Читать книгу Für immer beste Freunde - Jim Bradford - Страница 8

Оглавление

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1
EINE TASSE KAFFEE FÜR 25 CENT

Ich heiße Jim Bradford. Ich bin als mittleres von drei Kindern mitten auf dem Land im Norden Alabamas aufgewachsen. Niemals in meinen wildesten Träumen hätte ich mir ausgemalt, wie viel Segen ich in den 90er-Jahren erleben würde. Meine Frau Brenda und ich waren seit 35 Jahren verheiratet und stolze Eltern von zwei wunderbaren, gesunden Töchtern, Bridget und Julie. Ich war dankbar für meine – auch in finanzieller Hinsicht – erfolgreiche Vertriebskarriere in der Textilindustrie. Als dann die Mädchen zu unabhängigen jungen Frauen geworden waren und das Nest verließen, freuten Brenda und ich uns darauf, zu reisen und all das anzugehen, was wir nun seit Jahren aufgeschoben hatten. Rückblickend kann man sagen, dass wir unsere Idealvorstellung von einem erfolgreichen Leben erreicht hatten. Wir konnten uns beinahe alle materiellen Wünsche erfüllen und dachten ernsthaft über den Ruhestand nach.

Wegen einer Versetzung innerhalb der Firma waren wir 1975 aus Montgomery in Alabama nach Williamson County im Bundesstaat Tennessee gezogen. Williamson County taucht regelmäßig unter den wohlhabendsten Landkreisen der USA auf und gehört zu den am schnellsten wachsenden Vorortregionen. Vor allem im Norden, wo der Landkreis an den Großraum Nashville grenzt, sind große Pferde- und Rinderfarmen inzwischen bewachten Luxussiedlungen für Pendler, mehrstöckigen Bürogebäuden und ausladenden Einkaufszentren gewichen.

Unser Bungalow im Farmhaus-Stil mit Rotklinkerfassade und vier Schlafzimmern liegt in Brentwood, einem netten Pendlerstädtchen, 17 Kilometer von der Innenstadt Nashvilles entfernt. Dieses schattige, viertausend Quadratmeter große Grundstück gehörte vorher über mehrere Generationen zur Rinderfarm einer Familie, deren Geschichte bis zum Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert zurückreichte. Als wir dorthin zogen, stand weit oben auf meiner wöchentlichen Prioritätenliste, meinen restaurierten Oldtimer, einen Chevrolet Bel Air, Baujahr 1955, in Schuss zu halten – zusammen mit der Pflege des Gartens und unseres makellosen Rasens. Der Eigentümerverband kürte zwischen Mai und September jede Woche einen Garten zum schönsten der Region und mindestens einmal pro Sommer fand das Siegerschild seinen Weg auf unseren Rasen.

Wir hatten viel zu tun, aber nahmen uns Zeit, einmal pro Woche mit langjährigen Freunden Tennis zu spielen. Der Tennis- und Schwimmverein befand sich nur zwei Straßen weiter und zog uns als Familie jeden Sommer magnetisch an. In unserer Siedlung herrschte an den meisten Tagen praktisch keinerlei Verkehr, sodass Spaziergänger, Jogger, Fahrradfahrer und Mütter mit Kinderwagen die ganze Straße für sich allein hatten. Alle Hunde waren angeleint. In unserem idyllischen Vorort ohne Kriminalität hätte sich jeder Hilfssheriff wohlgefühlt.

Unser Lebensstil war schlicht und in keiner Weise ausschweifend. Wir fuhren ältere, gut gepflegte Autos. Unser Alltag drehte sich um die Gemeinde, wo man uns, wie so oft in den Südstaaten, mindestens dreimal pro Woche antraf, bei besonderen Anlässen auch häufiger. Ich hielt mich in jeglicher Hinsicht für völlig gewöhnlich, nicht besser und nicht schlechter als unsere Freunde und Nachbarn. Aber zweifellos hatte Gott unsere Familie reich gesegnet.

Mit sieben Grad Celsius war der 16. Oktober 1999 in meiner kleinen Ecke vom Paradies ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich kühler Samstag. Vermutlich sehnte ich mich deswegen an diesem Morgen plötzlich nach einer heißen Tasse Kaffee. Normalerweise begrenze ich meine tägliche Koffeinzufuhr auf eine Tasse und dieses Maß hatte ich dank »Goldenem M« bereits erreicht. Aber heute war es anders, heute brauchte ich mehr.

Unser morgendliches Tennismatch war zu Ende und meine Gedanken schweiften zur langen Liste meiner samstäglichen Pflichten. Daher verabschiedete ich mich rasch von meinen Tennispartnern. Ohne nachzudenken, nahm ich den zeit- und streckenmäßig längsten Rückweg nach Brentwood. Ich fuhr langsam und betrachtete die charmanten, alten Anwesen entlang des Tyne Boulevard. Mein gemütliches Tempo und die charakteristische Radiostimme von Moderator Garrison Keillor verstärkten mein Verlangen nach Kaffee und so bog ich südlich in die Hillsboro Street ein. Starbucks erschien als blinkende Vision vor meinem inneren Auge.

Ich fuhr weitere fünf Kilometer und bog wie immer nach Osten in den Old Hickory Boulevard ein. An der Kreuzung Franklin Road war die Entscheidung eigentlich klar: rechts abbiegen, anderthalb Kilometer zum Starbucks fahren und zwei Dollar für eine Tasse Kaffee zahlen. Seltsamerweise bog ich spontan und ohne nachzudenken nach links ab und fuhr einen kurzen Weg über eine schmale Eisenbahnbrücke zu einer kleinen Imbissstube am Stadtrand von Brentwood. Bei Mrs Winner’s Chicken & Biscuits gab es vor allem frittiertes Hühnerfleisch, aber man konnte hier auch frühstücken. Ich hatte dort schon ein, zwei Mal etwas gegessen, kann mich aber nicht daran erinnern, dass ich jemals nur für einen Kaffee dorthin gefahren wäre.

Auf den kleinen Parkplatz passten nur wenige Autos, aber glücklicherweise fand ich einen Platz direkt gegenüber vom Eingang. Ich zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und huschte eilig nach drinnen in die Wärme, denn ein unablässiger Nordwind sorgte an diesem wolkenverhangenen Tag dafür, dass die gefühlte Temperatur noch niedriger war.

Zu meiner Überraschung war ich an diesem Samstagmorgen der einzige Gast, der sich etwas zum Mitnehmen holte. Als ich auf die Kassiererin zulief, fiel mir ein kleiner Junge auf, der allein an einem Fenstertisch saß. Ich wandte den Blick von ihm ab und konzentrierte mich auf meine Bestellung. Eine bunte Speisekarte hing hinter der Theke. Ein weiteres Schild über dem Eistee-Spender verkündete: »Maxwell-House-Kaffee hier! Lecker bis zum letzten Tropfen.«

»Ich hätte gerne eine Tasse Kaffee«, sagte ich.

»Sind Sie über 55?«, war die Antwort.

Eine reichlich merkwürdige Frage, dachte ich. Ich möchte schließlich keinen Alkohol kaufen, für den ich auf Volljährigkeit überprüft werden müsste. Dann erinnerte ich mich an Brendas häufige Bemerkungen, dass ich ein Hörgerät bräuchte, und fragte mich, ob ich sie richtig verstanden hatte. Etwas verwundert drehte ich mich um und sah nach, ob sie womöglich mit einer Person hinter mir gesprochen hatte. Aber ich war tatsächlich der einzige Kunde in der ansonsten leeren Imbissstube und sagte kleinlaut: »Ja.«

Die Bedienung, ein kleine, untersetzte Dame in meinem Alter mit kurzem, grauem Haar, erklärte mir, dass ich ab einem Alter von 55 Jahren laut Restaurantordnung zu den Senioren zähle. Die Zugehörigkeit zu diesem nicht allzu exklusiven Verein berechtige mich, so erläuterte sie mir, eine Tasse Kaffee für 25 Cent zu erwerben – plus Umsatzsteuer also satte 27 Cent! Ich erwog kurz, meine Zugehörigkeit doch zu leugnen, um mir mein jugendliches Selbstbild nicht zu zerstören, entschied dann aber, dass es an der Zeit wäre, nicht länger mit einer Illusion zu leben. Ich bedankte mich bei ihr und bezahlte meine erste Tasse Seniorenkaffee.

Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und heißen Buttermilchbrötchen wehte durch die Imbissstube. Als ich mich umwandte und gehen wollte, blieb mein Blick erneut an der kleinen Silhouette hängen, die ich vor zwei Minuten flüchtig wahrgenommen hatte. Von hier aus konnte ich deutlich erkennen, dass es sich um einen kleinen Jungen handelte. Er aß nichts. Beim näheren Hinsehen erkannte ich, dass sein Kopf auf einem schwarzen Plastikradio mit silbernen Knöpfen und kaputter Antenne ruhte. Drei Streifen Klebeband hielten das Batteriefach an seinem Platz. Neugierig betrachtete ich die langen, weißen Plastikschienen an seinen Beinen. Selbst aus der Distanz konnte ich erkennen, dass dieser Junge Probleme hatte.

Für immer beste Freunde

Подняться наверх