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10. Kapitel: Klar zum Ankerlichten

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Inhaltsverzeichnis

Man teilt das Schiffspersonal in zwei Parteien ein: Die vor dem Mast, das sind Matrosen, Leichtmatrosen, Schiffsjungen, und die achtern Mast, das sind Kapitän und Steuerleute. Der Koch, der midships haust, nimmt dementsprechend eigentlich eine Mittelstellung ein, die er aber gewöhnlich nicht lange behaupten kann. Unser Koch stand entschieden auf der Seite derer achter dem Mast und begünstigte diese im Kochen auf unsere Kosten. So waren wir schlecht auf ihn zu sprechen. Täglich gab es Reibereien mit ihm. Er war aber auch ein ungewöhnlicher Schmutzfink. Nie war der Kaffee rechtzeitig fertig, und außer Reis mit Sirup wußte der Koch kein anderes Gericht mehr herzustellen, das nur einigermaßen genießbar war.

Wir ersannen dann auch immer neue Rachepläne und überschütteten ihn mit gottlosen Flüchen. Besonders Jahn hatte es auf ihn abgesehen. Er pflegte beim Essen von gebratenem Geflügel – seinem Lieblingsgericht – zu erzählen und zog dabei höchst komische Sehnsuchtsgrimassen. Dann lief er gewöhnlich mit einem Teller nach der Küche und schimpfte über den »Fraß«, den man ihm wieder vorgesetzt habe, oder gab den Anlaß zu irgendeiner gegen den Koch gerichteten Schandtat.

Einmal wurde der Sonntagspudding, weil er zäh wie Leder war, dem Koch heimlich in die Matratze eingenäht. Dann wieder wurden über Nacht die steinharten Mehlklöße an die Tür der Kombüse genagelt. Über Nacht, wenn der Koch schlief, geschah immer etwas. Da wurde ein Schöpflöffel oder der Küchenschlüssel über Bord geworfen. Wie freuten wir uns, daß der Koch raste, als er eines Morgens den äußersten Ring vom Herd vermißte, so daß kein Topf mehr aufzusetzen war! Ein andermal erzählte Napoleon früh mit seinem verschmitzten Lächeln: »Le pain est parti.« Hermann, der das Brot mit mir in der Nacht vorher gestohlen hatte, sagte ganz ernsthaft: »Ja, die Ratten, die Ratten!«

Napoleon lief daraufhin zum Koch, und wir hörten mit Vergnügen, wie dieser wegen der Fopperei außer sich geriet.

Unser Logis wurde immer lebendiger. Ameisen hatten sich jetzt eingestellt und krochen zu Tausenden in den Kojen und im Biskuit umher. Einmal glaubte ich, einen Kakerlak am Halse zu spüren, und als ich das Tier mit der Hand abschlug, sah ich, daß es ein Skorpion war. Es regnete jetzt viel. Wir benutzten das, um unsere Wassertanks aufzufüllen.

Steuermann war mitunter etwas freundlicher, aber im großen und ganzen verkehrte er doch nur »schlagweise« mit mir. Die neunschwänzige Katze, von der ich früher so viel gelesen, lernte ich damals in allen Variationen kennen. Ich verzweifelte manchmal an allem und grübelte viel über Vergangenheit, Zukunft und das Schicksal nach, das mich in meinen Erwartungen so getäuscht hatte.

Es gab freilich auch schöne Momente. Wenn wir Seeleute in prachtvollen Nächten und erquickender Luft an Deck saßen und gemeinsam alte Volkslieder sangen, die in einfachen Worten von der Heimat, einer Geliebten oder Seemannserlebnissen erzählten, dann waren das herrliche Stunden, bei denen meine Erinnerung gern verweilt. Der freie Blick über das weite Meer, die vom Himmel sich abhebende Silhouette des Festlandes oder der vorgelagerten Inselgruppen haben sich mir fest eingeprägt.

»In einem Städtchen in einem tiefen Tale –.«

»Wie die Blümlein leise zittern –.«

»Ich bete an die Macht der Liebe –.«

»Leise und auf sanften Wogen – – –.«

Paul und ich sangen auch bisweilen französische Lieder, wie »Elle s'appelle Clara – –« oder die Marseillaise.

Ich vertraute in dieser Zeit meinem Tagebuch, daß ich mir das Priemen angewöhnt, sowie, daß ich eines Nachts in strömendem Regen an Deck geschlafen und gar nicht gemerkt hatte, wie ich durch und durch eingeweicht war.

August machte sich jetzt das Vergnügen, mir Instruktionsstunde zu geben. Ich mußte ihm die Reihenfolge der Kompaßstriche hersagen, Taue verknüpfen und dergleichen. »Mensch, du willst das Einjährige haben?« sagte er, als ich einen seemännischen Knoten falsch machte, »du bist ja so dumm, so dumm, so dumm wie das grüne Gras!« Auch Lieschen, wie Hermann wegen seiner schmächtigen Gestalt genannt wurde, mußte am Unterricht teilnehmen und erhielt eine ähnliche Kritik. August besang ihn:

Pupp und Spinne ging in Wald,

Da wurden der Pupp die Beine kalt.

Eines Abends fragte mich August plötzlich, ob ich mit ihm von Bord fliehen wolle, da er die Wirtschaft auf der »Elli« satt habe. Er war am Morgen wieder stark betrunken von Land zurückgekehrt und hatte uns anderen auch eine Flasche Schnaps mitgebracht, die wir zum Kaffee rund gehen ließen. Natürlich war ich von seinem Vorschlag ganz begeistert. Es gelang mir, einen Neger für unsere Sache zu gewinnen, der uns in der Nacht halb elf Uhr mit einem Boot am Bug erwarten sollte. Der Kerl hielt aber nicht Wort, und August wußte am nächsten Tage von der ganzen Verabredung nichts mehr.

Zu Mittag wurde erzählt, daß zwei portugiesische Matrosen von einem nicht weit von uns liegenden Norweger entlaufen seien.

Eine alte Konservenbüchse vertrat bei uns die Stelle eines Salzfasses. Da hinein hatte sich ein Skorpion verirrt. Ich berührte ihn mit einer Gabel am Kopf, worauf er sofort wütend mit dem Stachel um sich schlug. Irgend jemand warf das Tier über Bord.

Steuermann war ein paar Tage etwas milder gestimmt. Er gab mir sogar 25 Cents zu einem neuen Messer, das mir der Koch kaufen sollte, und meinte, der Alte würde vielleicht meine Flucht als einen Dummenjungenstreich hinnehmen. Dann schlug er mich und Hermann wieder, weil wir nicht seinem Befehl gemäß bis acht Uhr an Deck gewesen waren, obgleich wir die Ausrede gebrauchten, wir hätten Kartoffeln sortiert. Die lagen im Zwischendeck in einem Verschlag. Wir mußten öfters die gesunden auslesen. Die meisten waren schon verfault und voller Maden. Es stank schauderhaft da unten.

Mein mexikanisches Schiff hatte die Flagge auf Halbmast gesetzt. Ich konnte nicht erfahren, weshalb. Willy hatte ein ganz junges Krokodil in der Größe eines Herings für 5 Cents an Land erstanden und verkaufte es für 25 Cents an Steuermann. Dieser setzte das Tier in einen Waschkübel auf ein Stück Kohle, nachdem er ihm die Füße vorher mit Segelgarn umwickelte, damit es nicht fortlaufen konnte.

Vor diesem merkwürdigen Terrarium stand der Kapitän oft stundenlang und stocherte in kindlicher Freude mit einem Knüppel darin herum.

Auf Nachricht von zu Hause wartete ich vergeblich, und ich nahm zuletzt an, daß man über meine sehr kurzen und schmierigen Briefe verstimmt sei. Es kostete mich selbst aber große Überwindung, nach der Arbeit noch Briefe zu schreiben. Ich hatte an meinem Tagebuch schon genug. Es mangelte auch an Papier.

Keiner von uns las eine Zeitung. Wir wußten und hörten nur Unbestimmtes über den Burenkrieg.

Am Sonntag war der Alte mit dem Steuermann an Land gefahren. Der griesgrämige Bootsmann und August waren in die Kajüte hinuntergegangen und hatten sich dort, wie wir später erfuhren, einer ganzen Korbflasche voll Rum bemächtigt. Napoleon, der unten aufzupassen hatte, bedrohten sie mit einem Stück Tau. Abends kamen beide wieder zum Vorschein –, stockbetrunken. Die zwei alten Knackse hielten sich umschlungen und torkelten – deutsche und englische Matrosenlieder singend – ins Logis, wo sie alles schauderhaft beschmutzten. Von den Matrosen war nur noch Paul an Bord. Der schlief, Hermann und ich beobachteten die Trunkenbolde von unseren Kojen aus. Sie rauchten merkwürdig gute Zigarren und konnten sich kaum mehr auf den Beinen halten. Segelmacher unterhielt sich lange mit einem Paar Seestiefeln. Dann erblickte er mich und sagte, ich solle gut Wache halten; das Boot mit dem Alten käme doch nicht wieder zurück. Hierauf taumelte er nach dem Hinterschiff. Ich hörte ihn noch über Blauholzstücke fallen und englisch auf die Skorpione schimpfen, von denen er sich gebissen glaubte.

Viel ungemütlicher war August. Er hatte seinen Gürtelriemen abgeschnallt und schlug damit auf Hermann ein. Als dieser an Deck lief, folgte ihm August mit einem langen Messer in der Hand, unverständliche Worte vor sich hermurmelnd. Es gelang mir, ihn irrezuleiten, und Hermann fand ein Versteck. Nunmehr griff der rasende Kerl auch mich an, so daß ich mich ebenfalls hinter das an Deck aufgestaute Blauholz flüchtete. Ich wußte, daß August homosexuelle Neigungen hatte, aber dieser Begriff war mir damals noch ein sehr verschwommener.

Endlich gegen halb drei Uhr nachts vernahm ich, wie das Boot anlegte, und lief ans Fallreep. Der kleine Franzose warf den Bootsinsassen die Leine zu und winkte August, zur Koje zu gehen, weil der Kapitän zurückkäme. Statt dessen schwankte der Betrunkene in die Kajüte hinunter, und gleich darauf hörten wir unten ein lautes Krachen und Klirren von Scherben.

Der Alte und der Steuermann waren inzwischen angelangt. Der Kapitän begegnete August auf der Kajütstreppe.

»Guten Abend, Kapitän!« brüllte dieser.

»Was ist's?« fragte der Alte stutzig.

»Ach, ich ha – habe nur die Lampe anstecken wollen, a – a – aber der Kram – – –.« Mehr brachte August nicht hervor.

»Hallo! Guten Abend, Steuermann!« rief er dann plötzlich fidel.

»Nanu?« gab dieser ebenfalls ganz verwundert zurück.

Die übrigen Matrosen, die mit zurückgekommen waren, brachten August dann nach vorn, wo er in seiner Koje endlich einschlief.

Am nächsten Tage erfuhren wir, was in der Kajüte vorgefallen war. Wir saßen gerade beim Frühstück, wie immer auf das Essen schimpfend, als Paul ein großes Stück – etwa ein Viertel – von einem Edamer Käse nach vom brachte, mit der Bestellung, der Kapitän schicke das für August. Wir waren alle einen Moment baff vor Verwunderung, aber August, obgleich noch immer nicht ernüchtert, lächelte so eigentümlich, und als wir dann bei näherer Betrachtung des Käses deutliche Spuren eines menschlichen Gebisses in der roten Rinde erkannten, verstanden wir diesen Hinweis.

»Na, August«, sagte Jahn, indem er die seltene Delikatesse mit sichtlichem Behagen anschnitt, »ich glaube, deine Zähne passen da hinein.« Doch dieser leugnete hartnäckig und behauptete, das könne nur Napoleon gewesen sein; der wäre gestern besoffen gewesen.

Bald wurden die Einzelheiten der am Tage vorher angerichteten Verwüstung bekannt. In der Kajüte war der Fußboden greulich besudelt, die Hängelampe zertrümmert, und auf dem Tisch hatte der Alte die leere Rumflasche und den angebissenen Käse vorgefunden. Wir waren gespannt, was geschehen würde.

Zu Mittag rief Kapitän Pommer mit etwas stockender Stimme ins Logis hinunter: »August, Sie können an Land gehen!«

»Allright, Captain!« gab dieser zurück, ohne von der Erbsensuppe aufzusehen.

Der Alte ging dann fort, und August machte sich daran, seine Sachen zu packen. Er gab die von den anderen geliehenen Gegenstände zurück und versicherte immer wieder, daß es ihm ganz gleichgültig sei, ob er bliebe oder ginge. Währenddessen wurde er zum Kapitän gerufen. Er nahm ein Paar Seestiefel vom Segelmacher, einen Ölanzug vom Steuermann und einen Südwester, den ihm der Koch geborgt hatte, mit nach achtem. Nach einiger Zeit erschien er wieder und erklärte, daß er an Bord bleiben werde, da ihn der Alte um Entschuldigung gebeten hätte. Später erfuhr ich, daß der Kapitän den alten, verheirateten Mann nicht hatte fortjagen wollen. Dieselbe Rücksicht hatte man auf den Segelmacher genommen. Der lag volle zwei Tage besinnungslos in der Segelkoje zwischen den Passatsegeln. Als ein paar Gäste von Land das Schiff besichtigten, mußten wir den Schlafenden mit einem Segel verdecken, denn aufzuwecken war er nicht.

Wir erwarteten für den 29. Juli Order aus Deutschland, wohin wir von Belize aus fahren sollten. Es hieß auch, wir würden vielleicht Liverpool anlaufen. Das hätte mich gefreut. Hermann wollte in diesem Fall mit mir nach Hamburg reisen, während die anderen größtenteils an Bord zu bleiben gedachten.

Abends las ich mit großer Freude alte Briefe durch, wovon ich leider nur wenige besaß.

Von Tieren hatten wir jetzt an Bord:

1 Vier Papageien und Sonnenvögel, einen Ameisenbär und drei Katzen (dem Kapitän gehörend),

2 ein Krokodil (dem Steuermann gehörend),

3 Ratten, Skorpione, Kakerlaken, Maden, Ameisen und Moskitos (Allgemeingut).

Der Tag unserer Abreise war nicht mehr fern. Schon wurden die wichtigsten Anstalten dazu getroffen. Der Schiffsbauch, der, wie ich hörte, 450 Registertonnen faßte, war ziemlich bis oben hin mit Blauholz angefüllt. Die großen Mahagoniblöcke, die wir noch einnahmen, mußten an Deck festgelascht werden.

Beim Anschlagen der Segel war ich zum erstenmal am äußersten Ende der Rahe. Der Steuermann verbot mir das aber und rief mich herunter. Er sagte, das sei zu gefährlich; wenn ich herunterstürze, verliere er sein Patent als Steuermann. Das ärgerte mich, denn solche seemännischen Arbeiten verrichtete ich mit großer Lust. Als mich der Alte bald darauf einmal bei einem Segelmanöver fragte, warum ich nicht mit nach oben ginge, erzählte ich ihm, daß mir der Steuermann das untersagt habe. Ich durfte von da an immer mit hinauf. Dadurch war natürlich der Steuermann gekränkt, und er ließ mich das fühlen. Er verstand nicht viel von seemännischen Arbeiten, er war mehr Theoretiker, und die Matrosen machten sich deshalb häufig über ihn lustig, zumal er sich überall wichtig vordrängte. Fand der Alte an den vom Steuermann ausgeführten Arbeiten etwas Tadelnswertes, so bekam ich gewöhnlich die Schuld, der ich doch nur Handlangerdienste dabei verrichtete. Ja, ich erhielt immer die Prügel. Steuermann liebte es besonders, mich zu schlagen, wenn Gäste an Bord waren. Es schmeichelte ihm jedenfalls, soviel Gewalt über jemanden zu besitzen.

Aus irgendwelchen Gründen, die mir nicht mehr erinnerlich sind, verlegten wir häufig unseren Liegeplatz. In den letzten Tagen hatten wir nicht weniger als fünfmal Anker gelichtet und wieder ausgeworfen. Am 29. Juli traf, mit Spannung erwartet, Order ein, daß wir von Belize nach Liverpool steuern sollten. Das war nicht übel. Ich nahm mir vor, von dort mit der Eisenbahn nach Hull zu fahren, von wo aus man leichter nach Hamburg kommen sollte. Hätte es Bier gegeben, ich würde mir jetzt auf die Order hin einen Freudenrausch angetrunken haben, so aber war ich schon glücklich, daß ich von einem Bumbootsmann für eine Kleinigkeit eine Menge Bananen erhielt.

Eines Tages war der Alte sehr in »Fahrt«. Er hatte eine Rafft Mahagoniholz für seine eigene Rechnung erstanden. Willy und Gustav bekamen den Auftrag, die Balken wie immer vom Fluß aus bis an Bord zu rudern, brachten sie aber nicht gegen die starke Strömung vorwärts. Wir beobachteten von Bord aus die vergeblichen Anstrengungen der Leute im Boot, und der Kapitän stampfte wütend mit dem Fuß auf. Da wir nur ein Boot im Wasser hatten, konnten wir den Matrosen nicht zu Hilfe kommen. Schließlich banden wir aber doch ein kleines Hilfsboot los, das an Deck festgelascht war und bei uns den Spitznamen »Moses« führte. Nun wurden die noch an Bord befindlichen Matrosen mit zwei Bootsankern ausgesandt, um die Rafft herbeischaffen zu helfen oder sie wenigstens einstweilen zu verankern. Wenn der Wind nachließ, gelang uns der Transport dann sicher leichter. Mittlerweile schienen Gustav und Willy die Balken jedoch schon auf irgendeine Art verankert zu haben, denn wir sahen sie von dem Floß abstoßen und auf uns zuhalten.

Während die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Dinge gerichtet war, benutzte ich die Gelegenheit, um mir eine vergnügte Stunde zu bereiten, ich kroch unter das zweite Boot, zündete mir eine Pfeife an und beschäftigte mich mit der verfrühten Frage, wie ich meine Heuer in Liverpool anlegen und was für Geschenke ich vor allem meinen Angehörigen dafür mitbringen könne. Es mußte doch möglichst etwas Seemännisches oder Exotisches sein. Für Wolf gang hatte ich ja schon reiche Schätze, Muscheln, Skorpione, einen Gürteltierpanzer, Haifischgebisse und anderes. Für Mutter gedachte ich eine Fußmatte aus Tauwerk zu flechten, wie ich das vom Bootsmann gesehen hatte. Da hinein wollte ich ein Zwanzigmarkstück verstecken. Selbstverdientes Geld! Auch Ottilie sollte ein Geldgeschenk in einer Kokosnuß erhalten, und Papa, der sich ja wenig aus materiellen Gütern machte, wollte ich das Tagebuch verehren, möglichst schön und orthographisch geschrieben.

Unsere Matrosen hatten in der Tat die Rafft des Sturmes und der Stömung wegen nur verankern können und kehrten sehr erschöpft zurück. Spät abends, nach unserer Tageseinteilung spät, denn es war etwa halb acht Uhr, rief der Steuermann ins Logis hinunter, die Rafft sei weggetrieben und nicht mehr zu sehen. Wer freiwillig mit ins Boot wolle, sie zu suchen? Einem derartigen Appell an den guten Willen hätte ich nie widerstehen können. Ich meldete mich also und durfte mit Jahn, Koch und Steuermann das Boot besteigen. Es war anzunehmen, daß die Rafft sich von dem Anker losgerissen habe. Es galt nun, auch diesen wiederzuerlangen, wozu freilich wenig Aussicht bestand. Ungefähr kannten wir die Richtung, wo der Anker ausgeworfen war. Es war nicht weit von einem norwegischen Dampfer gewesen. Wir markierten die Stelle durch eine Boje, das heißt, wir warfen einen eisernen Haken ins Wasser, an den wir ein Ruder banden, das bis zur Hälfte wie ein Mast aus dem Wasser ragte. Ein Taschentuch von mir – ich war der einzige, der eines besaß – wurde als Erkennungszeichen an dem Riemen befestigt. Nachdem das nicht ohne Schwierigkeiten von dem auf und nieder tanzenden Boot aus geschehen war, hieß es nun die Rafft zu suchen.

Die Dämmerung war hereingebrochen, der Himmel trübe. Der Wind peitschte die See zu hohen Wellen, die wild über unser Fahrzeug hinwegschossen. Wir waren schon längst durch und durch naß. Stundenlang kreuzten wir nach allen Richtungen. Unser Boot jagte wie ein Fisch durchs Wasser. Steuermann saß am Ruder. Jahn führte das Segel, das wir nur wenig gerafft hatten, und wir anderen spähten durch den Nebel nach Kapitän Pommers weggetriebener Rafft. Nur wenige Worte wurden gesprochen. Alle waren müde und hungrig, denn wir hatten an Bord noch kein Abendbrot bekommen. Das überspritzende, salzige Wasser brannte uns in den Augen, und es fror uns in den nassen Kleidern. Mahagoni zeigte sich nicht. Inzwischen war es Nacht geworden. Noch immer hatten wir das Holz nicht erblickt, aber Steuermann setzte seinen Stolz ein, es wiederzufinden, und wir segelten also weiter. Weit hinaus in die offene See und dann wieder dicht unter Land zwischen den kleinen Inseln durch, deren belebte Wälder mit ihrem eigentümlichen Brausen noch den Sturm übertönten. Wir waren ganz still geworden. Willy fielen die Augen zu. Dabei liefen wir immer Gefahr, daß das Boot umschlug, besonders bei dem tollkühnen Überstachgehen.

Es war eine aufregende, interessante Fahrt, so recht nach meinem Geschmack, obgleich ich selbstverständlich ebenso hungrig, müde und durchgefroren war wie die übrigen. Endlich beschlossen wir, die Jagd aufzugeben, aber wenigstens den Anker zu fischen, konnten jedoch nicht einmal die ausgesteckte Boje wiederfinden. Wieder kreuzten wir.

Da plötzlich: »Die Boje!« rief jemand, und in diesen Augenblick sahen wir sie vorübersausen, aber der Sturm trieb uns jetzt mit so rasender Eile vorwärts, daß wir sie aus den Augen verloren, ehe wir noch beigedreht hatten. Wir sahen sie auch nicht mehr und waren endlich genötigt, unverrichtetersache nach der »Elli« zurückzukehren.

Wir hatten uns sehr weit vom Schiff entfernt und kamen nun, gegen den Strom aufkreuzend, nur langsam vorwärts.

Die Uhr zeigte halb zwölf Uhr, als wir an Deck stiegen und uns sofort in unseren nassen Kleidern in die Kojen warfen.

Der Alte war sehr aufgebracht über den Verlust seines Holzes.

Um halb sechs Uhr wurden wir schon wieder geweckt. Nun, am hellen Tage, konnten wir auch die Rafft erkennen. Sie war weit hinaus ins offene Meer getrieben. Jahn, August und Willy wurden ausgeschickt, sie zurückzuholen. Etwas später, als ich gerade irgendeine Arbeit an Deck verrichtete, redete mich der Alte an: »Seppl, geh mal nach oben, – ob sie die Rafft bringen. – Und wenn's auch nur ein Balken wäre.«

Ich enterte schnell die Wanten hinauf und meldete nach unten, daß unser Boot die Rafft brächte. Bald darauf kamen unsere Matrosen zurück.

Sie hatten vier Balken aufgefischt, die anderen waren jedenfalls schon zu weit abgetrieben. Nun, das war doch wenigstens etwas. Wir zogen die vier Geretteten mit der Winsche an Deck, wo wir sie festbanden.

– – Die letzten Vorbereitungen zur Heimreise wurden getroffen, Segel angeschlagen, und was sonst notwendig war.

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