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Kapitel 3

Letzte Vorbereitungen

Romy bog an der nächsten Kreuzung ab und steuerte auf die nahegelegene Tankstelle zu. Ihren knallroten Mini fuhr sie jetzt schon so viele Jahre, aber jedes Mal, wenn sie tanken wollte, musste sie darauf achten, nicht falsch herum an die Säule zu fahren. Sie stieg aus, öffnete die Benzinklappe und ließ dem Zapfhahn freien Lauf.Der angenehm kühle Abendwind blies ihr ins Gesicht. Sie schob sich die langen Haarsträhnen hinter die Ohren und sah gedankenversunken auf die Literzahl an der Anzeigetafel. 44,2 Liter. 45 gingen rein. Wieder einmal alles richtig gemacht. Ich brauche diesen Kick! Maik hasste sie dafür. Schwungvoll steckte sie den Hahn zurück in die Säule und war gerade auf dem Weg zum Tank-Shop, als sie lautstark aus der Ferne ihren Namen hörte.

»Rööömchen?«, hallte es in ihren Ohren und sie drehte sich um. So wurde sie definitiv nur von einem Menschen genannt.

»Sascha!«, rief sie erfreut. »Wie schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?« Seine gestylten schwarzen Haare glänzten in der untergehenden Abendsonne.

»Gut geht es mir. Und, Schätzchen, arbeitest du jetzt schon auf eigene Rechnung?« Sie lachte und umarmte ihn. Sascha war ihr Ex-Kollege aus dem Architekturbüro und gehörte definitiv zu ihren Lieblingsmenschen. Er sah sie mit tiefem, wehmütigem Blick an.

»Ich vermisse dich. Du fehlst so im Büro und auf den Baustellen. Meine Arbeit ist furchtbar trostlos ohne dich.« Er übertrieb gerne ein bisschen. So kannte sie ihn.

»Bist du dir sicher? Du vermisst bestimmt nur meinen rauen Ton«, scherzte sie mit tiefer Stimme.

»Oh ja, den auf jeden Fall.« Flüchtig musterte er sie. »Du siehst ein bisschen mitgenommen aus. Was ist los?« Romy zupfte ihre Haare zurecht und drückte die Hände an ihre hohen Wangenknochen, um ihr Gesicht wieder geradezurücken. Nach den Therapiestunden beim Professor sah sie tatsächlich oft ein bisschen mitgenommen aus.

»Na ja, sieben Jahre bei Heitmann & Partner gehen eben nicht spurlos an einem vorbei«, redete sie sich heraus und verschränkte dabei die Arme vor ihrem Oberkörper.

»Da hast du wohl recht. Ein bisschen beneide ich dich um deine Selbstständigkeit … und dann hast du dir gleich so einen fetten Auftrag an Land gezogen. Nicht schlecht.«

»Wenn du das so sagst, wird mir ganz mulmig«, gab Romy zurück und hielt sich die Handflächen vor die Augen.

»Komm schon, das war doch immer das, was du wolltest. Sei froh! Jetzt bist du endlich frei und vor allem deine eigene Chefin.« Sascha schlug ihr sanft auf die Schulter.

Sie sah auf den Boden und ihre Stimme wurde dünner. »Ja, das stimmt. Aber nun warten erstmal noch andere Herausforderungen auf mich.« Mit ihrem Sneaker wippte sie am Kantstein vor der Zapfsäule hin und her.

»Was meinst du denn genau?«, wollte Sascha neugierig wissen und stopfte seine Hände in die Hosentaschen.

»Ich werde mich vorher noch von Maik trennen.«

»Du wirst was? Ach, das finde ich ja mal richtig cool! Endlich ziehst du es durch. Er hat dich sowieso nicht verdient, das habe ich dir immer schon gesagt. Du bist die Granate unter den Frauen … und ich darf das sagen.« Klar durfte er das, immerhin war er nicht an Frauen interessiert. Romy lächelte Sascha verlegen an und zog eine Grimasse.

»Danke für deine verbalen Liebesduschen.« Sie war inzwischen wieder in Eile und wollte noch ein paar Vorbereitungen treffen, bevor Maik nach Hause kam.

Sascha blickte in den Himmel und wirkte nachdenklich. »Hey, Süße, sag Bescheid, wenn du Unterstützung brauchst, okay? Dann komme ich nach. Ich habe ja eigentlich auch schon lange keine Lust mehr auf diesen Job.«

Romy versuchte, unauffällig das Thema zu wechseln, denn sie hatte ihr Team für den Auftrag bereits ausgewählt.

»Apropos süß …, was macht denn dein süßer Ben? Ich habe diese Woche noch einen Termin bei ihm.« Saschas Lebensgefährte war Romys Friseur des Vertrauens und einer der wenigen auserwählten Menschen auf diesem Planeten, die an ihren Haaren herumexperimentieren durften.

»Mein zuckersüßer Ben«, setzte Sascha mit sarkastischem Unterton an, »hat im Moment wenig Zeit für mich. Er könnte sich mal wieder mehr um mich kümmern. In den letzten Wochen macht er eine Menge Überstunden.«

»Irgendwie kommt mir das bekannt vor«, stellte Romy fest. »Und was macht mein Ex-Chef?«

»Heitmann? Der will neuerdings immer häufiger mit mir zusammen zum Lunch gehen.«

»Heitmann mit dir? Was hat das denn zu bedeuten? Ist der jetzt bi?«

Sascha warf seinen Kopf in den Nacken und lachte lauthals los. Er öffnete die Benzinklappe und steckte die Zapfpistole in die Öffnung. »Wer weiß, wer weiß .? Vielleicht könnte ich mich ein bisschen hocharbeiten.« Mit seiner herzlich überzogenen Art schwang er demonstrativ seine Hüften hin und her. »Schließlich habe ich nicht nur gute Qualitäten als Architekt und Restaurator. Wo er schon nicht bei dir landen konnte, versucht er es vielleicht jetzt mal mit seinen männlichen Mitarbeitern. Das fällt seiner zickigen Frau wohl weniger auf.«

Wenn es um Heitmanns Frau ging, kamen dunkle Erinnerungen in Romy hoch.

»Auf jeden Fall ist Heitmann sauer auf dich«, verkündete Sascha. »Er meint, du hättest deine Kündigung auf lange Sicht geplant und uns im Stich gelassen.«

Der hat doch ’nen Sprung in der Schüssel.

»Interessant. Woher weißt du das? Äußert er das öffentlich vor den Kollegen?«, hakte sie interessiert nach.

»Nein, seine Frau erzählt es im Büro herum.« Romy quittierte diesen Satz mit einem wütenden Blick und ging innerlich steil.

»Ich fasse es nicht«, gab sie kopfschüttelnd zurück. Sie wartete, bis auch Sascha seinen Wagen vollgetankt hatte, und ging mit ihm gemeinsam zur Kasse.

Romy legte ihre Kreditkarte auf den Tresen. »Einmal die 4 bitte.«

Nachdem sie gezahlt hatten, verließen sie den Verkaufsraum.

Sie klimperte mit dem Autoschlüssel und steuerte ihren Wagen an. »Ich muss jetzt los. Es gibt noch einiges zu tun.«

»Okay, ich wünsche dir alles Gute. Toi, toi, toi für deinen Auftrag. Schick mal ’ne Nachricht zwischendurch. Und wenn mal Not am Mann ist, dann melde dich!«

»Das mache ich. Sobald der erste Totalabsturz auf dem Bau droht.« Romy sah nach oben und fächerte sich unauffällig Luft zu, um eine aufkommende Träne zu unterdrücken, während Sascha seinen Kassenbon ins Portemonnaie stopfte. Wäre sie doch bloß nicht so nah am Wasser gebaut. Furchtbar! Sie umarmten sich vorerst ein letztes Mal. Romy drückte auf die Fernbedienung ihres Autoschlüssels, um zu signalisieren, dass sie jetzt wirklich losmusste.

»Vergiss nicht, deine sexy Gummistiefel einzupacken!«, rief Sascha ihr noch zu und wirbelte dabei mit beiden Händen durch die Luft.

»Definitiv, die gehören zu meiner Grundausstattung. Ohne sie betrete ich niemals eine Baustelle, das weißt du doch.«

Romy setzte sich in ihren Wagen, startete den Motor und bog zügig um die nächste Ecke. Du kennst nur Gas und Bremse, ging es ihr durch den Kopf.Das hatte Maik immer zu ihr gesagt. Wie recht er damit hatte! Es war allerhöchste Zeit für eine Vollbremsung in ihrem Leben, damit sie mit einem Kickdown neu durchstarten konnte. Die Tage wurden kürzer und die Abende frischer. Vorfreude stieg in ihr auf.Sie liebte die gemütliche Atmosphäre, die der nahende Herbst mit sich brachte. Während der Fahrt sprach sie eine Notiz auf ihr Handy: »Gummistiefel! Nicht vergessen!«

Fünfzehn Minuten später parkte sie vor ihrer Wohnung. Maiks Auto stand noch nicht vor der Tür. Das war nicht ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Sie sah noch einmal bewusst auf ihr gemeinsames Klingelschild:

Romy Schuhmacher & Maik Siebert

Das war bald Geschichte. Sie nahm die Post aus dem Briefkasten, schloss die Tür auf und lief die Treppe hinauf. Dass sie das hier alles aufgeben würde, löste ein mulmiges Gefühl in ihr aus. Diese Vertrautheit, die Gewohnheit, all das ließ sie zurück … Aber der Gedanke an die spannenden Zeiten, die jetzt vor ihr lagen, überlagerte die negativen Emotionen. Sie sah auf ihr Handy.

[Maik, 18:44] Komme später. Hab dann schon gegessen.

An seine emotionslosen Nachrichten hatte sie sich im Laufe der Zeit bereits gewöhnt. Romy nahm einen Teller aus der Vitrine, stopfte eine Scheibe Brot in den Toaster und öffnete ohne große Erwartungen den Kühlschrank. Oh Wunder, es gab noch Frischkäse. Sie zupfte draußen auf dem Balkon ein paar Basilikumblätter ab, die sie mit dem Aufstrich vermengte und streute Salz und Pfeffer darüber. Viel Hunger hatte sie nicht in letzter Zeit. Irgendwie war ihr seit längerem der Appetit vergangen. Sie biss nur einige Male von ihrem Brot ab, schob den Teller wieder zur Seite und checkte die Notizen auf ihrem Handy. Sie durfte auf keinen Fall irgendetwas Wichtiges vergessen. Und dann kam sie in ihren Flow. Sie sortierte und mistete aus, befreite sich von Angehäuftem, Belastendem und dem ein oder anderen Vergessenen. Ihr bisheriger Zeitmangel hatte sie immer von diesen Dingen abgehalten. Jetzt war die Gelegenheit. Bevor ihr Mitbewohner zurückkam, sollte das kleine Wohnchaos beseitigt sein. Was sie nicht erwartet hatte, waren die vielen Emotionen, die dabei immer mal wieder hochkamen, die sie jedoch kurz darauf wieder im Sande verlaufen ließ. Es lohnte sich nicht, an der Vergangenheit festzuhalten. Das neue Zauberwort in ihrem Leben hieß Zukunft! Wenig später stand sie gedankenverloren vor ihrer Wäscheschublade im Schlafzimmer. Zögerlich zog sie sie auf und nahm eine in Seidenpapier verpackte Dessous-Kombination heraus, die seit dem Kauf noch nicht geöffnet worden war. Romy hatte bei ihrem letzten Städtetrip mit Maik in London ein exorbitant teures Wäschegeschäft aufgesucht. Es hatte ein Wink mit dem Zaunpfahl sein sollen, damit er endlich mal wieder von seinem Bildschirm loskam. Auf die Frage, ob er rot oder grün bevorzuge, hatte er geantwortet, rot stehe für die Liebe und grün für die Hoffnung. Daraufhin war ihre Wahl auf das grüne Dessous gefallen, denn die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Sie hätte es sich sparen können …

Sie packte all ihre Wäschestücke in die übergroße Reisetasche, die sie unauffällig in ihrem Kleiderschrank platziert hatte, und ließ die kleine Erinnerung aus England bewusst in der Schublade liegen. Ihr Telefon klingelte und Romy nahm das Gespräch entgegen.

»Hi, Laura, schön, dass du anrufst.«

»Hi, Romy. Ich wollte nur kurz fragen, wie es dir geht. Bist du schon in den Vorbereitungen?«

»Ja, ich packe gerade ein paar Sachen zusammen. Das wird echt noch eine emotionale Achterbahnfahrt, bis ich hier am Sonntag die Wohnung verlasse. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben gerade an die Wand fahre. Irgendwie war das alles anders geplant.«

»Hey, glaub mir«, sagte ihre beste Freundin mitfühlend, »irgendwann machen Tage wie diese einen Sinn! Früher oder später macht das Leben eh, was es will. Zwanzigzwanzig wird dein Jahr, das hast du immer gesagt.«

Romy seufzte und verließ das Wohnzimmer in Richtung Flur. »Ich hoffe, dass ich mich eines Tages an deine Worte erinnern werde.« Sie nahm ein Bild ihrer Eltern von der Kommode neben der Eingangstür und rückte die übrigen Rahmen näher zusammen, so dass die Lücke nicht gleich auffiel.

»Wann kommst du denn am Sonntag zu mir?«, wollte Laura wissen.

Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, verstaute Romy das Foto inklusive einer übergroßen Packung Papiertaschentücher in ihrer Handtasche.

»Ich werde gegen Mittag bei dir sein. Danke, dass ich die Kartons bei dir unterstellen kann.«

»Okay. Hast du deinen Wohnsitz schon zu mir verlegt?«

»Ja, und den Nachsendeauftrag für die Post habe ich auch verschickt.«

»Perfekt. Wenn du noch Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da.«

»Ich danke dir.«

»Schlaf gut.«

»Du auch.«

Romy legte ihr Handy zur Seite und starrte an die Küchenwand. Sie hatte in der Vergangenheit immer mal wieder ein paar Postkarten mit Sprüchen an die Wände gehängt, die Maik einen kleinen Hinweis hatten geben sollen. Gebracht hatte es nichts. Sie wusste nicht einmal, ob er sie jemals gelesen hatte. Sie ließ alle Karten hängen bis auf eine. Es war ihre Lieblingskarte und sagte alles in einem Wort:

SCHMÖSCHTEDASALLESNISCHT!

Minuten später sank sie bettreif in die Laken. Maik kam erst nach Mitternacht nach Hause.

Noch vier Mal schlafen.

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