Читать книгу Theologie neu denken - Joachim Pennig - Страница 28
Hören
ОглавлениеAls Kommunikationstrainer habe ich gelernt, dass am Anfang jeder Zukunft das Hören steht. Hier sehe ich einen großen Nachholbedarf in unserer Kirche. Doch Hören will gelernt sein und das wird nur selten vermittelt. Wo immer auch in Pfarrkonferenzen ich das angemahnt habe bin ich milde belächelt worden. „Wir können das schon!“ Mein durch viele Trainerstunden geschultes Ohr konnte aber wahrnehmen, dass kaum jemand hörte, aber viele sprachen. Ist nicht verwunderlich, denn das Hören wird nicht
gelehrt und kann deshalb nur mühsam gelernt werden. Es gibt kein Schulfach „Hören lernen“, aber wir werden geschult im Argumentieren und Referate halten. Es gibt keine Vorlesung in der Theologie „Hören lernen“, am ehesten noch in einer KSA-Ausbildung. Aber auch dort wird es nur „gelehrt“, nicht systematisch trainiert. Weil die meisten Menschen, auch SupervisorInnen davon ausgehen, dass jede*r das Hören schon kann. Ich gebe zu, dass auch ich das erst begriffen habe, als ich die Ausbildung zum Kommunikationstrainer gemacht habe, - die KSA-Ausbildung war da leider nur ein kleiner Schritt, - wie kompliziert und aufwändig das Hören erst noch zu lernen ist. Durch Training! Es geht nicht anders, da bin ich sehr sicher mittlerweile.
Hier würde für mich die Erneuerung der Kirche beginnen, dass wir Hörende werden. Ich wäre gern bereit im Predigerseminar oder Pastoralkolleg Kurse anzubieten, die das Hören trainieren. Nicht nur für Pfarrer*innen wäre das gut, sondern auch für alle Gemeindeglieder, nicht nur für die Gemeinden, sondern auch für die Kirchenleitungen. Hören als Kirche hat dabei zwei Richtungen mit einer Priorität, und macht deutlich, warum der Mensch von Gott mit zwei Ohren ausgestattet wurde. Das eine Ohr an Gott (Priorität 1), das andere Ohr an der Welt. Erst wenn wir dieses Hören gelernt hätten könnten andere Schritte folgen. Hören ist dabei ein mühsames Geschäft, weil es verlangt, dass alle eigenen Gedanken und Weisheiten zugunsten des Gesagten zurückstehen, damit das Hören nicht gleich von den eigenen Positionen überlagert wird. Hören ist Nächstenliebe pur, weil die Wahrnehmung des Gegenüber die absolute Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. Theologisch ist das entsprechend der Menschwerdung Gottes. Gott beugt sich ganz zum Menschen hinunter, verzichtet auf alles Eigene um sich hineinzubegeben in die Liebe zum Geschöpf. Er wird ganz Hörender, Mensch, lernendes Kind, aufmerksam still den Engeln der Weihnachtsherrlichkeit lauschend.
Hören hat einen wesentlichen Effekt: Es führt zum Verstehen. Es IST noch kein Verstehen, aber es FÜHRT dazu. Oft erlebe ich es, dass mir jemand scheinbar zuhört und dann sagt: „Ich verstehe!“ Das habe ich zum letzten Mal als Lehrvikar zu einer alten Dame gesagt, nachdem sie mir aus ihrem Leben erzählt hatte. Auf mein einfühlsam gemeintes „ich versteh“ hin brüllte sie mich an: „Sie verstehen gar nichts, das können Sie nämlich gar nicht. Ich habe Ihnen ja nur einen ganz kleinen Ausschnitt erzählt!“ Das hat mich nie wieder losgelassen und die alte Dame hatte recht! Verstehen ist noch etwas ganz anderes als Hören. Ich bin ihr heute noch dankbar für diese Intervention, denn vermutlich hat auch das dazu geführt, dass ich die Ausbildung zum Kommunikationstrainer noch gemacht habe.
Hören ist zunächst einmal das Wahrnehmen dessen, was ein Gegenüber mir an der Oberfläche mitteilt. Und auch da geht es zunächst einmal darum sicher zu stellen, dass ich das Richtige höre. Denn schon das ist nicht ganz einfach. Beispiel: Sagt mein Gegenüber Nikolaus, so habe ich sofort ein Bild vom Nikolaus im Kopf, das aber nur mit sehr sehr viel Glück und Unwahrscheinlichkeit das gleiche Bild ist wie mein Gegenüber es hat, wenn er „Nikolaus" sagt. Das macht vielleicht auf schlichte Weise deutlich, welch komplizierter Vorgang im Hören versteckt liegt und zu entschlüsseln ist. Sprechen wir aber von zwei verschiedenen Nikolausbildern weiter, kann am Ende nur ein Miss-Verständnis stehen. Wir reden nämlich nicht von der gleichen Sache.
Das Geheimnis ist, dass theoretisches Wissen nichts bringt um Hören zu lernen. Es bedarf eines Trainings. Denn niemand kann sich selbst aus dem Sumpf ziehen, wie wir seit Münchhausen wissen. Nur diese Erkenntnis ist bei den meisten Menschen noch nicht angekommen, so einfach sie ist.
Auch die Liebe beginnt mit dem Hören, nicht mit dem Sprechen. Denn Hören heißt wahr zunehmen, wie ein Mensch von Gott geschaffen ist. Wörtlich also: Die göttliche Wahrheit im Anderen zu ent-decken. Der Hauch, mit dem Gott uns das Leben gegeben hat, ist der Schlüssel dazu, denn aus ihm werden die Worte gebildet, auf die wir hören können. Der Hauch, die Näfäsch, die Seele teilt sich im Wort mit. Und Kirche des Wortes zu sein heißt nicht in erster Linie zu predigen, sondern zuerst auf das Wort zu hören. Die Umkehr dieser Reihenfolge führt zum Streit, denn Streit ist, wenn zwei nur sprechen und nicht mehr hören.