Читать книгу farbenblind - Jessica Barc - Страница 14
ОглавлениеKapitel 7
20 Sekunden Mut
Gegen 13:00 Uhr kam Romy zurück in ihre Wohnung, warf ihre Jacke aufs Sofa und setzte sich an ihr Klavier. Sie spielte und sang ihr erstes selbst komponiertes Lied, so wie es ihr der Professor nahegelegt hatte.
Es war dir immer egal,
Wenn ich dich angesehen hab.
Ich hab dich Hunderte Mal
Nach einer Lösung gefragt.
»Stell dich nicht so an!«,
Hast du immer nur gesagt.
Doch jetzt bin ich nicht mehr bereit,
Denn es ist meine Zeit,
Die ich am Ende
Nur noch verschwende.
Kitsch, lass nach!, dachte sie und ging in die Küche. Sie zupfte ein Taschentuch aus der Box auf der Fensterbank und trocknete die aufkommenden Tränen. Der Kühlschrank gab kaum noch etwas her. Maiks Nudeln mit Ketchup vertrockneten einsam im unteren Gemüsefach. Ein paar Tomaten und ein bisschen Mozzarella waren der letzte Lichtblick. Sie nahm ihr schärfstes Messer zur Hand und ließ es frontal in die knallrote, pralle Tomate gleiten.
»Mitten ins Herz! Welch Schmerz!«, hauchte sie theatralisch. Dann machte sie sich einen leckeren Salat daraus und zupfte wie üblich ein paar Kräuter vom Balkon. Mit einem wehmütigen Blick sah sie auf ihr jahrelang gezüchtetes Grünzeug, auf das sie immer stolz gewesen war. Sie hatte wirklich keinen grünen Daumen, aber für ein paar Pflänzchen dieser Art reichte es.
»Die beste Zeit habt ihr jetzt hinter euch«, murmelte sie und ließ noch einen großzügigen Schluck Wasser über ihr Kraut laufen. Im Flur warf sie noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und genoss ihr neues Äußeres. Alles saß perfekt. Maik könnte jeden Moment nach Hause kommen. Nervös trottete sie in der Wohnung umher. Gleich würde er hier sein. Sie ging gedanklich immer wieder das Gespräch durch. Ganz ruhig wollte sie bleiben und ihm alles erklären. Nur das Nötigste, alles andere stand in ihrem Abschiedsbrief.Keinen Streit, keine Vorwürfe. Sie wollte keine Nervosität zeigen und vor allem keine Tränen. Na, da habe ich mir ja was vorgenommen …
Sie hörte Schritte im Hausflur und spürte ein leichtes Stechen im Hals. Ihr Puls schlug schon den ganzen Tag schneller als üblich, aber jetzt legte er noch eins drauf. Der Schlüssel drehte sich im Schloss, Maik betrat die Wohnung. Die Tür fiel zu und die Spannung stieg.
»Ich bin wieder da.«
»Hi«, antwortete sie knapp und ihr Atem stockte. Kurz blieb er im Türrahmen des Wohnzimmers stehen, nur um nach einigen Sekunden auf sie zuzukommen und sie zu umarmen. Was ist das denn? Das hat er seit Monaten nicht getan. Warum macht er das ausgerechnet heute? Romy rührte sich kaum und spürte, wie versteinert sie war. Sein Geruch war ihr so vertraut.
»Was ist los?«, fragte er und musterte sie einmal von oben bis unten.
»Nichts.«
»Nichts? Irgendwas ist doch.«
Ihre Augen wurden feucht, jetzt schon. So ein Mist! Genau das war es, was sie hatte vermeiden wollen. Aber sie hatte keine Chance. Romy versuchte unauffällig, mit dem Ärmel ihres Kleides die ersten Tränen aufzuhalten, bevor sie über ihre Wange flossen.
»Hey, Romy … Was ist passiert?«
Sie zitterte am ganzen Körper und tausend Dinge gingen ihr durch den Kopf.
War das alles nur ein Film, den ich in den letzten Wochen vor mir abgespult habe? Es ist zu spät. Du hast dich gegen diese Beziehung entschieden. Zieh das jetzt durch! Lieber ein Ende mit Schrecken als …
»Ich muss dir was sagen«, begann sie schwach. »Du weißt, dass ich dich liebe, ohne Scheiß.«
Er zog sie an der Hand mit sich aufs Sofa, doch sie löste sich wieder von ihm und ging in die Küche, um sich ein paar Taschentücher zu holen. Dann kam sie zurück zu ihm. Ihre Knie bebten.
»Maik, ich …« Ihre Stimme versagte. Jetzt war der Moment gekommen.
»Du siehst gut aus. Warst du beim Friseur?«, fragte er unerwartet und sie nickte nur mechanisch. Blitzmerker!
»Ja, danke.« Das erste Kompliment seit Jahren. Er legte seine Hand unter ihr Kinn und blickte ihr tief und ernst in die Augen. Sein plötzliches Interesse war geheuchelt. Dafür hatte sie ein Gespür.
»Sag mir bitte, was los ist!«
Romy schwieg und er sah in Richtung Flur. In der ganzen Aufregung hatte sie vergessen, die beiden Umzugskisten ins Auto zu räumen, die sie am nächsten Tag zu Laura bringen wollte. Als Maik Romy wieder ansah, erkannte sie an seinen Augen, dass es in seinem Kopf klick gemacht hatte.
Warum ist er heute so anders als sonst? Ich wollte mich doch von einem Arschloch trennen.
»Weißt du, warum ich nachts nicht mehr schlafen kann? Warum ich wegsehe, wenn sich andere küssen?«
Maik erstarrte und wandte den Kopf zur Seite. »Du machst … du …« Er unterbrach sich selbst und hielt plötzlich inne.
Sprich es aus!
»Machst du Schluss?«, hakte er vorsichtig nach und auch er hatte jetzt feuchte Augen. Er räusperte sich. In all den Jahren hatte Romy ihn noch nicht weinen sehen. Immer schön stark sein als Mann. So ein Scheiß! Sie nickte. Er drehte sich von ihr weg und atmete schwer durch.
»Maik, ich … ich habe lange darüber nachgedacht.«
»Gibt es einen anderen Mann?«
»Nein!«
»Aber was ist es dann?«
»Maik, ich möchte so nicht mehr weiterleben. Du siehst mich einfach nicht mehr. Wir haben keine Gemeinsamkeiten mehr. Wir leben völlig aneinander vorbei.«
Sie sahen sich in die Augen, wie sie es schon ewig nicht mehr getan hatten.
»Das kann doch nicht wahr sein! Du gibst uns nach all den Jahren einfach so auf?«
Sie fühlte sich erbärmlich, brachte für einen Moment lang kein Wort mehr heraus und ihr ganzer Körper zog sich zusammen. Maik stand auf. Mit ordentlich Zündstoff im Blut wurde er wieder einmal laut.
»Ich fasse es nicht! Wir wollten Kinder, wollten Familie. Was sagen denn deine Eltern dazu?« Wie ein Löwe in seinem Käfig lief er im Raum auf und ab.
»Was hat das denn mit meinen Eltern zu tun? Ich entscheide immer noch selbst, mit wem ich mein Leben verbringe. Und Kinder? Das ist doch schon seit Jahren kein Thema mehr. Vor allem muss man für Kinder ab und zu auch mal miteinander schlafen«, platzte es unkontrolliert aus ihr heraus. Sein Blick verdunkelte sich. Er drehte sich weg, dann wieder um und sah sie wütend an. Eine Hand fuhr durch seine Haare und im Anschluss über seinen Mund.
»Meine Eltern wissen schon lange, dass ich unglücklich in unserer Beziehung bin«, fuhr sie fort.
»Ach ja? Davon habe ich aber im Urlaub nicht viel gemerkt. Dein Vater hat mir nochmal gesagt, wie sehr er sich wünschen würde, bald Großvater zu werden.«
Widerstand regte sich in ihr. Ich glaub’s nicht! Typisch mein Vater.
»Maik, ich bitte dich. Mit Kindern kann man doch keine Beziehung retten, ganz im Gegenteil!«
»Beziehung retten? Vielleicht wäre es mal schön gewesen, wenn du dich eher zu Wort gemeldet hättest. Und nicht erst, wenn du deine Umzugskartons bereits im Flur gestapelt hast.« Zornig und laut war er oft gewesen in letzter Zeit, aber so wie jetzt hatte sie ihn selten erlebt.
»Das ist doch jetzt total unfair! Wie oft habe ich versucht, mit dir zu reden? Vielleicht erinnerst du dich an unseren letzten Urlaubstag, als du mich wie immer abgelehnt hast, weil du angeblich meine Nähe zurzeit nicht erträgst. Dabei geht das doch schon seit Jahren so. Jedes Mal hattest du eine Ausrede. Aber gut, vielleicht ist das nach so einer langen Zeit normal. Vielleicht habe ich einfach nur eine falsche Vorstellung von einer intakten Beziehung.« Ihr Ton wurde zynisch und sie vermied es, ihn dabei anzusehen. »Wir sprechen schon seit langem nicht mehr dieselbe Sprache«, setzte sie leise nach und versuchte sich zu beruhigen. Einatmen, ausatmen. Das letzte Gespräch mit Professor Buchenbach ging ihr durch den Kopf. Bleib stark!
»Maik, ich möchte mich nicht mit dir streiten. Ich möchte nur, dass du verstehst, dass ich diese Beziehung so nicht mehr will. Das solltest du akzeptieren. Wir haben nur noch gearbeitet, uns abends kaum gesehen, geschweige denn große Gespräche geführt. Du hast kein Interesse an meinem Leben, weder an meiner Musik noch an meinem Job.«
Maik starrte auf die Fensterbank, auf der all ihre gemeinsamen Fotos aus besseren Tagen standen. »Und wo willst du jetzt hin?«, fragte er trocken. »Zu Caro, zu Laura oder zu deinen Eltern?«
»Ich gehe nach Österreich.«
»Nach Österreich?« Maik belächelte sie, so wie er es in letzter Zeit meistens getan hatte. Wie ich das an ihm hasse!
»Ich habe bei Heitmann & Partner gekündigt und mich selbstständig gemacht. Jetzt habe ich einen ersten eigenen Auftrag und werde für ein halbes Jahr dort hinziehen.«
»Du hast dich selbstständig gemacht? Einen Auftrag? Was denn für einen Auftrag? Ich glaub’s nicht! Und das hast du alles hinter meinem Rücken geplant?« Sie tobte innerlich vor Wut, schwieg aber. »Du lässt mich hier einfach im Regen stehen und planst fröhlich dein neues Leben.«
Sie versuchte verzweifelt, mit dem vollgesogenen Papiertaschentuch in ihrer Hand noch ein paar Tränen aufzufangen und sich zusammenzureißen.
»Ich fasse mich kurz«, presste sie hervor. »Du hast schon genug von meiner Zeit gestohlen. Du tust mir nicht gut. Egal was du tust, du denkst immer nur an dich. Ich erkenne dich nicht wieder. Ich dachte, es sei für immer, aber alles hat einmal ein Ende.«
Seine Augen zogen sich verärgert zusammen. Einen Moment lang hielt er inne, ehe er im Flur verschwand. Romy sah, wie er zu seinen Schlüsseln griff, dann verließ er die Wohnung. Ein paar Schritte im Treppenhaus waren noch zu hören. Stille. Romy saß zitternd auf ihrem Sofa. Der letzte Vorhang war gefallen! Im selben Augenblick konnte sie förmlich hören, wie ihr Herz zerbrach. Sie hatte gerade sechzehn gemeinsame Jahre beendet. Romy stand auf, ging in die Küche ans Balkonfenster, das zur Straße zeigte, und sah mit verschwommenen Augen, wie Maik mit seinem Auto davonfuhr.