer enormen behördeninternen Machtposition. Nur so ist auch zu erklären, dass Helmut Schmidt als erster sozialdemokratischer Verteidigungsminister 1969 den Referatsleiter umgehend versetzte. Auf dieser Hierarchieebene ist ein solcher Personalaustausch nach Wahlen eher unüblich. Noch unüblicher ist, dass die Presse dies überhaupt berichtete und kommentierte.97 In den 1980er-Jahren, nach der Rückkehr der Union an die Macht, machte Schnell weiter Karriere. Er brachte es bis auf einen einflussreichen Abteilungsleiterposten und wäre beinahe in den Rang eines Staatssekretärs aufgestiegen. In der Bonner Verteidigungsszene galt Schnell über Jahrzehnte als eine Art „graue Eminenz“, wie Der Spiegel 1989 feststellte.98
Wie ist Schnells Wirken zu beschreiben? Zu Beginn seiner Tätigkeit formulierte er eine Verhaltensvorschrift für Beamte und Soldaten im Umgang mit Privatfirmen. Die Bediensteten sollten den Kontakt mit Firmen auf Dienstliches beschränken, mit Firmenvertretern ausschließlich in Diensträumen verkehren und Begegnungen in „Vergnügungslokalen“ meiden. Firmenspenden an einzelne Truppenteile seien abzulehnen und Lobbyisten seien nicht zu internen Feiern zugelassen. Geschenke unbekannter Herkunft sollten dem Vorgesetzten ebenso gemeldet werden wie jeder Bestechungsversuch.99 In einer internen „Belehrung“ von Soldaten, Beamten und Angestellten der Bundeswehr von 1960 wird ebenfalls die Annahme von „Vergünstigungen jeden Wertes“ durch Vertreter der Industrie verboten – ausdrücklich waren Kalender, Feuerzeuge sowie Bewirtungen oder kostenlose Autofahrten eingeschlossen.100 Es ging bei diesen Compliance-Regeln also vor allem darum, schon im Vorfeld eindeutiger Bestechung halb privat gefärbte Begegnungen zu unterbinden. Auch erscheinen die Standards als sehr streng.
Bei der Verfolgung legten Schnell und das Antikorruptionsreferat allerdings eine selektive Haltung an den Tag. Ausdrücklich verwies er auf die politische Rolle seiner Einheit. Ermittlungen würden nur dann aufgenommen, wenn dies die politische Führung des Hauses wünsche; Informationen nur dann an andere Behörden oder die Öffentlichkeit gegeben, wenn dies dem Interesse des Ministeriums entspreche. Auch rühmte Schnell sich des unmittelbaren Vortragsrechts gegenüber Staatssekretären und Ministern. Mit anderen Worten: Schnell war nicht an den Dienstweg gebunden. Sein Auftrag lautete auch nicht, jedes Vergehen zu ahnden oder gar Transparenz herzustellen, sondern politischen Schaden von Bundeswehr und Ministerium abzuwenden. Das Antikorruptionsreferat sollte in erster Linie loyal zur politischen Führung des Hauses stehen.
Und in diesem Sinn handelte der Beamte. Legendär war Schnells Auftritt im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des HS-30-Schützenpanzer-Skandals im Jahr 1967, bei dem er nur extrem lückenhafte Informationen und Aufzeichnungen lieferte.101 Aus der Sicht vieler Beteiligter torpedierte er damit die Ausschussarbeit willentlich. Mit Journalisten pflegte Schnell ein ambivalentes Verhältnis. Gelegentlich ließ er sich auf Unterredungen ein, wohl in der Hoffnung, Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Beschaffungsstellen oder Rüstungsfirmen zu erhalten. Allerdings achtete er sehr genau darauf, wie die Redaktionen über die Bundeswehr berichteten. Er versuchte, Absprachen mit seinen Gesprächspartnern zu treffen, und brach in vielen Fällen Kontakte ab, wenn die Berichterstattung nicht seinen Vorstellungen entsprach.102
Einige Journalisten berichteten von angeblich extrem unorthodoxen Methoden Schnells. Der Spiegel behauptete, Schnell habe mit der USTechnologie-Firma Sperry Rand einen Geheimvertrag geschlossen, nachdem unlautere Praktiken des Unternehmens aufgefallen waren. Im Gegenzug für sein Stillhalten sollten die Amerikaner ihm berichten, falls Bestechungsgelder von Mitbewerbern gezahlt oder von Beamten verlangt würden. 1989 geriet Schnell dann nochmals ins Visier der Öffentlichkeit, kurz vor seiner Pensionierung. Nun berichtete Der Spiegel, der Beamte habe seit den 1970er-Jahren auf dubiosen Wegen Honorare und Anteile an einem Kleinverlag in Millionenhöhe erworben. Der Spiegel vermutete Betrug und Erpressung, doch stellte die Staatsanwaltschaft Regensburg das Ermittlungsverfahren bald ein.103 Insgesamt wich die Rolle des Antikorruptionsreferats erheblich von derjenigen heutiger Compliance-Abteilungen ab. Man könnte Schnell geradezu als „Antitransparenzakteur“ beschreiben.
Während das Antikorruptionsreferat schnell Wirklichkeit wurde, zogen sich die Beratungen zu einer Strafrechtsreform im Bereich Korruption über Jahrzehnte hin. Einer der Gründe hierfür mögen die Rahmenbedingungen gewesen sein: Seit den 1950er-Jahren gab es zwar intensive Beratungen über eine komplette Modernisierung des deutschen Strafrechts. Doch die Arbeit der Kommissionen erwies sich als langwierig. Erst 1969, kurz vor Ende der Großen Koalition, wurden die ersten zwei Änderungsgesetze verabschiedet, drei weitere folgten bis 1974. Ein weiterer Grund lag wohl auch darin, dass die Korruptionsparagrafen bei Juristen und Politikern als „heißes Eisen“ galten und hier offenbar niemand einen Fehler begehen wollte. Jedenfalls war die Reform des Bestechungsverbots erst im letzten der großen Änderungsgesetze enthalten.
Wenn Juristen von Korruption sprechen, dann geht es letztlich nur um zwei Arten von Vergehen: Bestechung und Bestechlichkeit sowie Vorteilsgewährung und Vorteilsnahme von Amtsträgern. Seit dem Erlass des Reichsstrafgesetzbuchs 1871 sind diese Vergehen in den Paragrafen 331 bis 335 des Strafgesetzes geregelt (seit 2015 gibt es noch den zusätzlichen Paragrafen 335a). Korruption betraf also im juristisch engen Sinn nur Staatsdiener und jene, die sie bestachen. Im Recht des 19. Jahrhunderts waren tatsächlich nur Beamte gemeint – zwischen dem späten Kaiserreich und dem Nationalsozialismus erfolgte dann eine Ausweitung auf nicht verbeamtete öffentliche Amtsträger. Zwischen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit besteht folgender Unterschied: Bei der Bestechlichkeit handelt der Amtsträger rechtswidrig und verschafft dem Bestechenden einen unrechtmäßigen Vorteil. Bei der Vorteilsnahme geht es um an sich korrekte Amtshandlungen, für die der Staatsdiener aber ein Geschenk erhält oder verlangt. Im Kern sind diese Grundgedanken bis heute erhalten geblieben, wenn sie auch im Lauf der Jahrzehnte ausgeweitet und verschärft wurden.
In der frühen Bundesrepublik tat sich gesetzgeberisch hier zunächst nicht viel. 1954 setzte die Bundesregierung die Große Strafrechtskommission ein, ein Gremium aus Wissenschaftlern, Richtern und Beamten, das sich mit der Modernisierung des deutschen Strafrechts beschäftigte und Vorschläge für Gesetze erarbeitete. Die Kommission widmete sich ab 1958 auch der Bestechung. Sie forderte eine Aufwertung der entsprechenden Paragrafen durch eine eigene Überschrift – „Bestechlichkeit und Bestechung“ – sowie einige Präzisierungen und Verschärfungen.
Die Experten diskutierten das Thema ganz ähnlich wie die Politiker ihrer Zeit und forderten einen besseren „Schutz der Reinheit des öffentlichen Dienstes“. Strafverschärfungen sollten dem „Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in diese Reinheit“ dienen.104 Zugleich konstatierten sie, dass die Versuchungen der Beamten, vor allem aus der Wirtschaft, immer mehr zunähmen. Ganz einig war man sich über die Notwendigkeit von Verschärfungen aber nicht. Einige Sachverständige mahnten, man dürfe jene nicht bestrafen, die einen Amtsträger für eine korrekte Handlung beschenkten. Dies sei in der Bevölkerung kaum vermittelbar.105
Im Bundeskabinett standen die Beratungen über einen entsprechenden Entwurfstext am 18. Mai 1960 unter dem Eindruck der Affäre Kilb sowie anderer Strafurteile der letzten Monate. Adenauer und Strauß lehnten es vehement ab, Beamte, denen der Vorgesetzte die Annahme eines Geschenks zuvor erlaubt hatte, strafrechtlich zu belangen. Die immer schärferen Gerichtsurteile gegen Beamte, die Geschenke annahmen, sahen die Kabinettsmitglieder mit Sorge. Offenbar herrschte die Stimmung vor, man müsse die Staatsdiener vor einer übertriebenen Rechtsprechung schützen.106
Zwei Jahre später beriet der Bundestag einen weiteren Entwurf, der letztlich aber erst 1974 in Kraft trat. Hier lag der Schwerpunkt darauf, die Vorteilsannahme und die Gewährung von Vorteilen klarer zu ahnden. Letztlich setzten sich jene durch, die eine Verschärfung befürwortet hatten.